Zum Entstehungszusammenhang des 2. Golfkrieges

Am 2. August 1990 besetzten irakische Truppen Kuwait. Danach wurde auf den Irak ein solcher Druck ausgeübt, seine Truppen aus Kuwait zurückzuziehen, wie es in der jüngsten Geschichte ohne Beispiel ist. An der Spitze der Anti-Irak-Koalition setzte sich die USA, und durch eine einmalige Politik gewannen sie auch die UNO für Sanktionen gegen Irak. Trotzdem beharrte die irakische Führung auf die Einverleibung Kuwaits als die 19. Provinz des Landes. Daraufhin wurde militä­risch interveniert und schließlich die irakischen Truppen gewaltsam aus Kuwait verjagt und das irakische Militärpotential weitgehend zerstört.

In diesem Zusammenhang stellen sich drei Fragen: warum überfiel Irak Kuwait, warum wählten die USA die militärische Option und warum beharrte die irakische Führung trotz der militärischen Übermacht der gegnerischen Truppen auf die Annektion Kuwaits und begab sich in solch einen aussichtslosen Krieg hinein. Diese Fragen können aber nicht wie in den bisherigen Untersuchungen über den Golfkrieg "voluntaristisch" und speziell durch die Pathologisierung Saddams be­antwortet werden.

Damit kann man zwar die "Schuldfrage", nicht aber die Entstehung eines Krieges erklären. Die Entstehung eines Krieges zu erklären, heißt durch eine angemessene Diagnose zu einer entsprechenden Prognose zu gelangen und somit zu einer distanzierten Handhabung des Problems beizutragen. Das zentrale Mo­ment der Entstehung der Kriege liegt weniger in den niederen Beweggründen eines "unberechenbaren" Diktators, der kaltblütig und planmäßig einen Bruch des Völkerrechts begeht, der nicht ungestraft bleiben soll. Es liegt vielmehr in der Dynamik der zwischenstaatlichen Beziehung und damit verbundene Verschie­bung der Machtbalance. Der Hinweis auf den Bruch des Völkerrechtes durch Saddam Hussein ist aber insofern irreführend, als dieses Recht ständig verletzt wird und zwar nicht zuletzt durch die USA selbst, ohne dafür bestraft zu werden. Anscheinend gehört es zu den Privilegien der Supermächte, das Völkerrecht zu verletzen oder nach Belieben in ihrem Sinne auszulegen.

Dieses gilt in einem begrenzten Umfang auch für die Großmächte England, Frankreich und China, also für die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die aufgrund ihrer Machtstärke und wegen der gegenwärtig herrschenden Staatenfi-guration ein Vetorecht für sich beanspruchen. Auch die machtschwächeren Staaten wie Israel, Türkei etc. konnten in der Vergangenheit mit der Duldung der USA solche Völkerrechtsverletzungen begehen, ohne dafür gestraft zu werden. Gleich­zeitig können die Supermächte andere Staaten daran hindern, das Völkerrecht in ihrem Sinne auszulegen. Sie verbieten z. B. Irak, Atomwaffen zu besitzen, wäh­rend es für sie selbst selbstverständlich ist, nicht nur solche Waffen zu besitzen, sondern sie auch einzusetzen.

Damit soll unterstrichen werden, daß es zwar ein Völkerrecht gibt und entspre­chende Instanzen, die die territoriale Integrität aller Staaten der Welt befürworten und die Verletzungen des Völkerrechtes verurteilen, sie können aber die Durchset­zung des Völkerrechts nicht garantieren, da sie für deren Realisierung keine entsprechend monopolisierten Machtmittel in Form einer demokratisch legitimier­ten und überwachten Polizeitruppe unterhalten. Dies setzt selbstverständlich eine weitgehende Pazifizierung der Völkergemeinschaft voraus, die mit einer Wand­lung der "Wir-Bezüge" der Menschen einhergeht.

Den jüngsten Golfkrieg kann man also dann erklären, wenn man den Finger genau auf diesen wunden Punkt der zwischenstaatlichen Beziehung legt, nämlich darauf, daß diese Beziehung eigentlich immer noch archaisch durch das Gesetz der Stärke diktiert wird. Die archaische Ordnung der zwischenstaatlichen Beziehung treibt jeden Staat dazu an, stärker zu werden als der andere, um nicht hinter ihm zurückzubleiben. Wenn ein Staat stärker wird, wenn sein relatives Machtpotential zunimmt, wird jeder andere Staat, der nicht ebenfalls stärker wird, schwächer. Er sinkt automatisch auf eine niedrigere Position in der Status- und Machthierarchie der Staaten. Daher ist in einem Bereich mit einer immanenten Dynamik dieser Art jede Einheit zum Wettstreit gezwungen, oder sie muß sich mit einer niedrigeren Position in der Hierarchie und mit der Möglichkeit des Druckes oder der Invasion von anderer Seite abfinden. (Elias 135)

In die schweren Positions- und Überlebenskämpfe, in die sich als Staaten organi­sierte menschliche Gruppen verwickeln, suchen also aufsteigende Gruppen ihre Lage zu verbessern im Kampf mit anderen, die ihnen den Aufstieg verwehren; bereits Aufgestiegene versuchen das, was sie haben gegen den Ansturm der neuen Gruppen zu behaupten; wieder andere steigen ab. Inmitten dieses ständige Auf-und-Abstiegs ist es beinahe unvermeidlich, daß die Art und Weise, wie die darin verwickelten Mitglieder solcher Gruppen soziale Geschehnisse erleben, wie sie über sie denken, von der unaufhörlichen Bedrohung ihrer Lebensweise, ihres Lebensstandards und vielleicht sogar ihres Lebens selbst aufs Tiefste affiziert ist.

Die Einbezogenheit in diese Konflikte und das entsprechende Engagement des Denkens teilen alle Mitglieder solcher Gruppen - sowohl die Führer als auch die Geführten. Unter solchen Umständen, unter denen sie als Mitglieder einer Nation, die mit anderen im Kampf liegen und sich bedroht fühlen, ist ihre Selbsterfahrung aufs stärkste von Affekten, von ihrem persönlichen Engagement geprägt.

Damit treten sie in die "Falle eines Dilemmas", die Elias (S. 22) als eine Art "Rückkopplungsmechanismus" bzw. "Doppelbinderprozeß" bezeichnet: auf der einen Seite ist es für Menschen schwer, ihre eigenen starken Affekte in Bezug auf Ereignisse, die ihr Leben in tiefe Mitleidenschaft zu ziehen drohen, besser zu kontrollieren und ihnen mit größerer Distanz entgegen zu treten, so lange ihr Vermögen, den Verlauf dieser Ereignisse zu kontrollieren, noch gering bleibt. Auf der anderen Seite ist es schwierig für sie, ihr Verständnis und ihre Kontrolle auf diese Ereignisse auszudehnen, solange sie ihnen nicht mit geringerer Distanz entgegentreten und eine größere Kontrolle über ihre Leidenschaften im Erleben dieser Ereignisse gewinnen.

Was also die zwischenstaatliche Beziehung, d. h. die Situation der Einstellung der jeweiligen Staatsbürger kennzeichnet, ist ihr archaischer Charakter mit ihrer immanenten ständigen Lebensbedrohung und entsprechend daraus entspringen­den affektiven Selbsterfahrung. Die Dynamik des immanenten Wandlungspoten­tials dieses "Doppelbinderprozesses" bleibt jederzeit wirksam, auch wenn die Aktualisierung dieses Potentials blockiert ist oder in einem sehr langsamen Prozeß ihren Ausdruck findet. Als eine Art Zwangslage von Menschen führt daher nicht jede zwischenstaatliche Spannung zu einer gewaltsamen Austragung eines Kon­fliktes, solange sie selbst auf gleicher Höhe bleibt oder den Charakter eines Durch­bruchs erhält. Erst wenn die Spannung nicht allmählich abnehmen kann und ihrerseits zur Veränderung der sie aufrechterhaltenden Mentalität führen kann, die ihrerseits wieder zur Verminderung der Spannung, zur Verminderung der Gefah­ren beiträgt, bekommen die fluktuierenden Machtkämpfe den Charakter einer Eskalation. (Elias S. 85) Die Möglichkeit einer solchen Eskalation liegt aber in der strukturellen Instabilität dieses sozialen Feldes von Staaten ohne zentrales Gewalt­monopol.

Was auch immer der Anlaß zwischenstaatlicher Spannungen und Konflikte sein mag, ihre hauptsächliche Triebkraft beziehen alle Konfrontationen aus dem imma­nenten Konkurrenzdruck, der unter den Staaten herrscht, aus der permanenten und gegenseitigen Bedrohung von Teileinheiten und aus den entsprechenden Macht- und Statusfragen. (Elias 134) In diesem Sinne kann man die Lage, in die Irak im Sommer 1990 hineingeraten ist, nur dann erklären, und die Handlung seiner Verantwortlichen nur dann verstehen, wenn man diese Eigenart der Figuration der zwischenstaatlichen Beziehung genau vor Augen hat. Dafür müssen die Prozesse nachvollzogen werden, die langfristig sozusagen als die Weichen für diesen Kon­flikt gelegt haben.

Der Nahe Osten, also das Gebiet der heutigen Staaten Ägypten, Israel, Syrien, Libanon, Türkei, Jordanien, Irak, Iran, Afghanistan und Saudi-Arabien sowie der kleinen Scheichtümer am Persischen Golf, wurde im Laufe des 18. und des 19. Jahr­hunderts zur Sicherheitszone der aufstrebenden Staaten Rußland, England, Frank­reich und Deutschland /Österreich. Die damaligen Staaten in diesem Gebiet verlo­ren ihre volle Souveränität und damit auch ihre Handlungsfähigkeit. Es war für die beteiligten Menschen unangenehm, in einem Staat zu leben, dessen Glanz der Vergangenheit angehörte oder der nicht einmal unabhängig war.

Die anschließende Neugestaltung des Nahen Ostens nach dem Ersten Weltkrieg setzte indes den Arabern auf den fruchtbaren Halbmond viel mehr zu, als den Persern, den Türken, oder auch den Ägyptern. Die letzteren konnten trotz allem vorzeigen, daß sie in einem einheitlichen Staat leben, dessen Grenzen klar definiert sind und dessen Geschichte zum Stolz Anlaß gibt. Die Araber, aber besonders die Syrer, die Iraker, die Palästinenser, die Jordanier und die Bewohner der arabischen Scheichtümer, aber auch die Libanesen, fühlten sich um ihren arabische Großstaat mit der Hauptstadt Damaskus betrogen, wie er seinerzeit von dem arabischen Nationalrat beschlossen worden war und von den Briten dem Scherifen von Mekka Hussein versprochen worden war.


Die Briten und Franzosen, deren Interesse kaum mit einem großarabischen Reich zu vereinbaren waren, wirkten nach einer Vereinbarung, die als Syks-Picot-Vertrag bekannt wurde, gegen diesen Wunsch, allerdings waren die Araber selbst auch nicht in der Lage einen einheitlichen Staat zu bilden, da sie in zahlreichen Interessenlagen und Stämme geteilt waren. Doch diese Idee wurde bald populär, als die Masse der Araber sah, daß in den neugegründeten Einzelstaaten eigentlich die Westmächte in der Gestalt von Kolonialherren das Sagen hatten. Die Gründung des Staates Israel und die Niederlagen der Araber in mehreren Kriegen gegen Israel vertieften die Enttäuschungen. Das kollektive Gedächtnis das sich unter den mei­sten Arabern in dieser Region um diese "imperialistisch-zionistische Verschwö­rung" gebildet hat, ist noch heute lebendig und wirkt auf die Entscheidungen der Araber in einer sehr phantasiebeladenen Form ein.

