Summery: In diesem Beitrag werden die Selbstmordattentate als Funktion der Destruktivität des Wir-Ideals der Islamisten diskutiert. Diese Destruktivität ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen der relativ geringen Ausstattung der islamisch geprägten Gesellschaften mit tatsächlichen Machtchancen und den angestrebten Idealen der Islamisten. Ihre konjunkturelle Mobilisierung ist jedoch Folge eines Globalisierungsschubes, der mit zunehmender funktionaler Demokratisierung zwischenstaatlicher Beziehungen die Widertandspotentiale der Machtschwächeren gegen die etablierten Selbstwertbeziehungen aktiviert.
1. Zum Islamismus als mobilisiertes Widerstandspotential von Teilen der islamisch geprägten Menschen gegen die als Imperialismus erfahrene Globalisierung.
Mit der globalen Herausforderung der Islamisten sind wir seit dem 11. September nicht nur mit einer unübersehbaren Problemlage konfrontiert. Sie führte zugleich zu einer wachsenden Sensibilität für die zwischenmenschlichen und interkulturellen Probleme, die sich als Folge der zunehmenden Globalisierung der Interdependenzen der Menschen ergeben. Diese Globalisierung, die stets einhergeht mit sozialen Auf- und Abstiegsprozessen von Menschen als Einzelne und Gruppen, verschärft nicht nur die Spannungen und Konflikte der zwar nationalstaatlich organisierten, aber ethnisch oder konfessionell segmentierten Menschen als Etablierte und Außenseitergruppen; sie ermöglicht zugleich auch eine entsprechende Erweiterung der Bezugsrahmen der Selbsterfahrung der Menschen und der damit einhergehenden Reichweite der Identifizierung von Mensch und Mensch jenseits der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung einer globalisierten Empathie und der Veränderung der Art der Fähigkeit, sich mit entsprechendem Perspektivwechsel in die Lage fremder Menschen zu versetzen, um sie mit ihren Ängsten und Nöten verstehen zu können.[1] Die handlungssteuernden Zwänge anderer Menschen zu erklären und sie so zu verstehen, bedeutet jedoch nicht, sie zu entschuldigen.
In diesem Beitrag, der die Selbstmordattentate der palästinensischen und der global vernetzt operierenden militanten Islamisten untersucht, geht es um solch einen Erklärungsversuch. Dabei geht es mir nicht um die Gestaltähnlichkeit der Selbstmordattentate, sondern um ihre Funktionsähnlichkeit, sind doch die Motive der Selbstmordattentäter vielfältig. Dies zeigt sich schon, wenn manallein die unterschiedlichen individuellen Motive zweier gescheiterter palästinensischer Selbstmordattentäter vergleicht, die in den israelischen Gefängnissen interviewt wurden. Sie repräsentieren die zwei Pole eines Spektrums von Motivlagen der Selbstmörder, „egoistische“ und „altruistische“. Während die eine bloß den Tod ihres Freundes zu rächen beabsichtigte[2], wollte der andere an einem als heilig erklärten nationalen Befreiungskampf teilnehmen, wofür er sich als Märtyrer den Zugang zum Paradies versprochen hatte.[3] Dabei ist der erwartete Zugang zum Paradies nur die Kompensation für das erbrachte individuelle Opfer, für die Unterwerfung unter das national und religiös höchste Gebot, nicht aber der Zweck seiner Handlung. Dies kam z. B. zum Ausdruck, als der altruistische Selbstmordattentäter vom israelischen Verteidigungsminister gefragt wurde, warum er Selbstmord begehen wollte. Er lehnte dies entschieden als Unterstellung ab: „Das ist nicht korrekt. Ich wollte nicht Selbstmord begehen. Ich wollte einen Märtyrer-Tod sterben. Ich wollte die Auszeichnung erhalten. Ich verbrachte einen Monat in der Moschee. Ich habe dort gelernt, wie wichtig es ist ein Märtyrer zu sein. Es ist das erhabenste Ziel. Es ist sehr wichtig für die Palästinenser, sowohl national als auch religiös. Es ist das Größte und Heiligste, was man tun kann. Und schließlich erhält man alle Belohnungen im Paradies“.[4]
Hier begegnet man der Wirkung der durch die Gruppenmeinung repräsentierten Kontrolle der Selbstregulierung der individuellen Mitglieder. Diesereligiös geprägte Gruppenmeinung der Palästinenser über altruistischen Selbstmord wird hier hervorgehoben als national und religiös gefordertes und gefördertes individuelles Handlungsziel, woran sich der Selbstmordkandidat auszurichten verpflichtet fühlt. Die individuelle Selbstregulierung der Einzelnen wird also auch hier in der Bahn gehalten nicht nur durch befriedigende Teilhabe am höheren menschlichen Wert der Gruppe und die entsprechende Erhöhung der individuellen Selbstliebe und Selbstachtung, zu der die Anerkennung in der Gruppenmeinung das Ihre tut, sondern auch zugleich durch die Zwänge, die sich jedes Mitglied der Gruppe im Einklang mit den gemeinsamen Normen und Standards selbst auferlegt, bei Strafe des Verlusts der genannten Gratifikation.[5] Allerdings neigt hier die Balance zwischen Selbst- und Fremdzwang entsprechend der Art und dem Grad der Individualisierung und der damit einhergehenden Balance der Ich-Wir-Identität zugunsten des letzteren. Dieser Fremdzwang manifestiert sich nicht nur in einer Tradition, die islamisch geprägten Gesellschaften miteinander teilen.
In der Tat ist wie in jedem zivilisationsbegründenden normativen Selbstbild der Menschen als Einzelne und Gesellschaften im Sinne eines gemeinsam kommunizierbaren Orientierungs- und Kontrollmittels die Anwendung von Gewalt gegen sich selbst und andere Menschen auch im Islam untersagt. Selbstmord wird daher als Todsünde betrachtet. Indes gibt es auch in den islamisch geprägten Gesellschaften, genauso wie in allen anderen, eine heilige Pflicht zum altruistischen Selbstmord. Im Unterschied zum egoistischen Selbstmord, also Intihar, heißt diese individuelle Aufopferung für die Gemeinschaft Ishtihad. Sie ist in einem als heilig erklärten Krieg, Djihad, eines der höchsten Gebote, für dessen Erfüllung der direkte Zugang zum Paradies versprochen wird. Hier unterscheiden sich also die kulturell unterschiedlich geprägten Gesellschaften nicht in der Heroisierung des altruistischen Selbstmordes im Einsatz zur Verteidigung der Gemeinschaft als Wir-Einheit, sondern nur in der Art ihrer Belohnung. Mit der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaften wird auch sie verweltlicht.
Mit dem exemplarischen Bezug auf die islamistischen Selbstmordattentäter soll daher hier gezeigt werden, dass nichts irreführender wäre als die Zurückführung der Selbstmordattentate auf blinden religiösen Fanatismus - auch im Falle der Islamisten. Denn von religiöser Inbrunst führt kein direkter Weg in einen Supermarkt oder in das Cockpit einer Passagiermaschine. Um sich in eine Bombe zu verwandeln, braucht es mehr als den Glauben an ein paar heilige Verse. Auch selbst die Naherwartung eines Logenplatzes im Paradies, wo der „Märtyrer“ die Aufhebung der Prohibition genießen kann, bringt niemanden dazu, sich voller Begeisterung sogleich in die Luft zu sprengen.[6] Sie töten sich und andere also nicht bloß für die Unsterblichkeit. Ihre heterodestruktive Autodestruktivität ist eine Verzweiflungstat[7] der Menschen, deren blanke Wut sich aus der Erfahrung der eigenen Machtschwäche ergibt, welche die Selbstmordattentäter als ungerecht empfinden. Aus diesem Grunde z. B. besteht – einem palästinensischen Intellektuellen zufolge - der gegenwärtige Kampf der Palästinenser vor allem darin, nicht Selbstmordattentäter zu werden. Das Erstaunliche sei nicht so sehr, dass es Selbstmordattentäter gibt, sondern eher ihre Seltenheit.[8] Und zwar angesichts der kollektiven und individuellen Erfahrungen der Palästinenser seit der zionistischen Besetzung ihres Landes und der u.a. damit einhergehenden sukzessiven gewaltsamen Enteignung ihrer nationalen Identität als ein Staatsvolk. Denn nichts empört Menschen mehr als die hautnahe Erfahrung dessen, was sie als Ungerechtigkeit empfinden.
