Was haben wir nach dem Regierungswechsel im Iran zu erwarten

 

 

Vortrag für Amnesty International am 19. Juni 2014

 

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ (Kant)

 

 

 

Zwar ist seit Kants Beitrag zur „Aufklärung“ bekannt, dass „Aufklärung … der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit (ist)“. Er fügt aber hinzu: „Zu dieser Aufklärung wird nichts erfordert als Freiheit“, „von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“1 Gerade diese existenzielle Freiheit wird in der „Islamischen Republik“ systematisch mit aller Gewalt unterdrückt. Um diese Freiheit im Sinne der Erweiterung des Entscheidungs- und Handlungsspielraum der Menschen zu ermöglichen, fühlt sich die humanistische Weltöffentlichkeit zur Intervention verpflichtet. Aber wie?

 

In diesem Beitrag möchte ich daher kurz die Notwendigkeit präventiver gewaltloser humanitärer Interventionen zur Förderung der institutionellen Sicherung dieser Freiheit in Iran diskutieren und zwar angesichts institutionalisierter Verletzungen der Menschenrechte und in Anbetracht der illusionären Erwartungen, die Rohanis Wahlversprechen erweckt haben. Zumal die Charmeoffensive Rohanis und die seines als versiert gehandelten Außenministers Zarif diese Illusionen noch verstärkt haben. Denn es gibt unzählige Versprechen, deren systemimmanente Erfüllung beim besten Willen mit unüberwindbaren institutionalisierten Hindernissen konfrontiert ist. Ihre Erfüllung würde nicht nur die Abschaffung der verfassungsmäßig verankerten Scharia als Bezugsrahmen jeglicher Entscheidungs- und Handlungsspielräume voraussetzen2, sondern auch die „totale Herrschaft des Theokraten“, der sich als „Vormund der Nation“ begreift und eine totale „Gleichschaltung“ der Gesellschaft anstrebt. Darüber hinaus blockiert die scheinbare Gewaltenteilung in einem „totalen Überwachungsstaat“, in dem der „Führer“ über „Richtlinienkompetenz“ verfügt und auf jedem Gebiet das letzte Wort beansprucht, die Judikative direkt und die Legislative durch Vorselektion der Parlamentarier durch „Expertenrat“ vollkommen kontrolliert. Hinzu kommen die militärischen, paramilitärischen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Organe, die unter seinem Kommando stehen. Zu einem mehr oder weniger ausführenden Organ der Politik des „Führers“ degradiert, hat der Staatspräsident zwar verfassungsrechtlich gewisse Rechte und Pflichten, wie z.B. die Wahrung der verfassungsmäßig garantierten Rechte der Staatsbürger. Allerdings fehlen Ihm auch angesichts der mehr oder weniger unstabilen Machtbalance in der „Islamischen Republik“ die nötigen Sanktionsmittel, die formal rechtlich und tatsächlich weitgehend durch den Führer monopolisiert worden sind. Durch diese institutionalisierte und reale Machbalance zugunsten der „konservativen Hardliner“ müssen die Wahlversprechen des Präsidenten illusionär bleiben, zumal die bevorstehenden Parlamentswahlen und die zu erwartenden Umbesetzungen des „Expertenrats“ als Bollwerk der Hardliner sowie die mögliche Nachfolgeregelung für den kranklenden „Führer“ jede politische Öffnung erschweren.

 

 

 

  1. Zu illusionären Erwartungen, die Rohanis Wahlversprechen erweckt haben

 

