Dawud Gholamasad

Die Lehren aus der Regierungskrise Frankreichs: Verfassungsimmanente Krisenpotenziale des Semipräsidialsystems

 

Frankreich hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli 2024 zwar mehrheitlich links gewählt, erhielt jedoch trotz massiver Proteste eine Mitte-Rechts-Regierung. Die Linke war zwar als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgegangen, konnte jedoch keine eigene Mehrheit aufbauen, um einen Premierminister zu stellen. Daher sieht die Linke in Michel Barnier einen Regierungschef „von Le Pens Gnaden“ und wirft Präsident Macron einen „Staatsstreich“ vor. Denn auch die anderen politischen Lager konnten keine eigene Mehrheit erreichen.

Angesichts dieser Pattsituation und der fehlenden Koalitionskultur in Frankreich ernannte Präsident Macron den konservativen Ex-EU-Kommissar Michel Barnier zum Premierminister. Nachdem der rechtspopulistische „Rassemblement National“ von Marine Le Pen auf ein Misstrauensvotum gegen den neuen Premier verzichtete, entstand eine Mitte-Rechts-Regierung. Diese hielt jedoch nicht einmal drei Monate. Frankreich steckt nun wieder in einer Regierungskrise, sodass Präsident Macron erneut einen neuen Premierminister suchen muss.

Internationale Medien machen vor allem Emmanuel Macron für den Sturz der Regierung verantwortlich. Diese Personifizierung der Krise, die als Fehleinschätzung Macrons gedeutet wird, übersieht jedoch die verfassungsimmanenten Krisenpotenziale des semipräsidentiellen Regierungssystems Frankreichs.

Ein ähnliches Krisenpotenzial war bereits im Verfassungsentwurf der „Islamischen Republik Iran“ angelegt, der in vielen Aspekten dem französischen System nachempfunden war. Dem Entwurf wurde jedoch nachträglich die „absolute Schriftgelehrtenherrschaft“ hinzugefügt. Der Konflikt zwischen dem damaligen Präsidenten Khamenei und Ministerpräsident Mussavi war ein Resultat dieser Krisenpotenziale, der durch die Entscheidung des „charismatischen Führers“ Khomeini zugunsten Mussavis beigelegt wurde.

Aus diesen Beispielen lassen sich Lehren für die zukünftige Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit des Iran nach dem Sturz der „Islamischen Republik“ ziehen.1 Diese Lehren betreffen insbesondere das semipräsidentielle Regierungssystem, das auch in Frankreich krisenanfällig ist:

Das semipräsidentielle System vereint Elemente des parlamentarischen und des präsidentiellen Regierungssystems. Die Regierung hängt sowohl vom Vertrauen des Staatspräsidenten ab als auch von der Mehrheit im Parlament. Daher kann man es auch als präsidial-parlamentarisches System bezeichnen.

1 Vergl. meine Diskussionsgrundlage der demokratischen Opposition: https://gholamasad.jimdofree.com/artikel/die-diskussionsgrundlage-einer-aktionseinheit-der-demokratischen-opposition/

2

Es ist eine Mischung beider Systeme: Wie im Präsidialsystem wird der Staatspräsident vom Volk gewählt und kann die Regierung bilden ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Parlaments nehmen zu müssen. Dennoch muss er, wie in den USA, mit dem Parlament zusammenarbeiten, da dieses über die Gesetzgebung entscheidet. Im Gegensatz zum parlamentarischen System, wie etwa in Großbritannien oder Deutschland, hat der Präsident im semipräsidentiellen System nicht nur repräsentative Aufgaben. Er hat auch eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung. So wird der Premierminister in Frankreich vom Präsidenten ernannt, kann jedoch durch ein Misstrauensvotum der Nationalversammlung gestürzt werden. Die Regierung ist also vom Vertrauen beider Instanzen abhängig. Der Präsident hat dabei gegenüber der Regierung einen erheblichen Einfluss, da er an der Spitze der Exekutive steht.

Diese Kombination macht das semipräsidentielle System anfälliger für Krisen als die beiden anderen Systeme, da es nicht nur von der schriftlichen Verfassung abhängt, sondern auch von der Verfassungswirklichkeit und den politischen Gepflogenheiten. So schreibt die Verfassung in der Regel vor, dass der Präsident die Regierungsmitglieder ernennt, diese jedoch vom Parlament bestätigt werden müssen. Auch kann das Parlament die Regierung stürzen. In einem semipräsidentiellen System kann es daher in der Praxis durchaus zu einer parlamentarischen Regierungspraxis kommen, da der Präsident in der Regel niemanden ernennt, der das Vertrauen des Parlaments nicht besitzt. Probleme entstehen jedoch, wenn keine Fraktion im Parlament über eine ausreichende Mehrheit verfügt und keine Koalitionsbereitschaft besteht.

Die Verfassungswirklichkeit hängt stark davon ab, ob der Präsident und die Parlamentsmehrheit dem gleichen politischen Lager angehören oder ob eine Koalition ihn unterstützt. In solchen Fällen ist der Präsident der klare politische Führer, der den Regierungschef auswählt. Dabei muss er jedoch auch die Wünsche der im Parlament unterstützenden Parteien berücksichtigen.

Im Extremfall kann der Präsident gezwungen sein, eine „Cohabitation“ – das schwierige Zusammenleben der beiden politischen Lager – zu akzeptieren, wenn er politisch realistisch ist. Ein solcher Fall trat erstmals 1986 ein, als der sozialistische Präsident François Mitterrand aufgrund einer Mehrheit der Liberalen und Konservativen im Parlament den Konservativen Jacques Chirac zum Premierminister ernannte. In der Außenpolitik konnte der Präsident jedoch weiterhin eigene Akzente setzen. Eine „Cohabitation“ gab es noch in den Jahren 1993-1995 und 1997-2002.