Diese Gefühlslage entsteht vor allem deswegen, weil ein Zusammenhang zwischen der Machtrate von Gruppen und dem Wir-Bild und Wir-Ideal ihrer Mitglieder besteht. Aus diesem Grund wird mit der scheinbaren Freiheit der Selbstaufgabe im Selbstmordanschlag die Verwundbarkeit der Machtstärkeren bloßgestellt, die für sich ein besonderes Gruppencharisma beanspruchen. Damit wird nicht nur ihre Unvollkommenheit demonstriert. Auf diese Weise wird zugleich die bestehende Selbstwertbeziehung zugunsten der machtschwächeren Gruppe verändert, mit der sich der Selbstmordattentäter identifiziert. Aus diesem Grunde erscheint ihm das Selbstmordattentat als altruistischer Selbstmord die scheinbar wirkungsvollste Angriffswaffe der Machtschwächeren zu sein. Dabei teilt der Selbstmordattentäter mit dem Heros die Zerstörungswut, mit dem Märtyrer die relative Machtschwäche, mit dem Terroristen die Rebellion gegen die eigene relative Machtschwäche. In seiner Person vereinigen sich Courage mit Grausamkeit, Hass mit Selbstlosigkeit.[9] Doch es wäre trügerisch, die Selbstmordattentate als fremdgesteuert, also manipuliert erklären zu wollen. In dem Fall müsste man erklären, wer die Manipulatoren manipuliert hat und warum die Selbstmordattentäter manipulierbar sind. Es wäre aber auch irreführend, sie individualpsychologisch begreifen zu wollen, obwohl in einer weitgehend individualisierten Gesellschaft, in der wir leben, ein Selbstmordattentat als individueller Entschluss des Attentäters erscheinen mag, einmalig autonom zu handeln. Dieser Annahme liegt aber die in den westlich-industrialisierten Gesellschaften vorherrschende homo-clausus-Selbsterfahrung der weitgehend individualisierten Menschen zugrunde. Diesem Menschen werden - als in sich geschlossene Einheit - zwar Instanzen der Selbstkontrolle zugebilligt, wie sie in Gruppenprozessen als „Ich“, „Über-Ich“ und „Ich-Ideal“ Gestalt gewinnen und in einem vermeintlich autonomen „Inneren“ am Werk sind. Andere Ebenen der individuellen Persönlichkeitsstruktur, vor allem die Funktionen des Wir-Bildes und Wir-Ideals, die am engsten und direktesten mit den Gruppenprozessen verknüpft sind, an denen ein Mensch Teil hat, liegen aber jenseits der homo-clausus-Selbsterfahrung.
Werden wir uns jedoch unserer scheinbar wir-losen Selbsterfahrung als für eine bestimmte Entwicklungsstufe der menschlichen Gesellschaft charakteristische bewusst, so gehen wir von einem realitätsangemesseneren Bild des offenen Menschen aus, dessen Ich-Wir-Balance sich mit zunehmender sozialer Differenzierung zugunsten der Ich-Identität verschiebt, ohne dass er je seine Wir-Identität aufgeben könnte. Sein Wir-Bild und Wir-Ideal sind aber genauso ein Gemenge von gefühlsgeladenen Phantasien und realistischen Vorstellungen wie sein Ich-Bild und Ich-Ideal. Wie bei letzteren tritt ihre Eigenart auch am schärfsten hervor, wenn Phantasie und Realität in Widerspruch zueinander geraten; dann wird nämlich ihr imaginärer Gehalt akzentuiert. Während aber die affektiven Phantasien im Falle von Persönlichkeitsfunktionen wie Ich-Bild und Ich-Ideal rein individuelle Erfahrungen eines Gruppenprozesses verarbeiten, hat man es im Falle von Wir-Bild und Wir-Ideal mit individuellen Versionen kollektiver Phantasien zu tun.[10] Die Selbstmordattentäter sind vor allem von diesen individuellen Versionen kollektiver Phantasien gesteuert.
Das eher phantasiegesättigte Wir-Bild und Wir-Ideal der islamisch geprägten Selbstmordattentäter ist daher ein schlagendes Beispiel für einen Effekt, der sich in höherem oder geringerem Maß regelmäßig bei Mitgliedern ehemals mächtiger Völker einstellt, die ihren Vorrang im Verhältnis zu anderen Völkern eingebüßt haben. Ihre Mitglieder haben jahrhundertelang unter dieser Situation gelitten, weil ihr gruppencharismatisches Wir-Ideal, das ausgerichtet ist an einem idealisierten Bild ihrer selbst in der Zeit ihrer Größe, noch weiterlebt – als ein verpflichtendes Modell, dem sie nicht mehr gerecht zu werden vermögen. Der Glanz ihres kollektiven Lebens als islamisch geprägte Völker ist dahin, ihre Machtüberlegenheit, die für ihr Gefühl ein Zeichen ihrer menschlichen Höherwertigkeit im Vergleich zu dem geringeren Wert anderer Gruppen gewesen war, unwiederbringlich verloren. Und doch wurde ihr Traum von einem besonderen Charisma auf vielfache Weise lebendig erhalten.
Zur Entstehung dieses verpflichtenden Modells und der gegenwärtigen Gefühlslage der Islamisten trägt vor allem ihre Erinnerung an zwar ungewöhnliche, aber doch in der Überlieferung idealisierte Errungenschaften der Muslime während der ersten sechs Jahrhunderte der islamischen Herrschaft bei: Die islamisierten Gesellschaften waren in dieser Periode die relativ entwickeltesten. Sie lieferten die höchstentwickelten wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften und schufen ungewöhnlich siegreiche Armeen. Die islamisch geprägten Menschen erinnern sich gern an das Erfolgsmuster der Muslime, das ihnen selbstverständlich erscheint, verließ doch der Prophet Muhammad Mekka im Jahre 622 als Flüchtling, um acht Jahre später als Herrscher zurückzukehren. Man erinnert sich daran, dass schon 715 die muslimischen Eroberer ein Imperium errichteten, das von Spanien im Westen bis Indien im Osten reichte. Aus diesem Grunde schien ihr Glaube für eine lange Zeit ein Distinktionsmittel, also Unterscheidungsmerkmal ihres höheren sozialen Ranges gegenüber anderen Gruppen zu sein. So bedeutete ein Muslim zu sein, zugleich Angehöriger einer siegreichen und dominanten Gemeinschaft von Menschen zu sein, die sich durch ihr Zivilisationsmuster von anderen abhob. Es ist also kein Wunder, dass heutzutage manche Muslime nachträglich eine Korrelation zwischen ihrem Glauben und ihrem sozialen Aufstieg als Hegemonialmacht herstellen und sich daher als charismatische Gruppe im Sinne einer von Gott bevorzugten Gemeinschaft begreifen.
Ihre Jahrhunderte andauernde kollektive Trauer ist Folge der Erfahrung des sozialen Abstiegs der islamischen Welt seit dem 13. Jh., ohne dass Muslime sich dessen bis zum 18. Jh. bewusst wurden. Während man sich nämlich im Westen auf neue Entdeckungen begab, versank die islamische Welt in dieser Zeitperiode in einer Art selbstgefälligen Ignoranz. Dies wird ausgedrückt z. B. durch den berühmten muslimischen Intellektuellen, Ibn Khaldun, der um 1400 über Europa schreibt, „ich höre, dass sich einiges im Lande der Römer entwickelt, aber nur Gott weiß, was dort passiert.“ Diese Ahnungslosigkeit machte die Muslime verwundbar, als sie nicht mehr ignorieren konnten, was in Europa inzwischen passiert war, nämlich ein Anstieg der Machtchancen, der sich aus der Entwicklung der Triade der Grundkontrollen ergab: der Naturkontrolle in Gestalt der technologischen Entwicklung, der sozialen Kontrolle in Gestalt der Nationalstaatenbildung und der Trieb- und Affektkontrolle in Gestalt der zunehmenden Zivilisierung des Verhaltens und Erlebens der Menschen in Europa. Es war also die fortschreitende, gerichtete Entwicklung dieser Triade der Grundkontrollen, die denMuslimen entging; eine Entwicklung, die sich aus jahrhundertelangen, ungeplanten Verflechtungsprozessen zielgerichteter Wünsche, Pläne und Handlungen von Millionen von Menschen unterschiedlicher ethnischer und konfessioneller Herkunft in einer langen Generationenkette der Menschheit ergab und schließlich zur Verlagerung der Machtbalance zwischen den islamisch und den christlich geprägten Gesellschaften und damit zu ihrem sozialen Auf- bzw. Abstieg führte.