Zu diesen unerfüllbaren Wahlversprechen gehören u. a. die versprochene politische Liberalisierung sowie die Überwindung der Frauen- sowie religiösen und konfessionellen Diskriminierungen3, die zuweilen mit ethnischen Diskriminierungen einhergehen. Diskriminierungen, die zuweilen zur zunehmenden Eskalation der Spirale der Gewalt wie z.B. neulich in Sistan und Belutschistan geführt haben. Eine Institutionalisierung der Freiheit und Gleichheit im Sinne der zunehmenden Erweiterung der Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Menschen als Einzelne und unabhängig von ihren Gruppenzugehörigkeiten ist im Rahmen der „Islamischen Republik“ ein unmögliches Unterfangen, selbst wenn Rohani eine „Bürgerrechtscharta“ in Aussicht stellt. Dies hat nicht nur die bisherige Erfahrung der Menschen seit der Konstitution dieser „Republik“ bewiesen. Das dieser Staatsform zugrunde liegende Bild des Menschen als ewig unmündig widerspricht der individuellen Freiheit, Gleichheit und dem Ethos der Menschenrechte. Als ewig unmündige Menschen haben Menschen demnach keine Rechte, sondern nur religiöse Pflichten. Dies drückt sich nicht nur in den verfassungsmäßigen Einschränkungen aller in der Verfassung verankerten bürgerlichen Rechte und Menschenrechte durch die Scharia aus, sondern auch in der Islamisierung der Menschenrechte, die anstatt den Islam zu humanisieren die Menschenrechte archaisiert, indem sie die vorislamischen archaischen Verhaltens- und Erlebensmuster der arabischen Stämme zu „Gottes Gesetz“ erklärt und diese Scharia als einzigen Bezugsrahmen aller Menschenrechte zugrunde legt.4

 

Hinzu kommt nicht nur der Charakter der „Islamischen Republik“ als eine Quadratur des Kreises sondern auch Probleme, die sich als Folge einer Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft Khomeinis ergaben. Denn die „islamische Republik“ ist Folge der „Islamisierung“ einer Revolution, die als Funktion einer wachstumsorientierten Modernisierung eine funktionelle Demokratisierung der Gesellschaft, im Sinne der Verschiebung der Machtbalance zwischen Etablierten und Außenseitern zugunsten der Letzteren, Vorschub leistete und zugleich die institutionelle Demokratisierung der Gesellschaft und des sozialen Habitus der involvierten Menschen unterband. Die Islamisierung der Revolution ist daher ein Nachhinkeffekt der Demokratisierung und Zivilisierung des sozialen Habitus im Sinne der Erziehung der sie tragenden Menschen zur Mündigkeit. Sie manifestierte sich in ihrem autoritären Charakter, der die charismatische Führungsfunktion Khomeinis hervorbrachte. Sie führte zur Etablierung einer Theoidiokratie, die sich in einer institutionellen Ent-Demokratisierung und einem De-Zivilisierungsschub der Staatsgesellschaft in Gestalt eines zunehmenden Stellenwerts der Gewalt als Regulationsprinzip der inner- und zwischenstaatlichen Beziehungen und Konflikte ausdrückt. Die Förderung der Unmündigkeit in Gestalt der „Islamischen Kulturrevolution“, die Kasernierung der Gesellschaft sowie die polizeistaatliche Problemorientierung des Establishments und die Bildung der exterritorialen Einheiten der „Revolutionsgarde“ sind die nicht zu übersehbaren Manifestationen dieser Herrschaftsform. Diese Entwicklungsprozesse Prägen eine „Republik“, die man als eine Theoidiokratie bezeichnen kann.

 

 

 

II. Warum ist die, als die beste Demokratie der Welt gepriesene, „Islamische Republik“ eine Theoidiokratie und welche strukturelle Folgen ergeben sich für die Durchsetzung der Menschenrechte?

 

 

 

Allerdings möchte ich keinesfalls mit dieser Charakterisierung der „Islamischen Republik“ ihre sozialen Träger stigmatisieren, sondern nur auf die theologische Begründung der Notwendigkeit der Entstehung und Erhaltung dieser Herrschaftsform aufmerksam machen. Sie ist eine theokratisch begründete Herrschaft der Geistlichkeit, die als „Islamische Demokratie“ durch periodische Akklamationen der „Untertanen Gottes“ bestätigt wird. Ihren idiokratischen Charakter verdankt sie einer Herrschaftsform, der ein Bild der Menschen als ewig unmündig zugrunde liegt, die eines Vormundes der Geistlichkeit bedürfen.

