Irans neuer Umbruch: von der Liebe zum Toten zur Liebe zum Leben

 

Dieser Beitrag entstand aus Anlass des Jahrestages der letzen Wahlen vom 12. Juni 2009 und der ihr am 15. Juni folgenden friedlichen, aber blutig niedergeschlagenen Proteste gegen deren Ausgang. Es kam zu Massenverhaftungen und Hinrichtungen einer großen Anzahl von Gefangenen. Laut der iranischen „Organisation der Verteidigung der Menschenrechte“ gab es in der Zeit zwischen Juni und November 2009 allein 500 neue politische Gefangene und 17 Hinrichtungen als Reaktion auf diese friedlichen Demonstrationen. Laut der „Liga zur Verteidigung der Menschenrechte im Iran e.V.“ in Berlin wurden allein zwischen dem 29.01.2010 und dem 09.04.2010 sieben unschuldige Menschen aus politischen Gründen hingerichtet.

 

 

 

 

 

Die Gewalt als solche schafft nie Neues. Das Neue muss schon da sein. Vor allem müssen die Gesellschaftsformen, die der Liebe im Wege stehen, durch solche ersetzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen ihr eigenes Leiden erkennen, das durch den Mangel an Liebe hervorgerufen wird.“ (Erich Fromm)1

 

Einleitung

 

Seit einem Jahr sind es neue Menschenbilder, die aus dem Iran durch die Welt kursieren. Bilder, die dem bisherigen und dominanten Bild der nekrophilen2 Iraner diametral entgegengesetzt sind, die seit dreißig Jahren dem Tod und allen Leblosen huldigen und Gewalttätigkeit als einziges Mittel der Durchsetzung politischer Ziele praktizieren. Es sind Bilder der friedlich demonstrierenden Menschen, die trotz massiver Gewalttätigkeit des Regimes die Ausübung der physischen Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ausschließen und als mündige Bürger rechtsbewusst und friedlich ihre zumindest verfassungsmäßig partiell verankerten Bürger- und Menschenrechte einfordern.

 

Doch bevor ich mit meinen Ausführungen bezüglich der Verschiebung der Balance zwischen nekrophilen – das Tote liebende – und biophilen – das Lebendige liebende – Tendenzen der iranischen Gesellschaft als Psychogenese der wahrnehmbaren Ereignisse beginne, möchte ich in einem Exkurs die in diesem Beitrag zentralen Begriffe der biophilen und nekrophilen Charaktere ganz kurz erklären.

 

Exkurs zur Charakterlehre sowie zu Nekrophilie und Biophilie

 

Unter dem Begriff Charakter versteht man „ein relativ permanentes System aller nicht-instinktiven Triebe […], durch die der Mensch sich mit der menschlichen und natürlichen Welt in Beziehung setzt. Man kann den Charakter als menschlichen Ersatz für den fehlenden tierischen Instinkt verstehen; er ist die zweite Natur des Menschen“.3

 

Der Begriff Charakter bezieht sich also ausschließlich auf solche psychischen Qualitäten der Menschen, die als Reaktion auf Ereignisse im Leben erworben werden. Er bezieht sich auf das soziale Gepräge der Menschen. Charakterunterschiede sind daher weitgehend auf unterschiedliche soziale Bedingungen individueller Erfahrungen zurückzuführen. Sie sind individualisierter sozialer Habitus der Menschen, die in bereits existierende soziale Zusammenhänge, mit ihren spezifischen Traditionslinien, hineingeboren werden. Als eine Form sozialer Vererbung werden diese von einer Generation an die Nachfolgegeneration mehr oder weniger modifiziert weitergegeben und bilden auf diese Weise den Orientierungsrahmen der Menschen.

 

Im Unterschied zu angeborenen Qualitäten wie Temperament, Talent und allen konstitutionell gegebenen psychischen Qualitäten sowie den durch Erfahrungen stark modifizierbaren organischen Trieben und existentiellen Bedürfnissen sind erworbene Qualitäten „die in dem jeweiligen Charakter verwurzelten Leidenschaften, die ihrerseits jeweils verschiedene Reaktionen auf existentielle Bedürfnisse darstellen“.4 Der Charakter gibt also Auskunft über die Art der Bezogenheit der Menschen zur außermenschlichen Natur, zu anderen Menschen und zu sich selbst, und ist selbst von dieser Bezogenheit geprägt.5 Von daher kann unter Charakter die Manifestation der „Valenzfiguration“ der Menschen verstanden werden. Es ist die Struktur der „affektiven Bindungen“6 der Menschen, die sich in ihrer Charakterstruktur ausdrückt. Begreifen wir die „affektiven Bindungen“ als die Anziehungskraft, die Menschen für andere Menschen oder für die symbolisch vermittelten Objekte ihrer Hingabe empfinden, bezieht sich der Charakter folglich auf die strukturelle Art ihrer Bezogenheit, ihrer Orientierung. „Wenn sich demnach z. B. ein cholerischer Mensch von einer grausamen Erscheinung angezogen fühlt, dann ist die Tatsache, dass er schnell und streng reagiert, seinem Temperament zuzuschreiben, während die Tatsache, dass er sich hier angezogen fühlt, auf seine sadistische Charakter-Orientierung zurückzuführen ist.“7

 

Es gibt eine elementare, in der biologischen Konstitution der Menschen begründete Ausgerichtetheit des einzelnen Menschen auf andere Menschen, die ihre gegenseitige Angewiesenheit und Abhängigkeit und damit ihre vielfältigen Gefühlsbindungen aneinander konstituieren.8 Diese affektiven Valenzen sind aber sozial geprägt. Als konstante Bereitschaften werden sie je nach Bezugsrahmen der Erfahrung der Menschen unterschiedlich aktualisiert, wodurch sie unterschiedliche Charakterorientierungen konstituieren. Als Valenzfiguration ist demnach „der Charakter eine Struktur der Bereitschaften […], die immer präsent sind und aktualisiert werden, jedoch nicht verursacht werden durch äußere Stimuli“.9 So sind Liebe und Hass Aktualisierungen konstanter Bereitschaften.

 

Nach Erich Fromm müssen Menschen nicht nur ihre physischen, sondern auch ihre psychischen Bedürfnisse befriedigen. Solche psychischen Bedürfnisse sind z. B. das Bedürfnis nach Bezogenheit, nach Verwurzelung, nach einem Identitätserleben, nach Transzendenz und das Bedürfnis nach einem Orientierungsrahmen und nach einem Objekt der Hingabe.10

 

Wie sie befriedigt werden, hängt aber von den Lebensumständen ab, die den Bezugsrahmen ihrer Erfahrungen bestimmen. Demnach ist das Spektrum der Möglichkeiten zwar sozial begrenzt, innerhalb dieser Grenzen ist es jedoch weitreichend variabel, denn jede Art der Befriedigung, etwa des Bedürfnisses nach Bezogenheit, ist möglich: eine aggressive, entwertende, rivalisierende oder wertschätzende, vereinnahmende, missbrauchende usw. Kurz gesagt gibt es ein breites Spektrum produktiver und destruktiver Arten der Befriedigung. Doch jede Art der Befriedigung hat unterschiedliche Auswirkungen in Hinblick auf den Erhalt und auf die primäre Wachstumstendenz des menschlichen Lebens. Es gibt zwar eine primäre innere Tendenz bei Menschen, jene Art der Bedürfnisbefriedigung zu wählen, die dem Erhalt des Lebens und der Wachstumstendenz förderlich ist, und zwar eine primäre biophile Tendenz, die Liebe zum Leben. Allerdings ist diese Biophilie nicht mehr als eine Tendenz, eine primäre Geneigtheit. „Sie kann auch durch gegenläufige äußere Einflüsse und gesellschaftliche Anforderungen oder durch traumatische Lebensumstände übertönt werden, so dass Menschen dazu gebracht werden, ihre psychischen Bedürfnisse in einer nekrophilen Weise zu befriedigen.“11

 

Solche traumatischen Lebensumstände entstehen auch durch massive Brüche in der Kontinuität der bisherigen Lebenszusammenhänge, die Menschen unvorbereitet überwältigen. Sie beschwören vor allem eine Krise der Selbstachtung der involvierten Menschen; eine innere Erschütterung, die ohne ein ungewöhnliches Maß an Selbstvertrauen, eine Bewältigung der mit den völlig neuen Lebenszusammenhängen einhergehenden Herausforderungen und die implizierte Selbstbewährung verunmöglichen. Sie manifestieren sich dann in Apathie, mangelnder Initiative, Hass und Destruktivität, aber auch in Regression und Fixierung. Vor allem schafft diese kollektive Überforderung eine allgemeine Atmosphäre leidenschaftlichen Gespanntseins, in der eine frenetische Intensität entsteht, die den Mangel an Selbstvertrauen und Selbstachtung ersetzen. Somit richtet sich das Verlangen nach Selbstvertrauen, Bewährung und innerer Ausgewogenheit auf Ersatzwerte. Der Ersatz für Selbstvertrauen wird der Glaube, der Ersatz für Selbstachtung der Hegemonialrausch und der Ersatz für persönliche innere Ausgewogenheit bildet die Verschmelzung mit anderen zu einer festgefügten Gruppe als Massenindividuen. Doch die Orientierung der Menschen an Ersatzwerten impliziert spezifische Konflikte, die zur Maßlosigkeit führen. Wenn authentisches Selbstvertrauen und berechtigte Selbstachtung als Orientierungswerte nicht erlangt werden, dann kann von den Ersatzwerten niemals genug erworben werden. Der leidenschaftliche Glaube, der diese Menschen an das Objekt ihrer Hingabe bindet, muss immer außergewöhnlich und kompromisslos sein und der Stolz, den sie daraus ableiten, dass sie sich mit einer Nation, einer Rasse, einer führenden Persönlichkeit oder einer Partei identifizieren, überschreitet immer jedes gesunde Maß. Die Tatsache, dass Ersatzwerte niemals zu den wachstumsfördernden, integralen Bestandteilen ihrer Persönlichkeit werden können, verleitet sie dazu, sie umso leidenschaftlicher und intoleranter zu verteidigen. Dieser Hang zur Frömmelei12 und Proselytenmacherei manifestiert sich zwar als Leidensgeschichte jener Menschen, die diese Leidenschaft und diesen Hegemonialrausch nicht teilen. Aber soziale Prozesse sind u. a. deswegen reversibel, weil diese destruktiven Tendenzen unbeabsichtigten Folgen haben und produktive Tendenzen einer Gesellschaft Vorschub leisten können. Dies lässt sich am Beispiel der Entwicklung Irans exemplarisch zeigen.

 

1 Zum Umbruch im Iran als eine Verschiebung
der Balance zwischen nekrophilen und biophilen Tendenzen der iranischen Gesellschaft

 

Denn es sind anscheinend gerade die unmittelbaren nekrophilen Erfahrungen der Mehrheit der Iraner in der „Islamischen Republik“, die ihre primäre biophile Tendenz, ihre Liebe zum Leben, als Nachholeffekt ihres sozialen Habitus verstärkt haben13, was in ihrer leidenschaftlichen Bejahung von Leben, Wachstum, Freude und Freiheit zum Ausdruck kommt. Denn die dreißigjährige nekrophile Geschichte der „Islamischen Republik“ ist die Leidensgeschichte von immer mehr Menschen, die als Außenseiter durch die immer kleiner werdende Gruppe der Etablierten marginalisiert und ihrer Wachstumschancen, Freude und Freiheit beraubt wurden. Aus dieser Erfahrung der eigenen Leiden, die anscheinend groß genug sind, erwuchsen neue und starke Impulse zur Liebe und damit auch zum Leben und Lebendigen bei immer mehr Iranern. Eine friedliche Transformation der „Islamischen Republik“ ist aber nur möglich, wenn nicht nur die überwältigende Mehrzahl der Iraner, sondern auch die immer kleiner werdende Zahl der Khomeinisten eines Tages einsieht, dass es so nicht weitergehen kann – wenn sie ihre bisherigen Illusionen aufgeben, auf denen diese Republik basiert. Aber sie werden nur dann ihre Wunschbilder aufgeben, wenn sie die Wahrheit ertragen können. Denn solange ihre realen Lebensbedingungen so unbefriedigend bleiben, werden sie Illusionen brauchen, um sie ertragen zu können. Andererseits sind sie als Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet, die Wirklichkeit zu erkennen, um sie ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend zu verändern. Die liebevolle und geduldige Förderung dieser Erkenntnis ist die Aufgabe derjenigen, die ihre Illusionen mehr oder weniger bereits aufgegeben haben.

 

Allerdings sind die unverhüllten gewalttätigen Versuche der praktischen Eliminierung der republikanischen Aspekte der „Islamischen Republik“ durch die Etablierten und ihre Ersetzung durch die absolute Herrschaft des „Führers“ Ausdruck der Eskalation ihrer nekrophilen Tendenzen, die sich aus ihrer mangelnden Fähigkeit ergeben, diese Wahrheit zu ertragen. Denn die Wahrheit erfahren sie als eine existentielle Bedrohung, die eine Einsicht in die Notwendigkeit einer friedlichen Transformation der „Islamischen Republik“ in Richtung ihrer republikanischen Dimensionen erschwert. Dies führt zu einer weiteren Eskalation der Gewalttätigkeit eines Regimes, das sich wie eine Besatzungsmacht verhält und die eigene Bevölkerung als Geisel behandelt.

 

Diese Transformation der „Islamischen Republik“ zu einer sich abzeichnenden „Bundesrepublik Iran“ wird daher eine „strukturelle Transformation“ werden, trotz der Hoffnung der „Reformisten“, durch systemimmanente Reformen, die bestehende Ordnung retten zu wollen. Sie verwechseln die strukturelle Transformation der Staatsgesellschaft mit einer „revolutionären Transformation“, die sie mit gewalttätiger Machtergreifung gleichsetzen. Ohne zwischen struktureller Gewalt und Gewalttätigkeit unterscheiden zu können, fühlen sie sich durch die gewalttätige Konnotation der „Revolution“ extrem bedroht und fangen jetzt schon an, Andersdenkende zu stigmatisieren. Zugleich gibt es immer noch einige „Linke“, die mit ihrem Begriff der „Revolution“ als einer gewaltsamen Machtergreifung dieses Furchtbild weiter fördern. Als ob die strukturelle Transformation nur gewaltsame Formen annehmen könne, reduzieren sie Reformmaßnahmen auf systemimmanente Veränderungen, die sie kategorisch ablehnen. Geprägt durch enormes Misstrauen gegenüber den Reformern schüren sie Konflikte, anstatt angemessene Formen der Kooperation anzustreben, ohne ihre relative Autonomie aufgeben zu müssen. Sie berücksichtigen nicht, dass sowohl die bisherigen evolutionären als auch revolutionären Durchbrüche nur durch die Verschiebung der Balance zwischen Kooperation und Konflikt zugunsten der ersteren möglich gewesen waren. Mit einem großen Unterschied, dass soziale Prozesse reversibel sind, wie sie selbst persönlich erfahren mussten.

 

1.1 Die Entstehung der „Islamischen Republik“ als Insttutionalisierung der nekrophilen Tendenzen der iranischen Gesellschaft

 

Ajatollah Khomeini als Verkörperung der Nekrophilie

 

Auf dem Höhepunk des massenhaften und zum Teil blutigen Aufstandes gegen das Schahregime verließ der Schah mit Tränen in den Augen das Land, um Aj. Khomeini Platz zu machen. Seine schwerlich kontrollierbaren Tränen drückten wohl seine tief empfundene Enttäuschung über ein „undankbares“ Volk aus, das er mit „eiserner Hand“ zu seinem Glück zwingen wollte. Mit einer ökonomisch reduzierten, wachstumsorientierten Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft dank „unerschöpflicher“ Erdölquellen strebte er danach, so bald wie möglich „die Tore der Zivilisation“ zu erreichen, was er mit einer „Verwestlichung“ identifizierte. Gerade dieses Wunschbild wurde zum Furchtbild der entwurzelten, orientierungslosen und marginalisierten, landflüchtigen Massenindividuen in den Großstädten, die zur Massenbasis des Khomeinismus und der „Islamisierung“ des Aufstandes wurden. Dies war die unbeabsichtigte Folge einer Modernisierung, die über die Köpfe der Menschen hinweg jene Bedingungen schuf, die den Grunderfordernissen menschlichen Wachstums und seelischer Gesundheit zuwiderliefen und Hass, Destruktivität sowie Regression und Fixierungen heraufbeschworen, die sich in Gestalt der „Islamischen Republik“ manifestierten und damit den nekrophilen Tendenzen der Gesellschaft der Iraner Vorschub leistete.14

 

Dieser weitere Schub der nekrophilen Tendenz, der Tendenz zur Vernichtung des Lebens und zur Destruktivität15, manifestierte sich in Gestalt eines „charismatischen Führers“, über den sich die Massenindividuen miteinander identifizierten. Sie befriedigten damit ihr symbiotisches Bedürfnis nach Bezogenheit, nach Verwurzelung, nach einem Identitätserleben, nach Transzendenz und ihr Bedürfnis nach einem Orientierungsrahmen und nach einem Objekt der Hingabe – kurz sie befriedigten ihre psychischen Bedürfnisse16. Aj. Khomeini verhehlte seine massiven nekrophilen Tendenzen von Anfang an nicht, so z. B. als er auf die Frage eines ihn auf seinem Rückflug nach Teheran begleitenden Reporters nach seiner emotionalen Befindlichkeit seine totale Gefühllosigkeit demonstrierte, in dem er sagte, er fühle nichts.

 

Zu den nachrevolutionären sozialen Manifestationen der
nekrophilen Tendenzen

 

Diese Tendenz, vom Toten, vom Leblosen angezogen zu sein, wie sie sich durch Aj. Khomeinis absolute Priorität der Existenz des „Islamischen Staates“ sogar vor den „primären Geboten“ des Islams manifestierte, prägte seit der Konstitution der „Islamischen Republik“ den normativen Bezugsrahmen der Gestaltung der Hauptspannungsachsen der iranischen Gesellschaft:

 

Die Beziehung der Regierenden und Regierten ist geprägt durch die absolute Herrschaft des „Führers“, der die Menschen als willenlose, unmündige Untertanen begreift, wie sie durch Aj. Khomeinis Staatstheorie17 begründet und in der Verfassung der „Islamischen Republik“ konkretisiert wurde. Mit dieser Degradierung der Menschen zu bloßen Objekten der Herrschaft werden die allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit der biophilen Entwicklung, des Wachstums der Liebe der Menschen zum Lebendigen und ihrer Lebendigkeit, zerstört: nämlich „Sicherheit in dem Sinne, dass die materiellen Grundbedingungen für ein menschenwürdiges Leben nicht bedroht sind; Gerechtigkeit in dem Sinne, dass niemand Mittel zum Zweck für andere werden kann; und Freiheit in dem Sinne, dass jeder die Möglichkeit hat, ein aktives und verantwortliches Glied der Gesellschaft zu sein.“18

 

Diese Zerstörung der biophilen Lebensbedingungen ist das charakteristische Merkmal der „Islamischen Republik“, obwohl der Staat nichts anderes sein kann als Herstellung und Betrieb der allgemeinen Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft der Individuen. Somit manifestiert sich die „Islamische Republik“ zu Herstellung und Betrieb der allgemeinen destruktiven Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft der Individuen. Mit der Dominanz der Durchsetzung der islamischen Gebote und Unterdrückung von allem, was als nicht-islamisch definiert wird, wurde nur die Liebe zu allem, was tot ist und nicht wächst, kultiviert. Die blutigste Manifestation dieser Nekrophilie war der achtjährige Iran-Irak-Krieg19, der von Aj. Khomeini als „Gottes Segen“ gepriesen wurde – weil ihm der Krieg als Stabilisierungsfaktor seiner Herrschaftsform erschien. Im Schatten dieses Krieges kamen massenhafte Hinrichtungen von politischen Gefangenen, die bereits ihre verhängten Strafen absaßen, hinzu – und zwar als Lösung des Problems der nicht konformistischen Oppositionellen. Tausende Gefangene wurden in den Gefängnissen wahllos hingerichtet, weil sie nicht bereit waren, Reue zu zeigen und durch Erschießung ihrer Mithäftlinge ihre bedingungslose und praktische Loyalität zum Regime zu beweisen. Folgten sie diesem Gebot, wurden sie als „Tawwab“ (Reuige) zu Gefängnisaufsehern, Folterern und Hinrichtungskommandos instrumentalisiert.

 

Hinzu kommen die aggressiven und expansionistischen außenpolitischen Abenteuer und die massive Unterstützung terroristischer Organisationen im Nahen und Mittleren Osten und schließlich der Versuch atomarer Aufrüstung als Mittel des Machterhalts eines Regimes, das seine Massenbasis längst verloren hat und das die internationale Gemeinschaft genauso in Geiselhaft nehmen will wie die eigene Bevölkerung.

 

Diese alltägliche Kultivierung des Todes widerspricht der Natur der Menschen, ihrer inneren primären Tendenz, ihre physischen und psychischen Bedürfnisse in einer Art und Weise zu befriedigen, die der Wachstumstendenz und dem Erhalt des Lebens förderlich sind.

 

Dieser Konflikt zwischen nekrophilen und biophilen Tendenzen in der „Islamischen Republik“, wie er sich als dominanter Zielkonflikt der Regierenden und Regierten manifestiert, zeigt sich auch in der totalitären, sadistischen und lebensfeindlichen Regelung der Generationenkonflikte, der Geschlechterkonflikte, der sozialen Konflikte – wie die der Lohn- und Gehaltabhängigen und Eigentümer der Produktions- und Distributionsmittel –, der konfessionellen Konflikte, der ethnischen Konflikte und der Orientierungskonflikte. Sie ergeben sich aus den Zivilisationsdifferentialen sowie aus dem unterschiedlichen Grad des Engagements und der Distanzierung20 der Etablierten und Außenseiter der „Islamischen Republik“.

 

Diesem durch unerträgliche Diskriminierung der Machtschwächeren gekennzeichneten Regulationsprinzip der „Islamischen Republik“ liegen institutionalisierte Selbstwertbeziehungen zugrunde, die einer Vergewaltigung der sozialen Realität gleichkommen. Gleichzeitig leisten diese dem Nachholeffekt des sozialen Habitus der Machtschwächeren Vorschub, wie er sich in ihrem permanenten passiven und aktiven Widerstand seit der Gründung der „Islamischen Republik“ manifestiert. Der vorletzte Höhepunkt dieses Widerstandes kulminierte in der Wahl Khatamis 1997 als reformorientierten Präsidenten, den man als ein Umbruch in der „Islamischen Republik“ Iran bezeichnen kann. Die Sozio- und Psychogenese dieses Umbruchs wird im Folgenden diskutiert. Denn der gegenwärtige erneute Schub des Aufbegehrens ist nur die Fortsetzung eines sich unterschwellig entfaltenden Bewusstseins des zivilen Ungehorsams als Mittel der Emanzipation, das mit diesem Umbruch einsetzte. Deswegen möchte ich hier, aus Anlass des Jahrestages der letzten Wahlfälschung und der ihr folgenden friedlichen Massendemonstrationen, einige Aspekte des nachrevolutionären Umbruchs als praktische Kritik der Islamisierung der Revolution und der nachrevolutionären Staatsgesellschaft diskutieren.21

 

2 Zum Entstehungszusammenhang des ersten postrevolutionären Umbruchs im Iran als Nachholeffekt des sozialen Habitus

 

Diese Kritik ist zurückzuführen auf die allgemeine Erfahrung der Islamisierung, deren Sinn und Bedeutung für die Mehrheit der Bevölkerung in ihrer sukzessiven Enteignung und Abwertung bzw. Erniedrigung bestand. Sie ist zugleich begleitet gewesen durch praktische alltägliche Versuche der Wiederaneignung der inzwischen durch einige der immer kleiner werdenden Kerngruppen der Herrschaft monopolisierten Macht- und Statusquellen.

 

Die überraschenden Ergebnisse der Präsidentschafts- und Kommunalwahlen 1997 sind der erste Ausdruck dieser praktischen Kritik und dieses Wiederaneignungsversuches. Bei diesen Präsidentschaftswahlen wurde mit der Ablehnung des konservativen Kandidaten des Establishments zugleich der vorletzte totale Islamisierungsversuch der Staatsgesellschaft verhindert. Beabsichtigt war nämlich die Eliminierung der republikanischen Komponente der Verfassung, wie sie durch die allgemeine Aufforderung des konservativen Präsidentschaftskandidaten Nuri zur „Verschmelzung in der Führerschaft“ („Soob dar Rahabarijat“) und damit zur Errichtung vom „gerechten Islamischen Staat“ („Hokumat-e Adel-e Eslami“) in seinem Wahlkampf gelegentlich hervorgehoben wurde. Mit der Besetzung der Position des – dem „Führer“ in der Hierarchie und in der Praxis folgenden – Staatspräsidenten als Kontroll- und Koordinationsfunktion des Staates, sollte die Islamisierung der Staatsgesellschaft im konservativen Sinne abgeschlossen werden.

 

Berücksichtigt man einige andere, weniger spektakuläre Aspekte eines solchen Umbruchs wie z. B. die Urbanisierung der Städte, den intellektuellen Revivalismus der islamisch orientierten Gebildeten und den islamischen Feminismus, die ich später kurz skizzieren werde, erweist er sich vor allem als ein Nachholeffekt des sozialen Habitus der Menschen, die mit Khomeini an der Spitze die Islamisierung der Revolution und der Gesellschaft als eine institutionelle Ent-Demokratisierung ermöglichten. Die Transformation der gemeinsamen gesellschaftlichen Ausprägung ihres individuellen Verhaltens, ihrer Sprache und Denkweise, ihrer Gefühlslage und vor allem ihrer Gewissens- und Idealbildung – kurz: des Grundschemas ihrer Perönlichkeitsstruktur – holte die relativ rascher vorauseilende soziale Differenzierung nach.

 

2.1 Die Erfahrung der Islamisierung der Gesellschaft als eine sukzessive Enteignung und Abwertung bzw. Erniedrigung der Mehrheit

 

Dies wird nachvollziehbar, wenn man sich daran erinnert, dass die „Islamische Republik“ selbst als Nachhinkeffekt des sozialen Habitus entstand. Sie ist Folge einer chiliastisch geprägten nativistischen Revolution, die vom Khomeinismus dominiert wurde. Als Konsequenz eines Umschlages kollektiver Trauer in einen Hegemonialrausch, der – ähnlich wie die Geistlichkeit – marginalisierten, stigmatisierten und erniedrigten islamisch geprägten Massen entstand der erste, von der Geistlichkeit kontrollierte islamische Staat im modernen Zeitalter.

 

Mit der Übergabe der in kurzen bewaffneten Auseinandersetzungen erbeuteten Waffen an die Moscheen, wie Khomeini es forderte, wurde die eroberte Staatsmacht nicht nur symbolisch einer Geistlichkeit übergeben, welche die Menschen ausdrücklich als unmündig erklärte und im Namen Gottes die absolute Herrschaft für sich beanspruchte.

 

Mit diesem Schema von Selbstwerten, – dem empfundenen Wert eines Menschen für sich und für andere – und gestützt auf diese Machtquelle leiteten sie eine Islamisierung der Gesellschaft ein, die als sukzessive gewaltsame Enteignung weiterer Macht- und Statusquellen und deren Monopolisierung durch eine immer kleiner werdende Anzahl von Kerngruppen der Herrschaft zu einer mehrschichtigen Überlagerung der Etablierten-Außenseiter-Beziehungen auf allen Integrationsebenen mit der khomeinistischen Geistlichkeit an der Spitze führte.

 

Diese Islamisierung der Staatsgesellschaft bedeutet nicht nur die allgemeine Erniedrigung aller Staatsbürger durch ihre Entmündigung, sondern auch die Enteignung des gleichberechtigten Rechtsstatus der Nichtmuslime und ihre Umwandlung in Schutzbefohlene mit gewissem Minderheitenschutz. Diese Konfessionalisierung der Apartheid kommt nicht nur durch die Islamisierung der Symbole wie der Flagge, der Nationalhymne und entsprechender rechtlicher Regelungen zum Ausdruck; sondern auch mit Davidstern ähnlichen Stigmata, wie den obligatorischen Hinweisschildern der nicht-muslimischen Gastronomen, die indirekt auf ihre Unreinheit aufmerksam machen sollen.

 

Die Etablierung der „Islamischen Republik“ ging zudem einher mit der Islamisierung des Alltagslebens durch die gewaltsame Durchsetzung partikularer Anstandsregeln der Khomeinisten als allgemein geltendes Muster von Trieb- und Affektkontrollen. Dies war aber nur durch die Monopolisierung der gesellschaftlichen Definitionsmacht möglich. So wurde der harte Kern, um den herum sich ihr Selbstwertgefühl aufbaute, nämlich ihr vor der Revolution als rückständig stigmatisiertes Verhaltens- und Erlebensmuster, zum islamischen und damit zum einzigen und allgemeingültigen Muster der Trieb- und Affektkontrolle definiert. Durch eine selbstbewusste Gegenstigmatisierung, das Kernstück ihres sozialen Stolzes, wurde ihr gruppenspezifisches Zivilisationsmuster dann demonstrativ zum nachrevolutionären Bewertungsmaßstab aller Menschen erhoben. Mit dieser außeralltäglichen Selbsterhöhung versuchten sie nicht nur die anders empfindenden und verhaltenden Menschen gewaltsam zur Annahme ihrer Zivilisationsstandards zu zwingen, sondern auch diese demonstrativ zu erniedrigen. In diesem Sinne wurde „die Einhaltung der islamischen Erscheinung“ zu ihrer Hauptforderung, der sie brutal Geltung zu verschaffen suchten. Sie wurde damit auch zum praktischen Symbol der Unterwerfung und Erniedrigung vor allem der Frauen und der Jugendlichen.

 

Bereits unmittelbar nach dem Sturz des Schahregimes wurde die Zwangsverschleierung für die konservativeren Khomeinisten zur symbolisch wichtigsten Maßnahme zur Islamisierung der Gesellschaft. Zum Inbegriff der angemessenen Bekleidung erhoben, wurde der schwarze Schleier zum äußerlich wahrnehmbaren Symbol der „Islamischen Republik“. Mit der Parole „entweder Kopftuch oder Kopfhiebe“ wurden als erstes die Frauen unmissverständlich aufgefordert, sich der sozialen Weltordnung der Khomeinisten zu unterwerfen. Vermittels dieser Zwangsverschleierung wurde außerdem versucht die religiös geprägte Identität der vor der Revolution als „Ommol“ („religiös rückständig“ als Gegenteil zu „modern“) stigmatisierten Frauen zur Identität der iranischen Frau zu erheben und ihre Scham- und Peinlichkeitsschwelle als islamische Grenzen des Anstandes gemeinhin zu glorifizieren.

 

Gemeinsam mit der Zwangsverschleierung der Frauen und der permanenten Kontrolle der Geschlechterbeziehungen durch die offiziellen und offiziösen Moralhüter, die keine Privatsphäre respektierten, wurden auch viele vor der Revolution verabschiedeten liberaleren Gesetze aufgehoben. Dies betraf sowohl das Familienrecht als auch die beschäftigungs- und bildungspolitische Bevorzugung der Frauen. Kindertagesstätten und Familienplanungsprogramme wurden als imperialistische Konspiration verteufelt. Polygamie wurde toleriert und Männer bekamen erneut das Sorgerecht für die Kinder sowie das automatische Scheidungsrecht.

 

Diese institutionelle Ent-Demokratisierung und De-Zivilisierung der Gesellschaft ging einher mit Versuchen umfassender Islamisierung des Freizeitverhaltens der Menschen. Sie umfasste die Regelung des Trinkverhaltens, der Kleiderordnung, der Musik-, Film- und Fernsehproduktion und -konsumtion, der Verbreitung von Videos, der Beschränkung der Parabolantennen und der Islamisierung der Feiertage.