Der dramatischste Wendepunkt der Machtbalance zu Ungunsten der Muslime kam im Juli 1798 zu ihrem Bewusstsein, als Napoleon Bonaparte in Ägypten landete und so das Zentrum der muslimischen Welt mit erstaunlicher Leichtigkeit eroberte. Andere Angriffe folgten über die nächsten Jahrhunderte. Nach der zionistischen Besetzung Palästinas und den demütigenden Niederlagen der arabischen Staaten im Sechs-Tage-Krieg, scheint der wohl tragischste dieser Angriffe für Muslime wie Bin Laden die US-amerikanische Präsenz in Saudi-Arabien seit der irakischen Invasion Kuwaits zu sein: „Die größte Katastrophe, welche die Muslime seit dem Tod des Propheten gelitten haben, ist die Besetzung des Heiligen Landes von Ka’ba und die Qible durch die Christen und ihre Verbündeten“[11] verkündete Bin Laden bereits im August 1996. Zur Bekämpfung dieser „Besetzung des Bodens der heiligenStätten“[12] fühlen sich die Islamisten deswegen verpflichtet, weil sie ihrer Wehrhaftigkeit und damit ihrer Ehre gerecht werden müssen:„Unser Terrorismus gegen Sie, die unser Land bewaffnet besetzt halten, ist unsere Pflicht. Sie sind wie eine Riesenschlange, die in unser Haus eingedrungen ist, die man töten muss“. Im Bezug auf den Saudi-Arabischen Herrscher fährt er fort: „Er, der Ihnen erlaubt, bewaffnet in seinem Land herum zu gehen, obwohl Sie Friede und Sicherheit genießen, ist ein Feigling...“[13]
Aus diesem Unvermögen des saudischen Herrschers, das staatliche Gewaltmonopol zu behaupten, das zugleich zu seiner Legitimationskrise führt, leiten also Islamisten wie Osama Bin Laden die Legitimation ihres Kampfes nicht nur gegen die USA ab, sondern auch zugleich gegen die als ungerecht empfundene Herrschaft im eigenen Land.[14] Doch das Versagen der Staaten in islamisch geprägten Gesellschaften ist u.a. Ausdruck ihrer relativen Machtschwäche gegenüber den entwickelteren Staatsgesellschaften.
Die Frustration der Muslime, die jeder Zeit in Aggression umschlagen kann, ist angesichts dieser Macht- und Statusverhältnisse zu ihren Ungunsten enorm. Dieses um sich greifende unerträgliche Gefühl der Demütigung wird z. B. ausgedrückt durch den Imam einer Moschee in Jerusalem, wenn er hervorhebt: „Früher waren wir die Herren der Welt und jetzt sind wir nicht einmal Herr unserer eigenen Moschee.“[15]
Für die Wiederherstellung dieser erinnerten hegemonialen Machtposition der Muslime sind die Islamisten zu jedem Opfer bereit, weil ihr gruppencharismatisches Wir-Ideal, das an einem idealisierten Bild ihrer Selbst in der Zeit ihrer Größe ausgerichtet ist, für sie als verpflichtendes Modell immer noch weiterlebt. Ihr als heilig erklärter Krieg, den sie mit dem Einsatz ihres eigenen Lebens führen, ist daher die radikalste Form der Erfüllung dieser Verpflichtung, angesichts der bestehenden Machtverhältnisse zu ihren Ungunsten: „Man kann nicht die anderen bitten, uns zu befreien. Wir haben zur Zeit nicht genügend Leute zu unserer Unterstützung. Das ist der Grund, warum wir damit enden, uns vor Panzer zu werfen.“[16]- so ein palästinensischer Selbstmordkandidat.
In diesem Sinne werden daher hier die Selbstmordattentate als Funktion der Destruktivität des Wir-Ideals der Islamisten diskutiert. Diese Destruktivität ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen der relativ geringen Ausstattung der islamisch geprägten Gesellschaften mit tatsächlichen Machtchancen und den angestrebten Idealen der Islamisten. Ihre konjunkturelle Mobilisierung ist jedoch Folge eines Globalisierungsschubes.
2. Zur Globalisierung als Entstehungs- und Wirkungszusammenhang einer globalen Beziehungsfalle von kulturell unterschiedlich geprägten Menschen als Etablierte und Außenseiter.
Diese These ist jedoch nicht nachvollziehbar, solange man einen der zentralen Aspekte der zunehmenden Globalisierung der gegenseitigen Abhängigkeit der Menschen vernachlässigt, den ich als Entstehungs- und Wirkungszusammenhang einer Beziehungsfalle von kulturell unterschiedlich geprägten Menschen als Etablierte und Außenseiter in ihrem sozialen Auf- und Abstiegsprozess bezeichne. Und zwar jene Beziehungsfalle, die durch die Globalisierung der beruflichen und staatlichen Bindungen der Menschen entsteht, ohne dass sie sich zugleich als globaler Integrationsprozess der Erfahrung der Menschen aufdrängt. Es ist der Nachhinkeffekt dieser Transformation der Selbstwahrnehmung der Menschen hinter der sozialen Transformation, der sich als Wunsch- und Furchtbilder der sich gegenseitig ausschließenden sozialen Gruppen manifestiert, die real ablaufende, langfristige und ungeplante globale Integrationsprozesse selektiv als Chance bzw. als Gefahr erleben.
Dessen ungeachtet wird diese stillschweigende Verringerung der Distanz, diese zunehmende Integrierung der, in mehr als 191 Staaten aufgespalteten, Menschheit zunehmend wirkungsmächtig als gesellschaftliche Einheit und als Bezugsrahmen vieler Entwicklungsvorgänge und Strukturwandlungen.[17]
Mit dieser Verdichtung des Netzwerkes der Interdependenzen zwischen den in Staaten organisierten 6,1 Milliarden Menschen, sind diese Staaten als mehr oder weniger feste Verbände in höherem oder geringerem Maße voneinander abhängig geworden - sei es in ökonomischer Hinsicht, sei es durch einseitige oder gegenseitige Gewaltandrohung oder je nachdem auch durch sehr direkten Gewaltgebrauch, sei es durch Ausbreitung von Selbstregulierungs- und anderen Verhaltens- und Empfindensmustern von bestimmten Zentren her, sei es durch Übernahme von Sprach- und sonstigen kulturellen Modellen und in vielerlei anderer Hinsicht.
Diese zunehmende Integrierung der Menschheit bedeutet aber nicht nur eine steigende horizontale soziale Mobilität der Menschen auch über die Grenzen des eigenen Staates hinaus, die sich etwa in Tourismus und Migration als Massenerscheinungen und damit in einer Vergrößerung der Chancen der Individualisierung äußert. Sie manifestiert sich zugleich als eine steigende vertikale soziale Mobilität und somit als eine funktionale Demokratisierung inner- und zwischenstaatlicher Beziehungen, die als sozialer Auf- bzw. Abstiegsprozess erfahren wird.
Diese zunehmende gegenseitige Angewiesenheit und Abhängigkeit der staatlich organisierten Menschen drückt sich daher nicht zuletzt in Manifestationen der Eskalation ihrer nicht mehr übersehbaren existentiellen Ängste voreinander aus. Sie fühlen sich zunehmend in ihrer physischen und sozialen Existenz gegenseitig als Etablierte und Außenseitergruppen bedroht. Folglich prägen sie sich in ihren emotionalen Verstrickungen gegenseitig durch eine globalisierte Kultur des Misstrauens und tragen so zu einem Teufelskreis der gegenseitigen Bedrohung bei.