Gerade anhand der aktuellen Krise in Frankreich wird jedoch die systemimmanente Krisenanfälligkeit des semipräsidentiellen Systems deutlich. Es ermöglicht keine beständige und klar unterscheidbare Regierungspraxis zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System. Vielmehr wechseln sich Phasen einer präsidentiellen Regierungspraxis – bei politischer Übereinstimmung zwischen Präsidenten und Parlamentsmehrheit – und Phasen einer parlamentarischen Regierungspraxis während der Cohabitation ab. Die zunehmende Polarisierung in Frankreich und die zunehmende Lagermentalität erschweren ein „Zusammenleben“ der politischen Lager zunehmend.

Hannover, 11.12.2024

Iran - Wo Gewalt als sozialer Habitus herrscht, da fehlt eine Streitkultur

 

 

Zur selbstverständlichen Natur des sozialen Habitus folgende Anekdote: Eine Kröte begegnete zwei vorbei schwimmende Fischen und fragte grüßend: wie ist das Wasser? Daraufhin fragte einer der Fische den anderen: Du, was ist eigentlich Wasser?

 

 

 

Eines der zentralen Probleme der politischen Auseinandersetzung unter der iranischen Opposition besteht in der Minderentwicklung einer Streitkultur bzw. Debattenkultur, obwohl sie ein grundlegendes Prinzip jeder demokratischer Gesellschaft ist. Deswegen müsste gerade die demokratische Opposition dieses Grundprinzip besonders kultivieren, wenn sie die vorherrschende autokratische Tradition überwinden will, die den sozialen Habitus der Iraner durch „Gleichschaltung geprägt hat. Die Art wie sie denken, fühlen und kommunizieren, repräsentiert daher weitgehend eine Mentalität relativ geringer Toleranz für abweichende Meinungen und „Kompromisslosigkeit“ ihnen gegenüber.

 

Diese Tendenz der „Gleichschaltung“ wurde mit dem verfassungsmäßig verankerten absoluten Führerprinzip in der „Islamischen Republik“ sogar noch verstärkt. Sie manifestiert sich auch zuweilen in einer Lagermentalität“ der Oppositionellen, die in ihren Gegnern zuweilen eher Feinde sehen, ohne sich dessen bewusst zu sein.

 

Zur nachrevolutionären Verstärkung der Lagermentalität durch Gleichschaltung

 

(Die Gegner der klerikalen Herrschaft sind Feinde des Propheten – so der „Führer“)

 

Die islamistische Gleichschaltung bedeutet - wie jeder Totalitarismus - nicht eine bloße Einschränkung, sondern zuweilen ein Verlust der individuellen Persönlichkeit bzw. der Autonomie, Mündigkeit und individuellen Freiheit der Menschen durch gewaltsam sanktionierte Anforderungen der strikten Regeln und Gesetze der Scharia. Die vorherrschende Hinrichtung als Hauptmittel der Gleichschaltung ist ein Markenzeichen der „Islamischen Republik“. Deswegen scheute sich der damalige stellvertretende Außenminister Hassan Ghaschghavi nicht zu erklären, dass „das islamische System“ an der Hinrichtungspraxis festhalten wird: „Wir leben in einem islamischen Land und wir handeln nach den Regeln des Korans. Selbst wenn wir hunderttausend Menschen exekutieren müssen, werden wir mit der Durchsetzung dieser Regeln fortfahren.1 Ziel ist demnach die islamistische Uniformierung der Menschen, die sich schließlich als Massen-Individuen einer „Gemeinschaft der Muslime“ („Ommat-e Islam“) begreifen sollen. So schaffen sie - gruppencharismatisch - ihre neuen Menschen als „Gottes auserwähltes Volk“ – wertvoller als alle anderen Menschen auf der Erde, die noch nicht „Gottes Gesetze“ folgen.

 

Diese nachrevolutionär verstärkte Gleichschaltung vollzog sich daher nach dem Grundprinzip des Totalitarismus in allen politischen, sozialen und kulturellen Bereichen, die gemäß den „islamistischen“ Vorstellungen reorganisiert wurden. Dies begann unmittelbare nach der Revolution mit der Umfunktionierung der bestehenden Organisationen in "islamistische Verbände" und „Islamisierung“ aller sonstigen Institutionen, d.h. Säuberungen von allen Andersdenkenden und Andersgläubigen, und Beseitigung rudimentär bestehender demokratischer Strukturen zugunsten des ‚Führerprinzips‘. Dabei wurde die Praktische Loyalität zum Führer“ als Selektionsprinzip der Amtsträger. Darüber hinaus wurde im Alltagsleben die "Einhaltung des Islamischen Scheins" („Hefz-e sawaher-e Eslami“) als Beweis der Loyalität und Unterwerfung der Menschen erzwungen. Die Zwangsverschleierung der Frauen ist ein unübersehbares Beispiel der geforderten Loyalitätsbekundung und ein Zeichen der Gleichschaltung der Frauen im Sinne des Islamismus.

 

Mit der verfassungsmäßigen Abschaffung der „Volkssouveränität“, erfolgte auch die politische Willensbildung schließlich allein durch den Führer, dessen Wille nun allein den wahren Gotteswillen verkörpere, weswegen auch jede systemkritische Äußerung oder Haltung als „Feindseligkeit gegen den Propheten“ verfolgt wird. Diese Gleichschaltung der Gesellschaft wurde nicht nur auf Anweisung vollzogen, sondern auch in vorauseilendem Gehorsam, im Sinne der Selbstgleichschaltung der Trittbrettfahrer mit „Radfahrermentalität“ – die nach unten treten und nach oben buckeln, um so ihre eigene Ich-Schwäche auszugleichen. Alle anderen sonst widerständigen Verbände und Organisationen wurden blutig niedergeschlagen und alles „Nicht-Islamistische“ durch gruppen- und geschlechtsspezifische institutionelle Diskriminierungen marginalisiert und stigmatisiert.