Wegen eines immer noch affektiv besetzten gemeinsamen "Wir-Bezuges" aus der Vergangenheit nehmen also die arabischen Staaten eine besondere Stellung innerhalb der islamischen Völker ein. Ihr Verhältnis zueinander wird durch ein relativ starkes Gefühl der Solidarität gekennzeichnet, das als Ausdruck des ge­meinsamen Willens gilt, die Teilung der arabischen Staaten im Sinne einer glorrei­chen Vergangenheit zu überwinden und einen einheitlichen mächtigen arabischen Staat zu bilden. Das Bekenntnis zu diesem Ziel und die Abstimmung der Handlung darauf bestimmt weitgehend die Politik im Nahen Osten. Zudem wird die Bezie­hung der arabischen Staaten vor allem auf dem fruchtbaren Halbmond und der arabischen Halbinsel mehr oder minder durch eine archaisch geprägte "Reziprozi­tät" bestimmt. Die Ehre ist immer noch das weitgehend dominante Regulations­prinzip sozialen Verhaltens und prägt die gesellschaftliche Ordnung, während der "Gabentausch" die Form der Herstellung der Machtbalance und ihrer Erhaltung ist.

Die Ehre und das Ansehen als "Wert" eines jeden fordern, niemanden etwas schuldig zu bleiben: die Ehre verlangt, auf jede Provokation, jede Infragestellung der eigenen Integrität unmittelbar und empfindlich zu reagieren. Das Ansehen hängtvon Bereitschaft ab, keine Hilfe unvergolten zu lassen.

Gleichzeitig verlangt das Zusammengehörigkeitsgefühl, daß alle ihr Verhalten auf den Erhalt der Gemeinschaft und Erlangung der Einheit ausrichten, so daß jede Handlung, selbst eine gewaltsame, die auf die Herstellung der Einheit gerichtet ist, als "gerecht" erscheint. Alle Handlungen, die dieses Ziel verfehlen, sind dann "ungerecht". Doch der Fortbestand der Einzelstaaten und ihre zunehmende Stär­kung verstößt immer wieder gegen das Solidaritätsprinzip. Es wird immer schwie­riger, eine Balance zwischen den Interessen der Einzelstaaten und der Gemein­schaft herzustellen. Daher nehmen die Spannungen zwischen den arabischen Staaten eher zu als ab und das Ziel der Einheit rückt immer mehr in die Ferne.

Das partikulare Interesse der jeweiligen Staaten - je mehr diese Staaten ihre eigene 'Identität" erlangen - fordert, daß die Ehre und das Ansehen mehr oder minder für den eigenen Einzelstaat beansprucht wird, daß Sonderinteressen immer mehr zu Allgemeininteressen werden. So versuchen Einzelstaaten eine führende Rolle innerhalb der arabischen Staaten zu übernehmen, um das Ziel der Einheit mit ihren Partikularinteressen in Übereinstimmung zu bringen.

Das Zusammenhaltsgefühl, das vor allem durch diverse panarabische Ideologi­en zum Ausdruck kommt, bewegt die Araber, die Teilung der arabischen "Nation" zu überwinden. Der Wunsch nach einer gesamtarabischen Integration ist beson­ders unter der Masse der Araber sehr lebendig, so daß die Handlungen der arabischen Politiker sehr stark in diesem Sinne bewertet werden. Kein arabischer Politiker kann es sich leisten, ökonomische oder politische Wünsche für sein Land anzumelden, ohne sie als im Interesse aller Araber legitim darzustellen. Handelt er dagegen, kann er es riskieren, aus der Gemeinschaft der Araber ausgestoßen zu werden. Die Isolierung Ägyptens innerhalb des arabischen Lagers nach dem Frie­den mit Israel ist das beste Beispiel hierfür. Es zeigt auch, wie eng der Handlungs­spielraum eines arabischen Staates wird, wenn der auf seine Zugehörigkeit zu diesem Lager Wert legt

Ein anderes Beispiel für die Verletzung der arabischen Solidarität liefern die Scheichtümer auf der arabischen Halbinsel. Seitdem die Scheichtümer es durch den Verkauf des Erdöls zu einem enormen Reichtum gebracht haben, werden diese kleinen Zwergstaaten von der Masse der Araber nicht sehr freundlich angesehen. Nicht nur, daß der Erdölreichtum die arabischen Brüder und Schwestern in stein­reiche und bitterarme geteilt hat, vielmehr erwartet die Masse, daß dieses Geld im Sinne der Gemeinschaft und der daraus abgeleiteten Verpflichtung verstärkt für die arabische Einheit und Vertreibung der Israelis von dem arabischen Boden oder für Entwicklungspläne der ganzen Region eingesetzt wird. Die Milliarden Dollars, die jährlich für diese Zwecke von den Scheichtümern ausgegeben werden, werden anscheinend nicht als ausreichend betrachtet.

Die arabischen Führer können ihrer Solidarität unter der Masse sicher sein, wenn sie nicht nur im Sinne der Einheit argumentieren, sondern sich aktiv als treibende Kraft zur Wiederherstellung der arabischen Einheit hervortun. Dadurch kann ein Staat sogar mit Hilfe der Massen, sich auf Kosten anderer arabischer Staaten profilieren, ja andere Staaten destabilisieren. Das beste Beispiel hierfür lieferte der legendäre arabische Führer Jamal Abdel Nasser, dem es gelang für Ägypten eine führende Rolle in der arabischen Gemeinschaft zu erkämpfen und die Massen der anderen Staaten gegen ihre Führer aufzuwiegeln. Viele arabische Staaten haben immer wieder versucht, eine führende Position innerhalb des arabi­schen Lagers zu erringen. Anwärter dieser Führungsrolle waren neben Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien und auch der Irak.

Die Erringung dieser Führungsrolle war für Irak deshalb besonders wichtig, weil die Umstände, die zur Entstehung dieses Staates geführt hatte, von den meisten Irakis als traumatisch erlebt wurden. Bekleidete Ägypten jahrzehntelang eine ansehnliche Position innerhalb der arabischen Welt, wurde Irak in dieser Gemeinschaft von Beginn an nicht sehr ernst genommen. Irak war, wie man sagte, ein "Kunstgebilde", das England geschaffen hatte. Man nannte ihn verächtlich "Churchills Folie". Eine iranische Zeitung bezeichnete Irak sogar als ein "histori­sches Mißverständnis".

Mehr noch, Irak gelang es jahrzehntelang nicht, sich der Fremdherrschaft zu entledigen und ein stabiles System aufzubauen. Wer nicht sein eigenes Haus in Ordnung bringen kann, wird von den anderen Arabern als "schwach", ja "ehrlos" angesehen. Ein großes Problem, das irakische Haus in Ordnung zu bringen, stellte die Existenz eines souveränen Staates Kuwait dar. Nach Iraks Behauptung und der Meinung vieler Araber gehörte Kuwait zum Irak. Die Grenze zwischen beiden Ländern sei von den Briten festgelegt worden.

Die irakische Bevölkerung litt unter diesem Stigma. Und die irakischen Politiker setzten, nachdem sie nach 1958 die Engländer faktisch aus dem Land gejagt hatten, alles daran, um den anderen nahöstlichen Staaten und besonders den "arabischen Bruderstaaten" zu beweisen, daß Irak eben das Gegenteil davon ist, was sie von ihm behaupten. 1961 bemühte man sich zum ersten Mal um die Annektion Kuwai­ts, was durch die Landung der britischen Truppen verhindert wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten sich die Rahmenbedingungen der zwi­schenstaatlichen Beziehungen insofern, als die Bewegungsfreiheit der machtschwä­cheren Staaten in der Welt größer wurde . Die Phase des Kolonialismus ging allmählich zu Ende, und die erste Aufbauphase der ehemaligen Kolonien war abgeschlossen. Besonders die Aufstellung moderner Armeen gab diesen Staaten die Möglichkeit, gewisse Korrekturen der "kolonialen Grenzen" zumindest anzu­streben. Die Macht der Westmächte nahm im Vergleich zum kolonialen Zeitalter ständig ab. Die Verschiebung der regionalen und globalen Machtbalance vor allem zwischen etablierten Staaten und den Außenseitern, den sogenannten Staaten der 3. Welt, lieferte den Hintergrund für regionale und globale Konflikte. Die einen versuchen, neue Grenzen entsprechend ihrem Machtzuwachs zu schaffen, die anderen versuchen eine Neuaufteilung der Machtchancen zu verhindern.

Die bipolare Hauptspannungsachse teilte die Welt in zwei Lager. Der Sog dieser Polarisierung zwischen den beiden Hegemonialmächten an der Spitze der Pyrami­de war so stark, daß die anderen Staaten in das Kraftfeld des einen oder des anderen gezogen wurden, wie Eisenspäne an den einen oder den anderen Pol eines starken Magnetfeldes. Der Ausscheidungskampf um die Hegemonialstellung zwi­schen den Machteinheiten an der Spitze bestimmte also in erheblichem Ausmaß auch die Gruppierung von Staaten über die ganze Welt. (vgl. Elias 128f.) Dies schränkte die zwischenstaatliche Bewegungsfreiheit der meisten Länder der Erde ein, auf der anderen Seite konnten viele der aufstrebenden Staaten gerade wegen der starken Rivalität der Supermächte eine gewisse Ellbogenfreiheit in ihren zwi­schenstaatlichen Beziehungen erlangen.

Die Balance zwischen "Blockbildung" und "Blockfreiheit" konnte man sehr gut im Nahen Osten beobachten, so daß Israel arabische Gebiete annektieren, Syrien gewisse Rechte in Libanon durchsetzen, die Türkei Zypern teilen und der Irak gegen Iran marschieren konnte, ohne daß die Großmächte sehr viel dagegen unternehmen konnten. Allerdings konnten die USA und die Sowjetunion eine allzu große Verschiebung der Staatsgrenzen verhindern oder besser gesagt: sie verhinderten eine Verschiebung der Machtbalance in diesem Gebiet. So wurde 1967 die totale Niederlage der arabischen Seite und 1973 die totale Niederlage der israeli­schen aufgehalten. Auf jeden Fall gab diese gewisse Ellbogenfreiheit Irak die Möglichkeit, nach dem Staatsstreich von 1958 sich allmählich durch die Annähe­rung an das östliche Lager, einen außenpolitischen Spielraum zu erkämpfen.

Irak gab sich ein anti-israelisches Image, begann mit einem ehrgeizigen Auf­bauprogramm und vor allem der Stärkung seines Rüstungspotentials, um sich als Gegengewicht zu Israel aufzubauen und freilich auch einen anerkannten Platz unter den Arabern zu erkämpfen. Der Aufbau eines starken Militärpotentials - Irak besaß als erstes Land in der Region über MIG-21-Abfangjäger mit Überschallge­schwindigkeit - beunruhigte weniger den Staat Israel als den nichtarabischen Nachbarstaat Iran, der seinerseits begann, durch die Aufrüstung mit Hilfe der USA der irakischen Gefahr zu begegnen. Irak erhob Anspruch auf die iranische Provinz Khusiztan, da deren Bevölkerung angeblich aus Arabern besteht und verlangte seine volle Souveränität über den Grenzfluß Schat el-Arab, Iran dagegen bestand darauf, die Flußmitte als die gemeinsame Grenze anzuerkennen.