Daher fühlen die europäischen und amerikanischen Bürger und ihre Regierungen sich seit dem Niedergang der Sowjetunion - der einherging mit dem Zerfall der bipolaren Hauptspannungsachse zwischenstaatlicher Beziehungen und der Entstehung ihrer Multipolarität - zunehmend von den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und deren islamisch geprägten Bürgern bedroht. Es ist dieses angstgesättigte Erlebensmuster der Etablierten dieser Welt, das sich nicht nur in solchen phantasiegeladenen Abwehrreaktionen wie der theoretischen Konstruktion eines „Clash of Civilizations“[18] manifestiert. Dieser prophezeite „Kampf der Kulturen“ schreibt als Ausdruck ihrer Gefühlserfahrung und Phantasie den „Kulturen“ Eigentümlichkeiten einer Person oder einer Sache zu, die scheinbar von sich aus als kausale Triebkraft zu wirken vermag, fast unabhängig von den Menschengruppen, die derart miteinander verkehren. So wird nicht nur verdrängt, dass es sich um eine mögliche Eskalation der bestehenden Spannungen und Konflikte der kulturell unterschiedlich geprägten Menschengruppen handeln könnte, die mit extrem ungleichen Macht– und Statuschancen ausgestattet sind. Mit der Hervorhebung der Zivilisationsdifferentiale als Exklusions- und Inklusionskriterien, wird zugleich ein Weltbild entlang der Konfliktlinie zwischen „the West and the Rest“ konstruiert, das - mit dem Islam als Hauptfeind - der Renaissance eines Zivilisations- und Kulturbegriffes Vorschub leistet, dervon Kolonialmächten als gruppencharismatischer Kampfbegriff gegen jene machtschwächeren Völker geprägt wurde, die damit als „unzivilisiert“ und „barbarisch“ stigmatisiert wurden.
In solchen Stigmatisierungen zeigt sich eine gruppencharismatische Angstreaktion der Etablierten, die auf einer Wahrung der Machtunterschiede und ihrer eigenen Überlegenheit beharren oder noch zu deren Erhöhung hin drängen, gegen die Herausforderung der Außenseitergruppen, die sich mit stillem Druck oder offener Tat um einen sozialen Aufstieg bemühen und somit auf eine Verringerung der Machtdifferenziale hin drängen. Diese Angstreaktion manifestiert sich nicht zuletzt in den Äußerungen der amerikanischen und europäischen Staatsoberhäupter wie Silvio Berlusconi, der nicht zuletzt und in der Hitze des Gefechts gemeinsame Glaubensaxiome und Werthaltungen der Etablierten dieser Welt artikulierte: „Wir sollten uns der Überlegenheit unserer Zivilisation bewusst sein, die in einem Wertesystem besteht, das den Menschen breiten Wohlstand in den Ländern beschert hat, die es achten, und das den Respekt der Menschenrechte und Religion garantiert.“(...) Mit dieser Selbsterhöhung hebt er zugleich eine selbstverständliche Mission der machtstärkeren Staatsgesellschaften hervor, die man als Glaube an die zivilisierende Mission europäischer Völker längst für überwunden hielt: “Das Abendland ist dazu bestimmt, die Völker zu erobern und zu verwestlichen.“[19]
Hier wird nicht nur deutlich, dass kollektive Lob- und Schimpfphantasien auf allen Ebenen von Machtbalance-Beziehungen eine unübersehbare, zentrale Rolle für gesellschaftliche Praxis spielen, deren Entwicklung Funktion der Entwicklung der betreffenden Gruppen ist. Es lässt sich auch hier wie immer beobachten, dass Mitglieder von Gruppen, die im Hinblick auf ihre Macht anderen, interdependenten Gruppen überlegen sind, von sich glauben, sie seien im Hinblick auf ihre menschliche Qualität besser als die anderen. Dabei sehen sie sich ausgestattet mit einem Gruppencharisma, einem spezifischen Wert, an dem ihre sämtlichen Mitglieder teilhaben und der anderen abgeht. Und mehr noch: Als Funktion der unüberwindbaren Machtdifferenziale können immer wieder die Machtstärkeren die Machtschwächeren selbst zu der Überzeugung bringen, dass ihnen die Begnadung fehle - dass sie schimpfliche, minderwertige Menschen seien.[20] Sie wundern sich bloß, dass die Machtschwächeren sich rächen und zu einer gewaltigen Gegenstigmatisierung ausholen, sobald sich die Machtbalance zu ihren Gunsten verschiebt und sie sich dieses relativen Machtzuwachses bewusst werden.
Der Charakter solcher erniedrigenden und stigmatisierenden Statusideologie der Etablierten als Angriff- und Verteidigungswaffe gegen die als bedrohlich empfundenen Außenseitergruppen manifestiert sich u.a. exemplarisch in einem Beitrag eines der Falken unter den amerikanischen Nah-Ost Experten über Saudi Arabien unter dem Titel „nicht Freund oder Feind“, dessen Kultur er als „notorisch rückständig, engstirnig und barbarisch“ angreift. Mit dieser Erniedrigung attackiert er einen der mutmaßlichen künftigen Herausforderer der USA, dessen Anspruch er als eine Anmaßung empfindet: „Trotz dieser Nachteile betrachten die Herrscher des Königreichs sich als Anführer von mehr als einer Milliarde Muslimen weltweit und als Vorhut einer Bewegung, die letztendlich die als korrupt und verdammt abgelehnte westliche Zivilisation besiegen und ersetzen will. Diese übermäßige Ambition leitet der saudische Staat aus seiner Funktion als ‘Protektor der zwei heiligen Stätten’, der Städte Mekka und Medina ab“ [21]
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Stigmatisierungen dem engsten und bisweilen treuesten Verbündeten der USA gelten, kann man das Gefühl der Bedrohung durch hegemoniale Herausforderung erfassen, aus dem heraus solche emotionalen Reaktionsmuster entstehen, die entsprechende Gegenreaktionen hervorrufen. Dieses Erfahrungsmuster manifestiert sich in seiner angstgesättigten Prognose, welche die Erfahrungswelt der Etablierten annährend kennzeichnet: „Wie dominant auch die USA heute sein mögen, es gibt eine Anzahl von Möchtegern-Nachfolgern, und Saudi Arabien ist nicht weniger ambitioniert als die anderen.“[22]
Es muss einsichtig sein, dass mit einer solchen erniedrigenden und stigmatisierendenStatusideologie, die als Angriffs- und Verteidigungswaffe der Etablierten ihre eigene Überlegenheit betont und rechtfertigt und die Bürger der machtschwächeren Staaten als minderwertige Menschen abstempelt, permanent eine globale Beziehungsfalle zwischen Etablierten und Außenseitern reproduziert wird. Entstanden aus einer empfundenen Bedrohung, ist diese „Ideologie“ - als System von Einstellungen und Glaubensaxiomen - aufgebaut um bestimmte stereotype Themen. Sie wird aber verbreitet und aufrechterhalten durch einen unaufhörlichen Strom von journalistisch zubereiteten Informationen mittels eines globalisierten Netzes von Massenkommunikationsmitteln, das einerseits dazu neigt, selektiv alle Ereignisse innerhalb und außerhalb der machtstärkeren Staaten aufzugreifen, die zu deren Erhöhung beitragen, sowie andererseits alle Ereignisse innerhalb und außerhalb der weniger entwickelten Gesellschaften, die das Negativbild der aufstiegsorientierten machtschwächeren Menschen verstärken. Diese zur Selbstverständlichkeit verfestigte Statusideologie, die den Stammtisch-Gesprächen den nötigen Stoff liefert, verstellt schließlich den Blick für alle Ereignisse, die ihr irgend hätten widersprechen können.
Diese Statusideologie der Etablierten, samt der entsprechenden Gefühlslage, kommt nicht minder in der Erklärung der 58 führenden amerikanischen Intellektuellen zum Ausdruck, die im Namen von fünf „ fundamentalen Wahrheiten“den amerikanischen Krieg gegen den „Terrorismus“ zu legitimieren versuchen. Sie heben hervor: "Manchmal wird es notwendig für eine Nation, sich selbst mit Waffengewalt zu verteidigen“.Dabei bekräftigen Sie ihre „fünf fundamentalen Wahrheiten“ und stellen fest:„Wir kämpfen, um uns selbst und diese allgemeingültigen Prinzipien zu verteidigen“. Denn „konsequenterweise richtet sich (der) Hass (der Islamisten) nicht allein gegen das, was unsere Regierung tut, sondern gegen das, was wir sind- gegen unsere Existenz.“ So definieren sie ihre Existenz durch die Werte, die sie vertreten, in dem sie fragen: „Wer also sind wir? Was sind unsere Werte?[23]
Mit einem Selbstbegriff im Sinne der demonstrativen Hervorhebung der als eigen erklärten „grundlegenden Werte, die unsere (amerikanische) Lebensweise definieren“ und die „für die Menschen überall auf der Welt“attraktiv seien, wird also die Notwendigkeit eines Verteidigungskrieges behauptet, in dem nicht nur das Leben der als Feinde definierten Menschen geopfert werden darf, sondern auch das der Eigenen.
