Für die Hamburger Konferenz am 11.06.20011 zum Thema "Die Menschen und das Regime im Iran"
In diesem Beitrag möchte ich thesenartig einige in der Regel sonst vernachlässigten psychogenetischen Aspekte der institutionellen Krise der „Islamischen Republik“ diskutieren, deren Berücksichtigung die postrevolutionären Ereignisse verständlicher machen, da die Grundlage aller sozialen Prozesse die involvierten interdependenten Menschen, deren Wünsche und Ängste, deren Leidenschaften und „Vernunft“, deren Neigung zum Guten und zum Bösen sind. Um die Dynamik sozialer Prozesse zu verstehen, muss daher die Dynamik der psychologischen Prozesse verstanden werden, die sich im Einzelnen abspielen, genauso wie der Einzelne nur verstanden werden kann im Kontext der ihn oder sie prägenden Traditionslinien[1]. Von entscheidender Bedeutung in diesem Zusammenhang sind primär die weniger bewussten Motive der involvierten Menschen als ihre mehr oder weniger bewussten Wünsche.
1. Die „Islamische Republik“ ist die Manifestation der Triade des Verfallsyndroms: der Nekrophilie (Liebe zum Toten und alles Unlebendige), des bösartigen konfessionellen Narzissmus (Selbstliebe)
und damit einhergehender Fremdenfeindlichkeit sowie der inzestuösen Symbiose der regressiven Kerngruppen der Macht und der Massenbasis dieser Herrschaftsform. Diese destruktiven Orientierungen
bedingen als Manifestation ihrer Selbstzwänge:
1) Eine aggressive und destruktive innen- und außenpolitische Orientierung,
2) Den Verlust der Verhandlungsbereitschaft mit der „Weltgemeinschaft“ den zu den ewiger „Feinden“ erklärten USA und Israel sowie mit den Reformisten um einen vernünftigen Ausgang aus diesen sich
eskalierenden innen- und außenpolitischen Konflikten,
3) Den zunehmenden Verlust der Freiheit, zwischen rationalen und irrationalen Interessen im Leben, zwischen Wachstum oder Stagnation und Tod zu entscheiden,
4) Die Unverhandelbarkeit der „absoluten Schriftgelehrten Herrschaft“ als formeller und praktischer Negation der Volkssouveränität, und damit der Unreformierbarkeit der „Islamischen
Republik“.
2. Die Grüne Bewegung symbolisiert die zunehmenden Wachstumstendenzen der iranischen Gesellschaft, die Biophilie (Liebe zum Leben und Lebendigen), Individuelle Unabhängigkeit und Überwindung des
kollektiven Narzissmus und damit einhergehende Empathiefähigkeit, Nächsten- und Fremdenliebe.
3. Die Triade des Verfallsyndroms manifestierte sich bereits in den zentralen Parolen der Massen während des Aufstandes und der „Islamisierung“ der Revolution, indem sie „Weder westlich noch
östlich, islamische Republik“ skandierten.
Damit entpuppte sich der Khomeinismus als ein soziales Glaubenssystem im Gegensatz zum Kapitalismus und Kommunismus, in deren Namen sich Menschen bekämpften.
In Zentrum jedes sozialen Glaubenssystems steht die Frage, in welcher Weise Menschen ihr eigenes gesellschaftliches Leben miteinander ordnen sollen.
Damit ist der Khomeinismus eine Antwort auf die Frage nach der normativen Struktur der Gesellschaft und ein Leitgedanke der Kämpfe, in die die Menschen verwickelt werden sollen.
Was Khomeini aber unter „IR“ verstand, hatte er bereits in den sechziger Jahren in seinem Exil in Irak in seinem Buch über den „Islamischen Staat“ (Velajat-e Faghih), die „schriftgelehrten
Herrschaft“ dargestellt. Für ihn ist die normative Struktur der Gesellschaft durch die Shari´a vorgegeben, denn Koran und Überlieferungen liefern das ewig gültige normative Regelwerk für die
Gesellschaft der Menschen von ihrem Geburt bis zu ihrem Tot.
Sie seien nicht nur Gültig für kurze Zeit der Herrschaft Muhammads und der ihm folgenden 12 Imame gewesen, sondern ewig.
4. Diese Regression wird mit der immer noch dauernden Verborgenheit des 12. Imam, Mahdi rationalisiert: Da der 12. Imam entrückt sei, sind die „schriftgelehrten“ zur Durchsetzung dieser
normativen Strukturen verpflichtet, um Chaos zu verhindern; denn es kann ja sein, dass der Mahdi noch einige Jahrtausende verborgen bleibe.
