mehriran.de - Herr Gholamasad, in Ihrem neuen Buch über die "Grüne Bewegung" im Iran betonen Sie, sie sei ein Zeichen für eine massive gesellschaftliche Veränderung, nämlich die
Abkehr von der Verherrlichung des Toten hin zur Sehnsucht nach Leben, Freude und Selbstverwirklichung. Aber zurzeit scheint, dass die Reformbewegung gescheitert ist.
Die „Grüne Bewegung“ wird schon von Anfang an – vor allem durch das Regime – für tot erklärt. Und andere halten sie jetzt für gescheitert. Doch sie ist weder das eine noch das andere. Sie hat sich vielmehr zu einer Transformationsbewegung verwandelt. Gescheitert sind diejenigen, die das bestehende System erhalten und nur ein wenig reformieren wollten. Zu ihnen gehörten die Kontrahenten Ahmadinedschads bei den letzten Wahlen, einige Anhänger von Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi. Das bedeutet aber nicht, dass die Alternative eine gewaltsame Transformation sein muss. Die iranische Gesellschaft erfährt derzeit einen fundamentalen Wandel: Die heutige Jugend will nichts mehr von Märtyrertum und der Liebe zum Toten (Nekrophilie) wissen. Sie will lebendig leben. Sie will nachholen, was ihr lange verwehrt wurde.
Seit Monaten riskieren junge Muslime in Nord-Afrika und im Nahem Osten ihr Leben, wenn sie gegen die Despoten rebellieren. Warum schweigt die Jugend Irans?
Die „Grüne Bewegung“ hatte eine blutige Konfrontation stets vermieden. Und dies wird als ihr Scheitern interpretiert. Das ist aber zu kurz gedacht. Im iranischen Alltag verhalten sich viele Menschen subversiv gegen das Regime. Sie leisten nichts anderes als zivilen Ungehorsam.
Wo erkennen Sie denn den Widerstand gegen das Regime?
Man übersieht ihn leicht, weil er nicht wie Widerstand wirkt. Vor einigen Tagen zum Beispiel haben sich Jugendliche im Norden Teherans bei einer Wasserschlacht mit Wasserpistolen
ausgetobt. Später wurde ihr Spiel im Staatsfernsehen verurteilt. Oder Jugendliche unterstützen verarmte Straßenkinder, indem sie in Teheran demonstrativ Autos waschen und
ihnen das Geld überlassen. Solche Aktionen werden aber verteufelt. Ganz zentral ist bei all den Aktionen das, wofür die "Grüne Bewegung" steht: Sie repräsentiert die Liebe zum Leben und
Lebendigen. Und so lange diese Tendenzen existieren, existiert auch die transformierende Bewegung im Iran. Besonders junge Menschen merken, dass das System instabil wird. Und sie suchen
dann nach Wegen, ihr lebendiges Leben zu gestalten.
Wo sehen Sie die Konfliktlinie zwischen der Jugend und dem Regime?
Die Herrschaft der Schriftgelehrten basiert auf einem menschenverachtenden Bild des ewig Unmündigen, der stets einen Vormund in Gestalt der Schriftgelehrten bedarf. Als Unmündige hat er
zudem keine Rechte sondern nur Pflichten. Dabei stehen nicht die staatlichen Institutionen im Dienste der Menschen, sondern die Menschen im Dienste der bestehenden Ordnung. Diese
Staatsauffassung aber ist angesichts der Lebendigkeit der Jugend kaum durchsetzbar. Millionen junger Menschen im Iran wollen nicht im Dienste eines Unterdrücker-Regimes stehen, sondern
sich selbst verwirklichen. Die Menschen, die vor zwei Jahren auf die Straßen gingen und für ihre Rechte demonstrierten, gehören zu jenen, die zunehmend rechts-bewusst geworden sind. Sie
fühlen sich als mündige Bürger und stehen damit im Widerspruch zu einem Regime, das sie für ewig unmündig hält.
Warum meidet die Opposition einen aktiven Kampf gegen den obersten Ajatollah und den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad?