Allein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die islamisch geprägten Gesellschaften sich schon praktisch seit Jahrhunderten in solch einer bedrohlichen Lage befinden, wie sie die amerikanischen Intellektuellen für die Legitimierung ihres „Verteidigungskrieges“ hervorheben, begreift man die Funktion der angstgesättigten „Verschwörungstheorien“[24] der Islamisten als Abwehrrektionen der machtschwächeren und als minderwertig stigmatisierten Menschen. In der Tat ist die „Dämonisierung der Außenwelt und die Zurückführung allen Übels auf ihre Machenschaften“[25] im Sinne eines voluntaristischen Entwicklungsbegriffs Folge der Erfahrung extremer Machtdifferentiale und des sich daraus ergebenden permanenten Gefühls, extrem fremdbestimmt zu sein. Eine solche Erfahrung der Fremdsteuerung verselbständigt und verfestigt sich als Kultur im Sinne der „zweiten Natur“ der Menschen durch die soziale Vererbung und praktische Wiederholung dieser Erfahrung über lange Generationenketten.
Diese machtschwächeren Menschen werden sich mit zunehmender funktionaler Demokratisierung im Sinne der Verlagerung der Machtbalance zu ihren Gunsten als Folge der zunehmenden Globalisierung der gesellschaftlichen Funktionsteilung und Multipolarität zwischenstaatlicher Beziehungen ihres relativen Machtzuwachses bewusst, ohne dass sie damit gleichzeitig in der Lage wären, ihren verschwörungstheoretischen bzw. voluntaristischen Entwicklungsbegriff aufzugeben. Aus dieser Erfahrung heraus, holen sie zu einer Gegenstigmatisierung der Machstärkeren als „korrupt und verdammt“ aus[26], während ihre militanten Teilformationen diese praktisch mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln herausfordern. Es sind jedoch die absolut unüberwindbar großen Machtdifferenziale zu ihren Ungunsten, die das Selbstmordattentat zu ihrer scheinbar wirkungsvollsten Angriffswaffe gegen eine als Imperialismus erfahrene Globalisierung machen. Dies wird verständlich, wenn man sich die Sozio- und Psychogenese des militanten Islamismus als globale Herausforderung vergegenwärtigt.
3. Der Islamismus als nativistisch orientierte chiliastische Erhebungen von Teilen der islamisch geprägten Menschen
Untersucht man inhaltlich die Glaubensaxiome und Werthaltungen der Islamisten, erweisen sich die islamistischen Bewegungen als nativistisch[27] orientierte chiliastische Erhebungen. Sie entstanden als Umschlag des chiliastischen Quietismus von Teilformationen der islamisch geprägten Menschen in ihren chiliastischen Aktivismus[28]: Begreifen wir den als „Prinzip Hoffnung“ bekannten Chiliasmus im Sinne der kollektiven Aufbruchsbereitschaft zur Herstellung paradiesischer Glückszustände auf Erden[29], wie sie sich religiös im Glauben an ein Reich der Gerechtigkeit nach der Wiederkehr des Erlösers ausdrückt. Und verstehen wir unter Quietismus eine Orientierung der Menschen auf eine Verschmelzung mit Gott durch wunsch- und willenloses Sichergeben in seinen Willen, wie sie sich in ihrer apokalyptischen Weltabgeschiedenheit und völliger Ruhe des Gemüts manifestiert. Dann sind islamistische Bewegungen Ausdruck des Umschlags der kollektiven Aufbruchsbereitschaft einiger Segmente der islamisch geprägten Menschen für die Herstellung paradiesischer Glückszustände bzw. Gerechtigkeit auf Erden in einen kollektiven Aufbruch von extrem nativistisch orientierten Menschen, d.h. von Menschen, die miteinem neuen Schema von Selbstwerten, nicht nur ihren eigenen Selbstwert als Gruppe demonstrativ hervorheben. Als extrem nativistische Bewegung ist der Islamismus zugleich eine der aktiven Durchsetzungsformen eines neu empfundenen eigenen Wertes für sich und für andere in Gestalt der Durchsetzung eines neuen Schemas der Verteilung der konstitutiven Bestandteile der Selbstachtung, also der Verteilung der Symbole der Überlegenheit, an denen nicht nur das Selbstwertgefühl der aufstiegsorientierten, islamisch geprägten Menschen haftet.[30]
Dies wird nachvollziehbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Kraft der lebenssteigernden Funktion des Selbstwertgefühls sich gegenwärtig unter anderem in der Universalität der Neigung zeigt, den Wert der eigenen Gruppe auf Kosten des Wertes anderer zu erhöhen.[31] Der eigene Selbstwert, sowohl in den eigenen Augen als auch in den Augen anderer sozialer Formationen, bestimmt sich daher durch das Ergebnis der Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfe zwischen verschiedenen Menschengruppen um die Verteilung der Macht- und Statusquellen.Folglich ergibt sich die zwingende Kraft der Selbst- und Fremdwertbeziehungen – im Sinne einer Beziehungsfalle - nicht zuletzt aus der Furcht der Menschen voreinander, vor der physischen Vernichtung, Versklavung, Ausbeutung, Abhängigkeit etc und nicht zuletzt vor Vernichtung der Sinngebung.Die Angst vor einem drohenden Sinnverlust ruft dannschließlich nicht selten Gefühle extremer Feindseligkeit hervor, derart, dass die so radikalisierten Gläubigen bereit sind, die als Gegner empfundenen Anders-Gläubigen zu vernichten, um ihr eigenes Glaubenssystem und ihre Tradition bzw. ihre Höherwertigkeit zu garantieren.
Diese Deutung wird einem nahegelegt, wenn man diesen Menschen aufmerksam zuhört und ihr Anliegen ernst nimmt. Nur so kann man sie, samt ihres Leidensdrucks, verstehen. Denn wo Leiden ist, ist auch Leidenschaft. Es ist ihr unerträglicher Leidensdruck, der diese nativistisch orientierten chiliastischen Aktivisten dazu treibt, für die Herstellung neuer Selbstwertbeziehungen im Sinne der Umkehrung der bestehenden Macht- und Statusordnung, sogar sich selbst individuell zu opfern. Die Notwendigkeit dieser autodestruktiven Tendenzen wird z. B. durch Ayatollah Chomeini hervorgehoben, der bereits in den sechziger Jahren seine berühmte Formel prägte, der Islam sei ein Baum, der nur wachsen könne, wenn er durch das Blut der Jugend genährt werde. Zu lange schon hätten die Muslime den Tod gefürchtet, und um ihm zu entgehen, einen hohen Preis bezahlt – das unwürdige Leben in einer Tyrannei.[32]
Mit der Ablehnung der passiven Geisteshaltung der Quietisten, die besonders durch das Streben nach einer gottergebenen Frömmigkeit und Ruhe des Gemüts gekennzeichnet ist, unterscheiden sich die chiliastischen Aktivisten also dadurch, dass sie nicht mehr auf den Erlöser warten können.
4. Zu psychogenetischen Aspekten der Selbstmordattentäter
Der Höhepunkt dieser Selbsterlösung ist ihr Selbstmordattentat, das man als Umschlag der kollektiven Trauer der islamisch geprägten, aufstiegsorientierten Menschen in ihren Hegemonialrausch interpretieren kann.