 

Von all diesen Restriktionen wurden vor allem die Jugendlichen in Mitleidenschaft gezogen; in Gestalt eines Übermaßes vom gesellschaftlichen Zwang zum Selbstzwang wurde massiv ihr individuelles Vermögen zur Trieb- und Affektfreude beeinträchtigt.22

 

Vor allem mit den eingeführten moralischen Restriktionen, die aus einem Zeitalter überliefert worden waren, in der die Menschen bereits in ihrer Adoleszenzphase vermählt wurden, wurde jungen Menschen über eine sehr lange Ausbildungszeit hindurch jeder außereheliche Kontakt untersagt. Überdies wurde mit der Sexualisierung aller affektiven Valenzen der Menschen jeder Kontakt zwischen Jungs und Mädchen untersagt. Auf diese Weise wurde nicht nur die Freude an der Gesellschaft anderer Menschen unterdrückt, sondern auch alle nicht-sexuellen affektiven Bindungspotentiale der Menschen und damit die Differenzierung ihrer Persönlichkeitsstruktur.23

 

Neben dieser Islamisierung ihrer Kontrollmittel wurde außerdem versucht ihre Orientierungsmittel zu islamisieren. In diesem Sinne wurde mit der islamischen Kulturrevolution in den frühen 1980er Jahren eine Islamisierung des Bildungssystems eingeleitet. Diese wurde offiziell in Gang gesetzt mit der Idee der Ersetzung des zuvor existierenden Curriculums durch ein religiös geprägtes und seiner Ergänzung durch zusätzliche, außer-curriculare islamische Aktivitäten sowie der Ersetzung des Lehrkörpers durch dem Islam verpflichtete Lehrer. Das offizielle Ziel war aber vor allem die Produktion und Reproduktion der islamischen Staatsbürger. Abgesehen von der Ersetzung der vorhandenen Positionsinhaber durch Khomeinisten manifestierte sich diese Islamisierung primär in der Erweiterung und Intensivierung der Fremdzwänge in den Bildungseinrichtungen.

 

Mittels der Islamisierung der Gesellschaft wurde nicht nur versucht überlieferte konfessionsgruppen-, berufs-, geschlechter-, und generationsspezifische Selbtswertbeziehungen im Sinne der Selbsterhöhung des khomeinistischen Establishments zu reproduzieren. Als Attribute ihres individuellen und sozialen Stolzes hervorgehoben, wurde das khomeinistische Schema der Selbstwerte zugleich zum Schema der Verteilung von Privilegien.

 

Von den Diskriminierten wurde die Islamisierung der Gesellschaft daher zugleich erfahren als gewaltsame Durchsetzung dieses Schemas der Verteilung der Ingredienzien der Selbstachtung, der Verteilung der Symbole der Überlegenheit, an denen das Selbstwertgefühl der islamisch geprägten Menschen haftet. Als eine Neuverteilung der Macht- und Statusquellen ging sie daher einher mit einem permanenten Enteignungsprozess der begrenzt vorhandenen Macht- und Statuschancen.24

 

Noch von den bipolaren Hauptspannungsachsen zwischenstaatlicher Beziehungen des Kalten Krieges und der damit einhergehenden bipolaren Orientierung sozialer Bewegungen des vorrevolutionären Irans geprägt, wurde von den ersten nachrevolutionären Tagen an die Forderung nach einer „islamischen Ökonomie“ erhoben; eine auf der „islamischen Gerechtigkeit“ basierenden Wirtschaftsordnung, die weder kapitalistisch noch sozialistisch sein durfte. Ihr Eckpfeiler sollte die Neudefinition des Eigentumsrechts, d. h. des gerechten Eigentumstitels im Sinne der Shari´a (Malekijt-e Maschru´a) sein. Der Wohlstand der mustaz´afin, der Benachteiligten, sollte ihr Ziel sein. Dutzende von Seminaren wurden organisiert, um über die „islamische Ökonomie“ zu diskutieren. Da keine definitive Antwort gefunden werden konnte, was islamisch ist, wurden nur jene Entscheidungen getroffen und umgesetzt, die innerhalb der Kerngruppen der sich etablierenden Herrschaft konsensfähig waren. So wurde der Kapitalzins nur in der Theorie aufgehoben, das Arbeitsrecht so verändert, dass praktisch kein Arbeiterschutz mehr möglich war, die unabhängigen Arbeiterräte wurden unterdrückt und durch „Islamische Räte“ ersetzt, die, anstatt die Arbeiter zu vertreten, diese kontrollieren sollten. Darüber hinaus wurde die obligatorische islamische Andacht am Arbeitsplatz durchgesetzt, als „unislamisch“ gebrandmarkte Geschäftsleute wurden eliminiert, verhaftet oder enteignet und ausländische Kapitalinvestitionen verhindert.

 

Mit dem Verlust der allgemeinen Rechtssicherheit als unabdingbare Voraussetzung jeder längerfristigen Kapitalinvestition schufen diese Maßnahmen eine allgemeine Geschäftsunsicherheit und einen empfindlichen Investitions- und Produktivitätsrückgang und damit eine allgemeine Verarmung der Gesellschaft.25 Sie wurde noch verstärkt durch die Verdoppelung der Bevölkerungszahl und den erheblichen Rückgang der Erdöleinnahmen, der Haupteinnahmequelle des Landes, welche zudem durch mangelnde Kompetenz und Vetternwirtschaft zum größten Teil vergeudet wurde.

 

Die Notwendigkeit der Reaktion auf diese ökonomischen Entwicklungstendenzen rief eine Debatte zwischen den „Spezialisten“ (takhassosgerajan) und den ideologisch verpflichteten Maktabis hervor. Sie ging einher mit den ersten gewaltsamen Ausscheidungskämpfen innerhalb der Kerngruppen der Macht, nachdem bereits die säkular orientierte „Nationalfront“ und die islamisch orientierte liberale „Freiheitsbewegung“ in den ersten Monaten nach der Revolution aus der revolutionären Koalition ausgeschieden waren. Die von dem ersten Präsidenten Banisadr repräsentierte Gruppe der mehr sachorientierten Spezialisten betonten die Fachkompetenz als Selektionskriterium der Verantwortlichen und als Entscheidungsgrundlage für die angemessene Behandlung der ökonomischen und technischen Probleme. Die eher ideologisch orientierten „Maktabis“ bestanden auf dem besonderen Stellenwert der islamischen Verpflichtung verglichen mit der Sachkompetenz. Diese scheinbar autonomen bzw. heteronomen Bewertungsmaßstäbe als einer der Aspekte der Zivilisationsdifferentiale, die mit unterschiedlichen Selbstbewertungsmodi der involvierten Menschen einherging, bestimmten u. a. die ersten Formationen der khomeinistischen Kerngruppen der Macht und in diesem Zusammenhang auch mehr oder weniger des weiteren sozialen Feldes.

 

Für eine lange Zeit waren die Vorstellungen der ideologisch verpflichteten bzw. mehr durch heteronome Bewertung der Ereignisse gesteuerten Maktabis in den 80er Jahren vorherrschend. Sie begriffen den als Islam definierten eigenen Orientierungsrahmen als ein umfassendes soziales, ökonomisches, politisches und moralisches System, das Lösungen für jedes menschliche Problem bereithält. Diese zu finden, hinge bloß ab von den „wahren“ Muslimen sowie ihrem Verpflichtungsgrad und ihrer Beharrlichkeit.

 

Solch eine affektive Besetzung eines als Islam definierten eigenen Orientierungsmittels führte mit der Monopolisierung der Wahrheit zur praktischen Aufhebung jeglicher Koexistenzmöglichkeit der konkurrierenden Vorstellungen bzw. Orientierungsrahmen und dadurch zur Entstehung einer scheinbar einhelligen Gesellschaft. Diese Selbstwertbeziehung der Maktabis manifestierte sich in einem permanenten gewaltsamen Ausschluss der und Intoleranz gegenüber den Andersdenkenden, die stigmatisiert, unterdrückt und physisch eliminiert wurden.

 

Diese gewaltsam durchgesetzte soziale Weltordnung, an deren Spitze die Khomeinisten sich kraft ihres relativ höchsten menschlichen Selbstwertes zu setzen glaubten, dominierte während der 1980er Jahre. Der von Khomeini als „Gottes Segen“ begrüßte Krieg gegen den Irak, in dem die überlieferten islamischen Symbole geschickt instrumentalisiert werden konnten, trug erheblich zur Dominanz dieses Islamisierungsschubes bei.

 

Er wurde, trotz erheblicher Opposition eines großen Teils der Bevölkerung, vor allem von der armen Stadtbevölkerung getragen, die größtenteils aus marginalisierten, landflüchtigen Bauern bestand. Hinzu kamen das traditionelle städtische Kleinbürgertum, Teile der städtischen Jugend, vor allem die zweite Generation der Migranten und Teile des modernen Bürgertums, vor allem Teile des Berufsbürgertums. Sie wurden integriert in gruppenspezifische islamische Organisationen, deren Kohäsionsgrad ihnen eine zusätzliche Machtquelle zur Verfügung stellte.

 

Eine große Anzahl der Jugendlichen wurde integriert durch Kriegsanstrengungen und revolutionäre Institutionen, wie die „Revolutionswächter“ (Pasdaran) sowie durch paramilitärische Jugendorganisationen der Basieji und Jahad-e sazandegi26. Bei diesen in der Regel aus der Unterschicht stammenden Jugendlichen riefen die moralischen Restriktionen keine Loyalitätskrise hervor, zumal sie selbst diese exekutierten. Im Gegenteil, ihre moralisch eingeschränkte Trieb- und Affektfreude konnte durch solche Integration in die „revolutionären Institutionen“ und als Teilhabe an den Macht- und Statusquellen kompensiert werden. Eine der Kompensationsformen dieser alltäglichen Einschränkungen der Trieb- und Affektfreude bestand z. B. in ihrer außeralltäglichen Möglichkeit, sich an den zu Tode verurteilten, schutzlosen, weiblichen politischen Gefangenen schadlos zu halten. Nach ihrer Überzeugung gehen die Jungfrauen als Ausgleich für versagte sexuelle Triebfreude automatisch nach dem Tod ins Paradies ein. Um dies zu verhindern, gingen sie in der Nacht vor ihrer Hinrichtung eine Zwangsehe mit ihnen ein, um ihre Unschuld zu nehmen. In der Regel klopften sie am nächsten Tag an der Tür der Hinterbliebenen, um ihnen die Habseligkeiten der vergewaltigten und hingerichteten jungen Mädchen auszuhändigen. Dabei erwähnten sie, dass sie praktisch ihr Schwiegersohn wären und verlangten dann auch noch das Geld für die bei der Hinrichtung „verschwendeten“ Kugeln. Dies deutet darauf, wie relativ triebdurchlässig, ungleichmäßig, labil und weniger autonom sich ihre Selbstzwangsinstanzen gewöhnlich entwickeln. Sie bedürfen daher der ständigen Unterstützung und Verstärkung durch Fremdzwänge. Zu diesen Fremdzwängen gehören nicht nur die realen Zwänge anderer Gruppenmitglieder, die sie z. B. in Gestalt der „absoluten Schriftgelehrtenherrschaft“ verteidigen, sondern auch die Zwänge kollektiver Phantasien in Form von Geistern und der dazugehörigen Mythen, wie sie in der „Islamischen Republik“ alltäglich reproduziert werden. Zu deren Funktionen gehört die ständige Hilfestellung für und Verstärkung der relativ fragilen persönlichen Selbstzwangsinstanzen dieser Menschen, die als „Hizbollah“, Parteigänger Gottes, für die Aufrechterhaltung der Herrschaft jederzeit mobilisierbar bleiben. Mit diesen Großmachtphantasien empfinden sie als Teilhaber an Gottes Allmacht jede Verletzung dieser als heilig empfundenen Mythen als eine existentielle Bedrohung, worauf sie mit islamisch legitimierter Gewalt reagieren. Ihre mangelnde Toleranz, ihre Gewalttätigkeit und ihr Fanatismus sind zurückzuführen auf diese Erfahrung existentieller Bedrohung. Diese leicht mobilisierbare Furcht ist die Psychogenese der „absoluten Schriftgelehrtenherrschaft“.

 

Diese gewalttätige soziale Basis des Regimes entstand vor allem durch die narzisstischen Verschmelzungsphantasien der durch die Modernisierung entwurzelten, marginalisierten und erniedrigten Menschen, die sich über Khomeini miteinander identifizierten und die Massenbasis des Khomeinismus bildeten. Khomeinis Charisma sorgte auch mehr oder weniger für ihre Integration, so lange er noch am Leben war. Mit dem nicht besonders glorreichen Ende des Krieges (1988) und dem Ableben von Khomeini (1989) setzte ein Umbruch ein, der die Grundlage der bestehenden Herrschaft erschütterte.

 

2.2 Einige Aspekte des Umbruchs als Veralltäglichung der Islamisierten Revolution

 

Mit dem einsetzenden Veralltäglichungsschub der Revolution seit dem Kriegsende und dem Ableben Khomeinis verdrängten die banalen Anforderungen des Alltagslebens wie Einkommenssicherung, Lebensmittelversorgung, Unterkunft, Mobilität usw. die revolutionäre Ideologie, den Altruismus und alles, was heilig zu sein schien. Nicht nur solche grundlegenden Veränderungen der sozialen Wertstruktur27, sondern auch Probleme der allgemeinen politischen Apathie, Jugend- und Bevölkerungsprobleme u. a. drängten sich in den Vordergrund. Die Einschätzung dieser Probleme und die unterschiedlichen Reaktionen darauf führten zur verschärften Differenzierung der Kerngruppen des Establishments und zur Umorientierung einiger Teile davon.

 

Manche von ihnen befürchteten die zunehmende Gleichstellung des erlebten gesellschaftlichen Übels mit dem Islam schlechthin und die daraus folgende massenhafte Abwendung davon. Die Probleme der Jugend, der Kinder der Revolution, erschienen ihnen als dringendste aller Probleme. Sie mussten eingestehen, dass die Islamisierung der Bildung im Sinne der Reproduktion der islamisch orientierten Jugend versagt hatte. Letzte offizielle Untersuchungen hoben hervor, dass „bad-hejabi“ (die schlechte Verschleierung) unter den Schülerinnen und Studentinnen fortschreitend zunimmt. Die Sorge der Verantwortlichen über die Jugendlichen wird dadurch dokumentiert, dass über 83 % der jungen Leute ihre Freizeit vor dem Fernsehen verbringen; aber nur 5 % von ihnen schaut sich religiöse Programme an. Von 58 % der jugendlichen Buchleser sind lediglich 6 % an religiöser Literatur interessiert.28

 

Die Gleichstellung der „Islamischen Republik“ mit der erfahrenen Einschränkung ihrer individuellen Trieb- und Affektfreude macht die Jugendlichen nicht gerade zu ihrer sozialen Basis. Vor allem dann nicht, wenn sie ihnen auch keine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive versprechen kann. Nicht nur die alltäglichen Restriktionen, sondern auch die katastrophale ökonomische Entwicklung und die damit einhergehende düstere Zukunftsperspektive schuf eine frustrierte Jugend, die mit der Unterdrückung aller sonst möglichen alternativen ideologischen Orientierungsmöglichkeiten in einem ideologischen Vakuum lebt. Das Ergebnis war und bleibt die Expansion der Armee der frustrierten und demoralisierten Menschen, die dem bereits existierenden Heer der entmutigten neuen Mittelschichten und Verwaltungsangestellten hinzugefügt wurde.

 

Mit der Internalisierung solcher Bedingungen entwickelten Teile der Jugendlichen nihilistische Tendenzen. Viele wendeten sich der Gewalttätigkeit zu, wofür die Ausschreitungen im Anschluss an Massensportveranstaltungen wie in Tabriz 1994 als Beispiel stehen. Die mehr ambitionierten Jugendlichen fantasierten permanent über eine Migration in die westliche Welt.

 

Die Integration dieser entfremdeten Jugendlichen, der Mehrheit der Bevölkerung, war und bleibt ein Anliegen nicht nur der liberaleren Teile des Establishments, die mit Khatami an der Spitze und mit massenhafter Unterstützung der Jugendlichen der weiteren Islamisierung im Sinne der Enteignung von Chancen ein Ende setzen wollten und eine demokratische Verteilung anstrebten. Der von dem Establishment unerwartete Sieg Khatamis, eines Außenseiters innerhalb des Establishments, wäre ohne eine gesellschaftliche Umorientierung und entsprechender aktiver Mobilisierung, insbesondere der Frauen, Jugendlichen und des Berufsbürgertums nicht möglich gewesen.

 

Von nicht geringer Bedeutung für diese Entwicklung war die Unterstützung der quietistischen Geistlichkeit. Sie geht hervor aus ihrer paradoxen nachrevolutionären Erfahrung. Erstens führte die Islamisierung des Staates zur Säkularisierung der „fiqh“, der islamischen Rechtsprechung. Die absolute Schriftgelehrtenherrschaft gibt dem „faqih“, dem herrschenden Rechtsgelehrten die Machtchance, das sonst als göttlich geltende Recht zu ändern, ja gar außer Kraft zu setzen. Sogar die als „wajibat“, als religiöse Pflichten geltenden Vorschriften sind nicht davon ausgeschlossen. Diese Machtchance wird legitimiert durch die Priorität von „valayt“, der Erhaltung der islamischen Herrschaft gegenüber allen anderen religiösen Pflichten. Ihre Aufrechterhaltung ist nach Khomeini die absolut höchste religiöse Pflicht. Dies beutet nicht nur die Vernachlässigung von allem, was sonst heilig ist im Interesse der profanen Erfordernisse, sondern auch die Einschränkung des Vorrechtes der Geistlichkeit auf autonome Interpretation der Shari´a. Zweitens bedürfen die „fetvas“, die Rechtsgutachten der Geistlichkeit über öffentliche Angelegenheiten der Zustimmung des herrschenden Rechtsgelehrten. Außerdem ist ihr Anrecht auf Abgaben der Gläubigen, „haq-i Imam“, von seiner Erlaubnis abhängig. Schließlich hat die Verschmelzung von Staat und Religion die spirituelle und soziale Legitimation der Geistlichkeit beeinträchtigt, da viele der Gläubigen das Versagen des Staates mit dem der Geistlichkeit identifizieren. So verliert die Geistlichkeit zum ersten Mal in der modernen iranischen Geschichte ihre Unabhängigkeit und Machtchancen und das ausgerechnet in einem islamischen Staat. Ihre Vorrechte sind unterminiert, ihre finanzielle Unabhängigkeit und Legitimität eingeschränkt. Diese Abhängigkeit der Geistlichkeit vom Staat beunruhigt vor allem viele Geistliche der jüngeren Generation mit Blick auf ihre eigene Zukunft und die der Institution der Geistlichkeit. Sie denken, es wäre in ihrem Interesse, sich nicht auf Politik als ein „schmutziges Geschäft“ einzulassen.

 

2.3 Einige Aspekte des nachrevolutionären Umbruchs als Revision der „Islamischen Revolution“ als eines chiliastisch geprägten Nativismus

 

Die Islamisierung der Staatsgesellschaft, wie sie allgemein erfahren wurde, führte also zu grundlegenden Veränderungen im sozialen Habitus der in die nachrevolutionären Ereignisse verwickelten Menschen. Sie haben trotz der Unterschiedlichkeit ihrer sozialen Positionen etwas gemeinsam: den Wunsch nach Wiederaneignung der im Islamisierungsprozess enteigneten Macht- und Statusquellen und die Aufhebung des herrschenden Schemas von Selbstwerten.29

 

Dieser Umbruch ist primär Folge einer Transformation der Selbsterfahrung der Menschen, die einst mit Khomeini an der Spitze zur Islamisierung der Revolution und der ihr nachfolgenden Republik beitrugen. Sie ist eine nachgeholte Transformation der Selbsterfahrung im Sinne der Überwindung der eigenen Minderwertigkeitsgefühle und Depressionen und die Erhöhung der Selbstachtung und Selbstsicherheit der Menschen. Von daher möchte ich einige im Folgenden dargestellten Aspekte der Veränderungsprozesse nicht nur als praktische Kritik der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, sondern auch als Nachholeffekt des sozialen Habitus der in die Ereignisse verwickelten Menschen diskutieren.

 

Zu den wahrnehmbaren grundlegenden Veränderungen gehören u. a. die Urbanisierung, der intellektuelle Revivalismus der islamisch orientierten Gebildeten und der islamische Feminismus, die ich exemplarisch skizzieren möchte, um ihren Charakter als Nachholeffekt des sozialen Habitus zu veranschaulichen.

 

Der nachrevolutionäre Urbanisierungsschub am Beispiel Teherans

 

Iranische Städte entstanden in der Regel als Agrostädte und Verwaltungszentren der Regierung. Selbst Teheran besaß als Hauptstadt einen solchen agro-städtischen Charakter. Ihre durch die Modernisierung beschleunigte vorrevolutionäre Urbanisierung wurde auf der einen Seite überschattet durch ihre Verdörflichung als Folge der Massenmigration der durch die Landreform freigesetzten Bauern. Auf der anderen Seite wurde die Urbanisierung nicht nur von den islamisch orientierten, konservativen Schichten als „Verwestlichung“ verteufelt. Die unfassbare und erbarmungslose Brandstiftung in einem Kino in Abadan in der Anfangsphase der Revolution dokumentiert diese blindwütige Feindseligkeit gegenüber einer Urbanisierung des städtischen Lebens als einer vermeintlichen Manifestation des Kulturimperialismus. Mit dem Sieg der islamisierten Revolution wurde sie partiell rückgängig gemacht. Selbst Musizieren wurde nach der Revolution untersagt, während Musiksendungen, mit Ausnahme der klassischen Musik, zunächst abgestellt wurden.

 

Es ist umso bemerkenswerter, dass die Urbanisierung nun mit der Veralltäglichung der Revolution einen enormen Schub erfuhr und vorangetrieben wurde durch islamisch orientierte Funktionsträger. Zum Beispiel wurde Karbastschi, einer der islamischen „Pragmatiker“, 1989 zum Oberbürgermeister Teherans ernannt. Seitdem hat er die Hauptstadt so umgestaltet, dass sie einen gänzlich neuen Charakter bekommen hat, nicht aber im Sinne einer islamischen Stadt. Ihre räumliche Konfiguration, Symbole, Autobahnen, riesige Reklameschilder und Einkaufszentren erinnern den Besucher eher an Los Angeles als an die heiligen Städte wie Karbala oder Qom. Es gibt nicht einmal mehr Spuren von den schnell dahin gekritzelten revolutionären Parolen und Postern, die Anfang der 80er Jahre an fast allen Mauern der Stadt zu finden waren. Sie wurden ersetzt durch Reklameschilder oder offiziell zugelassene Parolen, ausgestattet mit bunten Mustern und Porträts.

 

Inzwischen gehören nicht nur die Industriemessen zu den selbstverständlichen Einrichtungen dieser Stadt mit ca. 14 Mio. Einwohnern, sondern auch Kulturzentren (Farhang-sara), sowohl in der wohlhabenden Nord- als auch in der armen Südstadt. Ständige Kunst- und Musikveranstaltungen gehören zu selbstverständlichen kulturellen Angeboten. Dabei genießen die angebotenen iranischen und westlichen klassischen Musikdarbietungen große Popularität unter der Jugend, die 75 % der Konzertbesucher stellen.

 

Trotz Zwangsverschleierung und Geschlechtertrennung bringen die 500 neu entstandenen städtischen Parkanlagen nicht nur verschiedene soziale Schichten in einem öffentlichen Raum zusammen, sondern auch die Geschlechter unterschiedlichen Alters. Es gibt auch andere räumliche Arrangements, welche die Geselligkeit von Jungen und Mädchen erleichtern, einschließlich Bergsteigen und Skifahren in Nord-Teheran sowie Fahrradfahren in künstlich angelegten Wäldern. Die Stadtverwaltung gibt sogar die auflagenstärkste Tageszeitung heraus. Sie veröffentlicht aber außer Bürgerbeschwerden vorwiegend Beiträge, die sich mit säkularen Themen wie Kultur, Kunst, und urbanem Leben beschäftigen.

 

Der intellektuelle Revivalismus der islamisch orientierten Gebildeten in Gestalt der Bewegung der „degarandishan“, der „Andersdenkenden“

 

Wenn Khatami die Freiheit als „Freiheit der Andersdenkenden“ propagierte, dachte er höchst wahrscheinlich vor allem an eine neue intellektuelle Bewegung, die als „alternative Denkschule“ (Andisheh-ye Diga´r) bezeichnet wird. Auf der intellektuellen Ebene ist sie die höchste Manifestation des nachrevolutionären Umbruchs. Sie wurde angeführt von einem Professor für Philosophie, Abdul-Karim Soroush30, der einst von Khomeini mit der Führung der Kulturrevolution betraut worden war.

 

Diese Bewegung ist weder anti-islamisch noch säkular; sie versucht aber die Kompetenzen der Religion in unserem Zeitalter neu zu bestimmen. Erkenntnistheoretisch begründen die Protagonisten dieser Bewegung die Aufforderung zu einer „hermeneutischen Lesart“ des Korans, und lehnen eine „wahre Lesart“ oder aber auch eine exklusive „Experten-Lesart“ der Geistlichkeit ab. In der Tat versucht diese Bewegung, die Professionalisierung der Interpretation der religiösen Quellen durch die Geistlichkeit aufzuheben, die von der Monopolisierung des religiösen Wissens lebt. Durchdrungen von der „Aufklärung“ betreibt diese Bewegung eine implizierte Kritik der Theorie von valayat-e faqih, der Rechtsgelehrtenherrschaft, der Grundlage des islamischen Staates im Iran. Sie vertritt den Standpunkt, dass die Leitung moderner Gesellschaften zwar möglich und wünschenswert ist; jedoch nicht durch die Religion, sondern durch wissenschaftliche Rationalität und in demokratischen Strukturen.

 

Mit Soroush, Shabestari, Kadivar u. a. glaubt diese Bewegung nicht nur, dass Islam und Demokratie kompatibel sind; sie hält ihre Verbindung sogar für unvermeidlich. In der Tat fordern sie die Errichtung eines säkularen demokratischen Staates, der den Islam als einen individualisierten Glauben beherbergt.

 

Sie lehnt die Vorstellung vom „Islam als die Lösung“ aller Probleme (al-Islam huwa al-hat) kategorisch ab. Für sie hat die Religion Grenzen bei der Beantwortung und Lösung der menschlichen Fragen und Probleme. Sie sei keine Domäne der alltäglichen Angelegenheiten, sondern der Geheimnisse, Perplexitäten, Liebe und Hingabe. Nichtsdestoweniger müsse der religiöse Glaube angeregt werden, da dieser nicht nur das Leben der Menschen erträglicher mache, indem er ihnen helfe mit der harten Realität des Lebens zurechtzukommen. Er liefere auch ein externes Mittel der Selbstkontrolle der Menschen und erleichtere genauso wie die Institutionen der Demokratie als Fremdzwang die Selbstkontrolle. Deswegen begreift diese Bewegung – als Manifestation der Verschiebung der Balance zwischen Pflicht- und Rechtsbewusstsein zu Gunsten des letzteren – die Religion als ein Recht und nicht als eine Pflicht. Zu dieser Verschiebung der Balance zwischen der Selbst- und Fremdkontrolle zugunsten einer zunehmend individualisierten Selbststeuerung der Menschen kommen andere zivilisatorische Transformationen des sozialen Habitus der Träger dieser Bewegung hinzu. Vor allem die Erweiterung der Reichweite ihrer Identifikation mit Menschen jenseits ihrer Gruppenzugehörigkeit. Dies manifestiert sich in ihrer ausdrücklichen Ablehnung der gegenwärtigen Teilung der Bürger in Menschen erster und zweiter Klasse bzw. „Khodi“ und „Gheir-e Khodi“ (Wir- und Sie-Gruppen) und einer entsprechenden Einschränkung des Wir-Bezuges auf die etablierten Kerngruppen der Herrschaft. Hinzu kommt die Zivilisierung ihrer Gottesvorstellung, die sie in ihrer gegenwärtigen Auseinandersetzung mit den Konservativen hervorheben, welche die Gewalttätigkeit in den politischen Auseinandersetzungen bzw. die physische Gewalt als Mittel der Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfe in Gottes Namen zu legitimieren versuchen. Für beide dient zwar der Koran als Quelle. Doch entsprechend ihrer Zivilisationsdifferentiale betonen sie jeweils die entgegengesetzten Attribute Gottes, wie sie in diesem Buch zu finden sind. Gegenüber dem grausamen, gewalttätigen, strafenden, rachsüchtigen und intoleranten Gott der Konservativen stellen sie ihren Gott, „der Gütigste aller Gütigen“.

 

Die Bewegung der „alternativen Denkschule“ genießt eine weit verbreitete Unterstützung unter der Jugend und den Gebildeten, den religiös orientierten genauso wie den säkularen, vor allem unter den zum größten Teil marginalisierten modernen Mittelschichten. Sie verfügt auch über eine enorme Gefolgschaft unter den Theologie-studenten, und zwar viel mehr als irgendein Großajatollah.

 

Das Besondere an ihren Vorstellungen ist nicht so sehr ihre Originalität als vielmehr die Tatsache, dass sie solch eine zunehmende Popularität in einem so selbstbewussten islamischen Staat genießen.

 

Der „islamische Feminismus“

 

Ein nicht minder signifikanter Aspekt des nachrevolutionären Umbruchs ist die Entstehung einer Art feministischer Bewegung im Rahmen dieser „alternativen Denkschule“. Ihre Aktivisten, vertraut sowohl mit dem westlichen Feminismus als auch mit den Lehren des Korans, kämpfen innerhalb des islamischen Diskurses für die Aufhebung jener gegen die Frauen gerichteten Gesetze und sozialen Praktiken, die man religiös zu legitimieren versucht. Angelehnt an die Parole „Gleichheit der Männer und Frauen im Islam“, welche in einer revolutionären Atmosphäre von manchem religiösen Würdenträger anerkannt wurde, hat diese Bewegung einen beachtlichen Vorstoß unternommen in ihrem Kampf zur Verschiebung der Machtbalance zugunsten der Frauen, im Beschäftigungs- und Bildungsbereich sowie im Familienrecht.

 

Nicht nur diese Bewegung stellt die sonst im Westen üblichen Stereotype über iranische Frauen im nachrevolutionären Iran in Frage. Die Klischees von iranischen Frauen als Unterdrückte in der häuslichen Einsamkeit und versteckt unter dem langen schwarzen Schleier, dem Tchador, ist nicht mehr als eine sehr grobe Simplifizierung dessen, was sich im nachrevolutionären Iran entwickelt hat. Trotz des erheblichen Drucks spielen Frauen eine größere Rolle in sozialen, ökonomischen und kulturellen Bereichen als je zuvor. Zum Beispiel stellen sie nicht nur die Hälfte der 20 Mio. Schüler und Studenten, sondern auch über 50 % der über 2 Mio. Studierenden31. Berücksichtigt man die Verzehnfachung der Zahl der Studierenden allein seit der Revolution, wird die zunehmend veränderte soziale Rolle der Frauen und ihre wachsende öffentliche Bedeutung fassbarer. Sie besetzen gegenwärtig 50 % aller Positionen in der öffentlichen Verwaltung und über 40 % der gesamten qualifizierten Berufspositionen. Ihre Zahl wird sogar noch weiter steigen mit der konservativen Forderung nach Geschlechtersegregation, die mehr qualifizierte Frauen erfordern würde, sollte das gegenwärtige Niveau von Dienstleitungen an Frauen beibehalten werden.

 

Selbstverständlich werden die Frauen immer noch aufgefordert, die hejab, die „islamisch definierte Körperbedeckung“ einzuhalten. Doch selbst die Verschleierung hat manchen Frauen die soziale Mobilität innerhalb der männlich dominierten Felder erleichtert. So sind viele Frauen aus den unteren Schichten, die früher das Haus nicht verlassen durften, mobilisiert und spielen eine soziale Rolle in der Nachbarschaft und in religiösen Institutionen. Viele solcher Frauen haben sogar sehr erfolgreich bei den ersten Kommunalwahlen im Iran als Unabhängige kandidiert und spielten eine sehr aktive Rolle in diesen kommunalen Vertretungsorganen, bis sie durch Selektion des „Wächterrates“ wieder von Konservativen dominiert wurden.

 

Dennoch blieben jene modernen Mittelschicht-Frauen, die immer noch empfindlich gegen die Zwangsverschleierung reagieren, nicht passiv. Zumindest tragen viele städtische Frauen ihr Kopftuch sehr locker. Kein Wunder, dass die Funktionäre des Regimes ausnahmslos die bad-hejabi, die mangelnde Einhaltung der als islamisch definierten Verschleierung in der Öffentlichkeit, als einen öffentlichen Widerstand der Frauen gegen die Zwangsverschleierung beklagen.