 

Mit dieser institutionalisierten „Etablierten-Außenseiter-Dynamik“ wird sogar jede systemimmanente Debatte als „Streit“ im Sinne der Schwächung des „Systems“ untersagt, dessen Erhaltung absolute Priorität zukommt; oder sie wird als Abweichung von der „Prärogative des Führers“ - bzw. der dem Führer ohne gesetzliche Bindungen zustehenden Vorrechte - untersagt. Damit wird eine institutionalisierte Blindheit für die Tatsache kultiviert, dass unterschiedliche Menschen nicht nur unterschiedliche Meinungen haben; sie haben auch gegensätzliche Interessen, die in einer politischen Auseinandersetzung nach einem Ausgleich suchen müssen, weswegen auch fairer Streit um die Sache und das Ringen um „vernünftige“ Kompromisse unerlässlich sind.

 

Da eine demokratische Regelung der Interessenkonflikte des Streits bedarf, muss er wenigstens von der demokratischen Opposition kultiviert werden; sonst herrscht Gewalt als Regulationsprinzip sozialer Auseinandersetzungen. Wo aber Gewalt als Regulationsprinzip vorherrscht, kann von einer Streitkultur keine Rede sein. Sie wird geradezu als Bedingung der Möglichkeit der Reproduktion der Gewaltherrschaft unterdrückt. Dabei sollte Gewalt nicht mit Gewalttätigkeit verwechsel werden. Die Gewalt in ihren vier Gestalten, als Zwänge der außermenschlichen Natur, der eigenen Natur der Menschen, sowie der Fremdzwänge (bzw. Zwänge, die Menschen gegenseitig aufeinander ausüben) und Selbstzwänge deswegen zu unterscheiden, weil sie unaufhebbar sind – im Unterschied zu Gewalttätigkeit. Die Natur- und Humanwissenschaften sorgen für die Kontrolle der zwei Naturzwänge; während die Fremdzwänge als normative Struktur der Gesellschaft im Zivilisierungsprozess zunehmend humanisiert und durch Verinnerlichung als sozialer Habitus in Selbstzwänge umgewandelt werden. Dieser Zivilisierungsprozess ist ein integraler Bestandteil der Staatsbildungsprozesse, in der die Gewalttätigkeit aus dem gesellschaftlichen Alltagsleben zunehmend verschwindet und als legitimes Staatsmonopol kaserniert wird. Dabei vollziehen sich die Zivilisierung des Verhaltens und Erlebens der Menschen zunächst in ihrer Formalisierung, wie sie sich zuweilen in religiös sanktionierten rigiden normativen Erwartungen – bzw. Geboten und Verboten - manifestieren. Im Verlauf der Modernisierung der zunehmend differenzierenden Gesellschaften gehen Individualisierungsprozesse einher und es vollzieht sich die Zivilisierung in einer zunehmenden Informalisierung des Verhaltens- und Erlebensmuster der Menschen und ihres Alltagslebens. Sie wird als „Liberalisierung“ des Alltagslebens erlebt, die nicht immer und nicht für alle angenehm ist.

 

Begreift man das „Alltagsleben“ als Manifestation der gelebten Persönlichkeitsstruktur der Menschen, bedeutet die Modernisierung der Gesellschaft der Menschen zugleich eine zuweilen Angst auslösende Anforderung zur Transformation ihrer Persönlichkeitsstruktur in Richtung einer zunehmenden Individualisierung. Die Überforderung dieses Transformationsprozesses ihres „sozialen Habitus“ bzw. ihrer sozialen Persönlichkeit erleben die involvierten Menschen zuweilen als eine „Verwestlichung“, weil sie die geforderten neuen Glaubensaxiome und Werthaltungen einer sich modernisierenden Gesellschaft nicht so schnell assimilieren können. Diese Ungleichzeitigkeit der Entwicklung der Gesellschaft- und Persönlichkeitsstruktur der Menschen erzeugt daher eine „kognitive Dissonanz“ und eine damit einhergehende Erfahrung der „Selbst-Inkonsistenz“, die sie als „Verwestlichung“ beklagen und heftig bekämpfen.2

 

Dieses als „Liberalisierung“ erlebte angespannte Alltagsleben löst daher jene konservativen Gegenbewegungen aus, die sich u.a. in christlichem, jüdischem und islamischem Fundamentalismus manifestieren. Der „Islamismus als globale Herausforderung“3 repräsentiert eine dieser „Konterrevolutionen“. Das Streben nach Wiedereinführung der Scharia als normativer Struktur der Gesellschaft in Gestalt des Islamismus ist eine ihrer Ausdrucksformen. Es ist ein Versuch, die Zeit gewaltsam zurückzudrehen, mit der Hoffnung ihre selbstwertgefährdende „kognitive Dissonanz“ im Alltagsleben zu überwinden, indem sie ihren sozialen Habitus, ihre überlieferte Verhaltens- und Erlebensmuster als religiös sanktioniert deklarieren und jede Abweichung als Bedrohung ihrer Glaubensaxiome und Werthaltungen und somit ihres Selbstwertes verteufeln. Diese selbstwertfördernde demonstrative Hervorhebung der als eigen definierten Werte der Islamisten manifestiert sich in einer unübersehbaren Gewalttätigkeit gegen alle als westlich definierten Werte und Menschen, die sie repräsentieren. Sie offenbart sich gegenwärtig in der „Islamischen Republik“ - in dem ersten erfolgreich etablierten „Islamischen Staat“, wie sich Islamisten der ganzen Welt ihn wünschen und Khomeini ihn in seinem Buch „Der islamische Staat“4 vorgestellt hatte: als religiös gebotene Gleichschaltung der Gesellschaft. Deswegen kann der stellvertretende Außenminister Hassan Ghaschghavi 2010 erklären: „Wir leben in einem islamischen Land und wir handeln nach den Regeln des Korans. Selbst wenn wir hunderttausend Menschen exekutieren müssen, werden wir mit der Durchsetzung dieser Regeln fortfahren.“5