Die zunehmende militärische Stärke des Iraks gefährdete auch den Bestand der machtschwächeren arabischen Scheichtümer auf der Halbinsel. Diese kleinen Scheichtümer sind wegen einer geringen Bevölkerungszahl, der extrem unwirtli­chen natürlichen Bedingungen, sehr zurückgebliebenen Sozialstrukturen und fast fehlender Verteidigungsmöglichkeiten besonders durch ihre Nachbarn bedroht. Die Scheichtümer am Golf sind ironischerweise mehr durch den arabischen Bru­derstaat Irak in ihrer Sicherheit bedroht als durch Iran. Alle arabischen Staaten und namentlich die schwächeren Scheichtümer haben nach der Baath-Doktrin, der offiziellen Ideologie der irakischen Regierung, keine Existenzberechtigung; der Irak hatte sich zur Mission gemacht, alle Araber in einem einheitlich arabischen Staat zu vereinigen.

Der andere Golfstaat Iran, der bevölkerungsreichste und am meisten entwickelte Staat in der Region, hatte sich seit dem 16. Jahrhundert mehr oder minder aus dem arabisch-islamischen Raum entfernt und trachtete nicht nach einer direkten Herr­schaft über die Scheichtümer, tat aber alles, um Iraks Herrschaft über dieses Land zu vereiteln. Iran hatte in diesen Jahren nur kurze Zeit einen Anspruch auf die Insel Bahrain erhoben, ließ ihn aber nach einem von der UNO durchgeführten Volksent­scheid der Inselbewohner für die Unabhängigkeit schnell wieder fallen. Die Scheich­tümer ihrerseits sahen immer im Irak eine potentielle Gefahr für ihre Sicherheit, selten dagegen im Iran.

Bis Anfang der 70er Jahre war wegen der Präsenz der britischen Truppen am Golf eine allzu direkte Konfrontation zwischen den Golfstaaten praktisch unmög­lich. Aber 1968 kündigte der britische Premierminister Harold Wilson den Abzug der britischen Truppen aus den Positionen "östlich von Sues" an. Damit hörte die direkte Schutzherrschaft der Briten über die kleinen Scheichtümer auf zu existie­ren. Dieses bedeutete zunächst eine gewisse "Schutzlosigkeit" für den Golf. Irak konnte direkt von Iran angegriffen werden oder umgekehrt, ohne daß die Großmächte in einen militärischen Konflikt verwickelt wären und sie hätten Zeit, sich zu überlegen, ob sie in so einen Konflikt sich beteiligen wollen oder nicht.

Mit dem Abzug der britischen Truppen, die verständlicherweise gegen den Wunsch der Scheichtümer stattfand, standen vor allem diese Staaten "schutzlos" da und die Amerikaner, die zu dieser Zeit im Vietnamkrieg verstrickt waren, sahen keine Möglichkeit, das entstandene Vakuum durch die Verlegung eigener Truppen zu füllen. Sie bemühten sich, den befreundeten Staat Iran nach der sogenannten "Nixon-Doktrin" zu einer regionalen Militärmacht aufzubauen. Durch die militäri­sche Zusammenarbeit zwischen Iran und den kleinen Golf Staaten sollten besonders die offenen oder versteckte Aktivitäten des Irak auf der arabischen Halbinsel verhindert werden. Die Scheichtümer vermieden aus Rücksicht auf die arabische Solidarität eine allzu offene militärische Zusammenarbeit mit dem Iran, indes haben sie aber solche Strafexpeditionen des Iran gegen die vom Irak unterstützte Bewegung zur Befreiung des Oman und des Arabischen Golfes "Populär Front for the Liberation of Oman and the Arab Gulf' (PfLOAG), und die Besetzung einiger arabischer Inseln auf dem Persischen Golf, nicht ungern gesehen.

Nach der "Nixon-Doktrin" wurden Iran und Saudi-Arabien massiv aufgerüstet, wodurch sich der Irak, der sich bis dato nach der Levante orientiert hatte, plötzlich am Persischen Golf eingekreist sah. Dem Irak blieb keine andere Wahl, als sich weiter der Sowjetunion anzunähern. Der 1972 geschlossene Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion veranlaßte Iran und USA ihrerseits, die kurdischen Autonomi-sten gegen die irakische Zentralgewalt mit Waffen und Geld zu unterstützen, um den irakischen Staat zu destabüisieren. 1973 entstand erneut eine bedrohliche Situation an der Grenze zu Kuwait. Daraufhin deutete der inzwischen zu regiona­ler Macht aufgestiegene Iran an, daß er eine Annektion Kuwaits nicht hinnehmen würde. Erneut mußte Irak von seinem Vorhaben Abstand nehmen. Auch war das Land nicht in der Lage, die Belastungen des Bürgerkrieges auszuhalten, lenkte allmählich ein und einigte sich 1975 mit dem Iran.

Der Kernpunkt des Vertrages war allerdings die Anerkennung des Iran als Regionalmacht am Golf durch Irak. Nach 1975 war Irak gezwungen, sich in Anbe­tracht der Existenz des starken Nachbarn Iran nach innen zu orientieren. Das Land entfaltete sein wirtschaftliches Aufbauprogramm, mäßigte sich in seiner Außenpo­litik und wurde auch im Westen anerkannt. Dadurch nahm auch die Gefahr des Irak für die schwächeren Scheichtümer deutlich ab. In den kommenden Jahren kam es auch zu einer Verständigung zwischen dem Irak und Kuwait, so daß es möglich wurde, die beiden von Irak begehrten Kuwaitischen Häfen dem Irak zu überlassen, unter der Bedingung, daß Irak die Souveränität Kuwaits anerkennen würde. Doch Irak blieb besonders in diesem Punkt unnachgiebig.

Nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 und dem Abschluß des Camp-David-Ab­kommens entspannte sich der klassische Nahost-Konflikt, der seit der Gründung des Staates Israel nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zunahme der Spannungen zwischen diesem Staat und seinen arabischen Nachbarn entstanden war. Durch die Isolierung Ägyptens wegen seines Friedensvertrages mit Israel innerhalb der arabischen Welt wurde die Position des Iraks aufgewertet. Nun konnte Irak seine Vorstellungen über die arabische Einheit aus einer relativ stärkeren Position inner­halb des arabischen Lagers heraus verfechten. Wäre die Lage am Golf stabil geblieben, hätte vermutlich Irak einen ganz anderen Weg eingeschlagen, um sich einen anerkannten Platz in der Welt zu erkämpfen.

Doch der Sieg der islamischen Revolution 1979 im Iran leitete eine Destabilisie-rung der Sicherheitslage am Golf ein und stellte die relativ gesicherte Position des Irak und der Scheichtümer in Frage. Die Revolution motivierte die Schiiten in den Nachbarländern, durch Proteste auf ihre marginalisierte Stellung in den betreffen­den Gesellschaften aufmerksam zu machen. Die radikalen Schiiten in Teheran schürten diese Unruhen mit Wort und Tat und so kam es, daß bereits im September 1979 die Behörden in Bahrain und Kuwait sich veranlaßt sahen, schiitische Rädels­führer auszuweisen. Auch im Irak mußte die Regierung gegen radikale schiitische Gruppierungen wie al-Dawah vorgehen. Die schiitische Revolution gefährdete aber den Bestand der etablierten Scheichtümer am Golf. Nun verschob sich die Figuration der Golfstaaten deutlich zuungunsten der Scheichtümer, wobei die Gefahr dieses Mal nicht nur von der iranischen Seite herrührte, sondern auch von innen durch die schiitische Außenseiter, die immer öfter mit den sunnitischen Fundamentalisten im Verbund waren.

Irak hielt seine Stunde gekommen, sich als Hüter der arabischen Interessen gegen die "persische Gefahr" anzubieten. Er nahm die Unruhen der Schiiten zum Anlaß, einen militärischen Feldzug gegen den innerlich durch die Revolution geschwächten Iran zu führen, um durch die Beseitigung des islamischen Regimes, die islamische Republik Iran als Anwärter der Golfhegemonialmacht auszuschal­ten und die Gefahr der radikalen Schiiten zu vermindern; durch die Übernahme der Rolle des Verteidigers der "arabischen Heimat" sollten die Golf staaten stärker an Irak gebunden und Syrien isoliert werden, so daß die Hegemonie innerhalb des arabischen Lagers leichter zu erreichen wäre. Die "Befreiung" der arabischen Bevölkerung in der iranischen Provinz Khuzistan und des "arabischen Bodens", die Aneignung des iranischen Erdöls und die Gewinnung eines offenen Zugangs zum Tiefenmeer des Golfes sollte die Machtchancen des Irak für die Erreichung der Hegemonie entscheidend verbessern.

Doch Irak verrechnete sich gründlich; es war kein schneller militärischer Sieg im Iran möglich, nicht einmal die Araber in der Provinz Khuzistan stellten sich auf die Seite der Iraker. Als Folge des irakischen Überfalls wurde die islamische Republik Iran nicht schwächer, sondern stärker und das islamische Regime stabilisierte sich zusehends. Nach zwei Jahren haben die Iraner die Iraker aus ihrer Heimat vertrie­ben und nahmen selbst verstärkte Anstrengungen auf, Irak zu annektieren. Es entstand eine noch gefährlichere Situation als vor dem irakischen Angriff und die Scheichtümer am Golf unterstützen Irak nach ihren Kräften, sogar Kuwait stellte seine Häfen für den Import der westlichen und östlichen Waffen zur Verfügung.

Auf der anderen Seite führte die reale Bedrohung der Scheichtümer durch den Iran eigentlich nicht zur Unterjochung durch Bagdad. Vielmehr wurde 1981 durch die Gründung des GCC (Golfkooperationsrat), in dem Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman, Kater, Bahrain und Saudi-Arabien vertreten sind, ein Machtzuwachs dieser Staaten registriert. Die GCC-Staaten unterstützten Irak wäh­rend des Krieges kräftig mit Petrodollars, aber stellten sich energisch gegen eine Mitgliedschaft des Irak im GCC. Nicht nur dieses "Draußen-Bleiben" hat die irakische Führung verärgert, sondern auch die umfangreiche militärische Zusam­menarbeit der GCC mit den USA im Rahmen der schon von Carter als Reaktion gegen die islamische Revolution und sowjetischen Invasion Afghanistans aufge­stellten "Rapid Deployment Force". Indes haben die GCC-Staaten es vermieden, den USA Stützpunkt-Rechte einzuräumen, aus Furcht, die Stationierung der US-Streitkräfte könnte die Sowjetunion ermutigen, ebenfalls Streitkräfte am Golf zu stationieren.

Saudi Arabien erhielt AWACS-Systeme, eine verstärkte Präsenz der US-Marine am Golf wurde beschlossen, auf der Insel Diego Garcia wurde ein militärischer Stützpunkt errichtet, denn die irakische Armee war aus eigenen Kräften nicht in der Lage, die iranischen Truppen abzuwehren. Als ein Sieg des Iran möglich erschien, bemühten sich die USA und ihre westlichen und arabischen Verbündeten einerseits und die Sowjetunion andererseits um eine allseitige Aufrüstung des Irak mit modernsten Waffen und eine Reorganisation seiner Streitkräfte; gleichzeitig belegte man Iran mit einem massiven Boykott der Rüstungsgüter, außerdem wurde Iran international isoliert und unter Druck gesetzt. Dennoch griffen die USA massiv in den Krieg zugunsten des Irak ein und zwangen Iran zur Annahme eines von der UNO verlangten Waffenstillstandes im Sommer 1988.