In dieser affektiven Enthemmung bzw. Überwältigung durch Affekte[33] manifestiert sich der Umschlag der Bereitschaft zum Aufbruch in praktischen Aufbruch zur Herstellung der Gerechtigkeit, als Folge des Wandels der vom Verlangen nach Achtung und Selbstachtung dominierten Bedürfnisstruktur der siegesgewissen chiliastischen Aktivisten. Dieser Strukturwandel ihres Bedürfnisses ist nicht nur das Ergebnis der, mehr oder weniger, zunehmenden Befriedigung ihrer ökonomischen Bedürfnisse, welche die nicht-ökonomischen Bedürfnisse in den Vordergrund drängt und so zunächst Teile der wohlhabenderen Schichten zur Kerngruppe der islamisch geprägten Selbstmordattentäter werden lässt. Diese Verschiebung der Valenzfiguration der Außenseiter im globalen Maßstab ist auch Folge einer Verschiebung der Machtbalance zugunsten der machtschwächeren Menschen auf unterschiedlichen Integrationsebenen, im Sinne einer funktionalen Demokratisierung und zwar als Folge der Modernisierung. Ihre affektive Enthemmung bzw. Affekte Überwältigung dokumentiert aber zugleich einen Ent-Zivilisierungsschub ihres Verhaltens und Empfindens als Bumerangeffekt einer permanent erfahrenen unerträglichen Demütigung durch die Etablierten dieser Welt, die sie als eine Kriegserklärung der machtstärkeren Staatsgesellschaften auf allen, ökonomischen, politischen, kulturellen und militärischen Ebenen begreifen.[34]
Es ist die jahrhundertlange unerträgliche Erfahrung der praktischen Reproduktion hegemonialer Positionen der globalen Kerngruppen der Macht als Imperialismus, die den Islamismus als eine der Widerstandspotentiale der islamisch geprägten Menschen mobilisiert und dessen Anhänger bis zum Äußersten treibt. Ihre militanten Angriffe sind aber Funktion der Erfahrung der funktionalen Demokratisierung als Folge der zunehmenden Globalisierung der Interdependenzen der Menschen als Einzelne und als Gruppen. Sie sind daher auf eine Überwindung der als ungerecht und entwürdigend empfundenen Macht- und Statusverhältnisse gerichtet, die sie traumatisierten. Diese traumatische Erfahrung, die unmittelbar Angst, Schrecken und völlige Hilflosigkeit auslöst, führt zunächst zu einem Zusammenbruch der zentralen Ich- und Wir-Funktionen und schließlich zu einer basalen Erschütterung des psychischen Apparates dieser Menschen, die nun vom Bemühen bestimmt werden, diese traumatische Situation nachträglich zu bewältigen.[35]
Dieser Restitutionsversuch einiger Segmente der islamisch geprägten Menschen ist nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass die traumatische Erkenntnis des Machtverlusts ihrer Staaten als hauptsächliche Brennpunkte, auf die sich ihre Zwillingswünsche nach einer Identität und nach einem Wert, bzw. einer Zugehörigkeit und einem Sinn über die eigene Lebensspanne hinaus richten, mit einer Identitäts- und Sinnkrise einhergeht. Dieser Wiederherstellungsversuch ist daher verantwortlich für ihre typischen posttraumatischen Symptome, die im Kern in einer zwanghaften Wiederholung des traumatischen Geschehens z. B. in Tagträumen oder in unwillkürlichen historischen Flashbacks und zuweilen in einer weitgehenden Interessenverarmung der Einzelnen im Sinne ihrer affektiven Entbindung von ihrer als unerträglich empfundenen realern Existenz bestehen. Der islamitische Selbstmordkandidat ist die Verkörperung dieser posttraumatischen Symptome, der mit seiner affektiven Entbindung von der Realität den militantesten Islamisten hervorbringt, dessen Wir-Ideal überproportional verhaltens- und empfindenssteuernd ist. Es ist die destruktive Gewalt des inneren Stachels, zu dem dieses Ideal werden kann, die sich in der Tat des Selbstmordattentäters mit seinen großartig-exhibitionistischen Phantasien manifestiert. Doch die Widerstandfähigkeit gegen zerstörerische Idealisierungen ist kein individuelles Problem eines Selbstmordattentäters, der sich in einer vom exhibitionistischen, nativistischen Wahn bestimmten Lebensphase befindet. Es ist ein Beziehungsproblem, eine Folge gruppendynamischer Konstellationen von staatlich organisierten Menschen, die ein idealisiertes Wir-Bild wie ein Teilstück des eigenen Selbst erleben lässt. Die narzisstische Kränkung, die sozial absteigende Menschen in den zwischenstaatlichen Beziehungen erfahren, mobilisiert unabhängig von ihrer ideologischen Prägung jene Wut, deren blinder Dynamik sie selbst ausgesetzt sind. Quälende Beschämung und heftige Wut überfallen sie, weil die Aufrechterhaltung ihres Selbstgefühls auf der Gelegenheit zur Verschmelzung mit einem zum Ideal erhobenen Selbstobjekt beruht, während sie sich einer unüberwindbaren Kluft zwischen der Realität und dem narzisstisch besetzten Wir-Bild nicht entziehen können.
Solcher Art von Rückgriff auf erinnerte Wir-Bilder[36] ist aber bedingt durch die stete Erfahrung der frustrierenden Versagung seitens der Etabliertengruppen als - selbst einst von großen Teilen der islamisch geprägten Menschen idealisierte - Selbstobjekte, welche dann zu einer narzisstischen, unendlichen Quelle der Wut und der Destruktivität ihnen gegenüber führt. Die so als „Scham-Wut-Reaktion“[37] manifestierte Aggression wird aber deswegen so gefährlich, weil sie an diese absolutistischen seelischen Strukturen des Idealsystems geknüpft ist - an die Idealisierung der grandios übersteigerten eigenen Macht und Leistungen der Menschen als Gruppe. Sie manifestieren sich dann in solche kalt geplante, ordnungsgemäß organisierte Handlungen der Selbstmordattentäter vom 11. September, bei denen die destruktive Wut hinter der starren, einfühlungslosen, für alle anderen Einflüsse blinden Identifizierungen mit einem absoluten Ideal verschwindet und eigener Größenwahn und die Selbstaufgabe im Dienst eines idealisierten Kollektives uneingeschränkte Macht gewinnen. [38]
Aus diesem Grunde fällt der Versuch, den Schock der traumatischen Erkenntnis des Machtverlusts ihrer Staaten um jeden Preis zu vermeiden, und der heftige Wunsch, den Entwicklungsprozess umzukehren, der die islamisch geprägten Gesellschaften in so einen niedrigen Rang stürzte, mit den Selbstmordattentaten so extrem aus, weil die faktischen Ressourcen dieser Gesellschaften im Vergleich zu dem Ideal, zu dem Traumreich, für dessen Wiederherstellung sie von den Islamisten eingesetzt werden, sehr gering sind. In diesem Sinne ist ihr Selbstmordattentat die Funktion der Destruktivität ihrer Wir-Ideale, weil sie unabhängig von ihren faktischen Realisierungschancen virulent handlungssteuernd bleiben: Das gruppencharismatische Wir-Ideal der Islamisten, das an einem idealisierten Bild ihres Selbst in der Zeit der Größe der islamisch geprägten Gesellschaften ausgerichtet ist, lebt für sie als verpflichtendes Modell immer noch weiter, obwohl sie nicht mehr über die entsprechenden Machtquellen verfügen.
Doch es darf nicht vergessen werden, dass die erinnerte Vorrangstellung der islamisch geprägten Gesellschaften und das Traumreich der Islamisten nur im Rahmen ihres aktuellen Konkurrenz- und Ausscheidungskampfes um soziales und psychisches Überleben ihre narzisstisch stützende Funktion erfüllt. Sie wird mobilisiert angesichts der erfahrenen Demütigung dieser Menschen durch die gegenwärtig etablierten Selbstwertbeziehungen. Es ist die Dynamik solcher Selbstwertbeziehungen, die mit entsprechender Veränderung der Machtverhältnisse zu entsprechender „invention of tradition“ führt. Sie kann allerdings ideologisch unterschiedlich ausfallen, wie sie sich selbst in den islamisch geprägten Gesellschaften durch unterschiedliche Traditionslinien manifestiert, die wie z. B. „arabischer Nationalismus“ oder „arabischer Sozialismus“ immer noch mit dem Islamismus koexistieren. Doch es ist das Versagen solcher Traditionen, die den Islamismus als Bezugsrahmen der (Selbst-)Erfahrung für Teile der islamisch geprägten Menschen attraktiv macht, die ihre globale Außenseiter-Position zu überwinden versuchen. Es sind also die Erfahrungen dieser Etablierten-Außenseiter-Beziehung, die diese (selbst-)mörderische Dynamik der Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfe der mit unterschiedlichen Machtchancen ausgestatteten Menschen als Einzelne und Gruppen in Gang setzen und perpetuieren, die zudem jeweils auf unterschiedliche eigene „Geschichte“ als Legitimation ihres gegenwärtigen Kampfes zurückblicken. Dabei ist der Grad der Diskrepanz zwischen ihrem idealisierten Selbst-Bild und ihren faktischen Ressourcen für das Ausmaß der Destruktivität der Austragung ihres Kampfes um eine veränderte Selbstwertbeziehung verantwortlich.
In diesem Sinne bestätigen die Selbstmordattentate nur die Regel, dass je schwächer, je unsicherer und verzweifelter die Menschen auf ihrem sozialen Abstiegsweg werden, je schärfer sie zu spüren bekommen, dass sie um ihren erinnerten Vorrang mit dem Rücken zur Wand kämpfen, desto roher ihr Verhalten, desto akuter die Gefahr ist, dass sie die zivilisierten Verhaltensstandards, auf die sie stolz sind, selbst missachten und zerstören.[39]
Zum Schluss möchte ich noch hervorheben, dass auch in hoch individualisierten Gesellschaften die psychische Existenz der Menschen mehr oder weniger von ihrer sozialen Existenz, von dem Selbstwert
abhängt, den sie durch Andere erfahren. Doch je wir-gebundener Menschen sind, umso mehr fallen psychische und soziale Existenz zusammen, umso eher wird die Bedrohung des Selbstwerts des Einzelnen und der Wir-Gruppe, an der diese hängt, als eine existentielle Bedrohung des eigenen Selbst erfahren.