 

Dieser „Gottesstaat“, dessen gleiche Form die Islamisten weltweit anstreben, entstand zwar im Zuge einer islamisierten Revolution, die sich im Lauf der Zeit zunehmend in eine Besatzungsmacht der Sieger dieser Revolution – der Geistlichkeit – verwandelte. Er transformierte sich in eine unkontrollierte und inzwischen unkontrollierbare Machtkonzentration derer, die das Land nicht nur zur eigennützigen Bereicherung der Kerngruppe der Macht und ihres Gefolges plündert, sondern auch als materielle Grundlage ihrer Expansion. Damit entsteht nicht nur eine klerikale Kleptokratie, die mit ihrer wahrnehmbaren Inkompetenz zunehmend ihre soziale Basis verliert und so zunehmend von ihren Sicherheits- und Unterdrückungsorganen abhängig wird. Demgemäß verwandelte sich die klerikale Herrschaft, zunehmend militarisiert, in eine gewalttätige klerikale Militärdiktatur, an deren Spitze der im Namen Gottes herrschende „Führer“ sitzt – mit scheinbar absoluter Befehls- und Kommandogewalt. Diese schleichende Verselbständigung und Verwandlung der militärischen Schutzmacht der theokratischen Herrschaft in eine kleptomane Militärherrschaft ist insofern nicht neu in der iranischen Geschichte und des Kalifats im islamischen Reich. Von daher verfügt dieser Staat nicht bloß über ein legitimes Monopol der Gewaltandrohung; er verkörpert die Allgegenwart der Gewalttätigkeit im Namen der Verteidigung der „Revolution“ inner- und zwischenstaatlich.

 

Ein Bürgerkrieg beginnt wie jeder Krieg erst mit der Verteidigung des Angegriffenen; ist daher keine zivilisierte Option der demokratischen Opposition

 

Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin“

(Carl August Sandburg)

 

 

Dabei darf die Gewalttätigkeit der „Islamischen Republik“ als eine „Schreckensherrschaft“ nicht mit üblichen legitim erlebter Gewalt sowie mit struktureller Gewalt in jeder Staatsgesellschaft verwechsel werden, da Gewalt in verschiedenen Gestalten die Struktureigentümlichkeit jeder Machtdifferentiale ist. Sie manifestiert sich nicht nur in funktionalen und normativen Strukturen jeder Gesellschaft, sondern auch in ihren kommunikativen Strukturen. Deswegen ist die „gewaltfreie Kommunikation“6 auch in den demokratisch verfassten Gesellschaften eine Rarität, wo Worte nicht selten zu Verletzungen und Leid bei Kommunikationspartner führen.

 

Was die autokratisch geprägten islamistische Staatsgesellschaft kenzeichnet, ist nicht nur die Allgegenwart der strukturellen Gewalt, sondern und vor allem die Gewalttätigkeit im Namen der „Revolution“ oder der „Verteidigung der Revolution“, die nichts anderes ist, als ein permanenter latenter Bürgerkriegszustand. Dies obwohl die bisherige Geschichte blutig vorgeführt hat, dass Krieg auch als Bürgerkrieg nicht „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“7 ist. Zumal es „in der Anwendung derselben (Akt der Gewalt) keine Grenzen“ gibt - im Sinne der Eskalation der Gewalttätigkeit. Dieser eskalierende Charakter der gewaltsamen Auseinandersetzung wird schon von Clausewitz, dem Vater der Theorie des Krieges, hervorgehoben, wenn er betont: „ist der Krieg ein Akt der Gewalt, so gehört er auch dem Gemüt an. Geht er nicht davon aus, so führt er doch darauf mehr oder weniger zurück, und dieses mehr und weniger hängt nicht von dem Grad der Bildung, sondern von der Wichtigkeit und Dauer der feindseligen Interessen ab.“8 Demnach ist der Krieg ein de-zivilisiertes und De-Zivilisierung förderndes Mittel, weil und solange die „Gewalt“ als Regulationsprinzip der Konflikte vorherrscht und die Politik als Erzwingung des eigenen Willens um jeden Preis betrachtet wird: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“9 Hier kann es keine Rede von Interessenausgleich im Sinne einer friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Interessen geben. Deswegen kann Khomeini „Revolutionär-sein“ mit totaler Vernichtung seiner Gegner gleichsetzen, die bis zur Gegenwart zur blutigen Ausschaltung jeder abweichenden Meinung geführt hat. Für ihn und seine Nachfolger kommt der Aufrechterhaltung des Regimes eine absolute Priorität zu, selbst mit Suspendierung der primären Gebote des Islams, wie Chomeini es unmissverständlich betonte. Darauf sind alle Institutionen der „Islamischen Republik“ ausgerichtet. Deswegen sieht auch der neu eingesetzte Oberste Richter, Raissi – dieser Mini-Eichmann -, der seine Hauptaufgabe vor allem in der „Sicherheit“ des Systems („Nezam“) nicht aber in der Gerechtigkeit. Diese betonte Hervorhebung der eigenen Stellenbeschreibung eines „obersten Richters“ ist eine unverhüllte und betonte Kriegserklärung einer Schreckensherrschaft gegen jede Opposition in der „Islamischen Republik“, deren Eskalation er wie in Syrien anscheinend in Kauf nimmt.