Dass die "Grüne Bewegung" Organisationsprobleme hat, lässt sich nicht bestreiten. Sie hängen ganz zentral damit zusammen, dass das Regime die Kommunikationskanäle der Gesellschaft
kontrolliert und regelt. Nicht umsonst forciert Iran derzeit ein eigenes Internetnetz. Die Folgen sind, dass ohne eine freie Kommunikation keine Organisation möglich ist. Diese
Reformbewegung besteht daher aus keiner Partei oder einem Verband. Doch innerhalb dieser Bewegung gibt es sehr wohl organisierte Gruppen, wie etwa Ansätze unabhängiger Arbeiter- und
Frauenbewegungen, die islamisch reformorientierten Parteien, ethnische (wie kurdische oder belutschische) und konfessionelle Organisationen (wie Derwisch-Orden, Bahais, Christen, Juden).
Behindern zu viele Interessen die Opposition? In anderen Ländern wie Ägypten und Syrien schaffen die Menschen es, sich auf ein Ziel zu verständigen - gegen das Regime.
Die Iraner haben sehr wohl gelernt, wozu es führt, wenn man sich nur gegen etwas auflehnt ohne zu wissen, wofür. Die Revolution von 1978/79 schuf die „Islamischen Republik“ mit ihrer über
30 jährigen blutigen Geschichte. Deswegen werden dieses Mal nicht mehr „die Köpfe“, sondern Interessen organisiert. Eine radikale Ideologie spielt bei der Organisation der neuen Bewegung
keine Rolle mehr. Man könnte aber die „Grüne Bewegung“ jedoch in zwei Hauptströmungen teilen: Da sind einmal die islamisch geprägten Kräfte, die das Regime nur immanent reformieren
wollen. So gesehen streben sie eine Stabilisierung der bestehenden Ordnung an. Und die andere Strömung besteht (eher) aus (nicht religiösen) Kräften, die tatsächlich einen
fundamentalen aber gewaltlosen Wechsel anstreben. Nach der blutigen Niederschlagung der friedlichen Proteste vor zwei Jahren und infolge vieler Verhaftungen, ist großen Teilen der
Opposition klar, dass nur eine systemimmanente Reform der bestehenden Ordnung nicht möglich ist.
Schließt sich eine langsame Reform aus dem Regime heraus aus?
Das Problem besteht darin, dass das Staatskonzept ein Quadratur des Kreises sein will: Es ist einerseits eine Republik und andererseits verbrieft die Verfassung die absolute Herrschaft
der Schriftgelehrten. Sie sind eine Art Stellvertreter des verborgenen 12. Imams nach Mohammed. Ihre zentrale Aufgabe ist demnach die Sicherung der bestehenden Ordnung um jeden Preis,
ohne die eine Anarchie zu erwarten sei. Und dieser Antagonismus zwischen Republik und der Schriftgelehrten-Herrschaft ist nur überwindbar, indem entweder die republikanische Komponente
unterdrückt wird, was die Mächtigen schon seit Jahrzehnten tun. Oder die Republikaner überwinden die Schriftgelehrten-Herrschaft. Doch jeder Versuch, die Schriftgelehrten-Herrschaft
verfassungsmäßig einzuschränken, ist bisher gescheitert.
Was muss geschehen, damit das Regime doch zu Veränderungen gezwungen werden kann?
Es geschieht bereits, indem Menschen ihr lebendiges Leben im Alltagsleben in phantasievollen Formen ständig auszuleben versuchen. Sie spielen ein Katz- und Mausspiel mit dem
Establishment, das mit jeder Reaktion seine Legitimation zunehmend einbüßt. Die Wasserschlacht, die verteufelt wird, ist ein Teil dieses Spiels. Parallel können wir beobachten, dass die
herrschenden Diskussion einer Säkularisierung folgt. Das ist ein klares Zeichen das das Establishment die "kulturelle Hegemonie" zunehmend einbüßt.
Buch: Irans neuer Umbruch. Von der Liebe zum Toten zur Liebe zum Leben.
ecce_verlag, Hannover 2010, 109 Seiten - 9,90 Euro, ISBN: 978-3981397802
Interview aus dem Jahr 2006, mit freundlichem Dank an Prof. Dawud Gholamasad, Hannover