 

Sie entstand als „Konstruktion einer Wirklichkeit“ durch Aj. Khomeinis Begründung der Notwendigkeit der Herrschaft der Theologen zur Durchsetzung der „Gottes Gebote“, weil nur dadurch ein „Chaos“ abgewendet werden kann. Da Menschen aber unmündig seien und damit unfähig zur Kenntnis dieser Gebote, bedürfen sie einer Vormundschaft durch Theologen als „Rechtsgelehrte“ im Sinne Platons „Philosophen-Könige“. Damit wurde eine theologisch begründete „Republik der Unmündigen“ konstituiert. Wer aber diese „Vormundschaft“ der Theologen akzeptiert, bestätigt seine eigene Unmündigkeit und identifiziert sich gern mit diesem Angreifer seiner eigenen Integrität. Als solche ist die „Islamische Republik“ eine theokratisch begründete Idiokratie im Sinne der Herrschaft der sich als Dumm begreifenden unmündigen Menschen mittels der Theokraten. Diese Herrschaftsform wird in der „Islamischen Republik“ als „die beste Demokratie der Welt“ gepriesen.

 

Allerdings wurde vor und während der Revolution diese Version der Begründung der „Islamischen Republik“ in der Öffentlichkeit nicht offensiv vertreten, obwohl viele politisch aktiv Oppositionelle das diesbezügliche Buch von Aj. Khomeini „Der Islamische Staat“ kennen müssten. Deswegen erhielt diese Staatsauffassung unter der Führung Aj. Khomeini einen großen Zuspruch, weil er auch in seinen Pariser Erklärungen die Errichtung einer Republik nach westlichem Vorbild ausdrücklich in Aussicht stellte. Deswegen ist sie eine auf Lüge gegründete „Republik“ wie sie, die ihn fragenden Journalisten, in Frankreich vorfänden. Die „Islamische Republik“ ist eine auf Lüge gegründete „Republik“, die sich nur durch weitere Lügen reproduzieren kann, die sich in der alltäglichen Verlogenheit des Establishments und der unüberschaubaren und allgegenwärtigen Korruption im Lande manifestiert.

 

Da die sich im Nachhinein betrogen fühlenden ehemaligen Khomeinisten immer noch nicht bereit sind, auch ihre eigene Naivität als eine der Bedingungen der Möglichkeit der Glaubwürdigkeit dieses später von Khomeini als „List“ bezeichneten Betruges zu akzeptieren und weil sie inzwischen sukzessiv marginalisiert wurden, muss die „Islamische Republik“ mindestens für die restlichen 5 - 10 % der weiterhin sie tragenden Menschen als Theoidiokratie akzeptabel sein.

 

Die „Islamische Republik“ hat sich aber auch inzwischen mit der zunehmenden Marginalisierung der republikanischen Theokraten zu einer Theoidiokratie im Sinne der Herrschaft der dümmsten Theokraten entwickelt, wenn man ihre alltäglich verbreiteten Selbst- und Weltbilder berücksichtigt. Wer z. B. heutzutage die Erdbeben als Folge des zunehmenden Sittenverfalls der Frauen begreift und deren Verschleierung als einzige Möglichkeit der Verhinderung der Wiederholung solcher Strafen Gottes begreift, kann keine Weisheit beanspruchen angesichts der inzwischen jedem zugänglichen naturwissenschaftlichen Erklärung der Naturereignisse.

 

Ein anderer Aspekt dieser Idiokratie der etablierten Theokraten ist ihr Bild der Scharia als die wörtlich überlieferten „Islamischen Gebote“, auf die sich die gegenwärtig dominante Kerngruppe der Macht – „die Prinzipienorientierten“ („Ussulgerajan“) - richtet, für deren Durchsetzung der „Systemerhaltung“ eine absolute Priorität zukommt.