 

Trotzdem kann man aus historischen Erfahrungen mit Recht annehmen, dass die „Islamische Republik“ mit ihrer aggressiven Außen- und Innenpolitik entweder an ein „Alexander-Syndrom“10 oder durch eine Demokratisierung iranischer Verfassung und Verfassungswirklichkeit zugrunde geht. Eine Kombination dieser Prozesse beschleunigt allerdings ihren Zerfallsprozess, wie es anscheinend aussieht. Es geht jedoch um die menschlichen Kosten dieses vorhersehbaren Unterganges angesichts der Unverhandelbarkeit der Existenz der klerikalen Herrschaft, wie sie sich aus der vorherrschenden Gesinnungsethik der Kerngruppe der Macht ergibt - unabhängig von den Folgen, die eine Niederlage für sie persönlich bedeuten würde. Sie drohen ja sogar deswegen unverhüllt, dass sie sich nicht scheuen würden, ihre islamistischen „Fremdenlegion“ gegen die iranischen Aufständischen einzusetzen, wenn ihre eigenen Kräfte nicht ausreichen sollten. Daher muss man annehmen, dass sie ihre Herrschaftsposition niemals kampflos aufgeben würden, wie sie dies in Syrien blutig demonstriert haben. Davor warnen auch die „Reformisten“ immer wieder, die jede ernsthafte Konfrontation mit dem Regime mit dem Hinweis auf Syrien blockieren – als ob es so etwas wie „zivilen Ungehorsam“ oder anderen gewaltfreien Widerstand wie z.B. möglicher allgemeiner Wahlboykott, nicht geben würde. Doch die reifer gewordene iranische Opposition hat gelernt, dass sie - wie ein Langstreckenläufer und Judomeister zugleich - die Stärke des Gegners langatmig gegen ihn wenden muss, wenn sie einen Bürgerkrieg vermeiden will. Die Menschen wissen, dass der Bürgerkrieg erst dann beginnt, wenn sie das Regime mit derselben Waffe bekämpften. Es bedeutet aber nicht, dass sie ihren Befreiungskampf je aufgeben würden. So etwa haben auch die Russen in ihrer Geschichte zwei übermächtige Armeen Napoleons und Hitlers besiegt. Sie haben die Stärke ihrer Gegner gegen diese gewendet.

 

Daher bleibt der demokratischen Opposition angesichts der brutalen Entschlossenheit des blutrünstigen Regimes nur eine Alternative: entweder zur „Selbstverteidigung“ aufrufen, was von einigen weniger verantwortungsbewussten Oppositionellen befürwortet wird; oder auf gewaltlosen Widerstand bestehen, wissend, dass auch ein Bürgerkrieg erst mit der Verteidigung der Angegriffenen beginnt, wie es Clausewitz als Grundlage des Kriegsbegriffs11 betont – und wie es gegenwärtig auch durch die blutigen syrischen Erfahrungen bestätigt wurde.

 

Gerade auf dieser Grundlage kann man von der Weltgemeinschaft erwarten, dieser möglichen potentiellen blutigen Eskalation der Gewalt im Iran vorzubeugen, wenn sie nicht in die Lage versetzt werden wollen, irgendwann mal gewaltsam intervenieren zu müssen. Dies ist keineswegs eine Aufforderung zu einer gewaltsamen humanitären Intervention“, sondern im Gegenteil eine vorgeschlagene vorbeugende Maßnahme zur Vermeidung einer gewaltsamen humanitären Intervention. Dazu bietet sich eine präventiv-gewaltlose humanitäre Intervention auf der Grundlage des Prinzips der „Schutzverantwortung“ der UNO an. Zumal die bisherigen Erfahrungen mit totalitären Staaten gezeigt haben, dass der Totalitarismus von innen heraus ohne internationale Unterstützung schwer zu überwinden ist. Diese Gedanken habe ich am 13.09.2013 in einem Kurzvortag12 vorgetragen und weiter ausgeführt13, die ich unten auszugsweise wiederhole.

 

Diese Forderung nach vorbeugenden Maßnahmen der Weltgemeinschaft setzt die Einsicht voraus, dass die allgegenwärtigen „Revolutionsgarden“ nicht nur die außerstaatliche „Schutzfunktion“ der Revolution in Gestalt „klerikaler Herrschaft“ für sich beansprucht. Sie nimmt auch – entsprechend der Anordnung des „Führers“ - ausdrücklich ihren innerstaatlichen Schutz in Anspruch sowie die Definitionsmacht darüber, was schutzbedürftig ist und wie es geschützt werden müsse. So prägt die innen- und außengerichtete Aggression ihre unverkennbare stolze Erkennungsmarke, die keinerlei Debatte zulässt.