Zwar ging der Irak aus dem Krieg gegen den Iran nicht als Sieger hervor, aber die Umgestaltung des Landes zu einem Bollwerk gegen die islamische Republik Iran machte Irak zu einem der militärisch stärksten Staaten im Nahen Osten und verschaffte dem Land Prestige und ein Gefühl der Stärke. Nun hatte der Irak trotz allem nach einem achtjährigen Krieg vieles erreicht. Der Irak wurde ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft, und sowohl im Westen als auch im Osten setzte man ihn als ein "modernes Land mit einer pragmatischen Führung" in Kontrast zu der "islamischen Barbarei" des Iran. Dies schmeichelte seiner Führung, die nun glaubte, die marginale Stellung des Irak überwunden zu haben.

Jedoch beunruhigte die militärische Stärke des Irak die Iraner, die damit rechnen mußten, in neue Feindseligkeiten gegen Irak verwickelt zu werden. Sie beunruhig­te die Golfstaaten, die das irakische Übergewicht mit ihren Sicherheitsinteressen nicht vereinbaren konnten, aber sie beunruhigte vor allem Israel, für das der Irak bis vor kurzem keine ernstzunehmende militärische Stärke besaß. Jetzt besaß Irak ballistische Raketen, die israelische Städte treffen und chemische Waffen, die irgendwie als Gegengewicht zu den israelischen Atombomben gerechnet werden könnten. Aber auch Syrien war nicht glücklich über die militärische Stärke des Irak. Deshalb verschaffte die militärische Stärke des Irak dem Land keineswegs die erhoffte Sicherheit. Im Gegenteil, sie gefährdete den Irak stärker als zuvor. Auch der Westen, der während des Krieges gegen Iran immer lobende Worte für die "aufgeklärte und moderne Führung" des Irak gefunden hatte und immer zur Stelle war, zu helfen, zu liefern und aufzubauen, fing nun an, angesichts gewisser Entwicklungen, die Bewertung des Irak zu überprüfen: die Ermordung des mit der Entwicklung der irakischen "Superkanone" beschäftigten Ballistikexperten Bull in Brüssel, die darauf folgende Beschlagnahmung von Teilen der "Kanone", die Entdeckung von angeblichen Atomzündern auf dem Londoner Flughafen, die Affäre um den wegen "Spionage" hingerichteten Journalisten Bazof etc. machten viele im Westen über die militärische Entwicklung des Irak nachdenklich. Saddam registrierte dies auf der anderen Seite mit den in den Medien des Westens sich häufenden Meldungen über die Giftgaseinsätze der irakischen Armee gegen die Kurden sowie Menschenrechtsverletzungen im Irak als Anzeichen eines "Komplot­tes" gegen sein Land.

Anfang des Jahres stand es für Saddam fest, daß dieses "Komplott", wenn es zum Austragen kommen sollte, durch die Israelis ausgeführt werden würde. Die gegenseitige Bedrohung Irak und Israel war jedoch nicht frei von einer gewissen orientalischen Komik: Israel fühlte sich bedroht und die israelischen Politiker sprachen offen darüber, wann und wo sie eine Gelegenheit dazu fanden. Irak war durch Israel bedroht, und die irakischen Politiker flüchteten sich in Drohungen gegen Israel. Am 2. April hielt Saddam eine Rede vor den Oberkommandierenden der Streitkräfte und sagte, daß die Westmächte sich täuschten, wenn sie meinten, sie könnten Israel Deckung geben, um einen Schlag gegen einige von unseren metallverarbeitenden Industriebetrieben zu führen. "Wenn Israel irgendetwas ge­gen den Irak unternimmt, dann werden wir dafür sorgen, daß das Feuer die Hälfte dieses Landes vernichtet. Wer uns mit der Atombombe bedroht, den rotten wir mit chemischen Waffen aus." (Zitiert nach Salinger 26)

Nun war es für die irakische Führung nicht leicht, angesichts dieser Situation die gigantische Rüstung ihres Landes zurückzuschrauben, zumal das Land mit Sad­dam Hussein an der Spitze einen ambitionierten Führer hatte, der große Pläne für Irak hegte. Unter diesen Umständen schien die einzige Garantie für irakische Sicherheit eine weitere militärische Stärkung zu sein, so daß besonders Israel es nicht wagen sollte, Irak anzugreifen. Ironischerweise sollten die reichen Scheichtü-mer seine weitere Aufrüstung bezahlen. Denn um die militärischen Anstrengun­gen weiter verfolgen oder zumindest ihren Stand zu halten, reichten die wirtschaft­lichen und technischen Möglichkeiten des Irak keineswegs aus; Irak war mit etwa 100 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet, davon die Hälfte bei den Scheich-tümern. Die Einnahmen aus dem Erdöl deckten nicht einmal die laufenden Ausga­ben. Da nun Saddam für sich in Anspruch nahm, die gemeinsamen arabischen Ideale zu verteidigen, schien es ihm auch als selbstverständlich, daß die reichen arabischen Scheichtümer verpflichtet seien, seinem Land zu helfen.

Saddams Argumentation war, daß der Irak die Golfstaaten von der "persischen Gefahr" beschützt habe und noch heute schütze. Als der Krieg zwischen Iran und Irak ausbrach, meinten die irakischen Führer, nicht nur Irak wäre von der "persischen Gefahr" bedroht, sondern die gesamte arabische Welt. Legitimiert wurde diese Haltung durch den Rekurs auf die historischen Differenzen zwischen Persern und Arabern. Daher sollte Saddams Kampf gegen den Iran die Wiederholung der historischen Schlacht von Qadesiyya sein, als es den arabischen Truppen gelang, den Sassanidenstaat zu besiegen.

Nun sollte sein Land die Möglichkeit bekommen, diese Rolle des Beschützers auch gegenüber Israel zu übernehmen, von dem er überzeugt war, es werde spätestens in fünf Jahren einen Krieg gegen die Araber führen. Darüber hinaus hatte Saddam den Irakern schon einen geschichtlichen Auftrag gegeben, als Be­schützer aller Araber aufzutreten: "Der Ruhm der Araber stammt vom Ruhm der Iraker ab. Immer wenn der Irak in der Geschichte mächtig und blühend war, war es auch die arabische Nation. Deshalb streben wir danach, den Irak zu einer mächti­gen, fähigen und entwickelten Nation zu machen." (Zitiert nach Miller/Myl-roie 51)

Verständlicherweise waren die Scheichtümer am Golf den Ideen der Irakis nicht sehr zugetan: die Sicherheit des eigenen Landes geht vor der arabischen Solidarität. Sie weigerten sich, den Forderungen von Saddam nachzugeben. Ein Streitpunkt hier war die Erdölpreispolitik der Scheichtümer. Saddam bzw. die irakische Füh­rung machten vor allem Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate wegen ihrer überhöhten Förderquoten für den Preisverfall verantwortlich, weil die Ein­nahmen des Irak sich erheblich reduziert hatte. Wegen ihrer hartnäckigen Haltung, die Förderquoten zurückzudrehen, bekam Saddam das Gefühl, die Scheichtümer steckten mit den USA unter einer Decke, um sein Land wirtschaftlich auszutrock­nen. Auf dem Treffen der arabischen Staatschefs in Bagdad im Mai 1990 soll deshalb Saddam Hussein in einem sehr aggressiven Ton gesagt haben, daß der fortgesetzte Verstoß einiger arabischer Staaten gegen die Erdölförderquoten einem Krieg gegen sein Land gleichkomme, daß ein Angriff nicht nur mit Panzern und Artillerie und Schiffen geführt werde, sondern auch mit subtileren und heimtücki­scheren Mitteln, nämlich durch die Überproduktion von Erdöl, mit wirtschaftli­chen Benachteiligungen und anderen Druckmitteln. (Weltgeschehen 107)

Auf dem oben erwähnten Gipfeltreffen wurden auch die Wünsche des Irak entsprechend vorgetragen. Danach sollte Irak geholfen werden, seinen militäri­schen und wirtschaftlichen Aufbau zu vollenden, damit die materielle Grundlage für eine ausgewogene Beilegung der Nahost-Krise geschaffen werde, indem man Irak ebenfalls ermöglichen sollte, die atomare Parität mit Israel zu erreichen. Israels wesentliche Stärke sei die Atombombe, sagte man und man sollte sich daran erinnern, daß es das strategische Gleichgewicht zwischen den Supermächten war, das zur Entspannung geführt habe. (Bulloch/Moris 91 / 160f.) Ägyptens Staatschef Mubarak und die konservativen arabischen Scheichtümer am Golf hielten nicht sehr viel von einer weiteren militärischen Stärkung des Irak, zumal sie dieses auch noch finanzieren sollten.

Die Angriffe Saddam Husseins gegen Israel, wonach Irak den halben Staat Israel mit chemischen Waffen vernichten würde, falls sein Land angegriffen werde, sollte das arabische Lager hinter Irak vereinen. Doch die Scheichs gaben sich unbeein­druckt und Syrien tat alles als Erpressungsversuch des "arroganten irakischen Regimes" ab. Aber die "Brenne-Israel-Rufe" Saddams machten ihn immer mehr bei den arabischen Massen interessanter, und die irakischen Politiker brachten diesen Punkt in den weiteren Verhandlungen mit den arabischen Führern bewußt ins Gespräch. Der irakische Führer war schon Monate vor dem Überfall auf Kuwait im Begriff, die Unterstützung der Massen gegen die Scheichtümer zu erreichen.

Zwar hatte Saudi-Arabien ebenfalls die Förderquoten überschritten, aber Irak griff den König nie an. Direkt wurden immer Kuwait und die Emirate angegriffen, und einige Ereignisse führten dazu, daß immer mehr Kuwait zur Zielscheibe der irakischen Politik wurde, und daß sich zwischen Saddam Russen und Scheich as-Sabah ein persönliche Feindschaft anbahnte. Die Beziehungen zwischen Kuwait und Irak hatten sich nach dem Ende des Krieges gegen den Iran nicht sehr gut entwickelt. Saddam war verärgert, daß der kuwaitische Herrscher ihm erst ein Jahr nach dem Waffenstillstand einen Besuch abstattete und dabei für die Leistungen seines Landes im Krieg eine schnelle Lösung der Grenzfrage verlangte.

Meinungsverschiedenheiten existierten über die von Irak begehrten beiden Hä­fen Bubian und Warba, die Saddam gerne pachten wollte, aber sowohl in den Grenzstreitigkeiten als auch in der Verpachtung der beiden Häfen, aber auch in der Schuldenfrage und Gewährung von weiteren Krediten ging es den beiden Kontra­henten um die Souveränität Kuwaits; Irak wollte diese Souveränität nicht anerken­nen und Kuwait machte die Klärung aller Fragen von der Anerkennung seiner Souveränität abhängig.