 

Die iranischen Frauen betrachten sich als Vorhut des Emanzipationskampfes der Frauen in der islamischen Welt. Als Ergebnis ihres permanenten Kampfes seit der Etablierung der „Islamischen Republik“ wurde nicht nur die Chancengleichheit der Geschlechter im Bildungsbereich nach anfänglichen Restriktionen wieder eingeführt. Die wieder eingeführte Polygamie, die aus ökonomischen Gründen praktisch auf eine kleine, wohlhabende Gruppe beschränkt blieb, wurde auch ernsthaft eingeschränkt. Das einseitige Scheidungsrecht der Männer wurde durch die Wiedereinführung von Familiengerichten praktisch beschnitten und die Zeitehe wurde verdammt. Das Sorgerecht, das im islamischen Recht zugunsten des Vaters geregelt ist, wird ernsthaft diskutiert. Ebenso steht der Kampf der Frauen für ihre Wiedereinstellung als Richterinnen auf der Tagesordnung. Vor allem an Familiengerichten wurden sie, nach anfänglicher Säuberung des Justizapparats32, bereits erneut eingesetzt, jedoch formal nur als Assistenten der sonst männlichen Richter.

 

Inzwischen entstanden mindestens 60 zivilgesellschaftliche Assoziationen, in denen sie ihre Aktivitäten organsierten. Die Frauen kommunizierten ihre Vorstellungen in Publikationen wie Zahnen, Farzaneh und Zan-ne Rouz. Sie organisierten öffentliche Veranstaltungen, nahmen aktiv teil an internationalen Konferenzen, mobilisierten Politiker und religiöse Würdenträger für ihre Sache und führten engagiert Auseinandersetzungen im Parlament (majilis).

 

2.4 Zum Entstehungszusammenhang dieses nachrevolutionären Umbruchs als ein Nachholeffekt des sozialen Habitus der Menschen

 

Im Unterschied zu den meisten islamisch geprägten Gesellschaften, in denen der islamische Diskurs die sozialen Auseinandersetzungen durchdringt, scheinen sich die Problemstellungen für die Menschen im Iran überraschenderweise zu säkularisieren. Mit der allgemeinen Umorientierung der Menschen und ihrer sozialen Praxis scheint auch die islamisierte Sprachregelung allmählich zu verschwinden.

 

Diese Säkularisierung der Problemstellung ist zurückzuführen auf die Erfahrungen der vor- und nachrevolutionären Generationen, die 1997 jeweils 50 % der Bevölkerung ausmachen; und zwar einer Bevölkerung, die sich seit der Revolution auf 62 Mio. verdoppelt hat. Über 50 % der Bevölkerung ist unter 20 Jahre alt, ist also erst nach der Revolution geboren.33 Dieser Bevölkerungsteil kannte infolgedessen nichts anderes als die Restriktionen der „Islamischen Republik“, die mit ihrer Sozialisationsart jedes individuelle Vermögen zur Trieb- und Affektbefriedigung beeinträchtigt und sie deswegen zu aktiven Trägern einer allgemeinen Säkularisierung und Demokratisierung als Teilaspekt der Zivilisierung machte.

 

Bei der vorrevolutionären Generation dürfte die Enttäuschung über die nachrevolutionäre Entwicklung, wahrgenommen als Entmündigung und Enteignung der revolutionär eroberten Macht- und Statusquellen und deren sukzessive Monopolisierung durch ein immer kleiner werdendes Establishment, das sich selbst als Elite begreift, entscheidend für eine grundlegende kritische Reflexion gewesen sein. Sie führte zu einer nachholenden Transformation ihrer Selbsterfahrung als mündige und selbstbewusste Menschen.

 

Diese Menschen betrachten die Islamisierung der Revolution als Verrat an ihren revolutionären Idealen, die sie nicht bereit sind kampflos aufzugeben. Dieser selbstkritisch geführte Kampf zeigt sich in einer intensiven Diskussion über die Zivilgesellschaft, welche als ein Nachholeffekt des sozialen Habitus dieser Menschen verstanden werden kann. Die Zivilgesellschaft ist ihre aus der gegenwärtigen Erlebnislage heraus formulierte Utopie. Sie offenbart eine weitgehende Lockerung ihrer Autoritätsfixierung und eine damit einhergehende Umorientierung. Ihnen geht es nicht mehr darum, wer im post-islamistischen Iran regieren soll, als viel mehr, wie regiert werden soll, und vor allem, wie die institutionalisierte Kontrolle der Regierenden durch die Regierten gewährleistet werden kann.

 

3 Zum aktuellen Anlass und zur Perspektive
des Aufbegehrens

 

Chascho Chaschakt toi, Doschman-e In Iran toi .“

 

Du selbst bist eine Handvoll Kehricht und Feind Irans.“

 

Nach dem anfänglichen Schock der konservativen Teile der Kerngruppe der Etablierten über die Wahl Khatamis zum Präsidenten fingen diese an, jeden Reformversuch systematisch institutionell zu blockieren und die Reformer von allen Institutionen zu vertreiben. Sie verhinderten damit zwar nicht die Wiederwahl Khatamis, doch beschränkten sie weiterhin seine Handlungsspielräume. Inzwischen erweiterten sich die außermilitärischen Aktivitäten der „Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Eslami“, der „Revolutionsgardisten“, die seit dem Ende des Krieges eingesetzt hatten, zwar schleichend, aber kontinuierlich. Sie verstärkten ihre massive Präsenz und Einflussnahme in allen Bereichen der Gesellschaft. Mit dieser Militarisierung der Wirtschaft, Politik, Kultur, des Sozialen und dem Alltagsleben wurden die Voraussetzungen eines „sanften“ Putsches systematisch geschaffen. Diese Voraussetzungen manifestierten sich in der letzten massiven Wahlmanipulation, die zur erneuten Einsetzung Ahmadinedjads zum Präsidenten führte. Ahmadinedjad kam zwar schon beim ersten Mal mittels einer durch die „Revolutionsgardisten“ systematisch vorbereiteten und durchgeführten massiven Wahlmanipulation zur Macht, doch der unübersehbare Umfang der letzten Wahlmanipulation unter der direkten Leitung des „Führers“ erzürnte die Betrogenen so massiv, dass sie ihre Empörung in landesweiten und massenhaften Protesten demonstrierten.

 

Diese friedlichen und zahlreichen Demonstrationen repräsentierten zwei unübersehbare Aspekte der Transformation des sozialen Habitus der überwältigenden Mehrheit der Iraner. Erstens dokumentierte dieses Aufbegehren die Verschiebung der Balance zwischen dem Pflicht- und Rechtsbewusstsein der beeindruckenden Mehrheit der Wähler zugunsten ihres Rechtsbewusstseins, indem sie als bewusste Rechtsubjekte öffentlich nach ihren abgegebenen Stimmen fragten. Zweitens repräsentierten die Demonstrationen die Verschiebung der Selbstwertbeziehungen der Etablierten und Außenseiter der „Islamischen Republik“ im nachrevolutionären Iran, indem sich die Menschen gegen ihre Entwertung und Stigmatisierung durch Ahamadinedjad massenhaft zur Wehr setzten, der sie in einer Ansprache als „eine Handvoll Abfall und Kehricht“ bezeichnete. Diese Verschiebung der Selbstwertbeziehungen zugunsten der Regierten äußerte sich in der Hervorhebung ihrer Selbstachtung und Selbstliebe als Einzelne und als Gruppe. Ihren neu gewonnenen Stolz demonstrierten sie eindrucksvoll, indem sie Ahmadinedjad selbst als „eine Handvoll Abfall und Kehricht“ bezeichneten.

 

Die folgende bewusste Eskalation der Gewalttätigkeit des Regimes in ihren vielfältigen mörderischen Formen auf der Straße genauso wie in den Gefängnissen, in Worten und in Taten, manifestiert die nekrophil-destruktive Orientierung einer Minderheit, deren Affinität zum Toten, ihre nicht stillbare Neigung zu Hass und Destruktivität, keine Grenzen kennt. Die sadistische Behandlung der Gefangenen, die gezielte Tötung der Demonstranten, die Vergewaltigung der Gefangenen beider Geschlechter im Namen Gottes, die Schauprozesse nach erpressten Geständnissen, die willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen unschuldiger Menschen zwecks Verbreitung von Furcht und Herstellung einer Friedhofsruhe im Land zeigen exemplarisch die massiven Ent-Zivilisierungsschübe, die der Iran mit der „Islamischen Revolution“ und der ihr folgenden Ent-Demokratisierung der Staatsgesellschaft erfahren hat. Dieser De-Zivilisierungsschub zeigt sich auch in ihrem de-zivilisierten Gott, dem sich diese nekrophilen Charaktere unterwerfen. Gemäß ihrem Gottesbild versuchen sie die sich wehrende Mehrheit der Bevölkerung in genau der gleichen Weise zu unterwerfen, wie sie sich einem leidenschaftlichen, wilden und unberechenbaren Gott unterwerfen, der heute menschenfreundlich und voller Wohlwollen und morgen grausam, voller Hass und zerstörerisch sein kann.

 

Der sadomasochistische Charakter der Befehlenden und Ausführenden dieser unfassbar barbarischen Gräueltaten, die sich in ihrer Radfahrer-Mentalität gegenüber ihrem Gott und den Mächtigen bücken und die Schwächeren zertreten, sich als „Führer“ zum Stellvertreter Gottes auf Erden aufspielen bzw. sich als Kerngruppe der Macht einem „Führer“ bedingungslos unterwerfen und andere zur bedingungslosen Unterwerfung zwingen wollen, manifestiert sich in einer Sprache der Gewalt. Sie kennen anscheinend keine andere Sprache als die der Gewalttätigkeit. Das ist auch ein Grund der Eskalation ihrer Gewalt als Mittel der Provokation der Opposition, anstatt die nicht mehr zu verleugnenden sozialen und politischen Probleme anzugehen. Angesichts der Destruktivität der Etablierten ist es nicht auszuschließen, dass sie sogar einen Krieg provozieren würden, sollten sie mit Hilfe der innerstaatlichen Gewaltanwendung nicht mehr mit der zunehmend klüger gewordenen, zivilisierteren Opposition wie bisher fertig werden.

 

Diese zunehmend zivilisierte und vielfältige Opposition ist sich bewusst, dass sie sich nur erfolgreich zur Wehr setzen kann, wenn sie die Balance zwischen ihren eigenen Konflikten und Kooperationen zugunsten ihrer Kooperation miteinander verschiebt, ohne die eigene relative Autonomie aufzugeben. Dazu wäre es aber notwendig, dass jede oppositionelle Gruppe weiß, was sie will. Erst die klare Vorstellung über die eigenen strategischen Ziele sowie die Kooperation auf Grundlage ihrer Gemeinsamkeiten und im Rahmen der Menschenrechte würden eine Regression sozialer Prozesse künftig erschweren. Die Erfahrung der „Islamischen Revolution“ hat ihnen anscheinend gezeigt, dass eine Kooperation gegen einen unerwünschten Zustand die Gefahr der Exklusion und Eliminierung der organisatorisch schwächeren Koalitionspartner impliziert – selbst, wenn die Austragung künftiger Konflikte durch Wahlzettel wiederholt in Aussicht gestellt wird. Dieses Versprechen sei erst dann glaubwürdig, wenn alle kooperationswilligen Oppositionellen den Minderheitenschutz als eigentlichen zentralen Aspekt einer institutionellen Demokratisierung akzeptieren und diesen als unverletzbares Regulationsprinzip jeder Kooperation zugrunde legen. Sie kennen nicht weniger totalitäre Regime, die, obgleich durch Wahlen entstanden, künftige Wahlen jedoch nach ihrem Sieg abgeschafft haben. Zur unabdingbaren Voraussetzung jeglicher Kooperation der Opposition erachten sie die Akzeptanz der Menschenrechte als Bezugsrahmen jeglicher Gesetzgebung. Nur die Menschenrechte dürfen – einzig und allein – jedes positive Recht beschränken. Außerdem fordern sie das sofortige Verbot der Todesstrafe als unverzichtbare Grundlage jeder Kooperation. Es müsse Schluss sein mit den nekrophilen Parolen, die den „Tod des Regimes“ usw. fordern. Stattdessen sei das Leben einer gerechten Republik herbeizusehnen, wie sie in einer ihrer zentralen Parolen hervorheben: „Es lebe die Bundesrepublik Iran.“

 

4 Zum Reduzierungsprozess der Kerngruppen der Macht auf „Ussulgerajan“ – „Prinzipienorientierte“ bzw. doktrinäre Fraktionen

 

Die Eskalation der nekrophilen Tendenzen zeigt sich u. a. in der auf „Ussulgerajan“ reduzierten Kerngruppe der Macht in der „Islamischen Republik“ Iran. Diese, sich selbst als „Prinzipienorientierte“ bezeichnende, letzte Kerngruppe der Macht, die starr an der Lehre festhält, repräsentiert einen doktrinären Islam gegenüber einem gelebten Islam der Mehrheit der Muslime im Iran. Die nekrophile Orientierung dieser Gruppe, die alle liberalen islamischen Tendenzen der „Islamischen Republik“ auf allen Ebenen weitgehend eliminiert hat, zeigt sich u. a. in ihren zunehmend brutaler werdenden Eingriffen in die private Gestaltung des Alltagslebens der Menschen. Abgesehen von der Verschiebung der Balance zwischen Selbst- und Fremdzwängen zugunsten der letzteren, repräsentieren sie die Eskalation dieser Tendenzen, die mit der Konstituierung der „Islamischen Republik“ einsetzte. Die letzte Eskalation dieser das Leben und Lebendige unterdrückenden, nekrophilen Eingriffe ist die Verschärfung der nachrevolutionären Islamisierung des Alltagslebens als einer staatlichen und staatlich sanktionierten öffentlichen Moralkontrolle, die sich in der Verschärfung der Strafen gegen die „islamische Kleiderordnung“ seit Mitte Mai 2010 und deren Ausführung auf offener Strasse zeigt34.

 

Nach einem jüngst verabschiedeten „Schleier- und Sittsamkeitsgesetz“ soll jede Behörde entsprechende Frauenuniformen für ihre weiblichen Mitarbeiter einführen und der Zugang für Studentinnen und Studenten zu Universitätsgeländen untersagt werden, wenn sie nicht „sittsam“ gekleidet und äußerlich ausgestattet sind. Deswegen möchte ich im folgenden Abschnitt einige Aspekte der nachrevolutionären Entwicklung der Herrschaftsverhältnisse Irans diskutieren, um die Eskalation dieser nekrophilen Tendenzen besser einordnen zu können.

 

4.1 Zur nachrevolutionären Entwicklung der Herschaftsverhältnisse im Iran: die Entstehung und Veralltäglichung einer charismatischen Herrschaft

 

Um die chaotisch erscheinenden Ereignisse miteinander zu verknüpfen und ein realitätsangemessenes Bild ihrer Ordnung zu bekommen, ist man bei jeder empirischen Untersuchung auf ein nachprüfbares und im Zusammenhang mit dem Erwerb neuen Einzelwissens revidierbares Modell des Zusammenhanges der Ereignisse angewiesen. Ohne solch ein zusammenfassendes Modell der Ereignisse, das determinierende Bedeutung bei der Stellung und Auswahl von Problemen hat, wäre selbst die Wahrnehmung der Ereignisse gar nicht möglich. Angewiesen auf solch ein Verknüpfungsmodell, erweisen sich die beobachtbaren Ereignisse im Iran als ein ausgezeichnetes Beispiel des von Max Weber entwickelten charismatischen Typs der Herrschaft und dessen Veralltäglichung35. Allerdings kann sein theoretisches Modell nur dann sinnvoll und angemessen für die Konzeptualisierung der möglichen Richtungen der Veralltäglichung des charismatischen Typs der Herrschaft herangezogen werden, wenn man seine polar konzipierten idealtypischen Begriffe der „traditionalen“ und „legalen“ Herrschaft als Balance-Begriffe auffasst, die sich auf gerichtete und reversible soziale Prozesse beziehen. Als Richtungsbegriffe verweisen sie auf gegensätzliche und umkehrbare Entwicklungstendenzen eines charismatischen Typs der Herrschaft. Nur in diesem dynamisierten Sinne kann man die einunddreißigjährige Entwicklung Irans als Entstehung eines charismatischen Aufstiegstyps der Herrschaft begreifen. Dessen Veralltäglichungsform als ein Erhaltungstyp der Herrschaft ergibt sich, zumindest seit den letzten Präsidentschaftswahlen sichtbarer als zuvor, aus einer permanenten Verschiebung der instabilen Balance der immanenten Traditionalisierungs- und Legalisierungstendenzen. Diese Balance hat sich seit den letzten Wahlen zugunsten der Letzteren verschoben, was ich hier als Eskalation der nekrophilen Tendenzen der „Islamischen Republik“ diskutieren möchte.

 

Entstanden aus Umschichtungsprozessen innerhalb des weiteren Herrschaftsfeldes36, waren Aufbau und Schicksal dieser charismatischen Herrschaft mit ihrem „außeralltäglichen Charakter”37 davon abhängig, wie sich das Verhältnis von Einherrscher, elitären Kerngruppen und weiterem Herrschaftsbereich veränderte. Gab die Transformation der vorrevolutionären Spannungsbalance innerhalb des weiteren Herrschaftsfeldes Khomeinis – der dann als Träger des Charismas38 erschien – die entscheidende Aufstiegschance, schaffte sie zugleich in den Menschen, welche später zu den charismatischen Kerngruppen wurden, die Bereitschaft, Mitglieder solcher Gruppen zu werden. So wurde Aj. Khomeini praktisch der Exekutor dieser tief greifenden gesellschaftlichen Umschichtung, den diese Kerngruppen als charismatischen Herrschaftsträger umgaben, durch deren Vermittlung er wiederum herrschen konnte.

 

Hier wird dargestellt, wie die veränderten Formationen dieser Kerngruppen der Herrschaft in ihrem sozialen Aufstieg39 sowie die entsprechende Verschiebung der Machtbalance zwischen den Regierenden und den Regierten als eine Verschiebung der Spannungsbalance innerhalb der entstandenen Autoritätsverhältnisse richtungweisend für die politische Gesamtentwicklung waren. Ablesen lässt sich dieser Prozess an einer höchst instabilen, aber gerichteten Verschiebung der Balance zwischen autoritär-theokratischen und republikanischen Komponenten der Verfassungsnorm und der Verfassungswirklichkeit. Die Richtung dieser Balanceverschiebung zugunsten institutioneller Ent-Demokratisierung oder Demokratisierung des Staates wurde allerdings als Balanceverschiebung zwischen mehr oder weniger „traditionell“ oder „modern“ geprägten und dementsprechend „traditional“ oder „legal“ orientierten Menschen wahrnehmbar. Diese Balance ist aber selbst Folge von Art und Grad der Transformation der Erfahrung der involvierten Menschen, die sie in ihren unterschiedlichen sozialen Positionen im Zusammenhang mit der Verschiebung der gesamtgesellschaftlichen Machtbalance machen. Die Entwicklung der Sebstwertbeziehungen40 und die nachhinkende Transformation der Selbsterfahrung der überwiegenden Mehrheit der Sozialaufsteiger hinter der sozialen Transformation war auch wesentlich verantwortlich für die Entstehung der charismatischen Herrschaft Aj. Khomeinis. Er verkörperte den gekränkten Stolz der von ihm als „mostazafin“ glorifizierten Mehrheit der Gesellschaft, der von den vorrevolutionären Etablierten als „rückständig“ („ommol“ und „dahatie“) stigmatisierten Außenseiter.41 Der nachrevolutionäre Gang der Ereignisse erhält daher für diese Menschen weiterhin Bedeutung und Sinn durch seine Funktion der Erhöhung oder Erniedrigung in ihrem jeweiligen Schema von Selbstwerten. Somit sind die beobachtbaren politischen Prozesse in Zusammenhang mit der Erfahrungsdimension sozialer Prozesse zu verstehen, deren Richtung sich aus dem Ausgang der damit verbundenen sozialen und psychischen Spannungen und Konflikte ergibt.

 

4.2 Zur Entstehung der charismatischen Führerschaft Aj. Khomeinis als eines Aufstiegstyps der Herrschaft

 

Die siegreiche Revolution entstand als Folge der Verschiebung der Machtbalance zwischen den Etablierten und den Außenseitern zugunsten der letzteren. Sie war also Folge einer funktionalen Demokratisierung der iranischen Gesellschaft, ohne unmittelbar zu einer institutionellen Demokratisierung der Gesellschaft zu führen. Will man jedoch die nachrevolutionäre Entwicklung begreifen, muss man sich daher zunächst die Frage stellen, warum die revolutionär eroberte Macht durch die Regierten freiwillig an eine religiöse Elite ausgehändigt wurde, die mit Aj. Khomeini an deren Spitze diese Menschen explizit als unmündig erklärte und seit ihrer Dominanz jede institutionelle Demokratisierung der nachrevolutionären Herrschaft als unislamisch verteufelte. Die Etablierung der Herrschaft dieser geistlichen Aristokratie ging nicht nur mit der physischen Eliminierung aller konkurrierenden nicht-khomeinistisch orientierten Gruppen und der khomeinistischen Prägung der Verfassung einher, sondern auch mit einer Islamisierung des Alltagslebens unter Aj. Khomeinis Führung. Die Erklärung dieser Prozesse trägt nicht minder zum Verständnis des Entstehungszusammenhanges der charismatischen Herrschaft Aj. Khomeinis und der „Islamischen Republik“ sowie deren Entwicklung bei.

 

Die nachrevolutionäre Islamisierung des Alltagslebens als eine staatliche und staatlich sanktionierte öffentliche Moralkontrolle

 

Schon bei seiner Rückkehr nach Qom kündigte Aj. Khomeini am 7. März 1979 in einer Rede die Bildung eines Ministeriums an, dessen Hauptaufgabe darin liegt „al-amr b´ il ma´ruf wa nahi àn al-munkar“, d. h., „das von der Religion Gebotene befehlen und das von der Religion Verbotene zu verbieten“42. In dieser Ankündigung Aj. Khomeinis kann man das Bedürfnis nach einer Wiedereinführung der institutionalisierten Fremdsteuerung des Alltagsverhaltens – bzw. einer Einengung individueller Entscheidungs- und Handlungsspielräume im Alltagsleben der Menschen –, als einen der wesentlichen Aspekte des Entstehungszusammenhangs der „Islamischen Revolution“ und der ihr folgenden „Islamischen Republik“ identifizieren.

 

Eine Institution mit solch einer Aufgabe wurde schon Anfang des 20. Jh. mit der Verwaltungsreform abgeschafft, nachdem sie schon vor allem im 19. Jh. weitgehend modifiziert wurde. Diese Aufgabe war vor der Islamisierung Irans mit dem Amt des Mohtaseb verbunden, dessen Schwerpunkt sich, bis zu seiner endgültigen Ent-funktionalisierung, im Laufe der Jahrhunderte wandelte.43 Die Überwachung der Märkte und der Angemessenheit von Maßen und Gewichten auf dem Bazar gehörten genauso zu seinen beständigen Aufgaben wie die der moralischen Angemessenheit des Alltagsverhaltens der Untertanen. Was sich an dieser Kontrollaufgabe im Laufe der Entwicklung änderte, waren die moralischen Maßstäbe, an denen sich der Mohtaseb, der öffentliche Überwacher der Standards, orientierte. Mit der Islamisierung Irans orientierten sich die Sittenwächter an dem dominant gewordenen arabisch-islamischen Zivilisationsmuster, ohne dass sich seit der Safaviden-Herrschaft und der Erhebung der Zwölfer-Schi‘a zur iranischen Staatsreligion seit 1502 etwas daran geändert hätte.

 

Verwechselt man die Funktion der öffentlichen Kontrolle der Moral mit den sich entsprechend der Machtbalance verändernden Funktionsträgern, die sich ohnehin an einem religiös geprägten Zivilisationsmuster orientierten, neigt man dazu, die Errichtung eines neuen Ministeriums, dessen Aufgabe in der Verschärfung des Fremdzwanges im Alltagsleben besteht, nicht mit dem alten Amt des Mohtaseb gleichzusetzen. Demnach erscheint dies als ein erstmaliger Versuch, islamische Vorschriften unter dieser Perspektive zu exekutieren. Folgte man dieser Darstellung, müsste man, mit Floor, eher von einem Bruch mit der Vergangenheit als von der Wiederbelebung einer alten Institution sprechen.44 Eine solche Interpretation widerspricht nicht nur den historischen Fakten, sie verdunkelt auch das zentrale Motiv des “islamischen Fundamentalismus”: die Wiedereinführung der als islamisch identifizierten Zivilisationsmuster und einer entsprechenden öffentlichen Kontrolle des Alltagsverhaltens der Menschen als (Gottes) Untertanen – und damit als Untertanen seines irdischen Stellvertreters, des „Führers“.

 

Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die vorläufige Revolutionsregierung Bazargans wurde daher das für Zensur, Propaganda und Tourismus verantwortliche vorrevolutionäre „Informationsministerium“ in ein „nationales Erschad-Ministerium“ umgewandelt. Bis zu seiner späteren Umwandlung in das Ministerium für „ERSCHAD-E ESLAMIE“, „für das Weisen des rechten islamischen Weges“, das diese Aufgabe der (öffentlichen und privaten) Kontrolle und Steuerung des Alltagsverhaltens der Menschen übernahm, wurde diese soziale Kontrolle den freiwilligen Moralhütern und Sittenwächtern überlassen, welche die von ihnen als islamisch definierten Verhaltensmuster im Alltag zu erzwingen versuchten. Die „Ummat-e Hisbollah“ („Die Parteigänger Gottes“) ist die aktualisierte Bezeichnung der nach Bedarf mobilisierbaren „Mutatawwi“ (Glaubenskämpfer), die immer noch, neben gesetzlich geregelten Eingriffen, für die Einhaltung einer Moral sorgen, die keinen Unterschied zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre kennt.

 

  Seit der Verabschiedung der 175 Grundsätze (asl /Usul) umfassenden Verfassung der „Islamischen Republik“, die wesentlich vom Verfassungsentwurf des Revolutionsrates abweicht, ist diese Normüberwachungsfunktion durch Grundsatz 8 verfassungsmäßig verankert. Im Verfassungsentwurf fehlte sogar ein dem Grundsatz 8 analoger Grundsatz, der die Verpflichtung der Bürger und des Staates zum „Befehlen der Gebote und Verbieten des Verwerflichen bzw. der Sünden“ thematisiert45. Dieser Grundsatz wird ausdrücklich zurückgeführt auf Vers 9/71 des Koran: „Und die Gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde. Sie gebieten, was Recht ist und verbieten, was Verwerflich ist“.

 

Was an dieser Wiedereinführung der seit über einem Jahrhundert verschwundenen Institution einer öffentlichen Verhaltenssteuerung so bemerkenswert ist, ist nicht so sehr die personelle Besetzung der Position des Sittenwächters durch die Geistlichkeit. Bemerkenswert ist die postrevolutionäre Einführung einer institutionalisierten Form der Fremdsteuerung, die in diesem Ausmaß eine der zentralen Eigentümlichkeiten einer archaischen Form der Herrschaft darstellt. Dieser charakteristischen Eigentümlichkeit einer vormodernen Herrschaft ist es zu verdanken, dass eine direkte Verbindung zwischen dem byzantinischen Agronomos und dem Islamischen Mohtaseb festgestellt werden kann. Was den scheinbaren Bruch des nachrevolutionären Iran mit der islamischen Vergangenheit ausmacht, ist die in diesem Ausmaß gestiegene Chance der Geistlichkeit, dieses Amt zu monopolisieren, nicht aber die mit dieser Position verbundene moralische Kontrollfunktion, wenn sie auch nicht immer als die Hauptaufgabe vom Mohtaseb betrachtet wurde.

 

Als institutionalisierte Form der Fremdsteuerung individuellen Verhaltens ist daher das Amt des Mohtaseb symptomatisch für eine Gesellschaft von Menschen, deren Persönlichkeit auf ein Übermaß von Fremdzwängen ausgerichtet ist. Der Mohtaseb als personifizierte, externalisierte Kontrollinstanz und als solche eine Art Gewissensteilersatz, ist also konstitutiv für eine Gesellschaft, in der die Balance zwischen Selbst- und Fremdbestimmung der Einzelnen zugunsten der Fremdbestimmung verschoben ist. Dieser Institutionalisierte Fremdzwang in Gestalt einer personifizierten, religiös begründeten Obligation der Moral repräsentiert die nekrophile Tendenz der „Islamischen Republik“. Er ist die Verkörperung der Nekrophilie der Kerngruppen der Macht und deren sozialer Basis.