 

Die Strukturähnlichkeit der Innen- und Außenpolitik der „Islamischen Republik“ manifestiert sich in einem internen Kolonisierungsversuch in Gestalt der gewaltsamen Islamisierungsversuche des Alltagslebens - im Sinne einer Gleichschaltung - im Iran und in einem „Export der Revolution“, der gegenwärtig nicht nur die Nachbarländer beunruhigt. Denn: Nach dem Muster der Sowjetunion als „Vaterland der Werktätigen“, erstrebt die „Islamische Republik“ als „Vaterland der Gläubigen“ („Ommol-ghora“) die Befreiung der „Unterdrückten“ der ganzen Welt, wie die Verfassung sie vorschreibt. Die iranischen Islamisten streben daher nichts Geringeres als eine Weltherrschaft an, wie sie sich selbst und ihre Massenbasis immer wieder einreden. Durch diesen internen und externen Expansionsdrang der „Islamischen Republik“ entsteht eine Schicksalsgemeinschaft der Schutzbedürftigen, deren Befriedigung völkerrechtlich garantiert ist. Nach diesem völkerrechtlich garantierten Schutz der Weltgemeinschaft zu fragen ist nicht nur legitim sondern auch geboten, sollte die Eskalation der internen und externen Konflikte nicht in gewaltsame Konfliktlösung ausarten und möglicherweise zu einer „gewaltsamen humanitären Intervention“ zwingen. Dies habe ich in einigen Beiträgen ausführlich dargestellt, die gelesen werden können.14 Diesen Vorschlag einer Vermeidungsstrategie als eine Einladung zu gewaltsame Intervention zu interpretieren, ist nicht nur eine bösartige Unterstellung. Sie zeugt von einer Debatten- bzw. einem Streitkulturdefizit. Deswegen möchte ich meine Kerngedanken noch einmal hier vortragen.

 

Die Möglichkeit einer gewaltlosen präventiven humanitären Intervention auf der Grundlage der „Schutzverantwortung“15

 

Die „Schutzverantwortung“ ist ein neues Konzept internationaler Politik und Teil des Völkerrechts zum Schutze der Menschen als Einzelne oder Gruppen vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Brüchen des humanitären Völkerrechts. Sie wurde maßgeblich von der „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ (ICISS) in den Jahren 2000/2001 entwickelt und international verbreitet und nach der Zustimmung der Generalversammlung der UNO (2005) sogar in der Resolution 1674 des Sicherheitsrats erstmals in einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument erwähnt. Der UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon veröffentlichte 2009 einen Bericht zur Umsetzung der Schutzverantwortung, die auf drei Säulen basiert und insbesondere die Bedeutung einer rechtzeitigen Erkennung und Einleitung von präventiven Maßnahmen bei derartigen Verbrechen hervorhebt16.

 

Die „Schutzverantwortung“ trifft zunächst den Einzelstaat und beschreibt seine Pflicht, das Wohlergehen der ihm kraft seiner Personal- oder Gebietshoheit unterstellten Bürger zu gewährleisten. Bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung wird er von der internationalen Staatengemeinschaft unterstützt, der eine subsidiäre17 bzw. unterstützende Schutzverantwortung zukommt. Ist jedoch die politische Führung des jeweiligen Staates nicht fähig oder willens wie im Falle Iran, die Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, darf die internationale Staatengemeinschaft, vornehmlich die Vereinten Nationen, zum Schutz der bedrohten Menschen eingreifen. Dazu stehen ihr nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen zivile und militärische Mittel zur Verfügung, über deren Einsatz der Sicherheitsrat entscheidet.

 

Die Theoretische Grundlage der „Schutzverantwortung“ ist die Definition von Souveränität als Verantwortung ("sovereignty as responsibility"), wonach ein Staat Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung übernehmen muss, um als souverän zu gelten. Die „Schutzverantwortung“ hilft damit, universale Moralvorstellungen zum Schutz der Menschen als Einzelne und Gruppen international zu verwirklichen. Als zu verhindernde Menschenrechtsverletzungen werden VölkermordKriegsverbrechenVerbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen identifiziert. Von daher sollte, meiner Meinung nach, das kanadische Beispiel der parlamentarischen Verurteilung der Massenhinrichtungen iranischer Gefangenen in Jahre 1988 als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auch in Europa und USA Schule machen.18

 

Nach der vorliegenden Fassung gliedert sich die „Schutzverantwortung“ in drei Teilverantwortlichkeiten: Die Pflicht zur Prävention, die Pflicht zur Reaktion  und die Pflicht zum Wiederaufbau, wovon vor allem die Pflicht zur Prävention hier für mich zur Debatte steht.

 

Die Pflicht zur Prävention zielt auf die Vermeidung von Situationen, in denen es zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt, insbesondere durch den Aufbau einer guten Verwaltung (good governance) und die Bekämpfung tiefverwurzelter Ursachen für Konflikte (root causes), die im Iran durch die institutionalisierte Verletzung der Menschenrechte vor allem in Form institutionalisierten ethnischen und konfessionellen Diskriminierungen unausweichlich sind. Auch eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist insoweit denkbar, die im Falle Iran einer Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO bedarf, weil Iran das Abkommen zur Errichtung des „Internationalen Strafgerichtshof“ zwar unterschrieben aber nicht ratifiziert hat.

 

Auch die Pflicht zur Reaktion verpflichtet zu einer Beseitigung bzw. Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen. Mittel hierzu sind friedliche Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft wie Waffenembargos und das Einfrieren von Bankkonten. Als ultima ratio kommen auch militärische Interventionen in Betracht, wenngleich diese nur in zwei eng umrissenen Situationen gerechtfertigt sein sollen: im Falle eines Massensterbens und im Falle einer ethnischen Säuberung. Die Befugnis, eine solche militärische Intervention zu autorisieren, geht gemäß der „Schutzverantwortung“ jedoch nicht auf einzelne Staaten über, sondern verbleibt beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der gegenwärtig paralysiert ist.