Im Juni hatten sich die Beziehungen zwischen Irak und Kuwait derart verschlim­mert, daß Saddam aus dem Anlaß der 22jährigen Machtergreifung durch die Baathpartei am 17. Juni Kuwait und die Emirate Öffentlich der Verschwörung gegen Irak beschuldigte, mit dem Ziel, "der arabischen Nation den Lebensunter­halt abzuschneiden". Der Irak werde das nicht mehr länger ertragen, "dann wäre man besser tot als so". (Zitiert nach Karsh/Rautsi 63) Die Kuwaitis ließen sich diese öffentliche Bewertung und die damit verbundene Demütigung nicht gefallen und antworteten hart: "In guten wie in schlechten Zeiten sind die Söhne Kuwaits prinzipientreue und integre Menschen. Sie werden Drohungen und Erpressungs­versuche auf keinen Fall nachgeben." (ebenda) Diese trotzige Antwort dürfte Saddam sehr hart getroffen haben, der diese als persönlichen Affront eines schwa­chen Nachbarn auffaßte, der sich die Frechheit leistete, den starken Nachbarn zu beleidigen. Am 22. Juni ließ Bagdad seine Truppen an die kuwaitische Grenze verlegen.

Ende Juni versuchte der irakische Vizepremier Saddum Hammadi die saudi­schen und den kuwaitischen Herrscher dazu zu bewegen, eine Sondersitzung der OPEC einzuberufen, um die Förderquoten zu senken und seinem Land 10 Milliar­den Dollar zu leihen. Doch weder in Saudi-Arabien noch in Kuwait hörte er eine positive Antwort. Hammadi hatte eine Liste der kuwaitischen Investitionen im Ausland in der Hand, die etwa eine Summe von 100 Milliarden Dollar ausmachten. Auf seine Hinweise über den Reichtum des Landes antwortete der Emir mit dem Vorschlag, dem Irak, über drei Jahre verteilt, 500 Millionen zu überweisen, und darüber hinaus sagte er: "Lassen Sie uns über den Grenzverlauf eine Überein­kunft finden und ihn ratifizieren, dann können wir über die anderen Dinge spre­chen." (Zitiert nach Salinger 41)

Wenn diese Angabe stimmen sollte, dann war das nichts anderes als eine Beleidigung des Saddam. Denn Kuwait war durch die Haltung Bagdads gekränkt, keine Bereitschaft zu zeigen, die Grenzdifferenzen zu beenden und eine verbindli­che Erklärung für Kuwaits Souveränität abzugeben, nachdem Kuwait so "selbst­los" Irak in seinem Kampf gegen Iran unterstützt hatte. Der Emir von Kuwait gab eigentlich immer dem Drängen Bagdads nach, er bot Irak die beiden Inseln zur Pacht an, er bot Geld an, die Erlassung der Schulden, und eine großzügige Rege­lung des Grenzverlaufes hat er in Aussicht gestellt, unter der Bedingung, daß Irak die Grenzen des Kuwait und damit die Souveränität dieses Staates nach dem von der UNO 1963 bestätigten Dokument anerkenne, doch Bagdad winkte immer ab.

Saudi-Arabien und die anderen GCC-Staaten waren in Bezug auf die Beziehung zu Irak weniger belastet und auch weniger empfindlich. Kuwait näherte sich deshalb der Islamischen Republik Iran, um gegen den ständig zunehmenden Druck aus Bagdad einen Ausgleich zu schaffen. Daher trachtete Kuwait gleich nach dem Ende des Krieges danach gute Beziehungen zu der Islamischen Republik Iran aufzunehmen, wobei es beinah zu einem Zerwürfnis zwischen Kuwait und Saudi-Arabien gekommen wäre, denn die Saudis, die noch unter dem Schock der Ereig­nisse während der Pilgerfahrt 1987 standen, meinten Iran sei die Hauptgefahr am Golf. Kuwait vertrat die Ansicht, die Hauptgefahr sei nun der Irak.

Kuwaits Herrscher fing also an, mit dem Iran bessere Beziehungen anzuknüp­fen. Während des Krieges betrachtete Iran Kuwait als Kriegsverbündeten des Irak und unterhielt auch keine diplomatischen Beziehungen zu diesem Staat, vermut­lich auch wegen der Unterstützung der schiitischen radikalen Gruppen im Kuwait. Iran und Kuwait einigten sich schnell auf die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und am 11. Juli stattete der iranische Außenminister Kuwait einen Besuch ab. Das war aus irakischer Sicht keine gute Entwicklung, denn Kuwait näherte sich einem Feind Iraks, bevor Irak die Möglichkeit bekam, ein Friedensab­kommen mit diesem Land zu schließen. Dieses Verlassen der Front der arabischen Solidarität paßte der irakischen Führung nicht ins Konzept. Nun warf Saddam Kuwait vor, neben der destruktiven Preispolitik, Erdöl aus dem Grenzgebiet um das Ölfeld Rumailah gestohlen zu haben.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Beziehungen zwischen Irak und Kuwait dramatisch verschlechtert, so daß am 17. Juli Saddam bei einer Rede an die Nation seinen Kontrahenten offen mit Gewalt drohte: "Eher werden Köpfe rollen, als daß die Versorgung zusammenbricht" und fuhr fort: "Wenn Worte keinen Schutz zu bieten vermögen, dann müssen entschlossene Maßnahmen ergriffen werden, um diejenigen, die die Rechte besitzen, wieder in den Besitz ihrer usurpierten Rechte zu bringen." (Weltgeschehen 107) Zu dieser Zeit rollten auch die ersten Panzer in Richtung kuwaitische Grenze. Nach Schätzung der CIA waren es ca. 30 000 Solda­ten, also eine Zahl, die für eine erfolgreiche Operatung der irakischen Armee in anbetracht der Stärke der kuwaitischen Armee zu gering gewesen wäre. Dennoch steht fest, daß schon zu dieser Zeit Saddam mit dem Gedanken spielte, Kuwait militärisch anzugreifen. Seine späteren Äußerungen deuten auch darauf hin, daß beides, seine Gewaltandrohung und die Truppenbewegung, als letzte Warnung an Kuwait gedacht waren. Aber die Kuwaitis blieben hart und lehnten erneut die Gewährung einer Anleihe ab. (Miller /Mylroie 24f.)

Wie schon erwähnt brachte Saddam die Reaktionen der Scheichtümer und speziell Kuwaits gegen seine Forderungen in Verbindung mit einem angeblichen Kom­plott, in das diese Staaten mit den USA verwickelt schienen. Er stand zu dieser Zeit wahrscheinlich unter dem Eindruck, die USA seien dabei, mit Hilfe der Scheichtü­mer, sein Land wirtschaftlich auszutrocknen und mit Unterstützung Israels einen begrenzten militärischen Angriff zu unternehmen.

In seinem Gespräch mit der US-Botschafterin April Gelaspie legte Saddam Ende Juli offen, daß der Druck auf seine Regierung eigentlich zu groß geworden ist, daß er praktisch am Ende war und keinen Ausweg sah, als loszuschlagen. Zu ihr sagte er: die Vereinigten Staaten wollen eine sichere Ölversorgung haben. Das sei eine legitime Sorge, der wir Rechnung tragen wollen. Aber dazu dürfen die Vereinigten Staaten nicht zu den Methoden greifen, die sie anderswo verurteilen, wofür sie ihre Muskeln spielen lassen und Druck ausüben. Wenn sie diesen Druck uns gegenüber ausüben, dann werden wir mit Gegendruck antworten und ihnen unsere Stärke zeigen. Sie wissen, daß sie uns weh tun können, während wir nicht die Macht haben, sie zu bedrohen. "Aber wir können auch weh tun. Jeder kann nach seinen Möglichkeiten Schläge austeilen. Wir können nicht in Amerika landen, aber Araber können Ihr Land individuell erreichen." (Zitiert nach Salinger 56f.)

Dann betonte er, daß er lieber sterben würde, als gezwungen zu sein, in einem schwachen Irak zu leben, der einen niedrigen Status in der Welt bekleidet: Sie können den Irak mit Raketen und Flugzeugen überfallen, aber bringen Sie uns nicht bis zu dem Punkt, an dem wir alle Bedenken über Bord werfen. "Wenn wir spüren, daß Sie unseren Stolz brechen und die Iraker um die Chance bringen zvollen, ein hohes Lebensniveau zu erreichen, dann werden wir alle Vorsicht vergessen und uns für den Tod entscheiden. Wir werden keine Sicherheitsvorkehrungen treffen, selbst wenn Sie jede Rakete von uns mit hundert Raketen beantworten, denn ohne Würde hat das Leben keinen Wert." (ebenda - Hervorhebung von mir)

Weiter sagte er: "Es macht keinen Sinn, von unserem Volk zu verlangen, acht Jahre lang Ströme von Blut zu vergießen, und ihm dann zu sagen: jetzt müßt ihr die Aggression Kuwaits ertragen oder der Vereinigten Arabischen Emirate oder der Vereinigten Staaten oder gar Israels... Wir wollen keinen Krieg, weil wir aus Erfahrung wissen, was Krieg bedeutet. Aber bringen Sie uns nicht so weit, daß wir den Krieg als einzige Lösung ansehen, um würdig zu leben und unserem Volk zu erlauben, an anständiges Leben zu führen. Wir wissen, daß die Vereinigten Staaten die Nuklearwaffe besitzen. Aber wir sind entschlossen, als freie Menschen zu leben oder bis zum letzten zu sterben, es gibt keinen achtbaren Menschen in der Welt, da bin ich mir sicher, der dieses Gefühl nicht verstehen würde." (ebenda - Hervorhe­bung von mir)

Getrieben von einem Geltungsbedürfnis und einem Anspruch auf das Erweisen von Achtung mußte Saddam auf die Anerkennung von Iraks Rechten um "der Gerechtigkeit willen" bestehen, sollte er nicht "schwach" und "ehrlos" dastehen. In diesem Sinne bedeutet die Einlösung von Rechten eine "Aufdeckung der Wahr­heit" und gleichzeitig einen Beweis der eigenen "Wehrhaftigkeit": "Ich kann Ihnen versichern", so fuhr Saddam gegenüber von Gelaspie fort, "daß alle vom Irak geforderten Rechte Zug um Zug eingelöst werden. Wir werden sie uns nehmen. Vielleicht schaffen wir das nicht sofort oder in einem Monat oder in einem Jahr, aber wir schaffen es. Wir gehören nicht zu denen, die ihre Rechte aufgeben. Es gibt keine historische oder wirtschaftliche Rechtfertigung, keinerlei Legitimität für Kuwait oder Emirate, uns unsere Rechte vorzuenthalten." (ebenda - Hervorhebung von mir)

Die Verhandlungen mit Kuwait liefen insofern für den Irak deprimierend ab, als Kuwait sich nach wie vor weigerte, Saddams Forderung nachzugeben. Auch bei der Verhandlung in Jeda, die als Versöhnungskonferenz stattfand, sollte es zu keiner ernsthaften Annäherung zwischen den beiden Parteien kommen. Nach Angaben von Salinger/Laurent (75) soll Kuwait bereit gewesen sein, den Irakern anstatt 10 eine Anleihe von 9 Milliarden Dollar zu geben. Wenn dies zutreffen sollte, bedeutet es nichts anderes als ein Zeichen der Verachtung Saddam Husseins durch den kuwaitischen Emir. Nach diesem Machtspiel stellte der Emir von Ku­wait den Kontrahenten nicht nur als Bettler dar, sondern damit unterstrich er, daß das Geld eben unter Druck zugegeben bereit ist. So sollte hervorgehoben werden, wer eigentlich hier über das Geld verfügt und wer darum bitten muß; alles in allem eine Erniedrigung der Irakis vor der versammelten Mannschaft. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem Saddam das Gefühl hatte, daß er alles für sein Land getan habe und wo ein weiteres Bitten und Betteln ihm und damit seinem Land nur weitere Demütigungen eintragen würden. Jetzt war das Maß voll. Am nächsten Tag marschierten die irakischen Truppen gegen Kuwait.