 

Der Khomeinismus als eine nekrophile Durchsetzungsform moralischer Normen

 

Der Khomeinismus und damit die „Ussulgerajan“ bzw. „Prinzipientreuen“ begreifen die Shari´a als göttliche und als solche, ewig gültige Verhaltensnormen. „Nach dem Koran sind die Gesetze des Islam nicht an Zeit und Ort gebunden. Sie sind ewig gültig, und ihre Anwendung ist immer Pflicht.“46 Sie sind allumfassend und regeln das Leben der Menschen von der Geburt bis zum Tod: „Für alle Angelegenheiten hat der Islam Gesetze und Vorschriften. Er hat für den Menschen Gesetze verkündet, die sein ganzes Leben, vom Embryonalstadium bis zum Begräbnis, umfassen.“47

 

Für die Khomeinisten selbst liegt die Geltung der islamischen Moral in ihrem Inhalt als göttliche Offenbarung, wie sie im Koran und im Hadis (Überlieferungen) festgehalten worden sind: „Der Koran und der Hadis, die als Quelle der Grundsätze und Vorschriften des Islam gelten, unterscheiden sich auf Grund ihres umfassenden Charakters und ihrer Wirkung auf das gesellschaftliche Leben prinzipiell von den Traktaten zu praktischen Handlungen, die von Modjtahedin-e Asr und Maradje [religiösen Rechtsgelehrten und Vorbilder, D.G.] verfasst werden. [...] Von allen Büchern des Hadis, die alle islamischen Gesetze umfassen, haben nur drei oder vier gottesdienstliche Handlungen und die Pflichten des Menschen gegenüber Gott – wovon ein Teil mit Fragen der Ethik zusammenhängen – zum Inhalt, die anderen beschäftigen sich mit sozialen, ökonomischen, juristischen, politischen und staatlichen Angelegenheiten.“48

 

Da sich jedoch nicht alle Menschen an diesen ewig gültigen Grundsätzen orientieren, sehen die Khomeinisten die verbindende Kraft der Shari´a, ihre Kraft, mit der sie sich in der Gesellschaft durchsetzt bzw. behauptet und obligatorisch wird, erst in der Gründung eines Islamischen Staates gewährt: „Um Anarchie und (moralische) Verkommenheit in der Gesellschaft zu verhindern, gibt es nur ein Mittel: die Gründung eines Staates und die Regelung aller Angelegenheiten des Landes.“49

 

Nicht jeder sich selbst als islamisch begreifende Staat wird hier als islamisch verstanden, sondern nur derjenige, an dessen Spitze „der gerechte Rechtsgelehrte“ als einziger legitimer Nachfolger des Propheten und der reinen Imame und damit als Garant der Geltung dieser göttlichen Offenbarung regiert. Gemeint ist die Schriftgelehrtenherrschaft als die einzige Form der Wiederherstellung der „Einheit von Religion und Politik“: „In dem Vers ‘O ihr, die ihr glaubt, gehorchet Allah und gehorchet dem Gesandten und denen, die Befehl unter euch haben‘ wird Gehorsam gegenüber ‘denen, die Befehl unter euch haben’ als Pflicht dargestellt. Nach dem hochedlen Propheten sind diejenigen, die Befehl unter uns haben, die reinen Imame, denen gleichzeitig mehrere Aufgaben und Ämter obliegen. Erstens geht es darum, dem Volk die islamischen Ideen, Gesetze und Vorschriften zu erläutern und darzulegen. Das ist nichts anderes als die Erläuterung und Auslegung des Koran und der Sunna. Die zweite Aufgabe ist die Durchführung der Gesetze und die Schaffung islamischer Institutionen in der Gesellschaft der Muslime sowie die Verbreitung der islamischen Ideen und Vorschriften unter anderen Völkern der Welt. Nach den Imamen übernehmen die gerechten Foghaha [Rechtsgelehrten, D.G.] diese Aufgabe.“50

 

Vertröstete die etablierte Geistlichkeit, entsprechend dem quietistischen schi’itischen Chiliasmus, die Menschen auf die Wiederkehr des 12. entrückten Imam der Schi´iten, der am Ende der Zeit als Imam Mahdi, als Welterlöser erscheinen wird, um die Welt von allem Unrecht zu befreien und ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufzurichten, lehnten Khomeini und seine Gefolgschaft ein weiteres Warten als unislamisch ab und propagierten einen aktivistischen schi’itischen Chiliasmus: „Seit Beginn der kleinen Verborgenheit sind tausend und einige hundert Jahre vergangen. Es besteht die Möglichkeit, dass hunderttausend Jahre vergehen und seine Heiligkeit noch nicht zurückkehrt. Sollen die Gesetze des Islam für lange Zeit nicht angewandt werden? Darf jeder tun, was er will? Darf ein Chaos entstehen? Waren die Gesetze, deren Darlegung, Propagierung, Verbreitung und Durchsetzung den Propheten dreiundzwanzig Jahre harte Arbeit kosteten, nur für eine begrenzte Zeit gedacht? Hatte Gott die Zeit der Anwendung seiner Gesetze auf zweihundert Jahre beschränkt? Und hat der Islam nach dem Beginn der kleinen Verborgenheit auf alle seine Prinzipien verzichtet?“51

 

Das Ziel solch einer Schriftgelehrtenherrschaft, als Durchsetzungsform moralischer Normen bzw. göttlicher Gesetze, ist, „[...] den Menschen zu erziehen, einen vollkommenen und gebildeten Menschen, der die lebendige Verkörperung des Gesetzes ist und die Gesetze freiwillig und selbsttätig verwirklicht.“52 Diesem Uniformierungswunsch sozialen Verhaltens, der den Menschen über das „Böse“ hinweg zum „Guten“ verhelfen soll, muss aber durch Mechanismen verwirklicht werden, die alle als islamisch definierten Normen um jeden Preis durchsetzen und der entsprechenden Moral absolute Geltung verschaffen. Diesem nekrophilen Wunsch liegt ein Menschenbild zugrunde, das als Bild der ewig unmündigen Menschen als Individuen und als Gesellschaften diese Durchsetzungsform der Moral zu einer unabdingbaren Notwendigkeit macht: „Die Statthalterschaft des Faghih (Rechtsgelehrten) ist eine relative53 Angelegenheit, sie wird durch Ernennung übertragen, ein Akt, der vergleichbar ist mit der Ernennung eines Vormundes für Minderjährige. Vom Standpunkt der Aufgabe und der Stellung besteht kein Unterschied zwischen dem Vormund der Nation und einem Vormund für Minderjährige.“54

 

Bei dieser Abwesenheit eines individuellen Rechts- und Moralsubjektes wäre in einer Gesellschaft, in welcher der „Imam“ bzw. „Führer“ als gesellschaftliche Zentralinstanz gilt, die Schriftgelehrtenherrschaft die Herrschaft eines göttlich bestimmten Vormundes, der damit Hüter der Ordnung und der Gesetze des Islam ist und als solcher ewige Geltung besitzt.55 Diese Ewigkeit des Herrschaftsanspruches ergibt sich demnach aus der Tatsache, dass die Menschen unvollkommen sind und der Vollkommenheit bedürfen56. Sie ist eine ewig äußerlich notwendige Durchsetzungsform des Normbewusstseins, weil sich diese Moral mehr als Moral des Wissens der Rechtsgelehrten als „Quellen der Nachahmung“ bzw. „Vorbilder“ etabliert, denn als Gewissensmoral der Gläubigen. Der nekrophile Charakter des Khomeinismus und seiner Anhänger dokumentiert sich pointiert durch das Selbstbild des islamischen Herrschers und seiner Untertanen: „Da die islamische Regierung die Regierung des Gesetzes ist, müssen Kenner der Gesetze und vor allem die Theologen die Führung des Staates übernehmen.“57 In diesem Sinne „[...] verkörpern die Schriftgelehrten das Gesetz“ und „[...] das Volk und die Muslime sind im Rahmen der religiösen Vorschriften frei, d. h., wenn sie sich an die Vorschriften des Islams halten, darf sie niemand belästigen.“58

 

Zur Entstehung der sozialen Basis des Khomeinismus als Folge der Integrationsspannungen der von der Modernisierung erfassten Menschen

 

Angesichts der Wahrnehmung solcher externen Regulationen des Verhaltens als “Islam” und in einer Zeit, in der – nach dem Zerfall des Kommunismus – ein Bedürfnis nach neuen Feindbildern in den entwickelteren Gesellschaften aufkommt, wird undifferenziert eine Entwicklungsform des normativen Bildes, das eine bestimmte Gruppe von Menschen von der sozialen Welt hat, eine bestimmte Entwicklungsform der normativen Gesamtvision, eine gruppenspezifische Gesamtvorstellung von Menschen als Individuen und als Gesellschaften mit „dem“ Islam identifiziert. Ohne den Islam als ein erinnertes Wandlungskontinuum59 zu begreifen, entstehen folglich je nach den eigenen Präferenzen gegenüber dem Islam extreme islamfreundliche und islamfeindliche Positionen, die entweder dem ‘Islam als einer Offenbarungsreligion und ihrer großartigen Zivilisation’ gegenüber dem ‘totalitären Fundamentalismus als Feind von Demokratie und Menschenrechten’60 das Wort reden oder überhaupt diese Unterscheidung ablehnen und den Islam als ‘eine menschenverachtende Religion’ verdammen. Letztere machen sich unbeabsichtigt die „fundamentalistischen“ Positionen der islamischen Geistlichkeit zu eigen und erklären: ‘Der Islam ist mit den gewachsenen Werten und Tugenden der westlichen Demokratien unvereinbar.’61.

 

Diese extremen Positionen gegenüber dem zivilisatorischen und demokratischen Charakter des Islam berücksichtigen nicht, dass eigentlich nicht nur der Inhalt der moralischen Normen allein, sondern auch ihre Durchsetzungsform als wesentliches Unterscheidungskriterium der verschiedenen Gesellschaften, sowie ihrer zivilisatorischen Entwicklungsstufen herangezogen werden muss. Ungeachtet dieser dualistischen Positionen wird in der Realität der islamisch geprägten Gesellschaften wie im Iran auf die Frage, wie sich Normbewusstsein individuell verankert, unterschiedlich geantwortet. Die unterschiedlichen Antworten auf die Frage, auf welche Weise die „islamischen“ Gesellschaften in ihren Mitgliedern „islamische“ Normen als Richtschnur des Handelns der Einzelnen verankern, konstituieren die unterschiedlichsten Strömungen der islamisch orientierten sozialen Bewegungen, die als Träger der „Re-Islamisierung“ bekannt sind. Die Khomeinisten, die jedes abweichende Verhalten als Anarchie und Verkommenheit fürchten, betrachten den Fremdzwang als das einzige Regulationsmittel des sozialen Verhaltens: „Dabei ist das islamische Strafrecht geschaffen worden, um zu verhindern, dass in einer großen Nation verderbte Sitten um sich greifen.“62

 

Diese unterschiedlichen Vorstellungen über die Art der Konstitution normativen Bewusstseins unterschied nicht nur den vorrevolutionären etablierten quietistischen schi´itischen Chiliasmus von dem aktivistischen unter Aj. Khomeinis Führung, der die Muslime durch eine außergewöhnliche Interpretation der schi´itischen Eschatologie zur revolutionären Tat mobilisierte. Auch die nachrevolutionäre Spaltung der revolutionären islamischen Koalition ist genauso den unterschiedlichen Vorstellungen vom Islam als unterschiedlichen Vorstellungen über die angemessene Balance zwischen Selbst- und Fremdsteuerung der Menschen zu verdanken, wie die ihr folgenden Ausscheidungskämpfe, die „politisch“ über die Etablierung unterschiedlich verfasster Republiken ausbrachen und ausgetragen wurden.

 

Als im Iran der zum Referendum stehende Name der neuen Republik zur Diskussion stand, sprach sich Aj Khomeini eindeutig für „Islamische Republik“ aus. Er erklärte: „Ich stimme für ‚Islamische Republik‘, nicht ein Wort mehr, nicht ein Wort weniger.“ Und: „Jeder, der sich für ‚Republik‘ (ohne den Zusatz ‚islamisch‘) entscheidet, ist ein Feind des Islam. Jeder, der (dem Begriff) ‚Islamische Republik‘ den Begriff ‚demokratisch‘ hinzufügt, ist ein Feind des Islam. Er will nicht den Islam. Wir aber wollen den Islam.“63 Die überwältigende Mehrheit des iranischen Volkes (98,2 %) folgte Aj. Khomeini in diesem Sinne und nicht wegen einer „Desinformation vor dem ersten Volksentscheid“64. Eine solche Interpretation der Ereignisse entspricht zwar der nachträglichen Entschuldigung vieler enttäuschter Menschen; doch erklärt sie keineswegs die Entstehung der „Islamischen Republik“ als eines charismatischen Typs der Herrschaft. Sie vernachlässigt die unterschiedliche normative Bewusstseinsverfassung und das damit verbundene Verfassungsbewusstsein der Anhänger von Aj. Khomeini und ist daher nur möglich, wenn man den eigenen Bewusstseinsaufbau und die eigenen Denkformen selbstverständlich auf die sozialen Träger des Khomeinismus als eigene Untersuchungsobjekte überträgt und folglich das einem selbst vertraute Verfassungsbewusstsein und die entsprechende normative Bewusstseinsverfassung als universell unterstellt. In der Tat waren, abgesehen von einer kleinen Anzahl von Iranern, die meisten Unterstützer der Staatskonzeption Khomeinis nicht informiert über die Struktur solch einer Herrschaftsform; eine Feststellung, die selbst erklärungsbedürftig ist. Zu erklären wäre also, warum die Menschen trotz mangelnder Information über die Gestalt der Islamischen Republik Aj. Khomeini folgten. Verständlich wird dieses Wahlverhalten nur, wenn man die narzisstischen Verschmelzungsphantasien der auf einen charismatischen Führer orientierten Massenindividuen berücksichtigt. Diese Individuen ersetzten ihr eigenes Ich-Ideal durch den charismatischen Führer und schufen die Islamische Republik, indem sie sich über ihn miteinander identifizierten und dadurch seine Massenbasis bildeten.

 

In der Tat entstand die Massenbasis des Khomeinismus in Folge einer mit der Modernisierung einhergehenden funktionalen Demokratisierung der Gesellschaft und der Erfahrung der neuen eigenen Machgewichte seitens der in „Bürger“ transformierten vormodernen Untertanen, die aus ihrer persistierenden „symbiotischen Identität“ heraus sich für die „Islamische Republik“ entschieden, deren Verfassung erheblich von dem ebenfalls islamisch geprägten demokratischeren Verfassungsentwurf des Revolutionsrates abwich. Mit ihrer Moralbestimmung, die keine Unterscheidung zwischen Moral, Recht und Religion kennt, attackierte ihre Bewegung – als ein zivilisatorischer Gegenschub65 in Gestalt der Ritualisierung der Politik – die moralische Entwicklung der iranischen Gesellschaft in Richtung auf eine „gewissensethische Moralbestimmung“. Letztere war mit der Modernisierung der Gesellschaft in der Entstehung und zwar als Folge der allmählichen Differenzierung der Moral von Recht und von Religion. Eine Entwicklung, die mit der Funktionsreduktion der Geistlichkeit als sozialer Personalunion dieser Funktionen einherging. Diese Entwicklung entfesselte eine chiliastisch geprägte nativistische Bewegung von Menschen66, die sich aus den Spannungen zwischen archaisch-islamischen und modernen Wirkungszusammenhängen und Durchsetzungsformen der Moral speiste, welche sich aus den – sich durch die „Modernisierung“ der Gesellschaft verstärkten – Ungleichzeitigkeiten der Entwicklung ergaben. Die unterschiedliche Geschwindigkeit und Intensität ihrer individuellen Modernisierung im Sinne der Transformation ihrer sozialen Persönlichkeitsstruktur führte zu sozialen Konflikten zwischen den Menschen, die nicht nur über jeweils unterschiedliche Machtchancen verfügten, sondern auch mehr oder weniger diese historisch verschiedenen Obligationstypen bzw. Realisierungsmöglichkeiten normativer Verbindlichkeiten repräsentierten.

 

In ihren Selbstwertbeziehungen verstrickt, stigmatisierten sich diese vorrevolutionären machtstärkeren und machtschwächeren sozialen Gruppen gegenseitigen als „Reaktionäre“ und „Verwestlichte“. Aus diesem Abwehrkampf heraus und getragen von der Angst, endgültig unterzugehen, entstand die selbstwertrelevante Bewegung der machtschwächeren Menschen, die den Islam – wie sie ihn jeweils verstanden – als symbolischen Repräsentanten ihrer als eigen definierten Werte und als Objekt ihrer Hingabe demonstrativ hervorhoben. Verstärkt wurde der Impetus solch einer nativistischen Bewegung als Folge einer, mit der Landreform einhergehenden, massiven sozialen Differenzierung der Gesellschaft. Sie ging einher mit der Desintegration vormoderner Integrationseinheiten, d. h. der über fünfzigtausend weit verstreuten Dörfer, und damit zunächst mit einer Entwicklung der Gesellschaft von einer enger integrierten Gruppe zu einer lockerer integrierten. Solch eine Entwicklung kann von den betroffenen Menschen als ein moralisches Chaos erfahren werden. Diese quasi-apokalyptische Erfahrung einer anomischen Phase der Gesellschaft schaffte jene allgemeine Stimmungslage, in der die apokalyptische Weltabgeschiedenheit eines quietistischen Chiliasmus der Mehrheit der Menschen in einen chiliastischen Aktivismus umschlug und den Khomeinismus und den ihn vertretenen charismatischen Führer hervorbrachte.

 

Als eine Art Integrierungskonflikt bzw. Integrierungsspannung der Menschen, deren Persönlichkeitsstruktur sich mehr oder weniger langsamer wandelte als die Gesellschaftsstruktur, führte solch eine soziale Bewegung, im Sinne des Nachhinkeffekts des sozialen Habitus der Mehrheit der Bürger, zur institutionellen Ent-Demokratisierung der sozialen Kontrolle und verleitete die außenstehenden Beobachter zu Fehlurteilen über den Islam als scheinbar unwandelbare Erscheinung jenseits und unabhängig von den sich wandelnden Muslimen.

 

Diese voreiligen Schlussfolgerungen entstehen u. a. deswegen, weil nicht selten keine Unterschiede gemacht werden zwischen „latenter“ bzw. „funktionaler“ Demokratisierung und „manifester“ bzw. „institutioneller“ Demokratisierung. Daraus folgt in der Regel eine Gleichstellung „der“ Demokratie, die als statischer Zustandsbegriff einer parlamentarischen Parteiendemokratie verstanden wird, mit ihren symptomatischen Aspekten, um in einem Vergleich ihre Inkompatibilität mit „dem“ Islam nachzuweisen.67

 

Khomeinismus als ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus als Funktion der Modernisierung

 

Einer der zentralen Aspekte der Modernisierung ist eine soziale Differenzierung, die mit entsprechenden Desintegrationsprozessen und sozialen Auf- und Abstiegsprozessen einhergeht. Diesen langfristigen Trend in Richtung auf größere Differenzierung aller gesellschaftlichen Funktionen, die sich u. a. durch die Zunahme spezialisierter Tätigkeiten anzeigt, beobachtet man nicht nur in den weniger entwickelten Gesellschaften. Was diesen Prozess gegenwärtig besonders in diesen Gesellschaften auszeichnet, ist der massive Schub dieser Spezialisierung gesellschaftlicher Tätigkeiten, die als zunehmende gesellschaftliche Arbeitsteilung gemeinhin bekannt ist. Dieser Schub ist u. a. statistisch anhand der zunehmenden Zahl der Berufe feststellbar.

 

Vergleicht man die ältesten und als solche die einzigen überhaupt für den Iran verfügbaren Zahlen der statistisch erfassten Berufe, die 1933 zum ersten Mal nur für Teheran erhoben wurden, mit der entsprechenden Anzahl der 1976 für den gesamten Iran gezählten Berufe, so kann man sich eine grobe Vorstellung von der beruflichen Spezialisierung in diesem Zeitraum machen. In dieser Periode stieg die Anzahl von 549 Berufen in der Hauptstadt mit den für das gesamte Land typischen agro-städtischen Merkmalen auf 1.847 Berufe im ganzen Land. Das bedeutet, dass unmittelbar vor der Revolution die Anzahl der Berufe sich innerhalb von 43 Jahren fast vervierfacht hatte. Dieser Schub der beruflichen Spezialisierung verstärkte sich sogar seit Mitte der siebziger Jahre und setzte sich weiter massiv fort. Ihre Zahl stieg 1987 auf 4.267 Berufe. Sie erhöhte sich innerhalb von 11 Jahren, d. h. gegenüber 1976, um das 2,3-fache. Das zentrale statistische Amt Irans ergänzte sogar 1995 diese Zahl der feststellbaren Berufe um weitere 1.013 gegenüber 1987. Damit stieg die Zahl der im Iran festgestellten Berufe allein zwischen 1976 und 1995 von 1.847 auf 5280. Es entstanden also ca. 3 Mal mehr Berufe während dieser 22 Jahre bis 1995. Innerhalb der letzten 62 Jahre verzehnfachte sich die Zahl der Berufe seit 1933. Diese quantitative Zunahme der beruflichen Spezialisierung insgesamt ist nicht nur Folge der neu entstandenen Berufe. Viele Berufe verloren bzw. verringerten auch ihre Funktion in derselben Zeitspanne. Nach der Revolution entstanden sogar viele inzwischen vergessene Berufe wie z. B. der Beruf der weiblichen und männlichen Sittenwächter, während einige wie z. B. die Geistlichkeit eine Funktionserweiterung erfuhren.68 Dieser Schub sozialer Differenzierung, der mit einer enormen jährlichen Zuwachsrate der Bevölkerung von durchschnittlich ca. 3 % zur erheblichen Zunahme des Komplexitätsgrades der Gesellschaft führte, war eine Begleiterscheinung von Kommerzialisierungs-, Industrialisierungs- und Säkularisierungsprozessen einer sich verstaatlichenden Gesellschaft. Diese setzten als Funktion eines massiven Globalisierungsschubes vor allem seit dem zweiten Weltkrieg ein.69

 

Als Funktion der Kommerzialisierung (vor allem des Grund und Bodens im Zuge der Landreform seit Anfang der sechziger Jahre), der Industrialisierung (und der damit einhergehenden zunächst formellen Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapital), sowie der Säkularisierung des Erziehungs- und Rechtswesens (die zur tendenziellen Ent-funktionalisierung der Geistlichkeit als früherem Funktionsträger in diesen Bereichen führte) ging also eine soziale Differenzierung einher, die mit der Desintegration der agrarischen und tribalen Integrationsebenen nicht nur zu einem wahrnehmbaren Schub der Urbanisierung im Sinne einer Verdörflichung der Städte durch die Landflucht der bäuerlichen Massen und einer Hypertrophie des tertiären Sektors führte70. Gleichzeitig führte sie auch zu einer funktionalen Demokratisierung und einer, von den Betroffenen als moralisches Chaos wahrgenommenen, längeren anomischen Phase der Gesellschaft.

 

Im Laufe dieser Gesellschaftsentwicklung in Richtung einer zunehmenden Differenzierung und Spezialisierung der gesellschaftlichen Positionen und Funktionen veränderte sich nicht nur die Art und der Grad der Abhängigkeiten zwischen den Menschen (aus den ehemaligen bäuerlichen Untertanen wurden z. B. entweder kleine Grundeigentümer, Tagelöhner, fliegende Händler oder aber auch Industriearbeiter, Handwerker usw.). Durch die fortschreitende Funktionsteilung wurden außerdem die Interdependenzketten, die Menschen aneinander binden, immer länger. Dadurch wurde der Einzelne aufgrund der Eigentümlichkeit seiner Funktionen zur Befriedigung existentieller Bedürfnisse auf immer mehr Menschen angewiesen (In unserem Falle stieg z. B. diese Zahl von 549 auf 5.280 Funktionen). Die Veränderung der Abhängigkeiten in diese Richtung bedeutete eine Verringerung der Machtdifferentiale zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten und Gruppen der Gesellschaft, solange sie in den sich ständig wandelnden Funktionskreislauf dieser Gesellschaft miteinbezogen blieben. Mit dieser spezifischen Verlagerung der Machtgewichte veränderten sich daher nicht nur die Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern, Männern und Frauen, verschiedenen ethnischen und konfessionellen Gruppen,71 sowie sonstigen sozialen Formationen. Auch die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Regierten und Regierenden veränderten sich: Die Regierenden, jene Gruppe, die den Zugang zu den in der Gesellschaft vorhandenen Machtressourcen und die Verfügung über diese besaß, wurden immer abhängiger von den Außenseitergruppen, die vom Zugang zu diesen Machtchancen ausgeschlossen waren. Diese Veränderung der Machtstrukturen, diese funktionale bzw. latente Demokratisierung72 im Sinne einer Verringerung der Machtdifferentiale zwischen Menschen in unterschiedlichen sozialen Positionen vollzog sich zwar real; doch wurde sie von den betroffenen Menschen nicht angemessen erfahren und konnte damit nicht zur entsprechenden Institutionalisierung dieser veränderten Machtbalance drängen. Daraus ergibt sich eine Konstellation, in der die Dynamik ungeplanter sozialer Prozesse über eine bestimmte Stufe hinaus in Richtung auf eine andere treibt, während die von dieser Veränderung betroffenen Menschen in ihrer Persönlichkeitsstruktur, in ihrem sozialen Habitus auf jener früheren Stufe verharren73: Die gemeinsame gesellschaftliche Ausprägung ihres individuellen Verhaltens, ihrer Sprache und Denkweise, ihrer Gefühlslage und vor allem ihrer Gewissens- und Idealbildung – kurz: das Grundschema ihrer Persönlichkeit – veränderte sich im Vergleich zur relativ rapiden sozialen Differenzierung langsamer. Die loyalitäts- sowie generations- und geschlechtsspezifischen Konflikte waren als „Übergangskonflikte“ ebenso Ausdruck eines solchen Nachhinkens des sozialen Habitus wie sie sich in romantischen bzw. fundamentalistischen Bewegungen manifestierten. Vor allem die Vorstellung der sozial aufgestiegenen ehemaligen Untertanen im Modernisierungsprozess von der moralischen Ordnung der Autorität, die sie als Folge einer relativ langsamen Veränderung ihres besonderen Glaubens an die Legitimität der Herrschaft mit sich trugen, erhob Aj. Khomeini zu seiner unanfechtbaren Führungsposition einer revolutionären Umwälzung, dessen Konzept der Rechtsgelehrtenherrschaft institutionell verankert wurde.

 

Die verfassungsmäßige Verankerung der charismatischen
Herrschaft Khomeinis als institutionelle Ent-Demokratisierung

 

In der Tat führte die Institutionalisierung der charismatischen Führerschaft Khomeinis mit der revolutionären Ersetzung der “Konstitutionellen Monarchie” durch die “Islamische Republik” zu einer institutionellen Ent-Demokratisierung des iranischen Staates: Die Volkssouveränität (Art. 26 & 30 “Supplementary Constitutional Law of October 8, 1907”, demnächst nur EVG) wurde durch Gottes Souveränität ersetzt, dem allein Herrschaft und Gesetzgebung zukomme (Art. 2, 56 der Verfassung der Islamischen Republik Iran, demnächst nur VIR) und dessen Statthalter auf Erden nur ein Theologe sein darf, der, als absoluter Herrscher, Gottes Gesetze verkünden und sanktionieren darf (Art. 5, 57, 110 VIR). Entsprechend wurden selbst die gesetzlich eingeschränkten Menschen- und Grundrechte der vorrevolutionären Verfassung (Art. 15, 18, 20 EVG) durch die Pflichten der Menschen Gott gegenüber ersetzt, dem sich die Menschen bedingungslos zu unterwerfen haben (Art. 2 Abs. 6 VIR). Zudem wurde die Rechtsgleichheit der Menschen und ihre Gleichbehandlung vor dem Gesetz (Art. 8 EVG) durch ihre Rechtsgleichheit als Gläubige (Art. 19 VIR) und deren Gleichbehandlung vor der Schari’a (Art. 20 VIR) ersetzt, die als ein von der Geistlichkeit kontrolliertes Standardkontinuum Menschen von unterschiedlichem Rechtsstatus kennt: Gläubige Männer als Vollmitglieder der Gemeinschaft, Frauen (Art. 21 VIR) mit reduzierten Rechten und schließlich die Schutzbefohlenen Nichtmuslime (Art.13 VIR), sowie Apostaten wie z. B. Bahais. Mit der fundamentalen Rolle der göttlichen Offenbarung für die „Gesetzgebung“, die nur mit ausdrücklicher Zustimmung eines dem „Parlament“ übergeordneten und von der Geistlichkeit dominierten „Wächterrats“ (Art. 96 VIR) möglich ist und der damit einhergehenden Monopolisierung der Definitionsmacht der Geistlichkeit für das, was göttliches Recht und Ordnung sei, wird die Souveränität des Volkes in Abrede gestellt, durch dessen revolutionäre Gewalt solch eine Verfassung überhaupt erst möglich war. Mit dem in der Verfassung hervorgehobenen Glauben an das „Imamat (Sendung eines Imams bzw. Geistlichen) und seine grundlegende und immerwährende Führungsrolle im Fortbestand der Islamischen Revolution“ (Art. 2, Abs. 5) wird die Ewigkeit des absoluten Machtanspruchs der Geistlichkeit in Gestalt des „Führers“ (rahbar) als die höchste Autorität des Staates festgeschrieben, dem jeder Mensch für alle Zeiten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet ist.

 

Dieses Recht wird vom Anspruch des 12. Imams auf die Führung der islamischen Gemeinschaft abgeleitet. Die Verfassung entspricht in diesem Punkt der von Aj. Khomeini und anderen chiliastischen Aktivisten unter den Geistlichen vertretenen Ansicht, dass die Gläubigen aufgrund ihrer Unmündigkeit unbedingt geführt werden müssen. Nach dieser „fundamentalistischen“ Interpretation der schiitischen Staatslehre der klassischen Zeit steht die faktische politische Herrschaft – und die religiöse Leitung der Gemeinde – nur einem leiblichen Nachfahren des vom Propheten zum „Imamat“ designierten Imam Ali zu. Da der Zwölfte aus der genealogischen Kette der Imame, Muhammad Al-Mahdi, 873 n. Chr. verschwand, riss die Ahnenreihe ab. Nach schiitischer Auffassung ist er jedoch nicht gestorben, sondern entrückt in die „große Verborgenheit“. Seine Wiederkehr wird erwartet und bis dahin obliegt die Führung der Gemeinde einem islamischen Theologen und Rechtsexperten (faqih). Diese Position bezieht nun auch Grundsatz 5 der Verfassung: „Während der Verborgenheit des Mahdi (Vali-ye asr) [...] obliegt in der Islamischen Republik Iran der Führungsauftrag (valayat-e amr) und die Führungsbefugnis der Gemeinde (valayat-e ummat) einem Theologen (Faqih), der gut beleumdet (adel) und tugendhaft ist, die Erfordernisse der Zeit kennt, der mutig und zur Führung befähigt ist, sowie von der Mehrheit der Bevölkerung als islamischer Führer anerkannt und bestätigt wurde.“ Er wird gemäß dem revidierten Grundsatz 5 der Verfassung durch einen „Expertenrat“ gewählt, der nur aus ausgewiesenen hochrangigen Theologen bestehen soll. Im Idealfall bleibt er, ohne „demokratische Kontrolle“ durch regelmäßige Wahlen, lebenslänglich bzw. so lange im Amt, solange er (gem. Grundsatz 111) imstande ist, seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen bzw. die im Grundsatz 109 erwähnten Voraussetzungen erfüllt.

 

Die Revision der Verfassung eliminierte sogar die ursprünglich vorgesehene Anerkennung der Mehrheit der Bevölkerung als eine der Legitimationsgrundlagen des „Führers“, wie diese praktisch durch die revolutionäre Erhebung Aj. Khomeinis zum unanfechtbaren Führer geschah. Mit ihrer Anerkennung wurde auch „die göttliche Souveränität“, vertreten durch den Führer, formell über die des Volkes gestellt. In dem Verfassungsentwurf des Revolutionsrates war – angesichts der unmittelbaren Erfahrung der revolutionären Eroberung der Macht durch das Volk – mit der Betonung der republikanischen Komponenten der Verfassung die Balance zwischen Traditionalisierung und Legalisierung der Herrschaft zugunsten der letzteren verschoben worden. Die endgültige Verfassung jedoch verschob mit der verfassungsmäßigen Verankerung der charismatischen Führerschaft Aj. Khomeinis diese Balance zugunsten der Institutionalisierung der Herrschaft der Geistlichkeit als einer legitimen Rechtsnachfolge des Propheten und der unfehlbaren zwölf Imame, ohne die republikanischen Komponenten gänzlich eliminieren zu können.

 

4.3 Zur verfassungsmäßigen Verankerung der charismatischen Führerschaft Aj. Khomeinis als einer charismatischen Herrschaft und als Beginn ihrer Veralltäglichung

 

Mit dieser verfassungsmäßigen Verankerung der Führerposition wurde zunächst einmal die persönliche charismatische Führerschaft Aj. Khomeinis als eine charismatische Herrschaft institutionalisiert, während seine im Grundsatz 109 aufgezählten charismatischen Eigenschaften74 als übertragbar auf andere Großajatollahs als seine Nachfolger festgeschrieben wurden. Bereits mit der Transformation der revolutionären persönlichen charismatischen Führerschaft Aj. Khomeinis in die charismatische Herrschaft der „Islamischen Republik“ vollzieht sich eine Transformation der charismatischen Autorität. Nun braucht Aj. Khomeini als Führer seine Anhänger nicht mehr zur Gefolgschaft bitten. Mit seiner institutionalisierten Befehlsgewalt als Führer der Islamischen Republik kann er Gehorsam fordern. Seine Gefolgsleute verwandeln sich in diesem Prozess zu seinen Untertanen, die ihm zwar möglicherweise deswegen immer noch folgen mögen, weil sie in ihm bestimmte charismatische Eigenschaften sehen; ihre Bereitschaft, seinem Befehl zu folgen, verwandelt sich jedoch in eine Gehorsamspflicht, der sie sich nicht mehr entziehen können ohne sich rechtswidrig zu verhalten. Ihre Gehorsamsverweigerung kann nunmehr als „Rebellion gegen Gott“ verfolgt und bestraft werden. Damit verwandelt sich der charismatische Aufstiegstyp der Herrschaft zugleich in einen Erhaltungstyp von Herrschaft.

 

Zur Institutionalisierung der charismatischen Herrschaft als ihre Veralltäglichung im Sinne eines Amts-Charismas der Geistlichkeit

 

Die Nachfolgeregelung im Bewusstsein, erhoben die Verfassungsväter im Grundsatz 10775 die erlebten charismatischen Eigenschaften Aj. Khomeinis zu „Voraussetzungen und Eigenschaften des islamischen Führers bzw. der Mitglieder des Führungsrates“ der „Islamischen Republik“ wie sie im Grundsatz 109 vor der Änderung aufgezählt wurde: „1. Wissenschaftliche und den islamischen Tugenden entsprechende Fähigkeit zur Erteilung von Rechtsgutachten und die Kompetenz als islamische Autorität; 2. Zur Führung ausreichend politische und gesellschaftliche Weitsicht, Tapferkeit, starke Persönlichkeit und Weisungsfähigkeit“. Damit wird die charismatische Herrschaft entpersonalisiert und als charismatische Herrschaft der Geistlichkeit in die Zukunft verlängert. In diesem Sinne verliert das Charisma die Bedeutung einer außergewöhnlichen persönlichen Begabung. Mit dieser verfassungsmäßigen Übertragung der persönlichen charismatischen Eigenschaften Aj. Khomeinis auf seine Nachfolger transformiert sich seine persönliche charismatische Herrschaft zugleich in ein traditionell begründetes Amts-Charisma der Geistlichkeit. Als Bedingung der Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft wird so die charismatische Autorität der Geistlichkeit unantastbar, wie unzureichend auch einzelne Geistliche sein mögen: „Erfüllt einer der Rechtsgelehrten die in Grundsatz 5 des Gesetzes erwähnten Voraussetzungen76 und wird er von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als islamische Autorität und Führer anerkannt und bestätigt, wie es bei dem geistlichen Oberhaupt und Führer der Revolution, dem Großajatollah Khomeini der Fall ist, so übernimmt dieser Führer die Führungsbefugnis und alle damit verbundenen Verantwortungen. Andernfalls beraten sich die vom Volk gewählten Experten und prüfen die islamische Autorität und die Führungseigenschaft der in Frage kommenden Person. Sollten sie eine islamische Autorität zur Führung als besonders geeignet erachten, so empfehlen sie diese Person dem Volk als islamischen Führer; andernfalls bestimmen sie 3 oder 5 islamische Autoritäten mit den erforderlichen Führereigenschaften als Mitglieder des Führungsrates und empfehlen sie dem Volk.”77

 

Entscheidend ist aber, dass der Nachfolgeanwärter nicht nur praktische „Führungseigenschaft“ aufweisen muss; er muss vor allem „Wissenschaftliche und den islamischen Tugenden entsprechende Fähigkeit zur Erteilung von Rechtsgutachten (fetwa) und die Kompetenz als islamische Autorität (Marja-e Taqlid)“ besitzen. Diese Hervorhebung der Marjaiyat (seine Vorbildfunktion für die Gläubigen) als entscheidendes Kriterium der Nachfolgerschaft entsprach der khomeinistischen Legitimationslogik der Herrschaft der Rechtsgelehrten und damit des Amts-Charismas. Wenn demnach das islamische Recht und dessen immanentes Lösungspotential für alle menschlichen Probleme die Legitimationsgrundlage der „Islamischen Republik“ bildet, muss demjenigen die Führung des Staates zukommen, der am kompetentesten in der Rechtsfindung im Rahmen der Schari’a ist. So kann niemand außer einem Großajatollah oder einem Rat, bestehend aus 3 bis 5 gleichrangigen Großajatollahs, für dieses Amt in Frage kommen. Nur diese wären der Nachfolgerschaft des Propheten und der 12 unfehlbaren Imame würdig. Selbst sie wären nur dann geeignete Nachfolgekandidaten, wenn sie auch die ursprünglich als sekundär hervorgehobene zweite Voraussetzung, die „erforderlichen Führungseigenschaften“, erfüllten. Wer also diese Voraussetzungen erfüllt, kann Befehlsgewalt erlangen und damit Rechtsanspruch auf die Gehorsamspflicht der gläubigen Staatsbürger erheben.