 

 

 

Sie folgen damit einer Vorgabe von Aj. Khomeini, der zwar vor der Revolution die Notwendigkeit der Einhaltung der „Gebote des Islams“ als Begründung der Unentbehrlichkeit der Theokratie bemühte. Für ihn bekam aber nach der „Revolution“ und angesichts der Herausforderungen der demokratischen Opposition, „die Erhaltung des Systems“ (Hefz-e Nezam) die absolute Priorität sogar vor den „primären Geboten des Islams“, die ja zeitweilig suspendiert werden durften. Nicht nur die erbarmungslose Verfolgung und Unterdrückung der Andersdenkender seit der Machtergreifung Khomeinis ist die blutige Manifestation dieser Prioritätssetzung des Regimes, das sich zunehmend auf paramilitärische Einheiten der „Bassidj“ und der sich für die Verteidigung der „Islamischen Revolution“ im In- und Ausland und auf allen Felder der Wirtschaft, Politik und Kultur verpflichtet fühlenden „Revolutionsgarde“ stützen muss; sondern auch die sich aus dieser totalitären Herrschaftsform ergebende allgegenwärtige Verlogenheit und Korruption im „Vaterland der Gläubiger der Welt“ (Ommol Ghora).

 

 

 

  1. Zur Dominanz des dogmatischen Gehalts einer Zwölfer schiitischen Lesart des Islam in der „Islamischen Republik“ als „Islamisierung“

 

Diese Geschichte der zunehmenden Brutalisierung und Korrumpierung der „Islamischen Republik“ ist daher mit Blut geschrieben, die mit den Hinrichtungen der Verantwortlichen des „Ancien Regimes“ begann und mit der sukzessiven Eliminierung der Andersdenkender bis heute fortgesetzt wurde, ohne durch einen „Regierungswechsel“ aufgehalten worden zu sein.

 

Diese Geschichte wird als Geschichte der „Islamisierung“ der nachrevolutionären „Staatsgesellschaft“ geschrieben. Dabei dominierte schon von Anfang an die Durchsetzung des dogmatischen Gehaltes einer Zwölfer schiitischen Lesart des Islams, die gegenwärtig durch die extrem Konservativen „Usulgerajan“ („Prinzipienorientierte“) repräsentiert wird; unterdessen geriet mit der Unterdrückung der liberalen Islamisten der ethische Gehalt der Religion zunehmend in Vergessenheit. Diese Vernachlässigung des ethischen Gehaltes des Islam ergab sich aus der von Khomeini geforderten Systemerhaltung um jeden Preis, die zu einer weiteren Glorifizierung einer besonderen Lesart der versteinerten Dogmen führte.

 

Durch die Verfassungsreform unmittelbar vor dem Ableben Khomeinis wurde der totalitäre Charakter der etablierten theokratischen Herrschaft in Form der „absoluten Schriftgelehrten-Herrschaft“ sogar gesteigert und als ewig unveränderbar festgeschrieben. Seitdem ist sogar jede kritische Äußerung gegen diese Herrschaftsform strafbar. Dafür werden alle mobilisierbaren Machtquellen eingesetzt, um diese Herrschaft auch gewaltsam aufrechtzuerhalten, weswegen man auch von einer totalitäreren Gewaltherrschaft bzw. von einem „Polizeistaat“ sprechen kann. Nicht nur verschiedene Sicherheitsorgane des Innenministeriums und der offizielle Nachrichtendienst, die unter direktem Kommando des Führers stehen, sorgen für die „Staatssicherheit“; sondern auch die allgegenwärtige „Revolutionsgarde“ mit ihren zahlreichen „kulturellen“, „ökonomischen“, „politischen“, „ideologischen“ u.a. „Kampffronten“. Mit ihrem unter der direkten Befehlsgewalt des Führers stehenden parallelen Geheimdienst der „Revolutionsgarde“, mit eigenen Gefängnissen und Verhörpersonal, die informell nicht nur die Anklageschriften anhand der unter Folter erpressten Geständnisse formulieren, sondern auch das Strafmaß jeweils vorgeben. In diesem System fungieren die, das Recht beugenden, „Richter“ lediglich als juristisches Feigenblatt der Gewaltherrschaft der „Revolutionsgarde“, deren rechtswidrige Handlungen sie juristisch legitimieren.