5. Ausgangspunkt seiner Begründung der Notwendigkeit der „Schriftgelehrten Herrschaft“ ist aber sein Menschen verachtendes Menschenbild als ewig Unmündigen, die einen Vormund brauchen. Als
Unmündige haben Menschen daher keine Rechte sondern nur Pflichten.
6. Seine Triade des Verfallsyndroms manifestiert sich daher in seiner:
7. Die soziale Basis dieser nekrophilen Herrschaftsform besteht aus jenen sozialen Gruppen, die durch die „Modernisierung“ der Staatsgesellschaft sozial abgestiegen waren, vor allem:
Ihre gemeinsame Identifikation miteinander über ihren charismatischen Führer, Khomeini, konstituierte die Massenbasis des Khomeinismus in Gestalt der sozialen Bewegung der „islamischen Gemeinschaft“, mit ihrem inzestuösen Symbiose mit Khomeini, als Quelle ihrer narzisstischen Befriedigung.
8. Ihre Gewalttätigkeit ist Funktion ihrer Nekrophilie, ihres konfessionellen Narzissmus und ihrer inzestuösen Symbiose mit dem „Führer“ als einem Schutz gewährenden „Mutterersatz“, von dem sie
sich nicht zu unterscheiden vermögen und jede Kritik über Ihn als eine existentielle Bedrohung empfinden.
9. Damit erweist sich die „Islamische Republik“ als ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus der Iraner, die sich entweder noch nicht gefunden oder wieder verloren haben und sich mehr oder weniger
als unmündige Untertanen ihrem Führer unterwerfen.
10. Die „Grüne Bewegung“ ist daher der Nachholleffekt des sozialen Habitus der zunehmend rechtbewussten und mündigen Bürger, die ihre Bürger- und Menschenrechte erkämpfen.
11. Die „Grüne Bewegung“ als eine vielschichtige soziale Bewegung ist Produkt der sieben Hauptspannungsachsen der Gesellschaft:
Erst durch realistische Lösungsstrategien im Rahmen der Menschenrechte für diese Hauptkonflikte hat die „Grüne Bewegung“ eine Zukunftschance, ohne in einem Determinismus befangen zu sein.
12. Die „Grüne Bewegung“ ist sehr vielschichtig, in der die unbelehrbaren systemtreuen Teile der „Reformisten“ eher ein Ordnungsfaktor sind als Interessenvertreter der diskriminierten Menschen.
Dies kommt nicht nur in den letzten Äußerungen von Amirarjomand bezüglich der Systemtreue der Reformisten und der Aufforderung Khatamis zur „nationaler Versöhnung“ zum ausdrückt.
13. Diese lernunfähigen Teile der Reformisten, die gegenwärtig die Aufklärung zu einer ihrer zentralen Aufgabe erklärt haben, verklären eher statt aufzuklären, in dem sie scheinbar unparteiisch
die gegenwärtigen Konflikte zwischen Khamenei und Ahmadinedjad als Bestätigung ihrer Behauptungen bezüglich Ahmadinedjad hervorheben; damit personalisieren sie diesen Konflikt und machen daraus
einen „politischen“ Konflikt. Auf diese Weise verdunkeln sie die Tatsache, dass dieser Konflikt eine erneute Manifestation der chronischen institutionellen Krise der „Islamischen Republik“
ist.
14. Diese institutionelle Krise ist Funktion des Antagonismus zwischen der republikanischen Komponente der Verfassung und der in ihr verbrieften absoluten Schriftgelehrten Herrschaft.
Dieser Antagonismus ist nur aufhebbar entweder durch die Suspendierung ihrer republikanischen Komponente, so wie die etablierten Kerngruppen der Macht seit Jahrzehnten versuchen oder durch
die Aufhebung der Schriftgelehrten Herrschaft. Nur durch die Aufhebung dieser Quadratur des Kreises ist die chronische institutionelle bzw. Staatskrise lösbar.
Hannover, den 10.06.2011
[1] Im Unterschied zu Erich Fromm ziehe ich den Begriff „Traditionslinien“ dem Begriff der Kultur vor. Der Begriff Traditionslinien meidet die Vorstellung von der Kultur als einer monolithischen Einheit und verdeutlicht eher die prägenden Zwänge auf den sozialen Habitus der Menschen Prägt. (Vergl. Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, 1983, S. 7f.)