 

Zur Designierung und Resignierung Montazeris als Nachfolger und der Notwendigkeit einer Verfassungsreform

 

Mit der Designierung Aj. Montazeris zu seinem Nachfolger, kurz nach der Konstituierung der „Islamischen Republik“, überträgt Aj. Khomeini die im Grundsatz 109 festgeschriebenen religiösen und politischen Eigenschaften des Führers auf ihn. Damit bestätigt er ihm die Erfüllung der notwendigen zweifachen „Voraussetzungen und Eigenschaften des Führers“. Am 29. März 1989 führte jedoch seine zunehmend kritische Distanz zum Establishment der Islamischen Republik, vor allem aber seine öffentliche Kritik der massenhaften Hinrichtungen während des Krieges und nach dem Ende des Krieges, schließlich zum unfreiwilligen Rücktritt Montazeris von seiner Position als designierter Nachfolger Khomeinis. Der Druck zum Rücktritt wurde damit begründet, dass er durch seine praktische Haltung bewiesen habe, dass er nicht über jene Eigenschaften verfüge, die zur Führung des höchsten Amtes in der „Islamischen Republik“ benötigt werden. Er wäre zu gutmütig, naiv und äußerst leicht beeinflussbar. Mit dieser Enteignung der charismatischen Eigenschaften ermahnte ihn gleichzeitig Khomeini, der seinen Rücktritt annahm, sich von „unlauteren“ Elementen zu distanzieren und diese aus seinem Umfeld zu entfernen.

 

Montazeris kritische Stellungnahmen gegenüber der bisherigen Herrschaftspraxis der Rechtsgelehrten und die Verbindungen, die er mit als „Konterrevolutionäre“, „Liberale“, „Heuchler“ und „Verräter“ stigmatisierten Gruppen und Personen eingegangen war bzw. die er um seine Person herum geduldet hatte, hatten die Furcht des Establishments genährt, dass zumindest die Alleinherrschaft der islamischen Rechtsgelehrten nicht mehr garantiert wäre, sollte er jemals die Führung übernehmen.

 

Mit seiner Absetzung entstand aber zugleich für den Bestand der „Statthalterschaft der Rechtsgelehrten“ (welayat-e faqih) eine nicht minder problematische Lage, wollte man der geltenden Verfassung folgen. Gemäß dieser durfte das Amt des Führers (rahbar) nur von einem Großayatollah (ayatollah ol-ozma), d. h. von einem als „Instanz der Nachahmung“ (marja-e taqlid)78 anerkannten Ajatollah bekleidet werden. Montazeri war aber der einzige, unter einem halben Dutzend existierender, Großayatollah, der sich auf der Linie des schiitisch-chiliastischen Aktivismus Khomeinis, auf der „Linie des Imam Khomeinis“ befand. Damit wurde eine Neuordnung der Nachfolgerfrage eine unabdingbare Notwendigkeit der Veralltäglichung der Herrschaft. Der einzig gangbare Weg für die Erhaltung des bestehenden Machtgefüges, angesichts des Fehlens eines geeigneten qualifizierten Nachfolgers als islamische Autorität und Führer, bestand demnach in der Anpassung der Verfassung an die Realität. Dabei konnten gleichzeitig einige Kompetenzunklarheiten und Überschneidungen in der bestehenden Organisation der Herrschaft beseitigt und das politische System gestrafft werden. Diese Verfassungsänderungen umfassten zudem die Zentralisierung der Befugnisse der Exekutive und Judikative, sowie die verfassungsmäßige Verankerung des, aus vorausgehenden internen Machtkämpfen der Kerngruppen der Herrschaft geborenen, „Schlichtungsrates“ (schora-je maslehat-e nezam) als Beratungsorgan des Führers. Darüber hinaus betraf die Verfassungsänderung die Abschaffung des Shora-Systems (Rätesystem) als revolutionäres Relikt, eine Regelung für Verfassungsänderungen, die Änderung des Parlaments als „Nationale Ratsversammlung“ in „Islamische Ratsversammlung“, die Anpassung der Zahl der Parlamentsmitglieder an das Bevölkerungswachstum und die geographische Mobilität, sowie die Neuregelung der Kontrolle der elektronischen Massenmedien.79 Die Entscheidung zu einer Revision der Verfassung traf Khomeini schließlich am 24. April 1989 mit der Ernennung eines 20-köpfigen Komitees zur Ausarbeitung einer Vorlage, zumal die Verfassung keine diesbezüglichen Verfahrensregeln vorsah.

 

Zur Richtungsbestimmung des Veralltäglichungsschubes des Amts-Charismas durch die Verfassungsrevision.

 

Bei der Revision der Verfassung sind vor allem jene Änderungen für die Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft entscheidend, die mit der Eliminierung der „Marjaiyat“, d. h. der „Fähigkeit zur Erteilung von Rechtsgutachten“ als wesentliche charismatische Eigenschaft des Führers, zu einem Veralltäglichungsschub des Amts-Charismas der Geistlichkeit als eines Erhaltungstypus der Herrschaft beitragen. Denn die Wahl eines einfachen Ajatollahs als Nachfolger Khomeinis bedeutet eine deutliche Verschiebung in der Legitimationslogik der Rechtsgelehrtenherrschaft. Damit wurde praktisch eine Trennung zwischen dem Amt des Führers und der Instanz der Nachahmung vollzogen, die ideologisch begründet werden musste. Das zu diesem Zweck gelieferte Legitimationsmuster transformierte jedoch den chiliastischen Aktivismus, den Aj. Khomeini als Legitimationsgrundlage der revolutionären Einführung der Schriftgelehrtenherrschaft geliefert hatte, in einen chiliastischen Quietismus.

 

In dieser Form existierte er schon seit Jahrhunderten als Legitimationsgrundlage der Akzeptanz, der als unislamisch angeprangerten Despotien. Auch jetzt legitimiert er die Erhaltung einer Herrschaft, die als eine charismatische entstand. Demnach wäre die Herrschaft (welayat) das wichtigste Prinzip der Führung einer islamischen Gesellschaft, hob u. a. Ayatollah Azari Qomi in einer Artikelreihe hervor. Die Existenz der Herrschaft sei so eminent, dass selbst wenn notgedrungen ein lasterhafter Ungläubiger sie ausüben würde, die Gläubigen die Pflicht hätten, ihm zu gehorchen. Entscheidend sei „das Wohl der Gesellschaft“, selbst wenn dies vorzugsweise durch einen „aufrichtigen und vertrauenswürdigen Ungläubigen“, ja sogar durch einen „lasterhaften und despotischen Ungläubigen“ gewährt wird: „Gott möge verzeihen, die absolute Herrschaft könnte sogar einem lasterhaften und despotischen Ungläubigen zuteil werden, der bei der Führung das Wohl der Gesellschaft relativ berücksichtigen würde.“80

 

Unter den gläubigen Herrschaftskandidaten stünde den Muslimen ein Spektrum von Wahlmöglichkeiten zur Verfügung. An einem extremen Pol solch eines Spektrums stünde der Prophet, in der Mitte ein Großayatollah und ganz am anderen Pol ein einfacher „Nachahmer“ (moqalled), „[...] der sich viele Kapitel der Rechtswissenschaft angeeignet hat und im Notfall die Möglichkeit des Lernens und Nachschlagens besitzt.“81 Von diesen Laien habe jeder das Recht, über die Muslime absolute Macht auszuüben, wenn eine geeignete Person zur Ausübung der Herrschaft fehle. Selbst vor die Wahl gestellt, einem Rechtsgelehrten ohne Führungsqualitäten die Staatsführung anzuvertrauen oder einem Laien mit Führungsqualitäten, müsste man sich für den letzteren entscheiden.82 Diese Legitimationsbemühungen der Möglichkeit eines Verzichtes auf Großayatollahs als Nachfolger bestätigte Aj. Khomeini in einem Brief von 29.4.89 an den Vorsitzenden des „Expertenrates“, Aj. Meschgini. Darin behauptete er, er hätte schon immer darauf insistiert, dass Ayatollah zu sein, keine Bedingung für das Amt der Führung sei.

 

Entscheidend sei, dass „wir für [...] unsere islamische Ordnung einen Sachwalter brauchen. Dazu müssen wir jemanden aussuchen, der in der Lage ist, unsere islamische Würde in der Welt der Politik und der List zu verteidigen.“ Ein gerechter Mojtahed (ein Geistlicher, der berechtigt ist, nach islamischem Recht Urteile zu fällen) würde hierzu schon ausreichen.83 Mit dem Verzicht auf den Vorbildcharakter des Führers und der Eröffnung der Möglichkeit, einen Mojtahed, als Führernachfolger zu bestimmen, wird ein weiterer pragmatischer Schub der Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft im Sinne einer praktischen Trennung von Marjaiyat (Vorbildcharakter) und Herrschaft eingeleitet.

 

Diese Loslösung des Staates von seiner ursprünglichen chiliastisch-aktivistischen Legitimation der Notwendigkeit seiner Existenz hatte jedoch weitgehende Konsequenzen für das Verhältnis der religiösen Autoritäten zum Staat, an dessen Spitze ein Rang niedrigerer Geistliche stehen kann, zumal die revidierte Verfassung keine Regelung für die Beziehung zwischen diesen beiden Instanzen vorsah. Es wurde als selbstverständlich beansprucht, dass sich die religiösen Autoritäten der Führung zu unterwerfen haben. So hob Rafsanjani, dem sich andere khomeinistischen Geistliche anschlossen, hervor, dass Gehorsam gegenüber dem vom Experten gewählten Führer für jeden ein Gebot sei.84 Der religiösen Autorität wurde nur in gottesdienstlichen und privatrechtlichen Angelegenheiten eine Eigenständigkeit eingeräumt. Sogar die im vorrevolutionären Staat übliche Praxis, religösrechtliche Abgaben wie das Fünftel des Einkommens der Gläubigen (Khoms) einzutreiben, wurde ihnen streitig gemacht.85

 

Legitimiert wurden diese Schritte mit der Notwendigkeit der Erhaltung des islamischen Staates. Mit der faktischen Erhebung der Staatserhaltung zum höchsten Prinzip des Islams reduziert sich zunehmend das Islamische an diesem Staat auf die Besetzung der Führungspositionen des Staates mit machtstärkeren Geistlichen. Der Islamische Staat verwandelt sich so in einen Interessenverband der in mehreren Machtblöcken zersplitterten etablierten Geistlichkeit als einer charismatischen Aristokratie. Die Verfassung ist für diese habituell sich unterscheidenden Kerngruppen der Macht daher insofern relevant, als sie die Machtverteilung unter ihnen mehr oder weniger regelt und dabei jener Dynamik pragmatisch Rechnung trägt, die sich aus den Struktureigentümlichkeiten der bisherigen Machtverteilung ergibt.

 

Entscheidend für die Richtung der Veralltäglichung im Sinne einer weiteren institutionellen Ent-Demokratisierung der Herrschaft ist jedoch die Abschaffung des im Grundsatz 5 der Verfassung vorgesehenen demokratischen Prinzips der Anerkennung und Bestätigung des Rechtsgelehrten als entscheidende Legitimationsgrundlage seines Herrschaftsanspruches. Der Führer leitet seinen Anspruch auf Gehorsamspflicht allein aus der Bestätigung seiner Autorität durch die geistliche Aristokratie ab. Es sind nunmehr allein die vom Volk gewählten Rechtsgelehrten, die im „Expertenrat“ die islamische Autorität und die Führungseigenschaften der in Frage kommenden Personen gem. Grundsatz 107 überprüfen und dem Volk als Führer „empfehlen“. Diese „Experten“ sind es auch, die gemäß Grundsatz 111 den Führer seines Amtes entheben dürfen, wenn er „nicht mehr imstande ist, seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen, oder wenn er eine der im Grundsatz 109 erwähnten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.“ Damit verschiebt sich institutionell die Machtbalance zwischen dem Führer, der geistlichen Aristokratie und dem Volk zugunsten einer nunmehr nur traditionell legitimierten Autorität der Geistlichkeit, mit dem Führer an deren Spitze.

 

Doch die von Aj. Khomeini praktisch ausgeübte absolute Macht und seine praktische Suprematie gegenüber der Verfassung wurden nicht in die revidierte Verfassung aufgenommen. Zudem wurden die Befugnisse des Führers präziser formuliert. Im Unterschied zur ursprünglichen Verfassung wurde aber in Grundsatz 107 der revidierten Fassung ausdrücklich erwähnt, dass der Führer im Besitz der Befehlsgewalt (welayat-e amr) ist. Er bestimmt nach Beratung mit dem „Feststellungsrat“ die allgemeine Ausrichtung der Politik im Lande und beaufsichtigt zudem deren Ausführung (Grundsatz 110). Das ihm ursprünglich zugestandene Recht, das Parlament aufzulösen, musste gestrichen werden, nachdem 108 Abgeordnete in massiver Form dagegen protestierten.86 Dem „Geist der Verfassung“ gemäß hätte er, entsprechend der „konservativen“ Lesart, weiterhin die Möglichkeit, als höchste gesetzgeberische Instanz zu wirken. In der Praxis hängt die Realisierung dieser Möglichkeit jedoch vor allem von den realen Machtchancen des Führers ab, die sich mit der Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Figuration der Menschen wandeln. Doch dieser autoritär-theoretische „Geist der Verfassung“, der selbst aus einer nachrevolutionären Machtbalance entstanden war, hatte sich bereits als Folge der Konkurrenzkämpfe der Kerngruppen der Herrschaft verstärkt.

 

Aus einer sich quasi absolut zugunsten Aj Khomeinis neigenden revolutionären Machtbalance, hatte er ursprünglich kraft seiner schier uneingeschränkten Autorität als Revolutionsführer die Chance, in umstrittenen gesetzgeberischen Angelegenheiten, wie z. B. der Gesetzgebung zur Landreform und zum Arbeitsrecht einzugreifen. Als Führer der Revolution hatte er zwar keine verfassungsmäßigen gesetzgeberischen Kompetenzen, in der Praxis galt er jedoch als die höchste Instanz auch in der Legislative. Diesem „Geist der Verfassung“ entsprechend war daher seine Autorität als Führer und als religiöse Autorität uneingeschränkt. Je dringlicher und häufiger ihn die zunehmend sich differenzierenden Kerngruppen der Herrschaft in ihren Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfen um ein Machtwort in Zusammenhang mit den umstrittenen Gesetzesentwürfen zur Lösung der anstehenden Probleme baten, desto mehr entfesselten sie jenen autoritär-hierokratischen „Geist der Verfassung“, als dominante Schicht des sozialen Habitus der Etablierten. Diesem „Geist“ entsprechend symbolisierte der Wortlaut der Verfassung bloß die absolute Herrschaft Gottes in der Person Khomeinis.

 

Die Einführung eines Vermittlungsausschusses als ein weiterer Schub der Veralltäglichung des Aufstiegstyps der Herrschaft im Sinne eines Erhaltungstyps der Herrschaft der Geistlichkeit

 

Bei den sozialen Trägern des Erfahrungsbildes, das sich mit dem Begriff der Verfassung der „Islamischen Republik“ verbindet, ist nach wie vor keine Bereitschaft zu erkennen, Entscheidungen grundsätzlich und durchgehend auf demokratischem Wege, d. h. durch die Stimme der Mehrheit, erfolgen zu lassen. Eine solche Regelung widerspräche dem Konzept des Islamischen Staates, der sich als eine Schriftgelehrtenherrschaft nicht durch Mehrheitsprinzipien, sondern nur durch die Shari´a legitimiere. Demnach muss jede Entscheidung – unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen – der Shari´a entsprechen, wie sie letztlich von den machtstärksten Geistlichen im „Wächterrat“ definiert wird. Diese Vorstellung führte zu einem „System der aufgestockten Gesetzgebungsorgane“, die mit dem Parlament die Volkssouveränität und mit dem „Wächterrat“ Gottes Souveränität repräsentieren sollten.

 

Zudem entschieden letztlich die realen Machtchancen und die Autorität der Inhaber der jeweiligen Staatsgewalten, welche Meinungen mit der Shari´a übereinstimmten, ob sie in Gesetzesform zu bringen waren und ob sie überhaupt als Gesetz dann auch tatsächlich ausgeführt wurden. Verzögerungen, Verwässerungen und Blockierungen der Gesetzgebung im Namen Gottes waren die Resultate dieser Organisationsform der Herrschaft. Aus pragmatischen Gründen und gestützt auf das im islamischen Recht anerkannte „Prinzip der Notwendigkeit“ (asl-e zarurat) erteilte Aj. Khomeini am 11. Oktober 1981 dem Parlament das Recht, in Notfällen Gesetzesentwürfe zu verabschieden, die die Bestimmungen der Schari’a vorübergehend außer Kraft setzen würden. Damit sollten die Einwände des Wächterrates gegen solche Gesetzesentwürfe, die als wesentlich eingestuft wurden und in der Tat die Sozial- und Wirtschaftsordnung der „Islamischen Republik“ bestimmen sollten, überwunden werden. Als diese Lösung auf den Einwand der Geistlichkeit stieß, dass man einigen Laien im Parlament nicht zubilligen könne, Bestimmungen der Schari’a außer Kraft zu setzen,87 ordnete Khomeini im August 1984 an, dass das Parlament nur mit Zweidrittelmehrheit derartige Entscheidungen treffen dürfe. Aber auch diese Anordnung brachte nicht den erwünschten Erfolg. Der Wächterrat fand Mittel und Wege, auch jene Parlamentsbeschlüsse zu Fall zu bringen, die auf dieser Basis gefasst wurden. Allein in der ersten Legislaturperiode (Mai 1980 bis Mai 1984) lehnte der Wächterrat ein Viertel der vom Parlament verabschiedeten Gesetzesentwürfe ab. Von 64 als „grundlegend“ qualifizierten Entwürfen fanden in dieser Periode sogar nur 33 die Zustimmung des Wächterrates. Der Anteil der Ablehnungen fiel in den ersten drei Jahren der zweiten Legislaturperiode noch dramatischer aus. Von 231 in diesem Zeitraum vom Parlament verabschiedeten Gesetzesentwürfen fanden 102 nicht die Zustimmung des Wächterrates.

 

Im Interesse der Verhinderung der Autoritätserosion Khomeinis und der institutionellen Überwindung der paralysierenden Wirkung solch einer Organisationsform der Herrschaft, wie sie sich aus der vorherrschenden Formation der Kerngruppen der Herrschaft ergab, kam es im Februar 1988 zur Proklamierung eines „Gremiums für die Feststellung der Interessen der Staatsordnung“ (marja-e tashkhis-e masslehat-e nezam), kurz: „Feststellungsrat“. Er sollte schlichtend eingreifen und pragmatische Entscheidungen im Sinne der Erhaltung der bestehenden Ordnung treffen. Dadurch sollte der Blockierung der zu diesem Zeitpunkt von der „progressiven“ Fraktion dominierten Legislative und Exekutive durch den Wächterrat entgegengewirkt werden, der durch die „konservativen“ Geistlichen kontrolliert wurde. Der Einführung dieses zunächst als Vermittlungsausschuss gedachten Gremiums ging aber eine Direktive Khomeinis voraus, die im Interesse der Erweiterung des Entscheidungs- und Handlungsspielraumes der Regierung, vor allem in Hinblick auf die Erfordernisse des Krieges, der Wirtschaftsentwicklung und nicht zuletzt des Wiederaufbaus gleichsam die Schari’a zumindest zeitweilig suspendierte: „Die Regierung, die ein Zweig der absoluten Statthalterschaft des Propheten Gottes ist, gehört zu den primären Bestimmungen des Islam und ist all den Bestimmungen, die den sekundären Zweigen zugerechnet werden (ahkam-e far’iye), selbst dem Gebet, dem Fasten, und der Pilgerfahrt vorangestellt.“88

 

Mit dieser pragmatischen Lösung des entstandenen verfassungs- und staatsrechtlichen Streites um die grundlegende Frage nach der Rechtsfindung in einem von der Schari’a geprägten System wurde ein weiterer Schub der Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft im Sinne eines Erhaltungstyps eingeleitet. Die Verkündigung dieser Direktive fand keineswegs ungeteilte Zustimmung. Vor allem große Teile der Geistlichkeit äußerten Vorbehalte zum einen aus grundsätzlichen theologischen Erwägungen: So seien weder die Fälle spezifiziert, in denen Anordnungen der Regierung aus Gründen des öffentlichen Interesses über das islamische Gesetz gestellt werden könnten, noch seien sie zeitlich begrenzt. Zum anderen werde der Regierung damit die Rechtsgrundlage für totalitäre Machtausübung an die Hand gegeben.

 

Um diesen Einwänden entgegenzuwirken, ordnete Khomeini am 6. Februar 1988 die Einsetzung des genannten Schlichtungsorgans zwischen Wächterrat und Parlament an. Mit der Verfassungsrevision wurde dieses, die Spitze des politischen Establishments umfassende, Schlichtungsorgan gemäß Grundsatz 112 verfassungsmäßig verankert und zugleich als Beratungsorgan des Führers institutionalisiert. Damit wurde nicht nur der Entscheidungsspielraum des Wächterrates pragmatisch eingeschränkt, sondern auch der des Führers, der nunmehr erst nach Beratung mit diesem Gremium die allgemeine Ausrichtung der Politik bestimmen darf (Grundsatz 110). Dies war in Zusammenhang mit der bevorstehenden pragmatischen Nachfolgeregelung unabdingbar geworden.

 

Zur Wahl Khameneis als Nachfolger durch den „Expertenrat“ als Veralltäglichung der Befehlsgewalt des Führers.

 

Am 3.Juni 1989 starb Aj. Khomeini, bevor die von ihm eingesetzte Verfassungsreform-Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hatte und die veränderte Verfassung durch ein Referendum am 28. Juli desselben Jahres bestätigt werden konnte. Trotzdem vollzog sich der Übergang von der khomeinistischen in die nach-khomeinistische Ära reibungsloser, als dies von vielen Beobachtern erwartet wurde. Aber damit vollzog sich auch eine weitgehende Veralltäglichung der Befehlsgewalt des Führers und eine entsprechende Umgestaltung des Herrschaftssystems.

 

Nach der gültigen Verfassung hätte ein Großajatollah oder ein Rat von Großajatollahs zum Nachfolger gewählt werden müssen. Aus pragmatischen Gründen und sich über diese Verfassungshürde hinwegsetzend, wählte der nach der revidierten Verfassung für die Wahl des Nachfolgers zuständige Expertenrat am selben Tag den amtierenden Staatspräsidenten Hojjat ol-Eslam (ein hoher Geistlicher bevor er Ajatollah wird) Ali Khamenei zum Nachfolger. Der neue Führer avancierte von diesem Augenblick an zum Ajatollah89. Dieser verfassungswidrige Akt, der zugleich als Transformation des persönlichen in ein Amts-Charisma begriffen werden kann, wurde anschließend entsprechend des Konzepts der absoluten Befehlsgewalt der Rechtsgelehrten wie folgt legitimiert: Diese Entscheidung entspricht, so Ajatollah Azari Qomi, wenn auch nicht dem Wortlaut, so doch dem Geiste der Verfassung.90 Khamenei habe, so Rafsanjani, genauso die Eignung zum Großajatollah wie Montazeri, als er von Aj. Khomeini zum Nachfolger gewählt wurde, obwohl er kein Großajatollah war.91 Zudem habe Khamenei deswegen diese Eignung, weil Khomeini, dessen Wort sowieso über dem Wortlaut der Verfassung stünde, seine Befähigung für dieses Amt mehrfach erwähnt hätte.92

 

Der Expertenrat, der ihn zum Führer gewählt hatte, so Ayatollah Azari Qomi, bestehe aus Religionsexperten, wodurch sie in der Lage seien, seine religiöse Eignung festzustellen.93 Ein Mojtahed, der zum Führer gewählt werde, erlange gleichzeitig die Position einer Instanz der Nachahmung. Der Expertenrat habe das Recht, Khamenei die Würde eines Großajatollahs zu verleihen, so wie er das Recht habe, ihm das Amt des Führers zu übertragen.94 Um jedes formale Legitimationsproblem auszuräumen, wählte der Expertenrat Khamenei nach Billigung der revidierten Verfassung, welche die Marjaiyat nicht mehr als Bedingung der Übernahme des Amtes des Führers enthält, erneut zum Führer.

 

Mit der Wahl Khameneis zum Führer erhob sich für die Kerngruppen der Herrschaft die Frage nach den Kompetenzen des Führers. Weil die aus der Krise entstandenen Machchancen eines charismatischen Führers mit der Institutionalisierung der Herrschaft entsprechend längst verteilt waren, stellte sich doch ein für die weitere Entwicklung der „Islamischen Republik“ wesentliches Problem: Wie kann einem Statthalter Gottes die absolute Macht vorenthalten werden, selbst wenn der Amtsinhaber über kein persönliches Charisma verfügt und angesichts der sich verschobenen Machtbalance innerhalb der elitären Kerngruppen und im Verhältnis zum weiteren sozialen Feld real nicht über solch eine Machtchance verfügen kann.

 

Aus diesem Dilemma heraus ergab sich zunächst eine Kompromisslösung, die sich pragmatisch aus zwei entgegengesetzten Positionen innerhalb der Kerngruppen der Herrschaft ergab: Auf der einer Seite standen die Befürworter einer Veränderung der Verfassung im Sinne einer absoluten Machtposition des Führers. In diesem Sinne repräsentierte Ayatollah Azari Qomi die Meinung derjenigen, die das Amts-Charisma des Führers betonten. Danach besitze jeder die absolute Herrschaftsgewalt, der vom Expertenrat zum Führer gewählt werde.95 Auf der anderen Seite schlug man mit Ayatollah Jennati die Streichung des Führeramtes aus der Verfassung vor und hob das Amts-Charisma der Geistlichkeit hervor, weil man das Prinzip der Führung, so wie es in der Verfassung stehe, langfristig nicht würde halten können.96 Demnach würde der Wächterrat ausreichen, um die Herrschaft der Schari’a über die Gesetzgebung zu garantieren.97

 

Zur Verschiebung der Balance zwischen Traditionalisierung und Legalisierung der Herrschaft seit den Präsidentschaftswahlen 1994 die zur Wahl Aj Khatami führte

 

Gegenüber diesen aristokratischen Positionen der Geistlichkeit entwickelte sich 1994 eine spontane Bürgerbewegung, welche die republikanischen Komponenten der Verfassung demonstrativ hervorhob. Diese Bewegung, die aus der Transformation der Selbsterfahrung der Menschen als Bürger entstand, entfaltete sich innerhalb des Handlungsspielraumes, wie er sich aus den Spannungen und Konflikten der Kerngruppen der Herrschaft ergab. Sie gewinnt ihre zunehmende Machtchance dadurch, dass diese Kerngruppen in ihren sich immer verschärfenden Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfen um die staatlichen Machtmonopole zunehmend auf die Unterstützung der Bürger angewiesen werden. Zudem verschafft ihnen die Widersprüchlichkeit der Verfassungsnorm den entsprechenden Legitimationsspielraum.

 

Als eine bestimmte Balance zwischen Kooperation und Konflikt der nachrevolutionären sozialen Gruppen, verkörpert die Verfassung der „Islamischen Republik“ in der Tat ihre sozio- und psychogenetischen Spannungen und Konflikte. Entstanden durch eine islamisch geprägte revolutionäre Massenerhebung gegen eine – wenn auch seit langem bereits suspendierte konstitutionelle – Monarchie eines aufgeklärten Despoten, institutionalisierte sie als Manifestation der Volksmacht das republikanische Prinzip und die verschiedenen Instanzen der Volksvertretung neben der Souveränität Gottes, vertreten durch die islamischen Rechtsgelehrten, welche die Führung der revolutionären Erhebung monopolisierten. Als eine spezifische Verflechtungsstruktur, die aus der Verflechtung des Verhaltens und Empfindens von vielen einzelnen Menschen erwachsen ist, reflektiert sie in ihrer Widersprüchlichkeit eine bestimmte Station des Lernprozesses der involvierten Menschen. In ihrer Gestalt manifestiert sich eine bestimmte Machtbalance, die aus einer funktionalen Demokratisierung und durch die krisenhafte Erfahrung der Menschen, d. h. aus einer allgemeinen Krisenlage der Menschen, entstanden ist.

 

Die Richtung der Lösung dieser immanenten Unstimmigkeiten der Verfassung, als Institutionalisierung der nachhinkenden sozialen Selbsterfahrung dieser Menschen, ist daher nicht nur allein abhängig von der Verschiebung der gesamtgesellschaftlichen Machtbalance im Sinne der funktionalen Interdependenzen, sondern sie hängt vor allem von Art und Grad der Erfahrung der involvierten Menschen als Einzelne und als Gruppen ab. Der angestrebte institutionelle Demokratisierungsversuch, der sich vor allem in den Präsidentschafts- und Kommunalwahlen 1997 massenhaft manifestierte, zeugte von einem neuen Schub der Selbsterfahrung, der sich zu mündigen Bürgern entwickelnden Iraner. Dieser Schub setzte mit dem Übergang von der khomeinistischen in die nach-khomeinistische Ära ein. Damit vollzogen sich eine weitgehende Veralltäglichung der Befehlsgewalt der Regierenden und damit eine Umgestaltung der Herrschaftsverhältnisse.

 

Sie vollzogen sich mit: 1. der Veränderung der Person des Herrschers; 2. der Veränderung der Zusammensetzung der Regierten, die allein schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass 1997 ca. 50 % der überdurchschnittlich jungen Bevölkerung erst nach der Revolution geboren wurde98, dass 50 % der ca. 20 Millionen Schüler und Studenten Frauen waren und die Analphabetenrate auf ca. 20 bis 30 % reduziert wurde; 3. der Differenzierung und Verschiebung der Figuration der Kerngruppen der Herrschaft, wie sie sich in ihrer neuen Formationen, in der Demokratisierung des Islamverständnisses und der damit einhergehenden Einstellung dieser Etablierten gegenüber den Regierten niederschlug, sowie in ihren vor allem als Selbstschutzmaßnahmen eingeleiteten Bemühungen zur Einschränkung der rechtsfreien Handlungsspielräume der Mächtigeren und in ihrem Ruf nach allgemeiner Partizipation und Rechtsstaatlichkeit; 4. der Verringerung des Grades der Fügsamkeit der Regierten als Ausdruck der habituellen Reduktion des Einflusses der eher konservativ geprägten Teile der Etablierten bzw. der habituellen Verschiebung der Machtbalance zwischen den Regierenden und Regierten zugunsten der letzteren, wie sie sich seit den Präsidentschaftswahlen Khatamis 1997 als Reduktion der sozialen Basis der absoluten Rechtsgelehrtenherrschaft bei 10 bis 15 % der Bevölkerung beobachten ließ99; 5. in der massiven Reduktion der subjektiven Akzeptanz der absoluten Rechtsgelehrtenherrschaft bei den Regierten, wie sie auch gegenwärtig durch öffentliche Diskussion und Infragestellung ihrer Legitimation zum Ausdruck kommt.