Der Einmarsch in Kuwait isolierte Saddam weiter im arabischen Lager. Mit seiner ungehaltenen und aggressiven Art hatte sich Saddam bereits im Vorfeld des Konfliktes bei anderen arabischen Staatschefs unbeliebt gemacht. Saddam Hussein erwies sich als zu unkontrolliert, spielte den Kraftmeier, er wurde wütend und ja tatsächlich gewalttätig, damit macht man sich keine Freunde, sondern nur Feinde. Praktisch standen alle gegen Saddam, nur die PLO hoffte mit Hilfe von Saddam auf eine Veränderung der nahöstlichen Staatenhierarchie. Auch König Hussein hat an sich die Front der arabischen Solidarität nicht verlassen, obwohl er sich eine offene Gegnerschaft mit Saddam nicht leisten konnte.

Die aggressive Haltung Saddams legitimierte sich durch seinen Ehrbegriff. Seine Irak-Bezogenheit, als ethischer Partikularismus, macht Rücksichtslosigkeit pro­blemlos, die Opfer scheinen als "schwach" (unmännlich), nicht als Menschen, die ihrerseits Achtung verlangen könnten. Der an sich auch persönlich wenig auf "Gemeinschaftsgeist" sozialisierte Saddam, der wegen seiner Brutalität und Rück­sichtslosigkeit bekannt ist, konnte damit sehr gut leben. Für ihn galten nun Ehre und Achtung nur dem Irak, in dem er persönlich aufging.

Diese Haltung Iraks führte nicht nur wesentlich zu der Vergrößerung der Spannungen zu den anderen arabischen Staaten, sondern auch zu ihrer Entschei­dung, mit Hilfe von nicht-arabischen Staaten gegen einen arabischen Staat vorzu­gehen. Für die Araber zählte neben der realen Gefahr die Tatsache eine enorme Bedeutung, daß Irak ein schwächeres Mitglied aus ihrer Mitte militärisch auszulö­schen drohte, eine Herausforderung, die auf jeden Fall mit einer Herausforderung beantwortet werden mußte. Der Rechtsstatus und die Ehre eines Gemeinschafts­mitgliedes besteht zwar in seiner Wehrhaftigkeit, ein Angriff gegen ein wehrloses Mitglied wird als Angriff auf die Ehre des "Wir-Bezuges" interpretiert.

Die US-Administration ließ durchblicken, daß die USA gewillt seien, unter Um­ständen auch allein gegen Irak vorzugehen. Außenminister Baker erklärte zum Beispiel, daß die US-Truppen angewiesen sind, auf eine Bitte der kuwaitischen Regierung alle Schiffe zu durchsuchen, die unter dem Verdacht stehen, die UN-Sanktionen zu unterlaufen. Präsident Bush sagte auch, was ihn konkret an der irakischen Invasion störte: Lebenswichtige Grundsatzfragen stünden in der Golf­krise auf dem Spiel. Saddam Hussein versuche einen Staat von der Landkarte zu tilgen und rund 20% Welterdölreserven in seine Hand zu bringen. "Einem Irak, dem es gestattet wäre, Kuwait zu schlucken, würde die wirtschaftliche und die militärische Macht, aber auch die Arroganz besitzen, seine Nachbarn einzuschüch­tern und unter Druck zu setzen - Nachbarn, die den Löwenanteil der übrigen Welterdölreserven kontrollieren. Wir können es nicht zulassen, daß solch lebens­wichtige Bodenschätze von jemand beherrscht werden, der so rücksichtslos han­delt, und wir werden es nicht zulassen... Angesichts der Tyrannei sollte niemand Zweifel an der amerikanischen Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit haben." (Zitiert nach Weltgeschehen 60)

Er hob auch die neuen Rahmenbedingungen der Weltpolitik klar und unmißver­ständlich hervor, damit die irakische Führung es auch mitbekommt, auf welcher Basis nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes "die amerikanische Glaubwürdig­keit und Zuverlässigkeit" steht. Bezugnehmend auf das Gespräch in Helsinki mit Gorbatschow sagte Bush: Er habe gerade ein sehr produktives Treffen mit dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow gehabt. "Ich freue mich, daß wir zusam­menarbeiten, um ein neues Verhältnis aufzubauen... Es ist eindeutig, daß sich kein Diktator mehr auf die Ost-West-Konfrontation verlassen kann, um eine gemeinsa­me Aktion der UNO gegen eine Aggression zu vereiteln." (ebenda)

Damit war auch eine der entscheidenden Machtgewichte der machtschwächeren Staaten weggefallen, nämlich, die Rivalität der Supermächte ausnutzen zu können.


Dieses dürfte der schwerste außenpolitische Fehler des Irak gewesen sein. Der syrische Staatspräsident Asad zog im Gegensatz zu Saddam rechtzeitig Konse­quenzen aus der Schwächung der bipolaren Achse. In der Phase der Bipolarität hätten sich die USA vermutlich überlegt, ob sie das Risiko eines bewaffneten Konfliktes wegen einer kleinen Verschiebung der Grenzen eingegangen wären. Nach der Schwächung der Bipolarität, ja in einer Phase, die sich durch die zuneh­mende Zusammenarbeit der beiden Supermächte auszeichnete, fühlten sich die USA ermutigt, nicht nur das Risiko eines bewaffneten Konfliktes einzugehen, ja sie könnten sich sogar erlauben, ihr durch den Vietnamkrieg und Geiselaffären ram­poniertes Image aufzupolieren. Den USA bot die Schwächung der bipolaren Achse auch eine gute Gelegenheit, neben der Wahrnehmung ihrer Partikularinteressen, sich als die einzige Nation zu bestätigen, die die materiellen und ideellen Kräfte besitzt, die Welt zu führen. Die Worte von Präsident Bush vor den beiden Häusern des Kongresses mitten im Krieg sprechen eine noch deutlichere Sprache: "Zwei Jahrhunderte lang hat Amerika der Welt als inspirierendes Beispiel für Freiheit und Demokratie gedient. Für Generationen hat Amerika den Kampf zur Bewahrung und Erweiterung der Freiheit angeführt. Und heute, in einer sich rasch verändern­den Welt, kann auf Amerikas Führerschaß nicht verzichtet werden." (Süddeutsche Zeitung 31. Jan. 1991 - Hervorhebung von mir)

Von den zahlreichen Staaten der Welt, deren Interessen durch die Invasion Kuwaits mittelbar und unmittebar betroffen wurden, fühlten sich die USA-Politi­ker angesprochen, die Initiative zu übernehmen, unter der eigenen Führung die kriegerischen und zivilen Maßnahmen gegen Irak zu koordinieren. Außenminister Baker sagte: die irakische Invasion verletze die Regeln des internationalen Zusam­menlebens nach dem Ende des Kalten Krieges; Aggressionen dürfen nicht belohnt, sondern müßten rückgängig gemacht werden. Der brutale Einmarsch rufe die Vereinigten Staaten auf den Plan, nicht weil sie diese Rolle suchten, sondern weil niemand sonst diese Aufgabe übernehmen könne. (Kubbig 91 /88)

Die Erfolge der USA seit den Unabhängigkeitskriegen und insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg scheinen viele Amerikaner in ihren Vorstellungen zu bestärken, als eine von Gott auserwählte und unbesiegbare Nation, eine Mission gegen den Rest der Welt zu tragen haben. Was die US-Bevölkerung, besonders ihre Politiker, besonders auszeichnet, ist das Bewußtsein, die beste Nation der Welt zu sein, über die besten Prinzipien der Welt zu verfügen, ja sogar die Bereitschaft, diese Prinzipien überall zu exportieren: die Großmachtpolitik der USA wird durch die "Kreuzzugmentalität" legitimiert. Die martialischen Töne, die aus den USA, umhüllt in moralischen Prinzipien herüberkommen, sind gefährlicher als die Waf­fen, die sie besitzen, denn letztendlich entscheidet das Bewußtsein der Auserwählt-heit über den Einsatz von Waffen und nicht die Waffen selbst.

Dieses Amerika definiert seine Sicherheit immer im Sinne einer imperialen Supermacht, wonach es dann Sicherheit hat, wenn es stärker ist als alle anderen Nationen. Es nennt sich stolz als die "Führungsmacht der freien Welt" und macht sich zum Anwalt von Prinzipien und Idealen der freien Welt und stellt seine Gegner immer als "primitive" Menschen dar, die diese Prinzipien nicht haben, aber haben müssen, damit sie glücklich werden. Die amerikanische Expansionspolitik wurde immer im Namen der Wiederherstellung des Völkerrechts und der Demo­kratie geführt, so auch im Falle des Konfliktes mit Irak. Aber die amerikanischen Politiker haben woanders auch nicht davor zurückgeschreckt, demokratisch ge­wählte Regierungen zu stürzen, wie zum Beispiel im Falle Chile, wozu Kissinger gesagt haben soll, er sehe nicht ein, warum die Amerikaner tatenlos zusehen und erlauben müßten, daß ein Land wegen der Unverantwortlichkeit seiner Bevölkerung kommunistisch werde.

Nicht allein bei den Amerikanern herrscht die Vorstellung, eine von Gott auser­wählte Nation zu sein, die der Welt ihre "Freiheit" geben sollen, auch ihre Präsi­denten sind in einer merkwürdigen Weise "Kreuzritter der Gerechtigkeit". Ver­mutlich kommen in einem Land, wo die "Religion" zu Hause ist, solche "Menschen mit Visionen" wie Carter, Reagen und Bush sehr gut an. Der letztere glaubt in der Tat, eine Mission zu haben, das Böse in der Welt zu bekämpfen. Er meinte, die Tatsache, daß er im Zweiten Weltkrieg als Pilot abgestürzt und trotzdem überlebt habe, sei darauf zurückzuführen, daß "Gott mit ihm etwas vorhabe". Er glaubt, er sei aufgerufen "seinen Mann zu stehen". Er sei ausersehen, einen guten Krieg nicht nur zu rühren, sondern sogar führen zu müssen. (Spiegel 1 /91)

Für Präsident Bush konnte dann sehr leicht zu einer Mission werden, den irakischen Aggressor aus dem überfallenen (vergewaltigten, so Schwarzkopf) Ku­wait zu vertreiben. Bush glaubte, daß Gott auf seiner Seite sei. Auf der Tagung des Verbandes religiöser Rundfunksendungen betonte er, daß die USA einen "gerech­ten Krieg" führen, Saddam bemühe sich, dem Krieg einen religiösen Anstrich zu geben, er habe aber mit der Religion nichts zu tun. Andererseits er selbst habe alles mit dem zu tun, was Religion verkörpere: Gutes gegen Böses, Recht gegen Unrecht. Für jeden Krieg gebe es Gründe, aber ein gerechter Krieg, wie die USA ihn führen, werde aus richtigen Motiven geführt, nämlich aus Motiven der Moral, nicht aus eigennützigen Motiven.