 

Von der „humanitären Intervention“ unterscheidet sich die „Schutzverantwortung“ in dreifacher Weise:

 

  1. Der dem Konzept der humanitären Intervention immanente Rechtfertigungszwang bedingt eine starke Zurückhaltung der Staaten, in innerstaatliche Konflikte aktiv einzugreifen. Diese Zurückhaltung zeigte sich insbesondere während des Völkermords in Ruanda – mit verheerenden Folgen. Allerdings werden zurzeit die Verantwortlichen vor dem „Internationalen Strafgerichtshof“ in Genf zur Rechenschaft gezogen. Die Schutzverantwortung verlagert den völkerrechtlichen Rechtfertigungsdruck für ein Handeln der Staaten bei Menschenrechtsverletzungen, indem sie entsprechende Pflichten formuliert.

  2. Die Souveränität eines Staates und das daraus hervorgehende absolute Interventionsverbot, wie es Art. 2 Ziff. 7 der Charta der Vereinten Nationen gewährleistet, werden durch die Schutzverantwortung neu definiert. Als Folge eines Verstoßes gegen seine Schutzverantwortung verwirkt ein Einzelstaat sein Recht auf Nichteinmischung in seine internen Angelegenheiten.

  3. Die „humanitäre Intervention“ betrifft allein die Rechtfertigung militärischer Maßnahmen und damit nur einen Teilaspekt der „Schutzverantwortung“. Mit ihren Präventions-, Reaktions- und Wiederaufbauelementen verfolgt letztere einen weit umfassenderen Ansatz.19

 

 

 

Mit dieser völkerrechtlichen Grundlage präventiv-gewaltloser humanitärer Intervention ist die Möglichkeit gegeben im Falle institutionalisierter Menschenrechtsverletzungen jenseits der Einzelfallbeispiele der Menschenrechtsverletzungen wie bei „Amnesty International“, Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte als ein unverzichtbarer Aspekt der institutionellen Demokratisierung Irans zu initiieren.

 

Mit der als „Schutzverantwortung“ formulierten Pflicht zur aktiven Verteidigung der Menschenrechte, können die demokratischen Staaten es nicht mehr wie bis jetzt bei Lippenbekenntnissen zu Menschenrechten belassen. Sie daran zu erinnern ist die Hauptaufgabe der Menschenrechtsaktivisten.

 

Denn wer eine „humanitäre Intervention“ als einen bewaffneten Eingriff in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zum Schutz von Menschen in einer humanitären Notlage ablehnt, hat keine andere Alternative als diese Notlagen präventiv vorzubeugen. Und zwar gewaltlos. Die institutionalisierte Menschenrechtverletzungen und die institutionell vorprogrammierte blutige Eskalation jedes politischen Konfliktes um institutionelle Demokratisierung, wie wir nicht nur in Ägypten und Syrien erlebten, sondern auch bei der blutigen Unterdrückung der „Grünen Bewegung“ im Iran gesehen haben, machen die präventiv-gewaltlosen Interventionen unabdingbar.

 

Jede präventiv-gewaltlose humanitäre Intervention muss daher auf eine Institutionalisierung der Rahmenbedingungen gewaltloser Austragung der Konflikte hin zielen, bevor sie aus schierer Verzweiflung in blutige Bürgerkriege ausufern wie in Syrien. Denn diese Konflikte sind Manifestationen der nie endenden Macht- und Statuskämpfe und als solche die Struktureigentümlichkeit jeder menschlichen Beziehung, die mit zunehmender funktionellen Demokratisierung der Gesellschaften sich vervielfältigen und verschärfen.

 

Es geht dabei um eine nie enden wollende Auseinandersetzung um die Verschiebung der Machtbalance und der Selbstwertbeziehungen der interdependenten Menschen als Einzelne und Gruppen zu eigenen Gunsten. Es geht also um die Steigerung der eigenen Machtchancen und des Selbstwertgefühls auf Kosten der Anderen. Es geht immer dabei um die Erweiterung der eigenen Chancen, das Verhalten der anderen Menschen als Einzelne und Gruppen zu steuern. Und da zuweilen mehr Macht gleich gesetzt wird mit mehr Selbstwert, entsteht eine eigene „Logik der Emotionen“, die zu einem Teufelskreis der Eskalation der Konflikte beiträgt. Um die Eigendynamik dieser Eskalation hin zur gewaltsamen Austragung zu unterbinden, ist eine präventive gewaltlose humanitärere Intervention unabdingbar. Sie soll zur Förderung gewaltloser Konfliktaustragung dadurch beitragen, indem sie ihre institutionellen Rahmenbedingungen durch Sanktionierung folgender Forderungen erleichtert:

 

  1. Die Respektierung der Menschenrechte, zu dem die „Islamische Republik“ durch die Ratifizierung von internationalen Menschenrechtsabkommen verpflichtet ist.

  2. Die Respektierung rechtstaatlicher Grundsätze. Damit soll die Ausübung staatlicher Macht nur auf Grundlage der  Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von MenschenwürdeFreiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig sein. So soll die Respektierung der in der Verfassung verankerten Grundrechte der Bürger bedingungslos garantiert werden.

  3. Die Respektierung der Minderheitenrechte und des Diskriminierungsverbots als unabdingbare Komponente der Demokratie; sonst wäre das „Dritte Reich“ der demokratischste Staat in der Geschichte, denn zuweilen wird die „Diktatur der Mehrheit“ als „Demokratie“ definiert. In diesem Sinne behauptet auch Khamenei, dass Iran das demokratischste Land der Welt sei.

  4. Die Abschaffung der institutionalisierten Frauen-, ethnischen, und konfessionellen Diskriminierung sowie der Diskriminierung von Andersdenkenden und Anderslebenden.

  5. Die Freilassung der rechtswidrigen und aufgrund erpresster Geständnisse verurteilten politischen sowie andersdenkenden und andersgläubigen Gefangenen wie Bahais, Sufis, Christen u.a.