 

Diese zunehmende Erosion der Legitimität der absoluten Rechtsgelehrtenherrschaft, vor allem bei Jugendlichen, Frauen und Intellektuellen und die zunehmenden Unterschiede im beigemessenen Sinn und der zugesprochenen Bedeutung des Autoritätsverhältnisses durch die Regierenden und Regierten manifestierte sich auch in den letzten Wahlen. Die zunehmende Häufigkeit des zivilen Ungehorsams, wie sie sich selbst im sehr engen Rahmen der bestehenden Möglichkeiten – vor allem im Wahlverhalten der Mehrheit der Bevölkerung – wahrnehmen lässt, ist Ausdruck der Verschiebung der Balance zwischen der autoritär-hierokratischen und der republikanischen Komponente der Verfassungswirklichkeit der „Islamischen Republik“ zugunsten der letzteren.

 

Die massive Wahlfälschung 2009 zugunsten Ahmadinedjads Wahl zum Präsident und die Militarisierung der Gesellschaft in Form der Allgegenwart der „Revolutionswächter“ in der Öffentlichkeit statt deren zunehmender Kasernierung100, sind Ausdrücke dieser massiven Verschiebung der gesellschaftlichen Macht zugunsten der republikanischen Komponenten, deren Institutionalisierung mit aller Gewalt unterdrückt werden soll.

 

5 Zur Eskalation der nekrophilen Tendenzen in der Kerngruppe der Macht in der „Islamischen Republik“ Iran seit den letzten Wahlen.

 

Die blutige Niederschlagung der friedlichen Protestdemonstrationen seit dem 15. Mai 2010 gegen die massive Wahlfälschung, die Massenverhaftungen, Folterungen, Vergewaltigung der Gefangenen beider Geschlechtes und nicht zuletzt die große Zahl der Hinrichtungen sowohl in den Gefängnissen als auch in der Öffentlichkeit sowie die Militarisierung des Alltagsleben und die Allgegenwart der „Sicherheitsorgane“ und der paramilitärischen Gruppen sind die einzigen Mittel, die das Establishment zur Aufrechterhaltung der bestehenden Form der Herrschaft kennt. In die Enge getrieben, ist für diese Machthaber für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft anscheinend kein Mittel tabu.

 

Ein „Staat“, der seine Existenz der Ritualisierung der Straßenkämpfe verdankt, verweigert sogar die Herausgabe der Opfer seiner Gewalttätigkeit, begräbt sie heimlich in für „Apostaten“ reservierte Friedhofssektoren und untersagt jede Trauerversammlung, aus Angst, sie könnten Ausgang neuer Massenerhebungen werden. Unfähig selbst zu trauern, unterdrücken die letzten Kerngruppen der Macht sogar die Jahrtausende alte religiöse Tradition des Trauens der Hinterbliebenen um ihre getöteten Angehörigen.

 

5.1 Zur Unfähigkeit zu trauern als Psychogenese der Brutalität der nekrophilen Verhaltenstendenzen der letzten Kerngruppen der Macht.

 

Die Unfähigkeit zu trauern ist ein zentrales Problem aller „Islamisten“, weil es ihnen immer noch schwerfällt, Konsequenzen ihrer eigenen Handlungen zu akzeptieren. Diese selbstwertrelevante Unfähigkeit manifestiert sich nicht nur in ihren destruktiven Ich- und Wir-Idealen, die den nekrophilen Charakter der Selbstmord-Attentäter prägen. Sie scheinen mit ihrem ganzen emotionalen Sein das Rad der Geschichte zurückdrehen und die glorreiche Tage zurückbomben zu wollen, die ihenen scheinbar so plötzlich genommen worden sind. Weit davon entfernt, der Realität ins Auge zu sehen und sich zu bemühen, sie zu akzeptieren, sind sie in einen Kampf mit der Vergangenheit verstrickt. 101

 

Die gleiche Unfähigkeit zu trauern ist auch verantwortlich für den nekrophilen Charakter der letzten Kerngruppen der Macht, die den Verlust der Macht als Objekt ihrer Hingabe nicht verkraften können. Denn nicht nur der Verlust der Angehörigen, sondern auch der Verlust aller Objekte der Hingabe ist schmerzhaft und kann nur durch ein angemessenes Trauern überwunden werden.

 

Das kann man sich am besten vergegenwärtigen, wenn man sich jeden Menschen zu einer gegebenen Zeit als ein Wesen mit vielen Valenzen vorstellt, die sich auf andere Menschen und gemeinsame Objekte der Hingabe wie an ethnische, konfessionelle, staatliche Symbole, an Wappen und an gefühlsbeladene Begriffe als Orientierungs-, Kommunikations- und Kontrollmittel richten. Von denen haben einige in anderen Menschen und Objekten der Hingabe ihre feste Bindung und Verankerung gefunden, während andere Valenzen hingegen frei und ungesättigt, auf der Suche nach Bindung und Verankerung in anderen Menschen und Objekten sind.102

 

Durch die affektive Besetzung der gemeinsam geteilten symbolischen Repräsentanten der Objekte der Hingabe konstituieren sich Gruppen auf verschiedenen Integrationsebenen, die das auf unterschiedliche Integrationstypen erweiterte „Ich- und Wir“-Bewusstsein der Menschen ermöglichen, so auch die der Kerngruppen der Macht oder ihrer Massenbasis. Diese Verankerung individueller Valenzen in so großen gesellschaftlichen Einheiten hat sehr oft die gleiche Intensität wie die Verankerung in einer geliebten Person.

 

Auch in diesem Fall wird das einzelne, derart gebundene Individuum aufs tiefste erschüttert, wenn die geliebte Gesellschaftseinheit zerstört oder besiegt wird, an Wert und an Würde verliert.103 Die konfessionellen, ethnischen, nationalen oder parteipolitischen bzw. fraktionellen Bindungen sind verschiedene Bindungstypen. Sie alle haben aber eine gemeinsame Funktion für Menschen: Sie bilden ihre Angriffs- und Verteidigungseinheiten auf verschiedenen Integrationsebenen. Entscheidend für ihren nekrophilen oder biophilen Charakter ist die Balance zwischen der Angriffs- und Verteidigungsfunktion. Je mehr diese Balance zugunsten der Angriffsfunktion ihrer Integrationseinheit neigt, desto aggressiver und destruktiver sind sie in ihrer expansionistischen Orientierung.

 

Der nekrophile Charakter der Orientierung der letzten Kerngruppen der Macht, deren Reichweite der Identifizierung sich zunehmend begrenzt, konstituiert sich durch ihre affektive Bindung an die Macht- und Statusquellen, die sie inzwischen quasi monopolisiert haben. Ihrer „Logik der Emotionen“ folgend, bedeutet mehr Macht mehr Selbstwert, dessen Verlust genauso schmerzhaft ist wie der Verlust einer geliebten Person. Deswegen ist ihnen jedes Mittel für die Aufrechterhaltung dieser Selbstwertbeziehungen und zur weiteren Verschiebung der Machtbalance zu ihren Gunsten recht. Ihre selbstwertrelevante Destruktivität, ihre mehr oder weniger gewaltsame Exklusion ihrer früheren Kampfgefährten, ihre kompromisslose Verfolgung und Unterdrückung Andersdenkender sowie die Folterungen und Vergewaltigungen der ihnen hilflos ausgelieferten Gefangenen ist Funktion ihrer Unfähigkeit zu trauern. Denn jede Teilung der Macht- und Statuschancen erfahren sie als sozialen Abstieg und dem damit einhergehenden schmerzvollen Verlust von Selbstwert. Ihre affektiven Bindungen an diese leblosen Macht- und Statusquellen und ihre Unfähigkeit, solche für sie so unerträglichen Verluste zu betrauern, treibt sie zu ihrer skrupellosen und menschenverachtenden Aggressivität und Destruktivität.

 

5.2 Trauerarbeit als unverzichtbares Mittel emotionaler Entbindung

 

 

 

Gib Worte deinem Schmerz. Gram, der nicht spricht/Preßt das beladene Herz, bis dass es bricht“ (Shakespeare)104

 

 

 

Der Tod ist ein Problem der Lebenden. Tote Menschen haben keine Probleme.105 Man braucht kein Psychologe zu sein, um zu wissen, dass es wenige Ereignisse gibt, die Menschen so zusetzen wie der Verlust eines nahen und geliebten Menschen. Die gesunde Verarbeitung dieses Verlustes ist eine unabdingbare Voraussetzung der psychischen Gesundheit der Hinterbliebenen. Denn klinische Erfahrungen lassen keinen Zweifel daran, dass psychische Erkrankungen zu einem großen Teil Ausdruck pathogenen Trauerns sind. Zu diesen Erkrankungen zählen viele Fälle von Angstzuständen, Depression und Hysterie und auch mehr als eine Art der Persönlichkeitsstörung.106 Von daher hat jeder Kulturkreis eigene überlieferte Formen des Erlebens des Todes und der Trauerarbeit der Hinterbliebenen entwickelt, da Vorstellungen vom Tode und die zugehörigen Rituale jeweils selbst zu einem Moment der Vergesellschaftung gehören. Gleiche Vorstellungen und Riten verbinden Menschen, verschiedene trennen die Gruppen.107 Sie überliefern daher ritualisierte Formen der Verarbeitung der mit jedem solchen Verlust einhergehenden Formen emotionalen Schmerzens und der Störung des emotionalen Gleichgewichts, einschließlich Angst, Wut, Depression und emotionaler Loslösung.

 

Diese ritualisierten Formen der Trauerarbeit, wie die islamische, orientieren sich intuitiv an den vier Hauptphasen von Kummer und Trauer, wie sie die Forschung inzwischen beschrieben hat:

 

  1. Die Phase der Betäubung, deren Dauer gewöhnlich zwischen wenigen Stunden und einer Woche liegt und durch Ausbrüche extrem starken Schmerzens und/oder extrem starker Wut unterbrochen werden kann.

  2. Die Phase der Sehnsucht und der Suche nach der verlorenen Bindungsfigur, die einige Monate und oft Jahre dauert.

  3. Die Phase der Desorganisation und der Verzweifelung.

  4. Die Phase der mehr oder weniger erfolgreichen Reorganisation.108

 

Die Untersagung dieser Trauerarbeit, die in der islamischen Tradition mit der sofortigen Entstehung der Trauergemeinde um die Hinterbliebenen beginnt und mit der baldigen gemeinsamen Beisetzung der Toten fortgesetzt wird, verhindert die gesunde Überwindung der ersten Phase und leistet einer pathogenen Trauerarbeit und ihrer psychischen Folgen Vorschub. Die Untersagung der ritualisierten Versammlungen der Trauergemeinde am dritten, am siebten, am vierzigsten Tag und am Jahrestage des Todes, unterdrückt die Bedingung der Möglichkeit einer gesunden Überwindung der weiteren drei Phasen für die Hinterbliebenen und damit die Möglichkeit ihrer erfolgreichen Reorganisation ihrer Valenzfiguration.

 

Mit dem Verbot, über den Verlust der geliebten Menschen öffentlich zu kommunizieren, wird die für eine erfolgreiche Trauerarbeit notwendige Möglichkeit unterdrückt, eigene Gefühle auszudrücken. Denn es gibt heute genügend Beweise dafür, dass die stärksten und beunruhigendsten, durch einen Verlust hervorgerufenen Affekte, die Angst, verlassen zu werden, die Sehnsucht nach der verlorenen Person und die Wut, sie nicht finden zu können, sind. Es sind Affekte, die auf der einen Seite mit dem Drang verknüpft sind, die verlorene Person zu suchen und auf der anderen Seite mit einer Tendenz einhergehen, demjenigen wütende Vorwürfe zu machen, der in den Augen des Hinterbliebenen für den Verlust verantwortlich ist.109

 

Dieses mangelnde Mit-Leid mit den Qualen der Hinterbliebenen, diese extreme Verengung der Reichweite der Identifizierung der Kerngruppen der Macht und ihrer Handlanger mit den Mitmenschen manifestiert sich in einem unübersehbaren Schub der De-Zivilisierung der iranischen Gesellschaft. Diese machthungrigen, nekrophilen Menschen verbindet kein Gefühl der Gleichheit mit den Menschen, die sie verfolgen, gesetzwidrig inhaftieren oder zu falschen Geständnissen foltern bis sie sterben. Sie misshandeln und vergewaltigen hilflose Gefangene, verurteilen unschuldige Menschen zum Tode, um Angst und Schrecken zu verbreiten und eine Friedhofsruhe herzustellen.110

 

Diese vom Leblosen angezogenen Menschen scheinen zu glauben, unsterblich zu sein, weil sie sich mit ihren Mitmenschen als einer Gemeinschaft der Sterblichen nicht identifizieren können. Mit ihrer geringen Reichweite der Identifizierung vergessen sie, dass sie eine Staatgesellschaft als eine Angriffs- und Verteidigungseinheit vertreten, deren Zentralfunktion die Abwendung der Gefahr der Vernichtung der Regierten ist. Anstatt der Befriedung im Inneren, sind sie neben einer Bedrohung nach Außen auch zu einer inneren Bedrohung geworden.

 

Mit ihrem leidenschaftlichen Kampf gegen die Außenseiter und Andersgläubigen erinnern sie an die leidenschaftliche Wildheit des Gemeinschaftsgefühls und der Feindschaft, die in mittelalterlichen Gesellschaften überweltliche Glaubenssysteme und Inquisition entfesselten, weil sie Rettung vom Tode und ein unendliches Leben versprachen. Mit einem solchen unendlichen Leben im Paradies haben sie nicht nur im achtjährigen Iran-Irak-Krieg tausende von Menschen Leben verachtend über die Mienen laufen lassen. Sie lassen hilflose Studenten aus dem Fenster ihres Studentenheims oder Demonstranten von der Brücke werfen, mit dem Zuruf, ihre Taten mögen die Zufriedenheit ihrer Heiligen finden. Sie mobilisieren Menschen, deren Lebenslage am ungewissensten und am wenigsten kontrollierbar ist, für die Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Sie sind verhaftet an ein Glaubenssystem, das ihnen metaphysischen Schutz gegen die unberechenbaren Schläge des Schicksals und vor allem auch gegen die eigene Vergänglichkeit verspricht. Indem sie bewusst solche enormen Unsicherheiten und Unvorhersehbarkeiten des individuellen Lebenslaufes perpetuieren,111 reproduzieren sie die Abhängigkeit und Hingabe autoritärer Teile des „Prekariats“112 an die irdische Personifizierung dieses Glaubenssystem, dem sie als „Führer“ folgen.

 

5.3 Öffentliche Hinrichtungen als wahrnehmbares Zeichen eines weiteren Schubs der De-Zivilisierung

 

Für die Befriedigung ihrer nekrophilen Bedürfnisse, veranstalten die Kerngruppen der Macht, die zugleich den Justizapparat als politisches Mittel instrumentalisieren, öffentliche Peitschenstrafen, Steinigungen und Hinrichtungen in Landes- und Stadtteilen, deren Akzeptanz sie sich quasi sicher sind. Diese Institutionalisierung der öffentlichen Gewaltanwendung kennzeichnet einen massiven De-Zivilisierungsschub, während in den meisten Staatsgesellschaften im Verlauf der Zivilisierungsprozesse die drakonischen Strafen wie Todesstrafe abgeschafft wurden und Strafen zumeist im Sinne der Resozialisierung der Straftäter umgewandelt wurden.

 

Selbst in den Ländern, in denen die Todesstrafe praktiziert wird, wird sie nicht mehr in der Öffentlichkeit vollzogen. Dieser langfristige Wandel des Verhaltens der Menschen zu den Sterbenden und zum Tod113 ist einer der Aspekte des Zivilisationsschubes114, in dessen Verlauf alle elementaren, animalischen Aspekte des menschlichen Lebens, die für das Zusammenleben der Menschen wie für den Einzelnen Gefahren mit sich bringen, umfassender, gleichmäßiger und differenzierter als zuvor von gesellschaftlichen Regeln und zugleich auch von Gewissensregeln eingegrenzt werden. Sie werden je nach den Machtverhältnissen mit Scham- und Peinlichkeitsempfindungen belegt und in bestimmten Fällen, besonders im Rahmen des großen europäischen Zivilisationsschubes, hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens verlagert oder jedenfalls aus dem öffentlichen Gesellschaftsleben ausgesondert. Auch der Tod ist eine der großen bio-sozialen Gefahren des Menschenlebens. Gleich anderen animalischen Aspekten wird auch der Tod als Vorgang und als Gedanke während dieses Zivilisationsschubes in höherem Maße hinter die Kulissen des Gesellschaftslebens verlegt.115

 

Durch die Institutionalisierung der inhumanen Strafen in der Öffentlichkeit werden jedoch nicht nur die Verrohung der Gesellschaft, sondern auch die Empörung der zivilisierteren Teile der Bevölkerung gefördert, die zuweilen manche solcher Hinrichtungen verhindert haben. Die Entstehung diverser Menschenrechtsorganisationen im Iran manifestiert diesen allgemeinen Zivilisationsschub größerer Teile der zugleich zunehmend rechtsbewussteren Iraner als unbeabsichtigte Folge des herrschenden De-Zivilisierungsschubes. Dieser Zivilisierungsschub bedingt eine Verschiebung der Balance zwischen biophilen und nekrophilen Tendenzen der iranischen Gesellschaft zugunsten ersterer. Dies zeigt sich in Gestalt der gewaltlosen Protestaktionen der Mehrheit der Iraner, die ihre Lebens- und Menschenrechte erkämpfen wollen, gegen die nekrophile Herrschaftsform der „Islamischen Republik“. Der Sieg dieses Lebenskampfes hat das Potential eine weitgehende Humanisierung des Nahen und Mittleren Ostens auszulösen.

 

5.4 Zum Verbot des Musikunterrichts in den Schulen als Ausdruck einer Eskalation der Nekrophilie.

 

Mit der Konstitution der „Islamischen Republik“ und der damit einhergehenden Islamisierung des Alltagslebens wurden Musik und Musizieren entsprechend Aj. Khomeinis Befehl strikten Einschränkungen unterzogen.

 

Für Aj. Khomeini war Musik „Opium für das Volk“, denn sie beraube die Menschen ihrer Ernsthaftigkeit und führe zur Missachtung der Gestaltung ihres Schicksals, d. h. politisch zu handeln. Sie mache das Gehirn der Menschen krank und lenke sie ab von ernsthaften Angelegenheiten des Lebens. Sie führe zur Gleichgültigkeit gegenüber den Gegenwartsproblemen Landes wie bei einem Heroinsüchtigen.116 Aus diesem Grunde war für ihn vor allem die „leichte Musik“ („Motreb-Musik“), d. h. die lebhafte, fröhliche und vergnügliche Musik („lahw-o-lala’b“) als Mittel angenehmen Zeitvertreibes tabu. Selbst Herstellung und Verkauf von Musikinstrumenten, die für solche Musikart eingesetzt werden können, sei sündhaft.

 

Deswegen wurde die vorrevolutionäre Kunst und Musik als verdorben, dekadent und sündhaft aufgefasst und sollte durch eine „höhere Kunst“ (honare bartar) ersetzt werden; eine Kunstform, die das Märtyrertum und die Opferbereitschaft verherrlicht. Gerade das Märtyrertum wurde zur „unvergänglichen Quelle“ dieses Stils erklärt.117

 

Zur Förderung der nekrophil geprägten Kriegsmusik und Elegie seit dem Krieg

 

Diese nekrophile Musikrichtung wurde seit dem achtjährigen Iran-Irak-Krieg in Form von Elegie gefördert und für die Mobilisierung der „Kriegsfreiwilligen“ und der gegenwärtigen paramilitärischen Gruppen gegen die Opposition instrumentalisiert. Diese aus den unteren Schichten rekrutierten „Freiwilligen“ und die zu jeder Zeit mobilisierbaren paramilitärischen Jugendlichen sind geradezu prädestiniert für Elegien, da diese religiöser Herkunft sind und keiner Instrumentalbeteiligung bedürfen.118

 

Diese Klagelieder werden seit dem 15.Jh., als der Schiismus zur offiziellen Religion erklärt wurde, vor allem in den Prozessionen im Monat Muharram effektiv eingesetzt. Sie haben traurige, klagende Themen zum Inhalt und erinnern an das Martyrium Husains, des Neffen des Propheten.119 Neben dem Trauer- und Klagecharakter weisen sie eine sehnsuchtsvolle, schwermütige Grundstimmung auf. Sie sind eine Totenklage oder Gedichte über den ungerechten Tot dieser Märtyrer in Kerbala, die sie seit Jahrhunderten verherrlichen und über die sie sich miteinander als Massenindividuen identifizieren. Diese mitleiderregenden Klagelieder, die die Trauergemeinde zuweilen überwältigen, kompensieren das Selbstmitleid der sich zumeist aus dem Prekariat zusammengesetzten Trauenden.

 

Das Selbstmitleid, das in der Regel in prekären Situationen entsteht, in die Menschen mit ohnehin geringer Selbstachtung geraten, wird so rituell kompensiert. Dieses kompensatorische Selbstmitleid erspart ihnen neidvolle Vergleiche mit anderen, die für ihre Selbsteinschätzung gefährlich wären, und zügelt zugleich ihr gefährlich werdendes Ressentiment gegen diese Mächtigen. Sie kultiviert so ein schätzenswertes Selbstbild als Märtyrer, der als Ungerecht empfundenen eigenen Lebensumstände und reproduziert Märtyrerideologien verschiedener Prägung. Nach einer für sie wahrnehmbaren Verschiebung der Machbalance zu ihren Gunsten verwandelt sich dieses kompensatorische Mitleid in einen Hegemonialrausch und eine Gruppenkonstitution der „Opferbereiten“, die sich aus der identitätsstiftenden Funktion dieser Tradition ergibt.120

 

Es war diese identitätsstiftende Funktion dieser Prozessionen, die zur Ritualisierung des Aufstandes und zur Islamisierung der Revolution führte. So wurden Gedenkmärsche für die toten Märtyrer der vorausgegangenen Proteste zu wiederholten Protestdemonstrationen gegen das Schahregime. Denn im Islam wird nach dem Tod einer Person eine Trauerperiode von 40 Tagen eingehalten und durch eine Erinnerungsfeier am 40. Tage abgeschlossen. Doch nicht nur aus diesem islamischen Brauch, sondern auch aus den traditionellen Prozessionen im Trauermonat Mohammad sind 1978 und 1979 im Iran gewaltige politische Demonstrationen gewachsen.121 Aus diesem Grunde ermahnte Aj. Khomeini, der um die Mobilisierungspotentiale solcher Zeremonien Bescheid wusste, seine Kampfgefährten mit solchen Äußerungen: „Es ist das Blut vom ‚Herrn aller Märtyrer’ [seyed ol Schohada, gemeint ist Imam Husain], das das Blut aller islamischen Völker zum Kochen bringt. Es sind diese geehrten Aschura-Zeremonien, die bei den Menschen starke Emotionen hervorrufen und sie für den Islam und die Durchführung seiner Ziele vorbereitet“.122 Er fügte noch hinzu, dass unsere „Einigkeit des Wortes“ (vahdate Kalame), im Sinne seines Zentralkommandos der Revolution, ohne diese Zeremonien nicht möglich gewesen wäre.123 Sie förderten die Opferbereitschaft des Volkes,124 weswegen Aj. Khomeini Muharram als jenen Monat verherrlichte, in dem „das Blut das Schwert“ besiegt. (piruziye khun bar shamshir).125 In diesem Monat würden die Großmächte („Abarghodratha“) „dem wahren Wort“ (kalame hagh) unterliegen.126 Deswegen wurden nach der Revolution diese Prozessionen und sonstige Gelegenheiten, die solche Trauerriten zulassen, staatlich gefördert und im herrschaftsstabilisierenden Sinne kultiviert.

 

Die identitätsstiftende Bedeutung solcher Zeremonien und ihrer herrschaftsstabilisierenden Mobilisierungspotentiale für die Verhaltensteuerung der „Hisbollah-Milizen“ wird ersichtlich, wenn man ihre prägende Wirkung auf deren Realitätswahrnehmungsmuster berücksichtig. Sie mobilisieren tiefe Betrübtheit und Betroffenheit der Gläubigen, die den Tot Husains und seiner Begleiter beweinen, betrauern und beklagen. Sie versetzen die Trauergemeinde in eine Art Trance, die wie eine hysterische Ansteckung eine Massenhysterie der Menschen auslöst, die sich bei diesen Prozessionen sogar schwer verletzen können, wenn sie nicht daran gehindert werden.

 

Im Zentrum solcher Zeremonien stehen die gemeinsam gesungenen Elegien, die unweigerlich durch die Identifizierung der einzelnen Teilnehmer mit den „heiligen Märtyrern“ und dem Martyrium ihre nekrophilen Sehnsüchte mobilisiert und vertieft und dadurch den Kohäsionsgrad der Trauergemeinde fördert. Dieser relativ hohe Kohäsionsgrad der Trauergemeinden („Heiat“) wird zu eine ihrer zusätzlichen Machtquellen.

 

Zudem löst die Wiederholung der für die Verherrlichung des Krieges und dessen Märtyrer gesungenen Elegien bei den Veteranen des Krieges eine Art wehmütige Nostalgie aus und reproduziert ihre im Krieg mobilisierten nekrophilen Tendenzen. Sie werden hauptsächlich am Jahrestag der Befreiung Khorramshahr und der Vertreibung der irakischen Armee aus dem Iran massenwirksam eingesetzt.127

 

Zur affektiven Bedeutung der Klagelieder für die Teilnehmer der religiösen Zeremonien

 

Durch die permanente Teilnahme an solche Riten empfinden Menschen alles, was lebendig ist und von ihrem Lebensstil abweichend erscheint, als minderwertig und zugleich bedrohlich. Als Folge dieser rituellen Reproduktion ihrer beschränkten Reichweite der Identifikation mit anderen Menschen, stürmten die „Hisbollah-Milizen“ u. a. abermals die Studentenwohnheime, in denen eine für sie Angst auslösende Lebensform praktiziert wird. Ohne die Einbeziehung dieser extrem affektiv besetzten Ich- und Wir-Ideale kann das Ausmaß ihrer Aggression und Gewalttätigkeit gegenüber Andersdenkenden und Anderslebenden vor allem gegen Studenten sowie bei den Vergewaltigungen in den Gefängnissen nicht erklärt werden. Diese werden „für die Zufriedenheit Gottes“ ausgeübt, wodurch sie nicht nur ihre eigenen nekrophilen Neigungen, sondern auch ihr nekrophiles Gottesbild demonstrieren.

 

Diese nekrophilen Tendenzen, die durch solche Riten permanent aktualisiert werden, reproduzieren jene Modellierung des Affekthaushaltes, die als „Scham“ und „Peinlichkeitsempfinden“ wahrgenommen werden und jene Ängste auslösende Zivilisationsdifferentiale perpetuieren, die die „Hisbollah-Milizen“ jederzeit gegen Andersdenkende und Anderslebende mobilisierbar machen. Der selbstwertrelevante Stellenwert dieser Zivilisationsdifferentiale offenbart sich, wenn die ausgelösten Ängste berücksichtigt werden, die sich durch unterschiedliche Scham- und Peinlichkeitsschwellen ergeben. Denn „das Schamgefühl ist eine spezifische Erregung, eine Art Angst, die sich automatisch und gewohnheitsmäßig bei bestimmten Anlässen in dem Einzelnen erzeugt. Es ist oberflächlich betrachtet, eine Angst vor sozialer Degradierung, oder allgemeiner gesagt, vor den Überlegenheiten Anderer; aber es ist eine Form der Unlust oder Angst, die sich dann herstellt und sich dadurch auszeichnet, dass der Mensch, der die Unterlegenheit fürchten muss, diese Gefahr weder unmittelbar durch einen körperlichen Angriff, noch durch irgendeine andere Art des Angriffs abwehren kann.“128

 

Die extreme Gewaltbereitschaft der „Hisbollah-Milizen“ ist deswegen eine kompensatorische129 Reaktionsbereitschaft derjenigen Menschen, die sich so vor dieser Gefahr wehren können und dafür auch belohnt werden. Das ist auch der Grund, warum sie schamlos und ohne Schuldgefühle ihre nekrophilen Gewalttätigkeiten ausleben können. Diese kompensatorischen nekrophilen Gewalttätigkeiten werden verständlich, wenn berücksichtigt wird, dass ihr Über-Ich130, vor allem ihr Ich- und Wir-Ideal, kaum im Einklang mit der Selbstzwangsapparatur ihrer Aggressionsobjekte steht. Scham würden sie nur empfinden, wenn sie gegen ihre eigenen affektiv besetzten Verbote ihrer Wir-Gruppe verstoßen würden, deren Über-Ich, mehr oder weniger in Einklang miteinander steht. In diesem Fall würden sie als „Versager“ nicht nur Scham empfinden, die aus dem Konflikt zwischen ihrem „Ego“ und dem gemeinsam geteilten Ich-Ideal entsteht; sie würden zugleich die peinvolle innere Spannung spüren, die man Schuldgefühl nennt, die auftritt, weil sie etwas unternommen oder erlangt hätten, das elementare Triebkräfte (Es) in ihnen zwar wollen, von dem sie aber wissen, dass die offizielle Norm der eigenen Gruppe es missbilligt.

 

Ihre Aggression ist daher Manifestation ihrer Peinlichkeitsreaktion auf die Gefahr eines drohenden Zusammenbruchs ihrer mit Mühe und Not aufrecht erhaltenen Selbstzwänge. Denn Peinlichkeitsgefühle entstehen, „wenn jemand etwas außerhalb des Einzelnen an dessen Gefahrenzone rührt, an Verhaltensformen, Gegenständen, Neigungen, die frühzeitig von seiner Umgebung mit Angst belegt wurden, bis sich diese Angst – nach Art eines ‚bedingten Reflex’ – bei analogen Gelegenheiten in ihm automatisch wieder erzeugt. Peinlichkeitsgefühle sind Unlustgefühle oder Ängste, die auftreten, wenn ein anderes Wesen die durch das Über-Ich repräsentierte Verbotsskala der Gesellschaft zu durchbrechen droht oder durchbricht“.131 Dieser Gefahr des Zusammenbruchs ihrer Selbstzwangsinstanzen erwehren sie sich durch die Unterdrückung der sie als „Sünder“ erlebenden Andersdenkenden und Anderslebenden, anstatt ihre als „Sünde“ erlebenden eigenen Triebimpulse zu kontrollieren bzw. zu sublimieren. Es ist also ihre Angst vor der eigenen Übertretung ihrer gruppenspezifischen Verbote, die sie in Gestalt der für sie bedrohlichen Andersdenkenden und Anderslebenden als Stimuli so gewalttätig abwehren. Sei es in Form der gewaltsamen Verschleierung der Frauen, alltäglicher Terrorisierung der Andersdenkenden, Anderslebenden und Andersfühlenden oder aber auch der sadistischen Peinigung der ihnen hilflos ausgelieferten Gefangenen und der Vergewaltigungen der politischen Gefangenen sowie der Hinrichtungen.

 

Dazu bedürfen sie zugleich einer permanenten Reproduktion ihrer Selbstzwangapparatur, die sie zu den permanenten Teilnehmern der religiösen Trauergemeinde macht, in denen die Zwänge kollektiver Phantasien in Form von Geistern und den zugehörigen Mythen reproduziert werden. „Zu deren Funktion gehört die ständige Hilfestellung und Verstärkung relativ fragiler persönlicher Selbstzwangsinstanzen“132. Außerdem versuchen sie ihr mehr oder weniger stabiles forensisches Gewissen133 durch solche identitätsstiftenden und -stabilisierenden religiösen Zeremonien permanent zu konsolidieren. So entgehen diese autoritäreren Persönlichkeitstypen ihrer Furcht vor dem drohenden Verlust ihrer Selbstkontrolle und der damit einhergehenden Selbstliebe und Liebe oder Achtung derer, an deren Liebe und Achtung ihnen liegt: Gott, als ihrem forensischen Gewissen und dessen Stellvertreter auf Erden, des „Führers“, für deren Zufriedenheit sie jeden Andersdenkenden und Anderslebenden erbarmungslos verfolgen und unterdrücken. Denn abweichendes Verhalten und Erleben erfahren sie selbst als eine Angst auslösende Anomie134, eine Regel- und Zügellosigkeit und als ein moralisches Chaos, das sie als ein „Kampf gegen die göttliche Ordnung“ erleben.