Für ihn, so sagte er immer wieder, reduziere sich der Konflikt ganz klar auf einen Kampf zwischen Gut und Böse. Er sagte zu den US-Truppen, befreit Kuwait und kehrt als freie Menschen nach Hause zurück. Der ständige Vergleich Saddams mit Hitler sollte helfen, Parallelen zwischen Amerikas Kreuzzug vor einem halben Jahrhundert und heute herzustellen. Aus diesem Verständnis sagte er immer wieder: ein Aggressor darf nicht besänftigt, eine Aggression darf nicht belohnt werden. Er sparte nicht mit Beleidigungen und Drohungen, die Saddam Hussein tief treffen sollten.

Bush zeigte in den Wochen vor dem Kriegsausbruch deutiich Symptome der Besessenheit und identifizierte sich mehr und mehr mit diesem Krieg und setzte alles daran, den Amerikanern das Gefühl der Unbesiegbarkeit wiederzugeben. Im Bericht zur Lage der Nation sagte er: "Wenn irgend jemand sagt, die besten Tage Amerikas seien vorbei, dann ist das ein Blick in die falsche Richtung. Heute rufe ich dieses Parlament und das amerikanische Volk zur Erneuerung auf. Dieses ist ein Aufruf zu neuen Initiativen der Regierung, unserer Gemeinden und eines jeden Amerikaners - um uns auf das nächste Jahrhundert vorzubereiten." (Süddeutsche Zeitung 31. Jan. 1991)

Nicht allein die persönlichen Gründe , um populär zu werden und seine Wie­derwahl zu begünstigen, sondern auch der Gedanke, "Amerikas Erneuerung" nach der Niederlage in Vietnam einzuleiten, spielte eine wichtige Rolle in seiner Ent­scheidung, die militärische Option gegen Irak zu wählen. Auch deswegen hat Bush in der Tat in den letzten Monaten auf die "Kriegskarte" gesetzt, selbst gegen den Rat seiner engsten Berater. Zum Beispiel wurde Außenminister Baker nach Genf geschickt, aber nicht um zu verhandeln, sondern die Vorschriften von Washington zu diktieren. Auch die Sprache des Schreibens, das der Präsident Baker für Saddam Hussein gegeben hatte, entsprach nicht den Regeht, an die sich Staatsoberhäupter im Umgang miteinander halten sollten und sei in einem "unverschämten Ton" gehalten, sagte Aziz gegenüber der Presse. Diese Schreibweise wurde vermutlich deshalb verwandt, damit Saddam nicht auf den Gedanken kommt, seine Truppen in der letzten Minute doch noch aus Kuwait abzuziehen.

Offenbar stellte das "Vietnamsyndrom" das unsichtbare Band dar, das den Präsidenten mit der amerikanischen Bevölkerung verband und Bush immer ener­gischer trieb, einen leichten Sieg über den Irak zu erzielen. Nach dem gewonnenen Krieg am Golf schrieben dann auch die Zeitungen mit großen Lettern, daß das Trauma von Vietnam überwunden sei. Bei so einem glänzenden Sieg nach 100 Stun­den Bodenkampf und mit rund 100 Toten bei einem Einsatz von einer halben Million Mann gegen eine Armee, die man als vierte Streitkraft der Welt hochstili­siert hatte, schien das Gefühl der Genugtuung, des Stolzes wieder eingekehrt zu sein. Es sah so aus, als habe Amerika in diesem Krieg nicht gegen Saddam gesiegt als mehr über sich selbst, über den quälenden Selbstzweifel einer in seiner Ge­schichte immer siegreichen Nation, die ihre erste bewußte Niederlage in Vietnam erfahren mußte. Deshalb waren auch die Reaktionen vom Präsidenten bis zum einfachen Volke einhellig: Endlich haben wir das Vietnamsyndrom hinter uns.

Die Annektion Kuwaits brachte eine weltweite Koalition gegen den Irak zustande, die dann dieses Land aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu bekämpfen suchte. Das einheitliche Vorgehen der Sowjetunion mit den USA sowie die Resolu­tionen der UNO, Kuwait zu verlassen, und die darauf folgenden Sanktionen und Truppenbewegungen hätten eigentlich der irakischen Führung klar machen müs­sen, daß unter den gegebenen Umständen die Annektion von Kuwait nicht dauer­haft sein kann. Saddam konnte es nicht entgangen sein, daß er keine Chance gegenüber den alliierten Streitkräften hatte. Warum hat er sich trotzdem auf einen ungleichen Krieg eingelassen? Diese Frage wurde in der Regel mit der "Unzurech­nungsfähigkeit" Saddams, seinem "Größenwahn" und der falschen Einschätzung der Stärke seiner Armee beantwortet.

Zwar hat Saddam das Ganze politisch und militärisch falsch eingeschätzt, vor allen Dingen war seine Administration überhaupt nicht in der Lage, die gewandelte Weltlage richtig einzuschätzen, doch das Problem liegt etwas tiefer. Während Saddam sich für die Annektion Kuwaits entschied und sich gegen den Westen und Israel stellte, bekam er von einer anderen Seite Unterstützung: von der Seite der arabisch-islamischen Massen. Dem irakischen Führer kam diese plötzliche Wen­dung nicht ungelegen, wünschte er sich doch immer, eine führende Rolle in der arabischen Welt zu spielen. Diese Wendung, deren Umfang im August und Sep­tember sich ziemlich klar herausgebildet hatte, legte aber der Entscheidungsfrei­heit von Saddam ziemlich enge Grenzen, denn nun stand sein "Ansehen" vor den arabisch-islamischen Massen auf dem Spiel. Nun konnte er sein "Kuwait-Abenteu­er" nicht ohne weiteres beenden und gegen kleine Kompromisse eintauschen, ohne sein "Gesicht" zu verlieren.

Er blieb weiterhin in bezug auf einen militärischen Angriff der Alliierten allzu optimistisch. Er machte sich Mut mit Analogien zum amerikanischen Vietnam-Debakel und meinte immer wieder, daß die USA, selbst wenn sie angreifen wür­den, den Krieg nicht so lange durchhalten können, um ihn nicht nur militärisch zu gewinnen, sondern politisch nicht zu verlieren. Seine berühmten Worte zu April Glaspie waren doch: "Ich will Ihr Land nicht herabsetzen, aber ich halte mich an die Geographie und die Natur der amerikanischen Gesellschaft. Die ist nicht bereit, 10 000 Tote in einer einzigen Schlacht zu opfern." (Zitiert nach Salinger 54) Gleichzeitig stellte er immer wieder die große Opferbereitschaft des irakischen Volkes und der arabisch-islamischen Massen in den Vordergrund.

Aber die Pro-Saddam-Euphorie, die selbst seine erklärten Feinde, die islami­schen Fundamentalisten ergriffen hatte, gab dem Golfkrieg eine neue Dimension. Und Kenner der nahöstlichen Szene wissen, daß es für Saddam keinen anderen Ausweg gab, als den Erwartungen der Massen zu entsprechen. Dabei hat die ganze Sache ziemlich harmlos angefangen: Saddam Hussein, der nie bei den arabisch­islamischen Massen eine besondere Anerkennung genossen hatte, wurde zuerst durch die Annektion Kuwaits eine große Sympathie zuteil. Die reichen und arro­ganten Kuwaits und Saudis, die ihre Reichtümer zur Schau stellen und wie man sagt, ihr Geld in den westlichen Freudenhäusern ausgeben und es nicht für die Wiederherstellung der arabischen Einheit und den Kampf gegen Israel einsetzen, sind nie besonders beliebt. Der Schlag gegen die Kuwaiäs und die Konfrontation mit den Saudis lösten Genugtuung in den meisten arabischen und islamischen Ländern aus.

Als auch der Westen, vor allem die USA, sich auf die Seite der verhaßten Scheichs stellten, wurden die alten Ressentiments gegen die ehemaligen Kolonial­herren, ja gegen die ungläubigen Christen der Kreuzkriege, lebendig. Es wurde immer wieder an die Kreuzzüge, an die Geschichte des Kolonialismus und die Demütigungen der arabisch-islamischen Massen erinnert und im Gegenzug stieg das Prestige von Saddam Hussein: er wurde zum Held der Massen und mit "Saladin, dem Retter der Moslems" verglichen. Dieses ermutigte ihn, nun auch die Israelis heftiger als sonst anzugreifen. Dieses wiederum machte ihn populärer und erlaubte es ihm, sich als Befreier der Palästinenser anzubieten.

 

So wurde die Palästinenserfrage zum Schlüsselproblem des Nahen Ostens, und Saddam verband damit vermutlich die Hoffnung, zumindest eine Sicherheitsga­rantie für sein Land herauszuschlagen. Es wurden mehrere Vorschläge gemacht, die ganze Nahostproblematik als ein Paket auf einer Konferenz zu behandeln. Seine Kontrahenten lehnten es ab, unter der Begründung, Saddam könnte, solange seine Truppen Kuwait besetzt halten, allzu viele Vorteile für sich herausholen. Präsident Bush sagte ausdrücklich, daß er nicht gewillt sei, mit Saddam zu verhan­deln, solange Bagdad seine Truppen aus Kuwait nicht abgezogen habe. Aber nach dem Abzug könnte man über eine Lösung des Nahost-Problems reden.

Bis etwa Ende Oktober hatte aber die Politik der USA, eingeschlossen die Truppenbewegung am Golf, ausschließlich einen defensiven Charakter: sie sollten den Irak davon abhalten, Saudi-Arabien anzugreifen. Bis zu dieser Zeit sollte Irak durch das inzwischen beschlossene und wirksam gewordene Embargo langfristig gezwungen werden, Kuwait zu verlassen. Auf der anderen Seite meinte Bush, daß es unmöglich sei, Saddam irgendwelche Zugeständnisse zu machen, da die Ag­gressionen nicht belohnt werden dürfe. Die Schwierigkeit lag aber darin, daß jede Art von Verhandlungen Kompromisse einschließen müßte und somit Saddams Überfall auf Kuwait irgendwie legitimiert" hätte. Auf der anderen Seite hätten die Irakis ohne eine Gesicht wahrende Formel keinen Rückzug antreten können.

Allmählich verhärtete sich sogar die Position des Westens, weil man durch die neue Weltlage eine einmalige Chance sah, neben der Erledigung des "Irak-Pro­blems" auch einige andere Ziele zu erreichen. Am 30. Oktober sprachen dann James Baker und Georg Bush davon, nötigenfalls auch militärisch gegen Bagdad vorzugehen. Es ging nun nicht mehr um die Räumung von Kuwait, sondern um die Zerstörung der militärischen Potentiale des Irak. Die Zahl der US-Streitkräfte von damals 200 000 sollten verdoppelt, die Truppenkontingente nicht ausgewechselt werden.

Am 8. November trat Präsident Bush mit einem Doppelbeschluß an die Öffent­lichkeit. Danach gab es eine Verklammerung zwischen zwei Zielen der amerikani­schen Politik im Nahen Osten: Irak müßte Kuwait zwar verlassen, aber seine militärischen Potentiale hätten auch irgendwie lahmgelegt werden sollen, so daß dieses Land nicht in der Lage wäre, seine Nachbarn anzugreifen. So könnte das Embargo zwar wirtschaftlich wirken, aber nicht militärisch, das heißt, der Irak könnte langfristig gezwungen werden, Kuwait zu verlassen, aber er wäre dennoch militärisch eine Bedrohung geblieben. Weiterhin teilte Busch auf einer Pressekonfe­renz mit, daß die Anti-Saddam-Koalition nun über eine angemessene Offensivopti­on verfüge, falls es notwendig sein sollte, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen.