 

 

 

  1. Zum Unterschied der konservativen und moderaten Khomeinisten als Voraussetzung der Vermeidung illusionärer Hoffnungen auf die „Moderaten“

 

Nicht aber nur die demokratischen Kritiker dieser Herrschaftsform werden verfolgt - obwohl bis jetzt keine politischen Delikte gesetzlich definiert worden sind - weswegen sie unter dem Etikett „sie Sicherheit gefährden“ verfolgt werden; sondern auch ihre systemimmanenten reformistischen Kritiker, die die Suspendierung der republikanischen Komponente der Verfassung beklagen und die Wiederbelebung dieser Komponente versprechen. Dies würde aber die verfassungsmäßige Einschränkung eines absoluten Herrschers bedeuten, dessen Imperativ als unanfechtbare Pflicht jedes „Untertanen“ gilt; eines Herrschers, der mit Ludwig dem XIV. sagen kann: ich bin der Staat!

 

Doch diese systemimmanente Kritik seitens derjenigen, die sogar ihre offiziell erwartete „praktische Verpflichtung gegenüber der Herrschaft des Theologen“ („Eltezam Amali bewelajat“) unmissverständlich beteuern, ist eine unabdingbare Begleiterscheinung jeglicher Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft, die „eine spezifisch außeralltägliche und reine persönliche soziale Beziehung"5 ist.

 

Mit dem Ableben Khomeinis wurde zwar versucht - mit einer scheinbaren „Nachfolgedesignation“ durch Khomeini - den „Glauben an die Eigenlegitimität des Charismas“ in den „Glauben an den legitimen Erwerb der Herrschaft kraft rechtlicher und göttlicher Designation“ zu transformieren. Doch damit entstand auch ein unerbittlicher Konflikt unter den Erben Khomeinis, die zu sukzessiven Exklusionen immer weiterer Teile des politischen Establishments führten. Zuletzt führte dies zur Einkerkerung großer Teile der als „Reformisten“ bekannten ehemaligen „Jüngerschaft Khomeinis“, deren Führer und Präsidentschaftskandidaten der 11. Präsidentschaftswahlen, Mussavie und Kahrubi, wegen Anfechtung der Wahlergebnisse ohne jeglichen Gerichtsverfahren unter Hausarrest stehen.

 

Was aber zur Neuformierung der Nachfolger Khomeinis in konservative „Usulgerajan“ („Prinzipienorientierte“) und Moderate und „Reformisten“ treibt, sind ihre „autoritäre“ versus „demokratische“ Legitimationsprinzipien der veralltäglichten charismatischen Herrschaft des „Führers“. Denn das, seinem primären Sinn nach, autoritär gedeutete charismatische Prinzip kann auch quasi „antiautoritär“ umgedeutet werden6. Für die autoritären Konservativen „Usulgerajan“, die zwischen „göttlich vermittelte Legitimität“ des Herrschers und seiner „Akzeptanz“ (Maghbulijat) durch die Gemeinschaft der Gläubigen unterscheiden, ist die Herrschaft des „Revolutionsführers“ lediglich deswegen legitim, weil die Gläubiger ihm Anerkennung schulden. Denn die Menschen haben nur religiös bestimmte Pflichten aber keine Rechte, die nur Gott zustehen und vom ihm den herrschenden Theologen verliehen werden. Diesem Glaubensaxiom u. a. folgend nennen sie sich „Usulgerajan“ („Prinzipien-Orientierte“), die sogar eine praktische „Verschmelzung mit der Herrschaft“ (Zob dar Valajat) anstreben und jegliche republikanische Komponente der Verfassung praktisch suspendieren so lange sie diese nicht formell aufheben können.