 

Dieser als beängstigend erlebte anomische Zustand ist jedoch Ausdruck zunehmender Informalisierung des Verhaltens und Erlebens der zunehmend individualisierten Menschen, die zumeist Angehörige der „Mittelschicht“ sind. Während gleichzeitig die „Re-Islamisierung“ der Gesellschaft eine Re-Formalisierung des Verhaltens und Erlebens der Menschen anstrebt, was als Funktion der Fixierung an frühere Entwicklungsphasen der Zivilisation verstanden werden kann. Es ist der Nachhinkeffekt des sozialen Habitus der Islamisten.

 

Diese Zivilisationsdifferentiale manifestieren sich nicht nur im Verbot des Musikunterrichts. Mit diesem Verbot wird zwar versucht diese nekrophil geprägte, im Iran als „Nohe-Khani“ bekannte, Elegie als islamisches Genre dem, Zufriedenheit und Glücksgefühle auslösenden, lebendigen, kurz biophilen Musikstil verstärkt entgegenzusetzen. Diese Stilkonflikte werden entweder in gewaltsamer Islamisierung aller Lebensbereiche gelöst oder durch Demokratisierung der Staatsgesellschaft überwunden werden. Sie führen entweder zur strikten Formalisierung des Lebensstils insgesamt oder zu seiner zunehmenden Informalisierung und Pluralisierung.

 

Eskalation der Nekrophilie im kulturellem Rahmen der „Islamischen Republik“

 

Diese Formalisierungsversuche wurden seit der Gründung der „islamischen Republik“ immer als gewaltsame „Islamisierung“ durchzusetzen versucht. Zunächst formal durch eine Umbenennung und personelle Neubesetzung der bestehenden Institutionen und damit einhergehender Säuberungen. Darauf folgte ein inhaltlicher Islamisierungsversuch, ohne zu wissen, was im Einzelnen „islamisch“ sei. Bei der Bestimmung dessen, was „islamisch“ sei, haben die konservativsten Fraktionen des Khomeinismus bisher alle ihrer Konkurrenten ausgeschaltet. Denn bei diesem Kampf um die Definitionsmacht geht es schließlich um die Durchsetzung selbstwertrelevanter Glaubensaxiome und Werthaltungen der in diesem Konkurrenz- und Ausscheidungskampf involvierten Menschen. Bei diesem in Aufstiegs-, Erhaltungs- und Abstiegsphasen ablaufenden Zielkonflikten geht es schließlich um einen Kampf um die Aneignung, Erhaltung, und Steigerung der Macht- und Statuschancen. Es geht also um die Definitionsmacht der Ingredienzien des Selbstwertes, die im Namen des „Islam“ durch die Kerngruppen der Macht und untereinander erkämpf wird.

 

Nach der anscheinend gescheiterten ersten „Islamischen Kulturrevolution“ sollen gegenwärtig nicht nur die Humanwissenschaften als Feinde „des Islams“ verboten und durch „Islamische Wissenschaften“ ersetzt werden, die durch „praktisch loyale“ Wissenschaftler vermittelt, nur „loyale Akademiker“ erziehen sollen. Auch Musikunterricht als „Zusatzausbildung“ in den Schulen wurde verboten.135 Gemeint ist anscheinend der Unterricht an Musikinstrumenten, mit denen lebhafte Musik gespielt werden kann, wie Klavier- und Gitarrenunterricht. Sollte eine Schule dieses Verbot ignorieren, wird sie aufgelöst. Gegenwärtig existieren 16.000 private Musikschulen auf verschiedenen Stufen, der Elementarschule, Orientierungsstufe und Gymnasium mit 1.000.127 Schülern.

 

Seit der Entstehung der „Islamischen Republik“ gibt es kontroverse Diskussionen über die Zulässigkeit der Musik vom islamischen Standpunkt, da keine einheitliche Position unter den „Rechtsgelehrten“ besteht. Schon im September 2009 teilte der Minister für „Kultur- und Belehrung“, Mohammad Husseini, mit, dass Aj Khamenei sich seit einiger Zeit mit den Problemen bezüglich der Musik beschäftige und einige Arbeitsgruppen zwecks Veröffentlichung seiner Stellungnahmen gebildet worden seien. Während dessen hat Aj. Khamenei „Unterrichten und Verbreitung von Musik unter den Jugendlichen als unvereinbar mit den Zielen des Systems der Islamischen Republik“ erklärt.136 Der Erwerb von Musikinstrumenten und der entsprechende Unterricht sei nur zulässig, wenn sie für revolutionäre Lieder und „jede religiös erlaubte und nützliche Angelegenheit“ eingesetzt werden.

 

Selbst bis jetzt dürften die Musikinstrumente während einer Aufführung im TV nicht öffentlich gezeigt werden und die Frauen dürfen nicht solo singen. Zugleich löste die Monopolisierung der Massenmedien durch die Kerngruppen der Macht in der „Islamischen Republik“ sowie deren Programmgestaltung in ihrem nekrophilen Sinne eine biophile Welle unter den Jugendlichen aus, selbst musizieren zu lernen. Es gibt daher unter den Mittelschichten der Großstädte kaum eine Familie, in der nicht musiziert wird. Außerdem hat sich eine „Untergrund-Musik-Szene“ entwickelt, die trotz Verfolgung Untergrundkonzerte veranstaltet. In diesem Zusammenhang wurden vor kurzem 80 Jugendliche festgenommen, weil sie an einer solchen illegalen Veranstaltung teilgenommen hatten. Diese lebendige Tendenz zur Verfeinerung der Sinne soll nun genauso wie der zivilisatorisch enorme Schub der gesellschaftlichen Verbreitung des Ethos der Menschenrechte durch diese lebensfeindlichen Verbote unterbunden werden. Dies in einer Zeit, in der Musik- und Kunsttherapie im stationär klinischen Bereich als wissenschaftlich anerkannte Methoden zunehmend in der ganzen Welt eingesetzt werden.

 

Die biophile Wirkung der Musik und des Musizierens wird verständlich, wenn der Sinn und Zweck der Musiktherapie berücksichtigt wird. Musiktherapie dient der Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit der Menschen. Dies wird angestrebt durch zwei Therapieformen. In der rezeptiven Musiktherapie wird therapeutische Wirkung durch das Hören von Musik erzielt. In der aktiven Musiktherapie hingegen wird der Patient zum Musizieren motiviert und dadurch therapiert. Selbst, wenn seit dem zweiten Weltkrieg die rezeptive gegenüber der aktiven Musiktherapie an Bedeutung verliert, dokumentiert sie den enormen lebenswichtigen Stellenwert der Musik und Kunst im Alltagsleben der Menschen, die in der „Islamischen Republik“ seit Anfang an unterdrückt wurden. Damit wird das Leben und alles Lebendige in der Gesellschaft unterdrückt und ersetzt durch ritualisierte Trauerzeremonien, die durch Wehklagen dominiert sind.

 

Die gleiche nekrophile Tendenz manifestiert sich in der herrschenden Kunstfeindlichkeit, die sich in dem plötzlichen Verschwinden von sehr schweren Statuen in der Öffentlichkeit zeigt. Im Mai 2010 verschwand systematisch eine große Zahl der bronzenen Standbilder, die auf den Kreisverkehrsplätzen Teherans aufgestellt waren. Sie waren so schwer, dass sie nur mit Kränen gehoben werden konnten, weswegen der Verdacht einer offiziell organisierten Maßnahme naheliegt. Damit wurden mit einer Klappe zwei Fliegen geschlagen. Nicht nur Kunstwerke, die als „Götzenbilder“ verboten sind, sondern auch Figuren, die der herrschenden Ideologie gegenüber abträgliche Traditionslinien symbolisierten, wurden eliminiert. Geplant war ursprünglich die Umwandlung aller solcher Mittelinseln der Kreisverkehrsplätze, wo diese Skulpturen stehen und standen, sowie die Campus der Universitäten in Grabstädten der „Märtyrer“ des Iran-Irak-Krieges umzugestalten. Diese nekrophile Maßnahme konnte bis jetzt durch die Mobilisierung großer Widerstände der Studenten und Teile des Establishments verhindert werden.

 

Diese Feindseligkeit gegen die Ästhetisierung des Alltagslebens wird aber offiziell genauso weiter kultiviert wie die gegen eine Humanisierung der Ethik, die als „unislamische“ Normen und Werte bekämpft werden. Sie sind aber Normen und Werte, die Selbstbesonnenen zur Verwirklichung ihres menschlichen Wesens und der in ihnen schlummernden Möglichkeiten verhelfen sollen. Mit den gewaltsamen Durchsetzungsversuchen ihrer „islamischen Menschenrechte“, als gültige Werthaltung und Normen der Lebensführung leisten sie deswegen jener weit verbreiteten Neurose Vorschub, die als Symptom eines moralischen Versagens eine kranke Gesellschaft schafft, wenn die Betroffenen sich nicht praktisch zu Wehr setzen und ihr humanistisches Ethos der Menschenrechte verkörpern und für deren Durchsetzung sich einsetzen. Es ist dieses kraftvolle Streben nach Glück und Gesundheit, die diese biophile Bewegung mit ihrem zivilen Ungehorsam repräsentiert. Denn gesellschaftliche „Heilung“ bedeutet, „die Widerstände aus dem Wege zu räumen, die es verhindern, dass die gesunden Kräfte sich auswirken können“137

 

6 Zur nekrophilen außenpolitischen Orientierung der „Islamischen Republik“

 

Wir haben unsere Gesandten mit den deutlichen Zeichen gesandt und mit ihnen das Buch und die Waage herabkommen gelassen, damit die Menschen für die Gerechtigkeit eintreten.“ (Qur‘an 57:25)

 

6.1 Khomeinis Machiavellismus138

 

Bevor Aj. Khomeini nach Teheran flog um das Erbe des Schahs zu übernehmen, hielt er sich in Paris auf. Von dort aus hat er die Islamisierung der Revolution geführt, während er zugleich in der internationalen Öffentlichkeit ein humanes Bild der „Islamischen Republik“ zeichnete. Auf die Frage eines Reporters über die ihm vorschwebende Republik antwortete er, sie würde genauso aussehen wie die französische Republik139. Diese Äußerung steht aber eindeutig im Gegensatz zu seiner längst publizierten Vorstellung von dem „Islamischen Staat“140 in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, die sich dann in der Verfassung der „Islamischen Republik“ niederschlug. Als Aj. Khomeini später gefragt wurde, warum er in Paris ein anderes Bild seiner idealen Herrschaftsform gezeichnet hätte, sagte er, es wäre eine „List“ (Khod-e)141. Somit unterschied er praktisch nicht nur den Khomeinismus als einen Aufstiegstyp von dem Erhaltungstypen der Herrschaft. Damit erklärt er auch „Taghi’ja“ (Verheimlichung eigener Gesinnung)142 als „Notlüge“ und den Machiavellismus offiziell zum Regulationsprinzip einer Herrschaftsform, die sich göttlich legitimiert.

 

Mit der politischen bzw. praktischen Philosophie des Machiavellismus, vertritt der Khomeinismus die Auffassung der uneingeschränkten Macht, die auch mit Gewalt durchgesetzt werden kann, der unkontrollierten Machtanwendung und des unbegrenzten Machterwerbs, wie es sich verfassungsmäßig in der „absoluten Schriftgelehrtenherrschaft“ manifestierte. Die Politik soll dabei keinen moralischen oder ethischen Kriterien unterworfen werden. Die Kategorien Wahr und Gut werden abgelehnt oder auf die der Nützlichkeit begrenzt. Dadurch wird eine Republik der Lüge etabliert, die zunehmend groteske Ausmaße annimmt. Soziale Bedürfnisse werden nur in Betracht gezogen, insofern sie für die Erreichung der politischen Ziele von Bedeutung sind. Diejenige Form der Machtausübung gilt als die „beste“ bzw. „geeignetste“, in der die eigenen politischen Ziele verwirklicht werden. Von daher unterliegen Wege, Methoden und Mittel der Machtausübung dem alleinigen Prinzip: Der Zweck heiligt die Mittel.

 

6.2 Die Gründung der „Islamischen Republik“ als erster Schritt zur globalen Islamisierung.

 

Nach demselben Prinzip wird auch die Außenpolitik der „Islamischen Republik“ gesteuert. „Kriegslist“ wird zum obersten Prinzip der Außenpolitik eines Staates, der verfassungsmäßig zur „Ausbreitung der Herrschaft des Gottesgesetzes auf Erden“ verpflichtet ist, wie es ausdrücklich in der Präambel der Verfassung hervorgehoben wurde: „Bei dem Aufbau und der Ausrüstung der Verteidigungsstreitkräfte werden die Glaubenstreue und die islamische Lehre als Grundlage und Maßstab erachtet. Aus diesem Grunde werden die Armee der Islamischen Republik und das Korps der Revolutionswächter in Übereinstimmung mit dem oben genannten Prinzip aufgebaut. Sie werden nicht nur die Grenzen schützen und verteidigen, sondern darüber hinaus die Bürde der weltanschaulichen Botschaft übernehmen, nämlich die Anstrengung und den Einsatz zur Ausbreitung der Herrschaft des Gottesgesetzes auf Erden.“143 Zur Untermauerung dieser Verpflichtung wird folgende Our’an Sureh zitiert:

 

Und rüstet gegen sie, was ihr an Kraft und an einsatzbereiten Pferden haben könnt, um damit die Feinde Allahs und eure Feinde abzuschrecken, sowie anderen außer ihnen, die ihr nicht kennt.“ (Heiliger Qur’an 8:60)

 

Ein permanenter unerklärter Kriegszustand: „Islamisches Gebiet“ gegen „Kriegsgebiet“

 

Mit dieser verfassungsmäßigen Verpflichtung befindet sich die „Islamische Republik“ in einem permanenten unerklärten Kriegszustand gegen den Rest der Welt, wofür sie sich mit allen Mitteln aufrüsten muss. Denn die „Islamische Republik“ begreift sich als „Ommol Ghora“144 (Vaterland aller Gläubigen der Welt) und als solches als ein „Islamisches Territorium“ (darolislam), das religiös verpflichtet ist, sich gegen das „Kriegsgebiet“ (darolharb) auszurüsten.

 

Deswegen sind die Militarisierung der „Islamischen Republik“ und die atomaren Aufrüstungsbestrebungen gemäß der Verfassung, die durch Qur‘an 8:60 legitimiert wird145, eine unverzichtbare Pflicht des Staates, selbst wenn der „Führer“ die Atombombe als religiös verboten und Tabu erklärt, während zugleich neue unterirdische Urananreicherungsanlagen entdeckt und neue Raketen getestet werden. Kein Wunder, dass die „Weltgemeinschaft“ den Beteuerungen zur friedlichen Nutzung der Urananreicherung keinen Glauben schenkt und Iran zu vertrauensbildenden Maßnahmen auffordert.

 

Die Unterstützung des islamischen Terrorismus als Verlagerung der Kriegsfront außerhalb Iran

 

Eine der Säulen der Außenpolitik der „Islamischen Republik“ ist die Unterstützung islamistischer Bewegungen und der Export der „Islamischen Revolution“, die durch die „Revolutionswächter“ nach Innen und nach Außen geschützt werden soll. Deswegen begreifen sich die „Revolutionswächter“ nicht nur als eine Verteidigungsarmee, sondern auch als eine Angriffsarmee, die die „Islamische Republik“ gegen innere und äußere Feinde verteidigt und Auslandseinsätze durchführt.

 

Insofern versteht die „Islamische Republik“ die Unterstützung des islamischen Terrorismus als eine Verlagerung der Kriegsfront außerhalb des Iran, wie ein eifriger Verteidiger des „Jihad“146 und der Notwendigkeit der Gewaltanwendung in der Außenpolitik sowie der Unterstützung des Terrorismus – Dr. Hassan Abbassi – in einer hitzigen Rede gegen den reformorientierten Präsident Khatami und seine vertrauensbildenden Maßnahmen hervorhob.147

 

Zudem beansprucht die „Islamische Republik“, laut Ahmadinedjad, eine angemessene Führungsrolle in der Welt, während er den baldigen Untergang der „Estekbare Djahani“ (die Großmächte bzw. „die Hochmütigen der Welt“) voraussagt. Er begreift die „Islamische Republik“ als Bote von „Mahdi“, dem kommenden „Führer“, der als Herrscher in den letzten Tagen auf der Erde erscheinen soll. Nach Auffassung der Schiiten ist er bereits in der Person Muhammad Abdu’l-Qasims, des zwölften Immas, erschienen, der sich an einem geheimen Ort verborgen hält, bis er am Ende der Welt wieder auftreten wird. Laut Ahamadinedjad „intervenierten die USA und ihre Verbündeten nicht in Irak um Erdölquellen zu erobern“: sie seien dort einmarschiert um die Ankunft „Mahdis“ zu verhindern.148

 

Mit solchen apokalyptischen und paranoiden Größenwahnvorstellungen wird nicht nur die Außen-, sondern auch die Innenpolitik betrieben, wobei jede oppositionelle Maßnahme als „Kollaboration mit dem Feind“ interpretiert und brutal verfolgt wird. Denn jede Opposition gegen die göttlich legitimierte Herrschaft bedeutet „Moharebeh ba Khoda“ (Kampf gegen Gott), worauf die Todesstrafe steht. Nicht nur die jüngsten Hinrichtungen wurden so legitimiert, sondern auch die wahllosen nachrevolutionären Massenhinrichtungen in den Achtziger Jahren im Schatten des Iran-Irak-Krieges. Kein Wunder, dass Iran nach China zahlenmäßig die Statistik der Todesurteile und Hinrichtungen anführt.

 

* * *

 

Deswegen strebt die, seit den letzten Präsidentschaftswahlen entstandene, „grüne Bewegung“ mit der Demokratisierung Irans und der Etablierung der Menschenrechte die einzige innen- und außenpolitische Lösung des Problems an, d. h. die Überwindung der nekrophilen Tendenzen der „Islamischen Republik“. Die mit dem Ethos der Menschenrechte einhergehende Erweiterung der Reichweite der Identifizierung der Menschen jenseits ihrer Gruppenzugehörigkeit ist die unabdingbare Voraussetzung für Frieden im Nahen und Mittleren Osten und einer allgemeinen atomaren Abrüstung. Diese Entwicklung hat eine Chance, wenn sie durch internationale Förderung der Menschenrechte als einer nachhaltigen außenpolitischen Orientierung der Großmächte zur Sicherung des Friedens flankiert wird.

 

 

 

 

 

 

Fußnoten

 

1 Erich Fromm: Mit Erich Fromm die Liebe zum Leben entdecken, Freiburg im Breisgau 2006, S. 24

 

2 Menschen unterscheiden sich als Einzelne und als Gruppen in Bezug auf die in ihnen vorherrschenden Leidenschaften. Sie können von der Liebe oder von der Leidenschaft zu zerstören getrieben werden. Sie können also von biophilen oder von nekrophilen Tendenzen geprägt sein. Ob die herrschende Leidenschaft eines Menschen Liebe oder Zerstörung ist, hängt weitgehend von sozialen Umständen ab. (Vergl. Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Reinbek bei Hamburg, 200822, S. 20f.)

 

Die Überlegungen Fromms über Nekrophilie stehen meinen folgenden Überlegungen zugrunde. Allerdings habe ich bereits in meinen Beiträgen über „weltanschauliche und sozialpsychologische Aspekte der iranischen Kriegsführung“ (Orient, 30. Jg. Nr. 3,Sep. 1989, S. 439ff. und Nr. 4, Dez. 1989, S.557) auf die tief verwurzelten nekrophilen Tendenzen der iranischen Gesellschaft hingewiesen, wie sie in der Verehrung des Martyriums und der Märtyrer u.a. zum Ausdruck kommen. Außerdem habe ich die tödlichen Implikationen dieser Tendenzen im Zusammenhang mit „Selbstbild und Weltsicht islamischer Selbstmordattentäter“ (Berlin, 2006) diskutiert. Diese Verehrung des Toten geht allerdings einher mit einer Unfähigkeit zu trauern, die sich in der Destruktivität der Selbstmordattentäter manifestiert.

 

3 Erich Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität, Reinbek bei Hamburg, 200822, S. 255

 

4 Ibid

 

5 Rainer Funk, Mut zum Menschen: Erich Fromms Denken und Werk, seine humanistische Religion und Ethik, Stuttgart 1978, S.50f.

 

6 John Bowlby, Das Glück und die Trauer, Stuttgart 2001, S 89

 

7 Rainer Funk, a. a. O. S. 51

 

8 Vergl. Norbert Elias, Was ist Soziologie, Weinheim, München 19865 , S.146ff.

 

9 Erich Fromm, Selfishnes and Self-Love, zitiert bei Rainer Funk, a. a. O., S. 52

 

10 Erich Fromm, die Liebe zum Leben, a. a. O., S.10f.

 

11 ibid

 

12 Der persische Dichter Hafis († ca. 1390 in Shiraz) hat diese „Pharisäer“ in einem seiner Gedichte unvergänglich auf den Punkt gebracht:

 

Die Priester, die mit Stuhl und Pult,
In Kirchen gar so heilig tun,
Sie werden in der Einsamkeit
Das Gegenteil desselben tun.
Ich habe einen Zweifel, frag‘
Den Weisen der Gemeind‘ darum,
Warum die Buße-Prediger
Denn selbst so wenig Buße tun?“

 

13 Vergl. Dawud Gholamasad, Zum Umbruch im nachrevolutionären Iran, Orient, 42. Jg., Dez. 2001, S. 617ff.

 

14 Vergl. Dawud Gholamasad, Iran – Die Entstehung der „Islamischen Revolution“, Hamburg 1985. Im Allgemeinen wird behauptet, revolutionäre Eruptionen würden in Gang gebracht, um radikale Veränderungen herbeizuführen. Wie es sich in diesem Fall zeigt, ist es in Wirklichkeit die drastische Veränderung, die den Boden für eine revolutionäre Eruption bereitet. Die revolutionär-erputive Atmosphäre wird anscheinend - als ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus - durch die Provokationen, Probleme, Begierden und Frustrationen geschaffen, die mit dem Vollzug einer – mit ungeheurer Angst einhergehenden - drastischen Veränderung untrennbar verbunden sind. (Vergl. Eric Hofer, Die Angst vor dem Neuen, Reinbek bei Hamburg, 1968, S.10).

 

15 Vergl. Rainer Funk, Mut zum Menschen, Stuttgart 1978, S. 76ff.

 

16 Erich Fromm, a.a.O., S. 10

 

17 Aj. Kkomeini, Velajat-e Faghih“(Schriftgelehrten Herrschaft) , Teheran, 1357 ( Der islamische Staat, Berlin 1983)

 

18 Erich Fromm, The Heart of Man, zitiert bei Reiner Funke, a.a.O., S. 78

 

19 Vergl. Dawud Gholamasad, Weltanschauliche und sozialpsychologische Aspekte der iranischen Kriegführung; in „Orient“, 30. Jg., Nr. 3, Sept. 1989, S. 439ff. Siehe auch derselbe, Einige sozialpsychologische Aspekte der iranischen Kriegsfreiwilligen – eine Auswertung ihrer Testamente, in „Orient“ 30. Jg. Nr. 4, Dez. 1989, S.557ff.

 

20 Alltagssprachlich ausgedrückt, „Subjektivität“ und „Objektivität“

 

21 Der folgende Beitrag entstand als ein Vortrag, den ich am 13.12.1999 im Kolloquium „Periphere und Zentrum“ der Universität Hannover hielt. Die überarbeitete Fassung dieses Vortrages erschien in Orient, 42. Jg. Nr. 4/2001, S. 617ff. Ich zitiere diesen Vortrag hier, weil die Sozio- und Psychogenese der gegenwärtig erneuten Aufbruchsstimmung die gleichen sind wie die des Umbruches, der 1997 zum Khatamis Wahl zum Staatspräsidenten führte.

 

22 Zwar ist der gesellschaftliche Zwang zum Selbstzwang und das Erlernen einer individuellen Selbstregulierung im Sinne wandelbarer gesellschaftlicher Zivilisationsmuster soziale Universalie. Aber wenn auch Fremdzwänge zur Entwicklung von individuellen Selbstzwängen unentbehrlich sind, so eignen sich durch aus nicht alle Arten von Fremdzwängen dazu, die Entwicklung individueller Selbstzwangsinstanzen herbeizuführen und erst recht nicht dazu, sie im Maße zu fördern, also ohne das individuelle Vermögen zur Trieb- und Affektfreude zu beeinträchtigen. (Elias, N. Zivilisation; in Schäfers, B. 1986, S. 383)

 

23 Allein die mit Angst und in der nicht vor Eingriffen der Moralhüter geschützten Privatsphäre der toleranteren Familien konnte die totale Verformung ihrer Persönlichkeit verhindert werden - mit der Hoffnung auf eine baldiges Ende dieses Alptraums.

 

24 Dies manifestiert sich z. B. in der Einkommensverteilung 1991: An der Spitze der Verteilungspyramide verfügten 20 % der Bevölkerung über 50 % des Gesamteinkommens, während die unteren 40 % über 13,4 % verfügten. Abgesehen von dem außeralltäglichen sozialen Aufstieg und der Ersetzung des vorrevolutionären Establishments, verfügten 1989 die oberen 1 % der Bevölkerung über 21,18 % des Vermögens, während die unteren 40 % über 2,97 % verfügten.

 

Die Vermögensverteilung sah nach Angaben des stellvertretenden Außenministers 1989 wie folgt aus: die unteren 40 % der Bevölkerung verfügten über 2,97 %, die mittleren 40 % über 27,18 %., die oberen 20 % über 74 %. Von diesen oberen 20 % verfügten 10 % über 11,68 % und die restlichen 10 % über 63 % des Vermögens. Schließlich verfügten die oberen 1 % der Bevölkerung über 21,18 % des gesamten Vermögens im Iran. (vergl. Rafipoor, Framarz, Modernization and Conflikt, Teheran, 1998, Persisch, S.179). Gegenwärtig leben ca. 50 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

 

25 Nach offiziellen Angaben sank das Nettosozialprodukt von 3.992 Mrd. Rials 1979 auf 2.568 Mrd. Rials 1980. Innerhalb der ersten 4 Jahren nach der Revolution sank die Nettokapitalbildung jährlich um 9,6 %. (Die nachrevolutionäre Wirtschaftsentwicklung Irans, Iranische Zentralbank,, Teheran, o. J., 14ff). Während dessen betrug das Bevölkerungswachstum durchschnittlich um 3,9 % (Iran Statistic Yearbook, 1376, 1997/98, S. 49)

 

26 Alle diese Fakten erklären die Entstehung der Revolution u. a. als ein Nachhinkeffekte der sozialen Integration der Menschen, die durch die Moderenisierungsprozesse von den traditionellen Integrationseinheiten wie Dörfer, Stämme, Verwandtschaftsbeziehungen, Stadtteile sowohl funktional als auch emotional entbunden wurden ohne angemessen integriert werden zu können. Der Integrationsprozeß hinkte der sozialen Differenzierung hinterher. Mit der zunehmenden sozialen Differenzierung ging als eine der herrschaftsstabilisierenden Maßnahmen die Unterdrückung der zivilgesellschaftlichen Organisationsmöglichkieten einher. Sie hätten als Interessenvertretungsorgane der zunehmend differenzierten sozialen Gruppen und als organisierte Gegenmacht nicht nur die Regierung, sondern auch sich gegenseitig kontrolliert; sie hätten zudem als Ordnungsfaktoren gesamtgesellschaftlich stabilisierende Funktion gehabt.

 

27 Diese Veränderung drückt sich aus in einer Verschiebung der Balance zwischen dem Stellenwert von Geld und Religion zugunsten des ersteren: Während 1986 für 81,6 % der Befragten die Religion wichtiger als Geld war, sank sie 1992 auf 28,3 %. Diese Tendenz setzt sich verstärkt fort, wie die Untersuchungen von 1994 und 1996 zeigen.(Rafipoor, S. 166); sie scheint so weit gegangen zu sein, daß man witzelte, in Iran gebe es nur einen einzigen Ajatollah und das ist Ajatollah Dollar.

 

Die Balance zwischen materiellen und immateriellen Statussymbolen, wie z. B. der Frömmigkeit verschiebt sich zugunsten der ersteren: Während 71,4 % der Befragten 1986 Autos als Statussymbol gerne zur Schau stellten, stieg diese Prozentzahl für 1992 auf 85,3 % an. (Rafipoor, S. 200)

 

Bestechung wird zunehmend weniger abstoßend: Während 84 % der Befragten die Bestechung für negativ bewerteten, sinkt diese Zahl für 1992 auf 40,7 %. (Rafipoor, 288)

 

28 A survey of Supreme Council of Youth, zitiert bei Bayat, Asef: The Coming of a Post-Islamist Society, in: Critique, Fall 1996, S. 50

 

29 Die Veränderung der Selbtswertbeziehungen bedeutet die Überwindung der eigenen Minderwertigkeitsgefühle und Depressionen und die Erhöhung der Selbstachtung und Selbstsicherheit. Der Wunsch nach Erhöhung der Selbstachtung und Selbstsicherheit ist genauso eine anthropologische Konstante wie der Selbsterhaltungstrieb. In der Regel wird die Selbsterhaltung auf die physische Selbsterhaltung reduziert. Damit kann man aber nicht erklären, warum Menschen bereit sind für die soziale Selbsterhaltung bzw. Selbsterhöhung sogar ihre physische Existenz bewusst zu opfern. Berücksichtigt man aber, dass die Selbsterhaltung der Menschen als Einzelne und als Gruppen immer ein affektiv besetztes Selbstbild voraussetzt, wird der Stellenwert der Selbstliebe als einer anthropologischen Konstante klar. Als Selbstliebe der Menschen als Einzelne und als Gruppen ist sie eine positive Form der Selbstbewertung und ein Grundelement der menschlichen Existenz. „Die Kraft der lebenssteigernden Funktion des Selbstwertgefühls zeigt sich unter anderem in der Universalität der Neigung, den Wert der eigenen Gruppe auf Kosten des Wertes anderer Gruppen zu erhöhen“. ( Elias, N./ Scotson, J.L., Etablierten und Außenseiter, Ffm. 1990, S. 312)

 

30 Als Poppers Schüler und Promovent der London University, ist Sourush genauso versiert in moderner Wissenschaft und Philosophie wie im Islam und in Jurisprudenz. In diesen Bereichen ist er viel bewanderter als Ali Schariati (1933-77), der wichtigste islamische Ideologe vor der Revolution.

 

31 Bei den letzten Aufnahmeprüfungen für Universitäten stellten die weiblichen Bewerberinnen 60 % der Teilnehmer.

 

32 Nach dem geltenden Recht der Islamischen Republik sind nur Männer volle Rechtssubjekte mit vollem Rechtsanspruch. Selbst die Zeugenaussage einer Frau zählt vor dem Gericht nur halb so viel, wie die eines Mannes.

 

33 Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2009 waren über 70 % der Bevölkerung unter 30 Jahre alt, hatten also keine vorrevolutionären Erfahrungen.

 

34 Die Polizei meldete inzwischen, dass innerhalb der ersten Paar Wochen nach Beginn dieser Kampagne allein 62.000 Frauen in der heiligen Staat Qoum, wegen „schlechter Körperbedeckung“ ermahnt wurden. (BBC dailymail, 21.06.2010). Diese „Ermahnung“, geht in der Regel einher mit einer inzwischen deutlich erhöhten Geldstrafe. Nimmt man diese Maßnahmen der Polizei in einer so konservativen Stadt als ein allgemeines Muster, bedeutet dies, dass innerhalb einiger Wochen mindestens ca. 7 % der Stadtbevölkerung im Iran „ermahnt“ worden sind. Abgesehen von den ernormen Geldstrafen, sind außerdem 100 PKW allein in dieser Stadt deswegen konfisziert worden. Die Polizei begründet diese drastischen Maßnahmen mit dem Kampf gegen einen „sanften Krieg des Feindes, der mit schlechter Körperbedeckung und Zügellosigkeit die öffentliche Sittsamkeit zu verletzen versucht“. (ibid.)

 

35 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 19805, S. 140ff

 

36 Vgl. Gholamasad, Iran : Die Entstehung der „Islamischen Revolution“, Hamburg 1985

 

37 Vgl. Max Weber, a. a.. O. S. 142. Außeralltäglich ist diese Herrschaft, weil das Emporkommen des charismatischen Führers und seiner Kerngruppen, gemessen an dem herkömmlichen Alltag und den herkömmlichen Aufstiegsformen der bisherigen gesellschaftlichen Herrschaftsorganisation, sich ungewöhnlich vollzieht. Sie entsteht aus der Krise dieser alltäglichen Organisationsform der Herrschaft.