Gleichzeitig wurde jede "Verhandlung" mit Irak kategorisch ausgeschlossen, weil eine Aggression nicht belohnt werden dürfte, wie Bush immer wieder betonte. Die Möglichkeit von "Gesprächen" hat man jedoch nicht ausgeschlossen. Am 29. November setzte der Sicherheitsrat dem Irak eine Frist bis zum 15. Janu­ar 1991 für die Räumung Kuwaits, und damit schnitt man noch ein Stückchen des irakischen Rückzuges ab. Die irakische Führung reagierte ebenfalls in der Öffentlichkeit mit einer unnachgiebigen Haltung, während sie in Vermittlungsversuchen der Franzosen und der Algerier von "Verhandlungen" sprach und Kompromisse andeutete. Die Freilassung aller ausländischen Geiseln im Dezember konnte dann als ein Beweis für diese Bereitwilligkeit aufgenommen werden.

Unter dem Druck der Öffentlichkeit erklärte sich Washington nach einem Hin-und-Her damit einverstanden, am 9. Januar einem Treffen zwischen James Baker und Aziz in Genf zuzustimmen. Baker schloß gleich nach seiner Ankunft in Genf jegliche Verhandlungen und Kompromisse mit Aziz kategorisch aus. Es ging also um ein Treffen, auf dem die amerikanischen Forderungen nach einem Abzug ohne Vorbedingung dargelegt werden sollten. Dazu gehörte auch ein Schreiben von Präsident Bush an Saddam Hussein, in dem Bush hart und direkt die militärischen und politischen Konsequenzen eines Krieges für Irak beschrieb. Dieses Schreiben war in der Tonlage so hart, daß Aziz sich weigerte, es entgegenzunehmen. Er sagte, es sei in einem unverschämten Ton gehalten: "Die Sprache des Briefs entspricht nicht den Regeln, an die sich Staatsoberhäupter im Umgang miteinander halten sollten." (Zitiert nach Spiegel 3/91)

Aziz blieb nun keine andere Wahl, als sich gegenüber den amerikanischen Forderungen nach Rückzug aus dem Kuwait unnachgiebig zu zeigen. Sein Vor­schlag war, auf einer Konferenz eine umfassende Lösung für den Nahen Osten, von Palästina bis Libanon zu finden. Auf die Weigerung der USA, einer solchen Konferenz zuzustimmen, sagte dann Aziz auf der anschließenden Pressekonfe­renz, daß die Iraker nicht gewillt seien, "wie eine Nation von Underdogs behandelt zu werden." (ebenda)

Nichts drückt aber die Enge des Handlungsspielraums der irakischen Führung stärker aus als diese Äußerung von Aziz, in der die "Anerkennung von Rechten um der Gerechtigkeit willen" als treibendes Motiv angegeben wird. Im arabischen Kulturraum hat sich angesichts des geringen Grades der sozialen Differenzierung der "Äquivalententausch" als Regulationsprinzip gesellschaftlicher Verhältnisse noch nicht weitgehend durchgesetzt. Es fehlt daher eine intersubjektiv geteilte Syntheseebene, auf der der "Beziehungsaspekt" und der "Inhaltsaspekt" der Kom­munikation eindeutig festgelegt wären. Hier ist der "Beziehungsaspekt" der Kom­munikation situaäonal bestimmt und nur in Grenzen beeinflußbar. In solch einer gesellschaftlichen Verkehrsform kann der gleiche harmlose Akt als Angriff auf die Ehre des "Wir-Bezuges", auf die eigene Integrität gewertet werden.

Solch ein Angriff wird als eine Herausforderung registriert, die mit einer Gegen­herausforderung beantwortet werden muß, will man nicht als "schwach", "hilflos" und als solches nicht "wehrhaftes" Subjekt als Außenseiter gelten. Damit trug die eigene Mentalität zur Unentrinnbarkeit der Zwangslage bei, in der sich die Iraker befanden: den Amerikanern in Genf ging es um eine "nüchterne", aber harte diplomatische Vorgehensweise, um Saddams Rückzug abzuschneiden, ihm sozu­sagen den Krieg aufzuzwingen. Saddams vorprogrammierte Reaktion, sein Gefan­gensein in Bezügen der "Ehre", "Ansehen", "Gesichtverlieren", "Kampf für Gerechtigkeit um der Wahrheit willen" trieb ihn und seine Truppen geradezu in die Falle, die Bush und Baker ihm gestellt hatten. Damit lieferte er selbst ihnen die Legitimation für ihre längst beschlossenen militärischen Optionen, das irakische Militärpotential zu zerstören.

Im arabischen Kulturraum kann man die politisch-öffentliche Relevanz, die eine Handlung hat, nicht in Frage stellen, man kann sich höchstens umgehen. Damit sind der Entfaltung der Interessen enge Grenzen gesetzt, zumal jedes in der Öffentlichkeit vorgebrachte Argument auf die möglichen Interessen untersucht wird, die sich hinter ihm verbergen: der Strategie der Verschleierung wird eine Entschleierung entgegengesetzt. Die arabischen Massen haben deshalb sehr kri­tisch die Handlungen Saddams verfolgt: "Jahrzehntelang hatten die arabischen Führer, Könige und Präsidenten ihren Bevölkerungen versprochen, den Kampf gegen Israel aufzunehmen und das Palästina-Problem zu lösen, doch keiner von ihnen besaß den Mut, dieses Versprechen einzulösen. Saddam Hussein aber blufft nicht, er steht zu seinem Wort. Wir haben einen Führer, der die Welt zwingen wird, uns zu respektieren, sagten die Passanten in Bagdad. (Zitiert nach TAZ 30.1.1991)

In einer Welt, in der der Handlungsspielraum des einzelnen davon abhängt, wie weit er die Dimensionen des Zeichenhaften kontrollieren kann, sind der Entfaltung der eigenen Interessen enge Grenzen gesetzt, weil "zweckrationale" bzw. "distan­zierte" Handlungen keinen legitimatorischen Wert besitzen. Ist die Sprache die Welt, wie sie erfahren wird, so wäre eine an intersubjektiv geteilten Wünschen und Bedürfnissen orientierte Handlung eine für die irakische Führung ehrenvolle und damit angemessene Reaktion auf die Weigerung der amerikanischen Führung, die Räumung der besetzten Gebiete mit der Lösung des Palästinenserproblems zu verbinden. Wo die Balance zwischen Selbst- und Fremdbestimmung sich zugun­sten der Fremdbestimmung neigt, verschiebt sich die Balance zwischen Schuld-und Schamgefühl zugunsten des letzteren/mit der daraus resultierenden geringen sozialen Differenzierung geht ein niedrigerer Grad der Individualisierung einher. Und dies schränkt dann die Vornahme autonomer Handlungen ein.

Saddams Weigerung, angesichts der Machtüberlegenheit der alliierten Streit­kräfte seine Truppen aus Kuwait rechtzeitig zurückzuziehen, ist nicht zuletzt aus seiner Angst um seinen Ruf als "Saladin" zu erklären, der gefährdet wäre, wenn er nicht durch "Standhaftigkeit" nachgewiesen hätte, er sei "Manns genug", um sich gegen einen hoch überlegenen Feind zu stellen. Saddams Insistieren, standhaft zu bleiben und sich als "entschlossenen Sohn der Mutter Arabien" zu beweisen, in einer Zeit, in der diese Werte vielen arabischen Staatschefs mehr und mehr anti­quiert erscheinen und sie sich lieber den praktischen Interessen ihrer eigenen Länder widmen, brachten ihm auch weitere Anerkennung der Massen. Aus einem Bericht aus dem Zentrum von Bagdad zwei Wochen nach dem Beginn des Krieges geht hervor, daß Saddam immer noch sehr beliebt war: "Wir glauben unserem Präsidenten Gott schütze ihn. Er hat uns versprochen, daß er Israel angreifen wird, und er hat es auch getan." (Zitiert nach TAZ 30.1.91)

Selbst von dieser Saddam-Euphorie wurde auch eine "kritische" Soziologin aus Marokko betroffen: Ich will Ihnen sagen, wie weit es gekommen ist Ich bin eine durchaus bürgerliche Frau, friedlich und zufrieden... Doch bin ich jetzt an einem Punkt, wo ich mit Überraschung feststelle, daß es in mir noch eine andere Frau gibt, die diese Bevormundung nicht mehr ertragen kann. Es ist so weit gekommen, daß Saddam Hussein Dinge sagt, die auch ich empfinde. Dabei habe ich normalerweise ganz andere Vorstellungen als er. Nur wer Strukturen schaffen würde, die demo­kratische Kreativität entstehen ließen, könnte die arabische Welt stärken. Aber jetzt empfinde ich wie Saddam Hussein, wenn er sagt: Er würde lieber aufrecht sterben als nichts zu tun. (TAZ 29.1.91)

Die Aussage "lieber aufrecht sterben als nichts zu tun", deutet auf die gemeinsa­me Erlebnislage all derer hin, die diese Ungerechtigkeit in der heutigen Welt ganz hautnah erfahren, unabhängig davon, wo sie politisch auch stehen mögen. Das ist eindeutig ein Protest gegen das zweierlei Maß, das die amerikanische Supermacht im Nahen Osten anwendet während es Israel erlaubt ist, arabische Gebiete zu besetzen und zu annektieren, ohne eine "Strafexpedition" der USA befürchten zu müssen, mußten die Irakis für ein und dasselbe "Vergehen" mit Schmach und Demütigung sowie Zerstörung ihres Landes bezahlen.

Saddam, wiederum unabhängig davon, was er politisch vertrat und welche persönlichen Eigenschaften er hat, wurde in dieser Zeit zum Symbol des Protestes gegen diese Ungerechtigkeit. In ihm verbindet sich die "Rechtschaffenheit" und "Gerechtigkeit" mit der "Aufdeckung der Wahrheit", wofür sich das Martyrium als ein ausgezeichnetes Mittel der "Anerkennung von Rechten um der Gerechtig­keit willen" erweist und jene Interdependenz des Handlungszusammenhanges eines Führers konstruiert, dessen Charisma die Funktion der krisenhaften Situation

ist.

 

Literaturhinweise:
Ahlers, Ingolf/Gholamasad, Dawud: Klientelismus und private Patronage, eine soziologische Betrachtungsweise (das Beispiel Türkei), in: Hans Heinrich Nolte (Hg.), Patronage und Klientel, Köln-Wien 1989, S. 142-152

Bulloch, John/Morris, Harvey: Saddams Krieg, Hamburg 1991

Elias, Norbert: Engagement und Distanzierung, Frankfurt am Main 1983

Die Golfregion in der Weltpolitik, Stuttgart 1991

Kubbig, Bernd W.: Krieg und Frieden am Golf, Frankfurt am Main 1991

Miller, Judith/Bredthauer/Mylroie, Laune: Saddam Hussein, Biographie eines Diktators und die Geschichte seines Landes, München 1991

Nirumand, Bahman (Hg.): Sturm im Golf, Hamburg 1990

Salinger, Pierre/Laurent, Eric: Krieg am Golf / Das Geheimdossier, München 1991

Schiffauer: Religion und Identität. In: Schweiz, Z. Sozio. 2 (1984) 485-516

Weltgeschehen Juni/September 1990: Zürrer, Werner (Hg.), Siegler Verlag Sant-Augustin