 

Was also die „moderaten“ und „reformistischen“ Fraktionen des politischen Establishments auszeichnet, ist ihr quasi „antiautoritäres“ Legitimationsprinzip der veralltäglichten charismatischen „Schriftgelehrten-Herrschaft“, deren weitere Existenz und Stabilität sie als „Amtscharisma“ nur so garantiert sehen. Zwar ist diese theokratisch begründete totalitäre Herrschaft eine „traditionelle Herrschaft, kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandenen Ordnungen und Herrengewalten“7. Als eine Art ständischer Herrschaft der Geistlichkeit versuchen die moderateren Fraktionen des Khomeinismus das Verhältnis zwischen dem Beherrschten und dem Herrscher „demokratisch“ umzudeuten. Demnach sei die freie Anerkennung des Herrschers durch die Beherrschten die Voraussetzung der Legitimität und die Grundlage seiner Herrschaft. Diese freie Anerkennung und Bewährung als Legitimationsgrundlage der Herrschaft gab es praktisch während Khomeinis charismatischer Herrschaft, woran sich die „Reformisten“ nostalgisch als „goldene Ära des Imam“ (Mussavi) erinnern. Denn eine charismatische Herrschaft ist eine „Kraft affektueller Hingabe an die Person des Herrn und ihre Gnadengaben (Charisma)“.8

 

Trotz solcher Differenzen mit den Konservativen sind aber die „Reformisten“ und „Moderaten“ von der Notwendigkeit der theokratischen Herrschaft weiterhin überzeugt. Selbst nach ihrer Exklusion von der Kerngruppe der Macht und der unbarmherzigen Verfolgung und Unterdrückung von Teilen ihrer Führung stellen nicht einmal alle „Reformisten“ die „Schriftgelehrten-Herrschaft“ zur Disposition, die unaufhebbar über verfassungsmäßig garantierte absolute Herrschaftsgewalt verfügt. Durch diese Unaufhebbarkeit des totalen Herrschaftsanspruchs des „Führers“, die im Innen und nach Außen durch die „Revolutionsgarde“ umfassend und mit allen Mitteln geschützt wird, ist aber eine gewaltsame Eskalation der politischen Konflikte um die institutionelle Demokratisierung der Staatsgesellschaft vorprogrammiert, wenn nicht präventiv gewaltlos humanitär interveniert wird.

 

 

 

  1. Was bedeutet gewaltlose präventive humanitäre Intervention zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse?

 

Ein zentrales Problem der Diskussion über die präventive gewaltlose humanitäre Intervention ist ihre missverständliche Verwechselung mit militärischer Intervention. Zudem wird sie entweder als illusionär belächelt oder als Verletzung der „nationalen Souveränität“ der Staaten kategorisch abgelehnt. Letztere übersieht die zunehmende Globalisierung und ihre institutionellen Folgen der „Souveränität“ auf allen Ebenen.

 

Wer aber eine „humanitäre Intervention“ als einen bewaffneten Eingriff in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zum Schutz von Menschen in einer humanitären Notlage ablehnt, hat keine andere Alternative als diese Notlagen präventiv vorzubeugen. Und zwar gewaltlos. Die institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen und die institutionell vorprogrammierte blutige Eskalation jedes politischen Konfliktes um institutionelle Demokratisierung, wie wir sie nicht nur in Ägypten und Syrien erleben, sondern auch bei der blutigen Unterdrückung der „Grünen Bewegung“ im Iran gesehen haben, machen die präventiven, gewaltlosen, humanitären Interventionen unabdingbar.

 

Jede präventive, gewaltlose, humanitäre Intervention muss daher auf eine Institutionalisierung der Rahmenbedingungen gewaltloser Austragung der Konflikte hin zielen, bevor sie aus schierer Verzweiflung in blutige bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen ausufern wie in Syrien. Denn diese Konflikte sind Manifestationen der nie endenden Macht- und Statuskämpfe und als solche die Struktureigentümlichkeit jeder menschlichen Beziehung, die mit zunehmender funktioneller Demokratisierung der Gesellschaften sich vervielfältigen und verschärfen.