Ich habe in diesem Beitrag versucht, diesen Unterschied der Erlebnisweisen hervorzuheben, um damit gleichzeitig einen Ansatz zu bieten, die bestehenden Kommunikationsprobleme zu überwinden, die gegenwärtig die Beziehungen der staatlich organisierten Menschen dominieren.
· Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrages - „zur Selbstmordattentate als Funktion der Destruktivität der Wir-Ideale“ -, der im Rahmen eines „Colloquiums zur politischen Bildung“ für Politiklehrende in Hannover am 31. Juli 2002 gehalten wurde. Für die kritischen Kommentare, die zu dieser Neufassung geführt haben, danke Ich Prof. Dr. Udo Steinbach und Schahrsad Amiri.
[1] Genau genommen hängt die Fähigkeit, sich in andere zu versetzen, nicht nur mit der Erweiterung der Reichweite der Identifizierung zusammen, sondern eben auch von der Art der Identifizierung, der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, die bedingt ist durch die jeweilige Ausgestaltung des Selbst in Interdependenz mit dem Gegenüber. Das Etablierten-Außenseiter-Modell von N. Elias verweist eben auf die gegenseitige Bedingtheit der Menschen nicht nur durch ihre funktionalen Verstrickungen, sondern und vor allem auch auf die Relevanz ihrer Erfahrung dieser Verstrickungen für den Prozessverlauf. Elias spricht in diesem Zusammenhang von der ‚Logik der Emotionen’. Dabei ist es eine irrige Ansicht, Emotionen wären stets dem Bereich des ‚Irrationalen’ zuzuordnen. Wir sprechen von Emotionen, wenn etwas für und im Hinblick auf ein Subjekt eine Relevanz und also Bedeutung besitzt und entsprechend diese Reaktionsmuster schafft, die wir Emotion nennen
[2] „A young female Palestinian terrorist sits in a detention
room opposite the Israeli defense minister and cries. "What will happen to me now?" she asks him. "What will become of me? What will my future be? Am I going to rot in prison for 20 years
for something I didn't do?" Benjamin Ben-Eliezer's expression reveals nothing.
She wanted to be a shaheed
[martyr], to blow herself up on an Israeli street and kill as many Jews as possible. The bomb was already strapped to her body. But on the way to the attack, she had a change of heart and
returned home. Now the defense minister has come to ask her why: Why did she say yes at first - and why did she say no later? She looks into his eyes, searching for a hint of
compassion.
"You've heard the story of my
life," she says, her lips trembling. "It wasn't easy. But that wasn't the direction I was heading in. It was a momentary stumble. Yes, I faltered. But when the decisive moment
came, I backed out. Please tell me, Mr. Minister, what will become of me?"
Ben-Eliezer sat there
silently and kept looking at her. If something was going on inside him, it didn't show on his face. He cast a fleeting glance at the Shin Bet security services personnel in the room, and
then his gaze returned to the young woman. "Kul wahad wanasibuhu," he said to her in Arabic. To each his fate.
Arin Ahmed was studying
communications and computer programming at Bethlehem University. She speaks fluent English and a little Hebrew. Born 20 years ago in Beit Sahur, outside of Bethlehem, she is an articulate
and intelligent young woman. Her father died when she was still a baby. For reasons that are not totally clear, her mother abandoned her and moved to Amman, Jordan, where she still lives.
Arin was left in the care of relatives. Her aunts and uncles raised her and saw to her education. On March 8 of this year, she experienced another loss: Tanzim militant Jad Salem, her
boyfriend of a year and a half, was killed. According to the Palestinians, he was killed by Israeli Defense Forces gunfire. The Shin Bet says: "He was apparently killed while attempting
to prepare a car bomb."
Arin
decided to avenge the death of her beloved by carrying out a suicide bombing.(...).“ (A near-death experience; in: Ha’aretz, English Edition, vom 28.07.02,
http://www.haaretzdaily.com, Hervorgehoben von
mir)
[3]
“After being given some brief
biographical information about the young man, Ben-Eliezer addressed the terrorist in Arabic: "Who sent you?"
Stiti: "The Islamic
Jihad."
Ben-Eliezer: "What did you
want to happen?"
Stiti: "For Jews to be killed
and to die as a shaheed."
Ben-Eliezer: "Now explain to
me why you decided to commit suicide."
Stiti: "No, that's not
it. That's not right. I didn't go to commit suicide. I went to die a martyr's death. I wanted to get the reward. I spent a month in the mosque. I learned there how important it is to be a
shaheed. It is the loftiest objective. It's very important for the Palestinian people, nationally and religiously. It's the biggest and most holy thing you can do. And then you receive
all the rewards in Paradise." (A near-death experience; in: Ha’aretz,
English Edition, vom 28.07.02, http://www.haaretzdaily.com, Hervorgehoben von mir)
[6] Vergl. Sofsky, Wolfgang. “Die den Tod nicht achten – Selbstmordattentäter: Sie sterben im Moment der Tat und zeigen, dass jede Macht verletzlich ist” , in: HAZ, 13.4.02
[7] „Ich glaube, es ist eine Verzweiflungstat und eine sehr ernste Stufe eines scheinbar fortwährenden Konfliktes“ (Dr. Sarraje, Eyad: Understanding Palestinian Terror; in: Mid-East Realities (MER), www.middleeast.org ). So der Versuch eines palästinensischer Intellektuellen, die Selbstmordattentate seiner Landsleute verständlich zu machen.
[11] Extracts from the letters allegedly written by Osama bin Landen, in: The Gurdian, Thursday 18 October 2001, P. 10
[13] Extracts from the letters allegedly written by Osama bin Landen, in The Gurdian, Thursday 18 October 20001, P. 10
[14] In diesem Sinne sollte der affektiv positiv besetzte Begriff der Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) erweitert werden, um solche terroristischen Organisationen als eine der Formen der Herstellung und des Betriebes allgemeiner Reproduktionsbedingungen einer verstaatlichten Gesellschaft zu begreifen, die sonst Aufgaben und Legitimationsgrundlage des Staates wären.
[15]Daniel Pipes: Islam and Islamism – Faith and Ideology, in The National Interest, Spring 2000, , < dplist-admin@danielpipes.org>
[16] The Christian Science Monitor, 14. August 2001 – http://www.csmonitor.com/2001/0814/p1s4-wome.html
[17] Diese umfassendere und festere Gesamtintegration der Menschheit im Sinne der zunehmenden Ersetzung der Staaten durch einen Staatenverband der Menschheit als maßgebliche gesellschaftliche Einheit ist Folge:
- der Verkleinerung der Entfernung zwischen vielen Staaten und Staatengruppen als Funktion der sozialen Entwicklung, die zu der des Kraftwagens und des Flugverkehrs drängte,
- der Verdichtung des Kommunikationsnetzwerkes als Folge der Entwicklung der Massenkommunikationsmittel, und
- der Ausweitung des globalen Touristen-, Güter- und Kapitalverkehrs,
- kurz: der schnellen Verdichtung des Netzwerkes der Interdependenzen zwischen den Staaten der Welt im Laufe des 20. Jhs. (Norbert Elias: Die Gesellschaft der Individuen, Ffm. 1987, S. 219ff)
[18] Samuel P. Huntington: The clash of civilizations and the remaking of World order, New York 1996
Nach Angaben der „New York Times“ habe Präsident Georg W. Busch in seinem Strategiepaper, das er dem Kongress vorgelegt hat, betont dass er nicht die Absicht habe „ irgendeiner ausländischen Macht zu gestatten, den riesigen (militärischen) Vorsprung aufzuholen, den die USA seit dem Fall der Sowjetunion aufgebaut“ hätte. (HAZ, 21.09.02, S. 2)
[23]Siehe:http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2002/02/11/ak-mn-667856.html, und http://www.propositionsonline.com/html/fighting_for.html: Denn „in der Konsequenz richtet sich ihr Hass nicht allein gegen das, was unsere Regierung tut, sondern gegen das, was wir sind - gegen unsere Existenz.“ (...) „Wer also sind wir? Was sind unsere Werte? Für viele Menschen, viele Amerikaner, einen Gutteil der Unterzeichner eingeschlossen, sind einige Werte, die in Amerika sichtbar werden, nicht erstrebenswert und schmerzlich. Konsum als Lebenszweck. Der Begriff von Freiheit als Fehlen von Regeln. Das Verständnis des selbstbestimmten und uneingeschränkt souveränen Individuums, als ob es anderen und der Gemeinschaft nichts schuldig sei. Die Schwächung von Ehe und Familienleben. Zudem den enormen Unterhaltungs- und Kommunikationsapparat, der solche Ideen rücksichtslos glorifiziert und sie, ob willkommen oder nicht, in fast jede Ecke des Globus sendet. (...) Gleichzeitig gibt es andere amerikanische Werte - die wir als grundlegende Werte begreifen, die unsere Lebensweise definieren -, die sich von den zuvor genannten unterscheiden und weit attraktiver sind nicht nur für Amerikaner, sondern für die Menschen überall auf der Welt“. (ibid)
[24] „Verschwörungsdenken hat tiefe Wurzeln in der islamischen Kultur“, stellt der irakische Exil-Autor Samir Al-Khlil in seinem Buch „Republic of Fear“ (S.100) fest, ohne nach ihrer Sozio- und Psychogenese zu fragen.