  6. Die international garantierte freie Wahlen, da selbst nach Khomeini „die Wahlstimme der Maßstab ist“.

  7. Ein Verfassungsreferendum, weil sogar nach Khomeini, der als Begründung der Notwendigkeit der Neugründung des nach-revolutionären Staates durch ein Referendum ausdrücklich hervorhob: „Es ist das Recht der neueren Generationen ihre eigene Staatsform zu bestimmen“.

 

Diese Forderungen sind allerdings ohne entsprechende GEZIELTE internationale Sanktionen kaum durchsetzbar. Jedoch gibt es inzwischen eine unüberhörbare international vernehmbare Stimme, die einen „Verzicht auf Regimewechsel“ als einen angemessenen Lohn für den Verzicht des Regimes auf atomare Ausrüstung Irans propagiert. Dabei suggeriert sie die Annahme, dass die geforderten humanitären Interventionen eine Aufforderung zum extern gesteuerten Regimewechsel im Iran bedeutet, was die überwiegende Mehrheit der Iraner aus eigenen historischen Erfahrungen strikt ablehnt. Die Alternative ist nicht eine ethisch unakzeptable Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen Irans, die seit Jahrzehnten in Gestalt des „kritischen Dialogs“ verfolgt wird.

 

Auf der anderen Seite sollten nicht die Aufhebung der Sanktionen gefordert werden, sondern die weitere Präzisierung ihrer Zielführung und weitere Einschränkungen der „Kollateralschäden“, um die Zivilbevölkerung vor weiteren Schäden zu bewahren.

 

Hannover, 4/5/2019

 

 

 

 

1 Vergl. Birgit Cerha: Vielehe fürs Regime. In: Frankfurter Rundschau. 4. Dezember 2010, S. 10, abgerufen am 20. Februar 2015 (zitiert in: https://de.wikipedia.org/wiki/Iran)

 

 

2 Vergl. Dawud Gholamasad, Iran – Die Entstehung der Islamischen Revolution“, Hamburg 1983. Das Buch kann kostenlos heruntergeladen werden: https://gholamasad.jimdo.com/iran-die-entstehung-der-islamischen-revolution/

 

3 Vergl. U.a.: https://gholamasad.jimdo.com/vortr%C3%A4ge/zur-sozio-und-psychogenese-der-selbstmordattentate-der-islamisten/

 

4 Ajatollah Chomeini, Der islamische Staat, Berlin 1983

 

5 Vergl. Birgit Cerha: Vielehe fürs Regime. In: Frankfurter Rundschau. 4. Dezember 2010, S. 10, abgerufen am 20. Februar 2015 (zitiert in: https://de.wikipedia.org/wiki/Iran)

 

6 Vergl. Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, Paderborn 2007

 

7 Carl von Clausewitz: Vom Kriege, Berlin 1957, Buch I, Kapitel 1, Abschnitt 24, S. 34

 

8 Ibid., S. 19

 

9 Ibid., S. 17

 

10 „Geh, mein Sohn, suche dir ein eigenes Königreich, das deiner würdig ist. Makedonien ist nicht groß genug für dich“. Mit diesem Sendungsbewusstsein hat Alexsander eine Welt erobert, die er nicht effektiv genug organisieren konnte. Daran ist auch sein Reich zugrunde gegangen. Die islamistischen Möchtegern Mini-Alexsander sind nicht die einzigen seines Gleichen. Wir dürfen aber dabei die Opfer, die Napoleon oder Hitler über die Menschen gebracht haben niemals vergessen, wenn wir bei „unseren Geschäften“ ihre gegenwärtigen Gestalten beurteilen.

 

11 Clausewitz: Vom Kriege, Buch I, Kapitel 1, Abschnitt 2, S. 17f.

 

12 Dawud Gholamasad, Die Konsequenzen aus den syrischen Erfahrungen für die iranische Entwicklungsperspektive (Kurzvortrag), http://gholamasad.jimdo.com/kontakt/

 

13 Vergl. Dawud Gholamasad, Zur Notwendigkeit gewaltloser humanitärer Interventionen in Iran angesichts institutionalisierter Verletzung der Menschenrechte (Juristischer Aspekt), http://gholamasad.jimdo.com/kontakt/

 

14 Vergl. Dawud Gholamasad, Zu völkerrechtlichen Folgen der Übernahme des „Kadijustiz“ der „Islamischen Republik Iran“ durch den neuen „Qādī-ol-Qozat“ Raissi. (http://gholamasad.jimdo.com/kontakt/); & Wir sind nicht nur Staatsbürger sondern auch Weltbürger mit entsprechenden Rechten und Pflichten (ibid.); & Die Konsequenzen aus den syrischen Erfahrungen für die iranische Entwicklungsperspektive. (ibid.)

 

15 Vergl. Wikipedia, Artikel „Schutzverantwortung“

 

 

17 Das Subsidiaritätsprinzip legt eine genau definierte Rangfolge staatlich-gesellschaftlicher Maßnahmen fest und bestimmt die prinzipielle Nachrangigkeit der nächsten Ebene: Die jeweils größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit soll nur dann, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist, aktiv werden und regulierend, kontrollierend oder helfend eingreifen. Hilfe zur Selbsthilfe soll aber immer das oberste Handlungsprinzip der jeweils übergeordneten Instanz sein. Dieses Subsidiaritätsprinzip gilt auch im völkerrechtlcihen Zusammenhang zur Geltung. (vergl. Wikipedia u.a.)

 

18 Am 5. Juni 2013 erklärte das kanadische Parlament, mit dieser einstimmigen Verurteilung, zugleich den 1. September zum Jahrestag der Solidarität mit den politischen Gefangenen Irans.

 

19 Vergl. Wikipedia