 

Es geht dabei um eine nie enden wollende Auseinandersetzung um die Verschiebung der Machtbalance und der Selbstwertbeziehungen der interdependenten Menschen als Einzelne und Gruppen zu eigenen Gunsten. Es geht also um die Steigerung der eigenen Machtchancen und des Selbstwertgefühls auf Kosten der Anderen. Es geht dabei immer um die Erweiterung der eigenen Chancen, das Verhalten der anderen Menschen als Einzelne und Gruppen zu steuern. Und da zuweilen mehr Macht gleich gesetzt wird mit mehr Selbstwert, entsteht eine eigene „Logik der Emotionen“, die zu einem Teufelskreis der Eskalation der Konflikte beiträgt. Um die Eigendynamik dieser Eskalation hin zur gewaltsamen Austragung zu unterbinden, ist eine präventive gewaltlose humanitärere Intervention unabdingbar. Sie soll zur Förderung gewaltloser Konfliktaustragung dadurch beitragen, indem sie ihre institutionellen Rahmenbedingungen durch Sanktionierung folgender Forderungen fördert:

 

  1. Die Respektierung der Menschenrechte, zu dem die „Islamische Republik“ durch die Ratifizierung von internationalen Menschenrechtsabkommen verpflichtet ist,

  2. Die Respektierung der rechtstaatlichen Grundsätze. Damit soll die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von MenschenwürdeFreiheit, Gerechtigkeit und  Rechtssicherheit zulässig sein. So soll die Respektierung der in der Verfassung verankerten Grundrechte der Bürger garantiert werden.

  3. Die Respektierung der Minderheitenrechte und des Diskriminierungsverbots als unabdingbare Komponente der Demokratie; sonst wäre das „Dritte Reich“ der demokratischste Staat in der Geschichte, denn zuweilen wird die „Diktatur der Mehrheit“ (siehe Ägypten) als „Demokratie“ definiert. In diesem Sinne behauptet auch Khamenei, dass Iran das demokratischste Land der Welt sei.

  4. Die Abschaffung der institutionalisierten Frauen-, ethnischen und konfessionellen Diskriminierung.

  5. Die Freilassung der, rechtswidrig und aufgrund erpresster Geständnisse verurteilten, politischen sowie anders denkenden und andersgläubigen Gefangenen wie Bahais, Sufis u.a.

  6. Die international garantierten freie Wahlen, da selbst nach Khomeini „die Wahlstimme der Maßstab ist“.

  7. Ein Verfassungsreferendum, weil sogar nach Khomeini, der als Begründung der Notwendigkeit der Neugründung des nachrevolutionären Staates durch ein Referendum ausdrücklich hervorhob: „ Es ist das Recht der neueren Generationen ihre eigene Staatsform zu bestimmen“.

 

 

Hannover, 27.04.2014

 

 

 

1 Immanuel Kant, Ausgewählte kleine Schriften, Hamburg 1965, S. 1 & 3

 

2 Vergl. Dawud Gholamasad, Zur Notwendigkeit gewaltloser humanitärer Interventionen in Iran angesichts institutionalisierter Verletzung der Menschenrechte, in: http://gholamasad.jimdo.com/artikel/zur-notwendigkeit-pr%C3%A4ventiver-gewaltloser-humanit%C3%A4rer-interventionen-in-iran/

 

3 In der Praxis werden nicht nur die Sufis als „falsche Mystiker“ verfolgt sondern die Bahais, die sogar wie Aussätzige behandelt werden. Nach dem neuerlichen Rechtsgutachten (Fetwa) des „Führers“, Khamenei, ist jeder Umgang mit Bahais sogar tabu.

 

4 Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam ist eine 1990 beschlossene Erklärung der Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz, welche beispielsweise in Artikel 2 die Shari´a als alleinige Grundlage der „Menschenrechte“ definiert.

 

5 Max Weber, Staatssoziologie, Berlin 1956, S. 107

 

6 Vergl. Max Weber, a.a.O, S. 109

 

7 Ibib., S. 101

 

8 Ibid., S. 104