 

38 Charisma verweist auf die zugeschriebenen überlegenen Fähigkeiten eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen, die sich als ihre scheinbar eigenen überlegenen persönlichen Qualitäten verselbständigen und für alle Beteiligten verhaltensteuernd wirken und zwar als interdependente Gefühlslage der involvierten Menschen: bei Machtstärkeren als Überlegenheitsgefühl und bei Machtschwächeren als Unterlegenheitsgefühl.

 

39 Sozialer Aufstieg bedeutet jede Veränderung in einem sozialen Felde, die für den oder die Beteiligten, gemessen an ihrer Ausgangspositionen, die Chance zur Erhöhung des sozialen Prestiges und des Selbstbewusstseins mit sich bringt. (Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, Ffm. 1983, S. 188)

 

40 Die Entwicklung der Sebstwertbeziehungen bildet den harten Kern, um den herum das Selbstwertgefühl eines Menschen aufgebaut ist. Sie variiert nicht nur von Individuum zu Individuum, sondern auch von Gesellschaft zu Gesellschaft. (Norbert Elias/ J.L Scotson, Etablierte und Außenseiter, Ffm. 1990, S. 308)

 

41 Vergl. Gholamasad, Iran – Die Entstehung der „Islamischen Republik“, Hamburg 1985.

 

42 Vgl. kayhan, Havai,, Tehera 7.03.1979

 

43 Vgl.A.K.S. Lambton, Islamic Societi in Persia, London (persische Übersetzung), Teheran 1954, S. 146ff

 

44 Vgl. W. Floor, Das Amt des Muhtasib - zur Kontrolle der „öffentlichen Moral“ in der iranischen Gesellschaft, in Revolution in Iran und Afghanistan/ Hrsg. Von Berliner Inst. für vergleichende Sozialforschung. (Red.). Kurt Greussing et al. , Ffm. 1980, S. 136. Dies widerspricht sogar den eigenen Befunden Floors. So stellt er fest, dass das Amt des Mohtaseb im vorneuzeitigen Iran existierte, ohne eine religiöse Behörde mit der Hauptaufgabe des „al-amr b´ il ma´ruf wa nahi àn al-munkar“ zu sein. Außerdem stellt er eine direkte Verbindung zwischen vorislamischen Beamten wie etwa dem byzantinischem Agronomos und dem Mohtaseb als Marktaufseher fest. (Vgl. ibid., S. 122).

 

45 Vgl. Schirazi, A.: Die Widersprüche in der Verfassung der Islamischen Republik vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung im nachrevolutionären Iran, Berlin, 1992

 

46 Aj. Khomeini, R. Der islamische Staat, 1983, S. 33

 

47 Khomeini 1983, S. 18

 

48 Khomeini 1983, S. 17f

 

49 Khomeini 1983, S. 34

 

50 Khomeini 1983, S. 32, Herv.d. A.

 

51 Khomeini 1983, S. 34

 

52 Khomeini 1983, S. 36

 

53 Seit der Machtübernahme Khamenei nach dem Tot Aj. Khomeinis wurde eine Verfassungsänderung zum Zweck der Einführung der „absoluten Schriftgelehrtenherrschaft“ durchgeführt. Demnach wird der „Führer“ nicht gewählt; er wird als Auserwählter erkannt, dem jeder zum absoluten Gehorsam verpflichtet ist.

 

54 Khomeini 1983, S. 61, Herv.d.A.

 

55 Vgl. Khomeini 1983, S. 48

 

56 Vgl. Khomeini 1983, S. 47

 

57 Khomeini 1983, S. 84

 

58 Khomeini 1983, S. 84

 

59 Erinnertes Wandlungskontinuum ist ein von Norbert Elias implizit eingeführter Begriff für die Erklärung der Identitätserfahrung der Menschen (Norbert Elias, Die Gesellschaft der Individuen, Ffm. 1988, S. 249ff). Die religiöse Identität der Menschen konstituiert einen mehr oder weniger zentralen Aspekt der Menschen. Die Identität des Islam als Glaubensvorstellung der sich entwickelnden Menschen beruht demnach auf der Kontinuität des Entwicklungsprozesses dieser Menschen als Einzelne und als Gruppen. Jede spätere Entwicklungsphase dieses Entwicklungsprozesses, den die Menschen durchmachen, hat den kontinuierlichen Ablauf der vorangehenden individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungsphasen zur Voraussetzung. Zudem ist dieser Entwicklungsvorgang und seine symbolische Darstellung durch kommunizierbare Begriffe, d. h. der Vorgang als solcher und als Gegenstand der individuellen Erfahrung, ineinander verschlungen und ganz untrennbar. Damit ist die Kontinuität eines Gedächtnisses, das erlerntes Wissen und so auch persönliche Erfahrungen früherer Phasen als Kräfte der aktiven Empfindens- uns Verhaltenssteuerung späterer Phasen verarbeitet, die unabdingbare Voraussetzung der Identitätserfahrung der Menschen. Das Vermögen der selektiven Aufbewahrung von Erfahrungen aus allen individuellen und gesellschaftlichen Lebensaltern der Menschen im Gedächtnis, ist daher eine der zentralen Faktoren der Individualisierung der Menschen und somit auch ihrer Glaubensvorstellungen. Je größer im Zuge der Gesellschaftsentwicklung der Spielraum für Verschiedenheiten der im Gedächtnis der Einzelnen eingravierten Lebenserfahrung wird, umso größer wird die Chance der Individualisierung des Glaubens.

 

Die Angemessenheit der Betrachtung des Islam als eines erinnerten Wandlungskontinuums ergibt sich nicht nur daraus, dass es heute unterschiedliche islamische Strömungen und Sekten gibt. Sie ergibt sich auch daraus, dass selbst die dominanten Versionen des Islam, sich aufgrund der fetwas (Gutachten) der Großajatollahs permanent entwickeln. Diese Gutachten, die als Handlungsdirektiven im Zusammenhang mit den neu entstandenen Lebensumständen der Muslime und ihren daraus hervorgehenden Bedürfnissen nach neuen Orientierungshilfen entstehen, beruhen auf Koran und Sunna, d. h. den Überlieferungen. Selbst der Koran und die Überlieferungen sind aus Erinnerungen der Zeitgenossen des Propheten entstanden. Allein dies verweist auf den Islam als eines erinnerten Wandlungskontinuums.

 

60 Vgl. Bassam Tibi, Die fundamentalistische Herausforderung, München 1992

 

61 Barreau, J.-C., Die unerbittlichen Erlöser, Reinbek bei Hammburg 1992

 

62 Khomeini 1983, S. 23

 

63 Zitiert nach dem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Khomeini 1983, S. 10f

 

64 Schirazi, A. a. a. O. S. 24ff

 

65 Zivilisation im soziologischen Sinne teilt nicht die übliche Funktion des Begriffes als Ausdruck des Selbstbewusstseins der okzidentalen Gesellschaften. Um Zivilisation im soziologischen Sinne zu verstehen, muss man sich von den alltäglichen, mit heteronomen Wertungen beladenen Konnotationen des Begriffes distanzieren. Als ein mehrere Generationen umfassender Prozess weist der Begriff auf eine strukturierte Veränderung des menschlichen Verhaltens und Empfindens in eine ganz spezifische Richtung hin. Dieser Prozess ist immer begleitet von Gegenschüben. Er vollzieht sich als Ganzes ungeplant; aber er vollzieht sich nicht ohne eine eigentümliche Ordnung. Als eine gerichtete Veränderung des sozialen Habitus der Menschen zeigt Norbert Elias in seiner Untersuchung, „wie etwa von verschiedensten Seiten her Fremdzwänge sich in Selbstzwänge verwandeln, wie in immer differenziertere Formen menschlicher Verrichtungen hinter die Kulisse des gesellschaftlichen Lebens verdrängt und mit Schamgefühlen belegt werden, wie die Regelungen des gesamten Trieb- und Affektlebens durch eine beständige Selbstkontrolle immer allseitiger, gleichmäßiger und stabiler werden.“ (Elias, N. Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 2, Ffm. 1976, II, S. 313).

 

66 Nativistische Bewegungen von Menschen sind selbstwertrelevante Bewegungen und charakterisieren sich durch demonstrative Hervorhebung ihrer als eigen definierten Werte, während der Chiliasmus ihre aktivierbare kollektive Aufbruchsbereitschaft zur Herstellung paradiesischer Glückszustände bezeichnet. (Vgl. Gholamasad 1985, S.583ff. und Mühlmann, W. E. , Chiliasmus und Nativismus, Berlin 1961)

 

67 Vgl. Klaff, R., Islam und Demokratie, Ffm., Bern 1987

 

68 Die Dramatik dieser sozialen Differenzierung kann nur dann angemessen erfasst werden, wenn die Jahrhunderte währende relative Stagnation gesellschaftlicher Entwicklung berücksichtigt wird.

 

69 Gholamasad 1997, S. 367ff

 

70 Vgl. Gholamasad 1985

 

71 Konfessionelle Konflikte verschärften sich im Iran aufgrund der relativen Zunahme der Machtchancen von Bahais, Juden und Christen gegenüber den Muslimen im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft. Abgesehen von den Bahais, die sonst als Häretiker verfolgt wurden, sind es alles konfessionelle Gruppen, die einst den Muslimen respektvoll begegnen mussten. Nach Kämpfers Reisebericht, der sich Ende des 17. Jhs. für mehrere Jahre im Iran aufhielt, mussten sie sogar von ihrem Pferd oder Esel absteigen, wenn sie einem Muslim auf der Straße begegneten, um seine soziale Überlegenheit zu bestätigen. Sie mussten sogar die Straßen meiden, wenn es regnete, weil die Möglichkeit der Verunreinigung der Muslime bestanden hätte, wenn das Regenwasser an ihrem Körper abprallte. (Vgl. Kämpfer, E., Am Hofe des persischen Großkönigs, Leipzig 1940 (persische Übersetzung, Teheran 1985)

 

72 Vgl. Elias, N. Was ist Soziologie, Weinheim, München 1986, S. 70/72

 

73 Vgl. Elias, N., Die Gesellschaft der Individuen, 1988, S. 281

 

74 Artikel 109 der Verfassung von 1979 (geändert 1989, vorbereitet durch das Verfassungsänderungsgremium):

 

(1) Die Voraussetzungen und Eigenschaften für das Oberhaupt („den Führer“ – D.G.) sind:

 

Die zur Erstellung von Rechtsgutachten in verschiedenen Bereichen des islamischen Rechts notwendige Gelehrtheit, Gerechtigkeit, und Gottesehrfurcht, die für die Führung der Islamische Weltgemeinschaft [ummah] erforderlich ist, eine vernünftige politische und gesellschaftliche Weitsicht, Besonnenheit, Tapferkeit, administrative Fertigkeiten und adäquate Führungsfähigkeiten.

 

(2) Sollten mehrere Personen diese Erfordernisse erfüllen, wird der mit der größeren Weitsicht in rechtlichen und politischen Angelegenheiten der Vorzug gegeben.“

 

(http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/verfassung_iri.htm).

 

Diese geänderte Fassung weicht erheblich von der in Mai 1980 von der „Botschaft der Islamischen Republik Iran“ herausgegebene Version ab. Hier fehlt vor allem „die Kompetenz als islamische Autorität“ am Ende des Abs. 1.

 

75 Artikel 107 der Verfassung von 1979 (geändert 1989, vorbereitet durch das Verfassungsänderungsgremium): „(1) Nach dem Ableben des herausragenden Vorbild der Nachahmung, dem großen Oberhaupt der weltweiten islamischen Revolution und dem Begründer der Islamischen Republik Iran, dem geehrten Groß-Ajatollah  Imam Chomeini, möge Gott seine edle Seele heiligen, der als Vorbild der Nachahmung und Oberhaupt von einer entscheidenden Mehrheit des Volkes anerkannt und akzeptiert war, soll die Ernennung des Oberhauptes der vom Volk gewählten Expertenversammlung [madschlis-e-chobregaan] übertragen werden (vgl. Struktur der Verfassung).

 

Diese Experten werden bezüglich der Verdienste aller qualifizierten Rechtsgelehrten, die die in Artikel 5 und Artikel 109 spezifizierten Qualifikationen erfüllen, überprüfen und beraten. Im Falle, dass  sie jemanden finden, der in islamischen Vorschriften und den Inhalten des islamischen Rechts sowie in politischen und sozialen Fragen gelehrt ist oder allgemeine Popularität genießt oder eine besondere herausragende Position hinsichtlich der in Artikel 109 genannten Eigenschaften hat, wird er zum Oberhaupt bestimmt. Andernfalls werden sie einen von ihnen zum Oberhaupt wählen. Das so von der Expertenversammlung bestimmte (oder gewählte) Oberhaupt wird die Statthalterschaft der Befehlgewalt und alle daraus erwachsenden Verantwortlichkeiten übernehmen.“

 

(http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/verfassung_iri.htm)

 

76 Artikel 5 der Verfassung von 1979 (geändert 1989, vorbereitet durch das Verfassungsänderungsgremium): In der Islamischen Republik Iran steht während der Abwesenheit des verborgenen 12. Imams - möge Gott sein Erscheinen beschleunigen - das Imamat und die Führungsbefugnis [wilayat-e-amr] in den Angelegenheiten der islamischen Gemeinschaft dem gerechten, gottesehrfürchtigen, über die Erfordernisse der Zeit informierten, tapferen, zur Führung befähigten Rechtsgelehrten zu, der die Verantwortungen dieses Amtes gemäß Artikel 107 übernimmt.

 

(http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/verfassung_iri.htm)

 

77 Grundsatz 107 der ursprünglichen Verfassung

 

78 In der Hierarchie der schiitischen Geistlichkeit steht in seltener Ausnahme ein von allen Gläubigen einmütig anerkannter Großayatollah an der Spitze. Er würde in diesem Fall die einzige „Instanz der Nachahmung“ sein. Die Gläubigen würden bei der Lösung ihrer Alltagsprobleme ihm als Vorbild folgen und sich in ihrer sozialen Praxis an ihm orientieren. Fehlt eine solche, alle anderen überragende Autorität, folgt man einem der Großajatollahs als einer selbstgewählten „Instanz der Nachahmung“. Seit dem Ableben des Großajatollahs Brourujerdi (1961) befinden sich die Gläubigen in einer solchen Lage. Den Großajatollahs folgen in der Rangordnung die in ihrer Anzahl ständig wachsenden Ajatollahs. Nach ihnen steht die noch größere Zahl der Hojjat ol-Eslam, gefolgt von der Masse der einfachen „Turbanträger“.

 

79 A. Schirazi hat seit Jahren die Entwicklung der nachrevolutionären Verfassung und den damit einhergehenden theologischen Diskurs verfolgt und in drei Beiträgen veröffentlicht. Seine Forschungsergebnisse, die verfügbaren Quellen wie Parlamentsprotokolle und die wichtigsten Tageszeitungen berücksichtigen, sind eine Fundgrube für eine herrschaftssoziologische Untersuchung. Die folgenden Informationen über die Revision der Verfassung und vor allem den damit einhergehenden Diskurs stammen vor allem seinem 1991 veröffentlichten Beitrag: Schirazi, A.: Die Widersprüche in der Verfassung der Islamischen Republik vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung im nachrevolutionären Iran, Berlin, 1992 und: Schirazi, A., Die neue Entwicklung der Verfassung in der Islamischen Republik Iran, in: Verfassung und Bericht in Übersee, 24. Jg. - 2. Quartal 1991, Sonderdruck, S. 105-122

 

80 Resalat, 30.4. bis 8.05.89

 

81 Resalat, 11.5.89

 

82 Vgl. Resalat, 3.04.89

 

83 Ettela‘at, 10.06.89

 

84 Vgl. Keyhan, 12.06.89

 

85 Vgl. Aj. Azari Qomi u.a. in Resalat vom 10. und 21.06.89

 

86 Vgl. Keyhan, 20.06.89

 

87 Aj. Jennati in Ettela‘at am 2.06.83

 

88 Nahost Jahrbuch (Hg.: Deutsches Orient, Thomas Koszinowski/ Hans-peter Mattes) Hamburg 1988, S. 75

 

89 Seitdem existieren zwei Typen Ajatollahs. Die einen, die ihren Titel durch religiöse Lehranstalten erhalten und die zweiten, neuen, die man als Amts-Ajatollah bezeichnen kann.

 

90 Vgl. Resalat, 6.6.89

 

91 Vgl. Keyhan, 10.6.89 und 19.6.89

 

92 Vgl. Rafsanjani, in Keyhan, 19.6.89 und 10.6.89

 

93 Vgl. Resalat, 27.6.89

 

94 Vgl. Resalat, 29.4.89

 

95 Vgl. Resalat, 7.4.89

 

96 Vgl. Keyhan, 13.5.89

 

97 Vgl. Resalat, 6. u. 10..5.89

 

98 Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2009 waren über 70 % der Bevölkerung unter 30 Jahren, hatten also keine vorrevolutionären Erfahrungen.

 

99 Gegenwärtig durfte die soziale Basis der konservativen Kerngruppen der Macht ca. 5 % betragen.

 

100 Einer der zentralen Aspekte der Zivilisierung ist die Suspendierung der Gewalt als Regulationsprinzip der Konflikte durch deren Monopolisierung durch den Staat. Ein weiterer Schub der Zivilisierung manifestiert sich in der größtmöglichen Verbannung der staatlichen Gewalt aus der Öffentlichkeit in Form zunehmender Kasernierung der „Gewalt“. Die „Bürger in Uniform“ erscheinen auch dann zunehmend in ziviler Kleidung in der Öffentlichkeit, wenn sie nicht gerade im Dienst sind. Eine der zentralen Aspekte der diktatorischen und despotischen Regime ist aber die Allgegenwart der Militärs in der Öffentlichkeit.

 

101 Vergl. Dawud Gholamasad, Selbstbild und Weltsicht islamistischer Selbstmord-Attentäter, Berlin 2006, S. 42ff.

 

102 Vergl. Norbert Elias, Was ist Soziologie, Weinheim; München, 1986, S.149ff.

 

103 ibid

 

104 Zitiert bei John Bowlby, Das Glück und die Trauer, Stuttgart 1982/2001, S. 118

 

105 Norbert Elias, Die Einsamkeit der Sterbenden, Ffm. !9872 , S.10

 

106 Vergl. John Bowlby, Das Glück und die Trauer, S. 78ff.

 

107 Vergl. Ibid,

 

108 ibid, S. 107

 

109 ibid, S. 119

 

110 Am 28. Januar 2010 wurden zwei Jugendliche, Arash Rahmanipur und Mohammad Reza Alizamani, wegen Beteiligung an den Protesten gegen die Wahlfälschungen hingerichtet, obwohl sie – laut ihres Anwaltes – bereits drei Monate vor den Wahlen inhaftiert worden waren. Am 29. Januar 2010 beglückwünschte Ayatollah Janati als Teheraner Vorbeter in der traditionellen Freitagspredigt den Justizminister, Ayatollah Larijani, zu diesen Hinrichtungen. Er ging sogar noch weiter und forderte mehr solche zügige Hinrichtungen „für die Zufriedenheit Gottes“. Er erklärte, dass es jetzt nicht an der Zeit sei, Nachsicht zu zeigen. „Wenn wir jetzt Schwäche zeigen, bekommen wir in Zukunft noch mehr Probleme“. Weiter sagte er an Larijani gerichtet: „Sie haben vor Gott gehandelt richtig und diese zwei Gottlosen schnell hingerichtet. Wenn wir am 18. Tir 1999 (13. Juli 1999, dem Höhepunkt der iranischen Studentenproteste) ein paar von ihnen (Anm.: gemeint sind die StudentInnen) hingerichtet hätten, dann hätten wir heute nicht solche Probleme. Unser Imam Ali hat in einem Krieg ein paar tausend getötet. (Anm.: Er will sagen, „weil der erste Imam als unser aller Vorbild so viele Menschen für den Islam getötet hat, dürfen wir das auch“.)

 

Ayatollah Janati ist Vorsitzender des mächtigen Wächterrats, und wichtiger Unterstützer von Ahmadinejad. Er hätte ohne die Zustimmung von Ajatollah Khamenei eine solche Rede nicht halten können.

 

Hojatoleslam Gholam-Reza Hassani, der Leiter des Freitagsgebets in Urumiyeh, einer Stadt in der Provinz Westazerbeijan, hat ebenso in seinem Freitagsgebet diese Hinrichtungen gut geheißen. Er forderte sogar die Hinrichtung der übrigen 11 am Tag zuvor zum Tode verurteilten Menschen. Er verkündete zudem, dass Hinrichtungen allein nicht genügten. Vielmehr sollten deren Leichen den Einwohnern Teherans auf der Straße präsentiert werden. (Vergl. BBCPersian daily Email vom 29.01.2010).

 

Von Hassani ist bekannt, dass er zu Beginn der „Islamischen Republik“ sogar seinen eigenen Sohn zum Tode verurteilt hat; ein Urteil, dass tatsächlich vollstreckt wurde.

 

111 Gegenwärtig leben ca. 50 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Selbst die 30 bis 40 % der Bevölkerung, die als „Mittelschicht“ kategorisiert wird, genießt keine existentielle Sicherheit als Voraussetzung der Zivilisierungsschübe des Verhaltens und Erlebens der Menschen. Somit könnte die Mehrheit der Bevölkerung gegenwärtig zum „Prekariat“ gezählt werden. Betroffen sind einkommensschwache Selbstständige, Arbeiter und teilweise auch Angestellte auf Zeit, auch chronisch Kranke, Alleinerziehende, Zeitarbeitnehmer und Langzeitarbeitslose, aber zunehmend auch Angestellte aus wissenschaftlichen Arbeitsverhältnissen. Sie müssen deswegen an mehrere Universitäten gleichzeitig Lehrveranstaltungen anbieten, wenn sie einen gewissen Lebensstandard aufrechterhalten wollen – ohne Berufssicherheit zu genießen. Gleichzeitig mehrere Jobs auszuführen, gehört zum gegenwärtigen Alltagsleben der Iraner.

 

112 Prekariat ist ein Begriff aus der Soziologie und definiert „ungeschützt Arbeitende und Arbeitslose“ als eine neue soziale Gruppierung. Der Begriff selbst ist ein Neologismus, der vom Adjektiv prekär (schwierig, misslich, bedenklich) analog zu Proletariat abgeleitet ist.

 

113 Vergl. Horst-Eberhard Richter, Umgang mit Angst, München 20066, S. 26ff.

 

114 Vergl. Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, 2 Bde, Ffm. 1978, vor allem Bd. 2, S. 312ff.

 

115 Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden, Ffm. 1987, S. 22. und Horst-Eberhard Richter, a. a O, S. S. 33ff.

 

116 Aj. Khomeini, Sahifeje Nur, Bd. 9, S. 155 sowie Bd. 8, S. 197 bis 201

 

117 Aj. Khomeinis Botschaft an die „pflichtbewussten Künstler“ am 21. sep. 1988 (1367/6/30), erschienen auf der Website der „nationalen Netzwerker der iranischen Schulen“.

 

118 Manche Derwischorden fördern sogar musikalisch begleitete mystische Gesänge in ihrer Prozessionen, die die Liebe besungen. Sie sind zum Teil mit gewissen Tänzen begleitet. Diese biophile Tendenzen werden gegenwärtig im Iran brutal unterdrückt.

 

119 Husain ist der zweite Sohn Fatimas, der Tochter Mohammads, und ihres Ehemannes Ali, dem vierten Kalifen. Er wurde am 10. Muharram 61 nach Hejra (gleich dem 10.10.680 n. Chr.) in einem Konflikt mit Yazid – nach der sunnitischen Zählung dem siebten Kalifen, mit seinen Begleitern grausam niedergemetzelt. Er gilt für Schiiten als dritter Imam mit berechtigtem Anspruch auf das Kalifat.

 

120 Märtyrer („Mudjahed“) sind ja „Opfer“ („Fedai“). Diese Opferbereitschaft prägte die vor- und zuweilen auch die nachrevolutionäre Orientierung politischer Organisationen. So entstanden „Mudjahedin-e Khalgh“ – „Märtyrer des Volkes“; („Fedaijan-e Khalgh“ – „Opfer des Volkes“); später („Mudjahein-e Enghelab-e Eslamie“ – „Märtyrer der Islamischen Revolution“). Sie alle sind Kinder einer nekrophilen Kultur.

 

121 Hans G. Kippenberg, a. a. O., S. 217

 

122 Das Institut für Veröffentlichung und Zusammenstellung Imam Khomeinis Werke, Sahife-ye Nur, Bd. 5 von 22 Bänden -, S. 331.

 

123 Vgl. ebd. Bd.: 17, S. 55

 

124 Vgl. ebd. Bd.: 15, S. 331

 

125 Vgl. ebd. Bd.: 5, S. 75

 

126 Vgl. ibid.

 

127 Vergl.: http://www.radiofarda.com/content/f4_war_music_Mamad_nabodi_Kaferan_Binam/ 2057382.html

 

128 Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, a. a. O., Bd. 2, 397 (Hervorgehoben von D.G.)

 

129 Mit Kompensation wird in der Psychologie eine Strategie bezeichnet, mit der bewusst oder unbewusst versucht wird, eine echte oder eingebildete Minderwertigkeit auszugleichen.

 

130 Als Oberbegriff umfasst das Über-Ich zugleich das Ich-Ideal und Wir-Ideal. „Freud sieht im Gewissen, der Selbstbeobachtung, der Idealbildung Funktionen des Über-Ichs“. (J. Laplanche, J.B. Pontali, Das Vokabular der Psychoanalyse, Ffm. 19828, BD. 2, S. 540)

 

131 Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation, a. a. O., Bd. 2, 403f.

 

132 Norbert Elias, Zivilisation; in Bernd Schäfers(Hrsg.). Grundbegriffe der Soziologie, Leverkusen 1986, S.388.

 

133 Das Gewissen der Menschen entsteht als eine Art Selbstzwangsinstanz im Lauf der Zivilisierung durch die Verinnerlichung des Göttlichen als eine Art Verschiebung der Balance zwischen Fremdzwang und Selbstzwang zugunsten der letzteren. Neigt diese Balance zugunsten eines gefürchteten Gottes, kann man von einem forensischen Gewissen sprechen. (Vergl. Dawud Gholamasad, Das Selbstbild und Weltlich islamistischer Selbstmord-Attentäter, a. a. O., S. 20)

 

134 Anomie bezeichnet in der Soziologie einen Zustand fehlender oder geringer sozialer Normen, Regeln und Ordnung. In der „Islamischen Republik“ wird dieser Zustand als Brechen religiöser Gesetze erlebt. Zur Beschreibung der Anomie wird umgangssprachlich und irreführend häufig auch das Wort Anarchie (Abwesenheit von Herrschaft) benutzt.

 

135 Dies teilte der Leiter der Organisation der privaten Schulen im Iran, Ali Bagherzadeh, in einem Interview mit Irna am 31.05.2010 mit. (Tägliche persische BBCPersian dailymail, am 31.05.2010)

 

136 ibid.

 

137 Erich Fromm, Psychoanalyse und Ethik, Ffm. 1978, S.10.

 

138 Khomeini, der am 4. Juni. 1989 starb, drückte dies u. a. wie folgt aus: „Es kann sein, dass ich gestern etwas gesagt habe und heute was anderes und morgen wieder was neues. Es hat für mich keine Bedeutung, weil ich gestern etwas gesagt habe, dabei zu bleiben.“ (Das Institut für Veröffentlichung und Zusammenstellung Imam Khomainis Werke, Sahife-ye Nur, Bd.: 18 - 22 Bände -, S. 178)

 

139 Vergl. Auch die Äußerungen von Abollhassan Banisadr, dem 1. nachrevolutionären Staatspräsidenten, der Aj. Khomeini in Paris begleitete, in einem Interview am 31.03. 2009 mit Mariam Rastegar in BBC Persian anlässlich des dreißigsten Jahrestages der „Islamischen Revolution“ und im Rahmen einer Sendung mit der Fragestellung, „Wie wurde der Iran zur Islamischen Republik“:(http://www.bbc.co.uk/persian/iran/2009/03/090331_si_mr_islamicrepublic.shtml)

 

140 Ajatollah Khomeini: . Velajat-e Faghih (Schriftgelehrtenherrschaft), Teheran 1357 (Der islamische Staat, Berlin, 1983)

 

141 Vergl. auch Massud Noghrehkar: Mashategari-e Tschehreh va Manesh-e Aj Khomeini (Schönfärberei des Gesichtes und Menatalität Aj. Khomeinis) in: http://solhoazadi.persianblog.ir/post/496/

 

142 Da die Schiiten sich unter den Sunniten jahrhundertelang in Minderheit befanden und verfolgt wurden, wurde „Taghije“, die Verstellung bzw. die Verheimlichung eigener religiöse Gesinnung als eine Schutzmaßnahme religiös sanktioniert und kultiviert.

 

143 Enzyklopädie des Islam : http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/verfassung_iri.htm

 

144 Vergl. Muhamad-Javad Larijani: Islamischer Staat und die politische Grenzen: Demnach beansprucht der „Führer“ der „Islamischen Republik“ die Führung aller Muslime der Welt, selbst wenn die Grenze des „Islamischen Staates“ noch auf Iran beschränkt ist. (http://www.hawzah.net/per/e/do.asp?a=EFABEC1.HTM)

 

145 Wenn man den Our’an genau liest, kann man an der sprachlichen und inhaltlichen Prägung der Suren den Unterschied zwischen der mekkanischen Aufstiegsphase und der medinaschen Erhaltungsphase des Propheten Muhammad nicht übersehen. Aj. Khomeini bezog sich nach seiner Machtergreifung eher auf die medinaschen, systemerhaltenden Suren. Während die moralischen und ethischen Suren, die in der mekkanischen Lebensphase des Propheten entstanden sind, hingegen eher von seinen Gegnern als Kampfmittel gegen ihn und die gegenwärtigen Kerngruppen der Macht zitiert werden.

 

146 Der Begriff Dschihad [dʒi ha d] ( dschihād, „Anstrengung,Kampf, Bemühung, Einsatz“; auch Djihad oder gelegentlich in der englischen Schreibweise Jihad) bezeichnet im religiösen Sinne ein wichtiges Konzept der islamischen Religion, die Anstrengung/den Kampf auf dem Wege Gottes (al-dschihādu fī sabīl illāh )

 

147 In dieser Rede hält er sich sogar für den “Theoretiker des heiligen Terrors“. (http://www.youtube.com/watch?v=U9gD7BRADNQ)

 

148 Vergl. http://www.kaleme.com/1388/09/13/klm-4818

 

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- Mühlmann, W. E. et al.: Chiliasmus und Naturismus, Berlin 1961, 2. Auflage 1964

 

- Nahost Jahrbuch 1987 bis 1997, Hg.: Deutsches Orient-Institut, Thomas Koszinowski/Hanspeter Mattes

 

- Orient, 30. Jg. Nr. 3,Sep. 1989, S. 439ff. und Nr. 4, Dez. 1989

 

- Rafipoor, F. : Modernisation and Coflict, Teheran 1998 (Persisch)

 

- Steppat, F.: Der Muslim und die Obrigkeit; in: Zeitschrift für Politik, Jg. 12, H4, Köln, Berlin 1965, S. 318-332)

 

- Horst-Eberhard Richter, Umgang mit Angst, München 20066

 

- Sarschomari-e Omumi-e Nofus und Maskan 1365, Madjmue-je Kodha (National Census 1986, Sammlung der Kodes, persisch), Hg.: Plan and Buget Organisation, Statistical Centre of Iran

 

- Schirazi, A.: Die Widersprüche in der Verfassung der Islamischen Republik vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung im nachrevolutionären Iran, Berlin, 1992

 

- Schirazi, A., Die neue Entwicklung der Verfassung in der Islamischen Republik Iran, in: Verfassung und Bericht in Übersee, 24. Jg. - 2. Quartal 1991, Sonderdruck, S. 105-122

 

- Tellenbach, S.: Untersuchungen zur Verfassung der Islamischen Republik Iran vom 15. November 1979, Berlin 1985

 

- Tibi, B.: Die fundamentalistische Herausforderung, München 1992

 

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- Verfassung der Islamischen Republik Iran, herausgegeben von der Botschaft der Islamischen Republik Iran. Bonn Presse- und Kulturabteilung, Mai 1980.

 

- Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen,1980

 

Zeitungen

 

- BBCPerians dailymail

 

- Ettela’at (Tageszeitung), Teheran

 

- Keyhan (Tageszeitun), Teheran

 

- Keyhan, Havai (Tageszeitung), Teheran

 

- Ressalat, (Tageszeitung), Teheran