[25] Bassam Tibi: Kreuzzug oder Dialog; in Volker Matthis(Hg.):Kreuzzug oder Dialog – Die Zukunft der Nord-Süd-Beziehung, Bonn 1992, S.115
[26] So einer der einflussreichsten Theoretiker der konservativen Lager des Establishments in Iran, Ajatollah Misbah Yazdi Muhammd Tagi in seinem Buch: Cultural Assault, Qom 2000 (1380)
[27] Nativismus bedeutet demonstrative Hervorhebung der als eigen definierten Werte. Vergl. W.E. Mühlmann et al: Chiliasmus und Nativismus. Studien zur Psychologie, Soziologie und historischen Kasuistik der Umsturzbewegungen, Berlin 1961
[30] Der gegenwärtige Wunsch einiger „Schurkenstaaten“, Zugang zu Massenvernichtungswaffen zu bekommen, liegt ebenfalls nicht zuletzt in diesem Bedürfnis begründet, sich mit entsprechenden Macht- und Statussymbolen auszustatten, um sich so international Respekt zu verschaffen.
[31] Vergl. Norbert Elias, John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main 1990, S.312
[32] Er fand Bestätigung durch eine Zeile des berühmten persischen Dichters Nasser Khosro, in der es hieß: Die Furcht des Volkes vor dem Tod ist eine Krankheit, die nur der Glaube heilen kann. (Vergl. Amir Taheri: Chomeini und die islamische Revolution, Hamburg 1985, S. 144f.)
[33] Ich bevorzuge hier statt ‚affektive Enthemmung’, wie sie sich in Selbstmordattentate manifestieren, den Ausdruck affektive Überwältigung. Damit kommt besser zum Ausdruck, dass nicht nur das Verhalten der Menschen nach Außen sich verändert, sondern dass die ganze Person eingenommen ist von einer bestimmten Art der Selbst- und Fremderfahrung, wobei andere Selbst- und Fremderfahrungsmodi, die ja gewiss vorhanden sind bzw. waren, nicht (mehr) verfügbar und wirksam sind, was den für den Selbstmordattentäter typischen Realitätsverlust erklärt.
[34] Dieser Zusammenhang von (Ent-)Zivilisierung und Selbstwert wird nachvollziehbar, wenn man diese Ent-Zivilisierung als affektive Überwältigung der ganzen Person begreift, die ihre unerträglich gewordenen Selbstanteile dissoziiert und damit den Realitätsverlust eines Selbstmordattentäters herbeiführt. Dies bedeutet dann nicht, dass der Ent-Zivilisierungsprozess bloß im Sinne einer Regression auf eine frühere Stufe der Affektkontrolle und damit einhergehende engagiertere Verhaltens- und Erlebensmuster zu verstehen ist, die anhand von Kriterien wie Langsicht sowie ebenmäßigere, allseitigere und stabilere Affektskontrolle gemessen werden kann. Sondern zugleich als ein schöpferischer, neuer Versuch, die eigene Existenz unter den gegebenen Umständen zu retten. Dabei müsste unterschieden werden zwischen physischer, sozialer und psychischer Existenz der Menschen. Der Selbstmordattentäter opfert allerdings seine physische Existenz zu Gunsten der letzteren. Dabei konstituieren sich seine soziale und psychische Existenz durch seine Verschmelzungsphantasie mit einer idealisierten Wir-Einheit. Dadurch dissoziiert er die unerträglich gewordenen Selbstanteile, was mit einem Realitätsverlust einhergeht.
Diesen Realitätsverlust findet man exemplarisch bei den Selbstmordattentäter des 11. September als Bedingung der Möglichkeit ihrer selbstmörderischen Aktion begleitet mit einer entsprechenden Langsicht und Selbstkontrolle, ohne die sowohl die Planung als auch die Durchführung der Aktion nicht möglich wäre. Damit dokumentierten sie, dass der Begriff (Ent-)Zivilisierung nur Sinn macht in bezug auf die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse – in diesem Fall nach Sicherheit und Selbstwert – zu befriedigen, ohne andere (und sich selbst!!!) zu schädigen und zu erniedrigen.
Würde man also unter Ent-Zivilisierung der Selbstmordattentäter eine bloße affektive Enthemmung verstehen, so würde man implizit die ideologischen Anteile des Zivilisationsbegriffs mittragen: Die Selbstkontrolle im Sinne einer Affektkontrolle, die die einen haben und die anderen nicht haben, machte dann die einen letztlich zu den Besseren. Damit würde man die Interdependenz des Verhalterns und Empfindens der mit unterschiedlichen Machchancen ausgestatteten Menschen aus den Augen verlieren. In der Tat sind die Verhaltens- und Erlebensmuster so interdependenter Menschen nur als ihre sich gegenseitig bedingenden Reaktionsmuster aufeinander nachvollziehbar. In diesem Sinne werden „...die Symptome menschlicher Minderwertigkeit, die eine machtstärkere Etabliertengruppe am ehesten an einer machtschwächeren Außenseitergruppe wahrnimmt und die ihren Mitgliedern als Rechtfertigung ihrer Vorrangstellung und als Beweis ihrer Höherwertigkeit dienen, ....bei den Außenseitern gewöhnlich durch die bloßen Bedingungen ihrer Gruppenposition, durch die damit verbundene Erniedrigung und Unterdrückung erzeugt.“ (Elias, N., Etablierte und Außenseiter, a.a.O. S. 21)
[35] Vergl. Ehlert-Balzer, Martin: Trauma; in: Wolfgang Mertens, Bruno Waldvogel (Hrsg.): Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe, S. 727ff.
[36] Dies ist nachvollziehbar, wenn man die individuelle und kollektive Identität der Menschen als ein erinnertes Wandlungskontinuum begreift, wie sie sich aus ihrem Beziehungsschicksal ergibt. Es ist also die Erinnerung an die Verlaufsform dieser Gruppenprozesse, die dieses Wandlungskontinuum konstituiert.
[38] Das im israelischen Gefängnis durchgeführte Interview des israelischen Verteidigungsministers mit einem verhafteten Selbstmordkandidaten dokumentiert eindrucksvoll diesen Tatbestand:
Ben-Eliezer: "You knew
that you would kill innocent people - women and children. Do you hate
the Jews that much?"
Stiti:
"No, not at all. I don't hate Jews. That's not it. I just wanted to take part in my people's war of national liberation. It's a holy war for the liberation of occupied Palestine.
That's what I was thinking all the time."
Ben-Eliezer: "But in the
place you were supposed to blow yourself up, you would see with your own eyes the people whom you were about to kill. Did you ever ask yourself: Why them? What have they done? Why do they
deserve to die?"
Stiti: "I wouldn't have
seen that. We don't see them at all. What's before my eyes is [becoming] a shaheed. Everything is for the sake of the commandment. That's what I was told. The shaheed is on a very high
level and everyone respects him. I wanted to participate in the liberation of my people, to fulfill the sacred commandment, to be a source of pride to my people and my
friends."(A near-death experience; in: Ha’aretz, English Edition, vom 28.07.02, http://www.haaretzdaily.com,
Hervorgehoben von mir)