„Nie wieder Diktatur“
Es gibt inzwischen nicht wenige besorgte demokratische Oppositionelle, die sich angesichts der rasanten Zerfallsprozesse der „Islamischen Republik“ zur Rettung der Integrität Irans als einer Staatsgesellschaft zu einer Aktionseinheit der demokratischen Opposition als einziger Chance zur Überwindung der Hierokratie und Etablierung einer institutionellen Demokratie in Iran aufrufen. Sie appellieren eindringlich an das Verantwortungsbewusstsein der „Republikaner“ und „Monarchisten“, die sich zum Sturz der Hierokratie zusammenschließen und die Entscheidung über die Etablierung der künftigen Staatsform einem Referendum überlassen sollten.
Diese wohlgemeinten Aufforderungen bleiben jedoch wirkungslos, solange keine gemeinsam geteilten Vorstellungen der demokratischen Opposition über die demokratischen Strukturprinzipien des künftigen Staates, dessen Staatsform und ihre Grundmerkmale vorliegen. Sie liegt solange nicht vor, solange man die Staatsform und Herrschaftsform verwechselt und eine Monarchie und Republik gleichsam als Synonym für die diktatorische versus demokratische Herrschaftsform begreift. Zudem sitzt die traumatische Erfahrung der „monarchistischen“ und „republikanischen“ Diktaturen nach der konstitutionellen Revolution in Iran so tief, so dass man blind geworden ist für die real erfahrbaren Unterschiede der republikanischen und monarchisch verfassten Staaten in der Welt, die trotz ihrer unterschiedlichen Formbestimmtheit sowohl demokratisch als auch diktatorisch bzw. autoritär sein können.
Auf diese Pars-Pro-toto-Verzerrung der Realität verweisen die Monarchisten und Republikaner bei der Begründung der Vorzüge ihrer jeweiligen künftigen Staats- bzw. Herrschaftsform. Allein dieser Mechanismus, eine Staatengruppe durch die ›schlechtesten‹ Eigenschaften ihrer ›schlechtesten‹ Exemplare zu definieren und damit zu stigmatisieren bei gleichzeitiger Hervorhebung der „besten“ Eigenschaften der eigenen Favoriten führen zu einem Teufelskreis der Spaltung der demokratische Opposition.
Deswegen können die demokratischen Monarchisten und Republikaner bzw. monarchistische und republikanische Demokraten sich nur dann zielführend zu einer Aktionseinheit zur Überwindung der „Islamischen Republik“ und zur Etablierung einer demokratischen Grundordnung als Bollwerk vor jeglicher Form der Diktatur und Willkürherrschaft zusammenschließen, wenn sie sich über die Staatsstrukturprinzipien und Grundmerkmale des künftigen Staates einigen können. Allerdings dürfte an dessen Spitze nur ein repräsentatives Staatsoberhaupt ohne jegliche Regierungskompetenzen stehen. In diesem Fall könnte die „verfassungsgebende Versammlung“ nach weitsichtigen Überlegungen zu einem Referendum aufrufen, in dem die Alternativen zur Wahl stehen. Danach dürfen die Staatsbürger sich in einem Referendum für eine „konstitutionelle Monarchie“ oder „parlamentarische Republik“ entscheiden, die in einer parlamentarischen Parteiendemokratie jede Rückkehr zur Form einer Diktatur blockiert. Der Unterschied der zwei republikanischen und monarchischen Staatsformen bestünde dann allein in der zeitlichen Dimension der politisch begrenzten Zuständigkeit des Staatsoberhauptes, dem nur repräsentativen Aufgaben zukommen. Beide verfügten über keine exekutiven Zuständigkeiten.
Ist man sich darüber einig geworden, dann bleiben folgende Strukturmerkmale und Strukturprinzipien des künftigen Staates, welche die Grundlage einer Aktionseinheit der Demokraten bilden können. Sie sollen eine Volkssouveränität durch horizontale und vertikale Gewaltenteilung und so eine Demokratisierung der Machtbefugnisse garantieren. Denn nur so ist eine unüberwindbare institutionelle horizontale und vertikale Demokratisierung Irans sicherzustellen, in dem die Achtung der Menschenwürde und der Schutz der Menschenrecht garantiert sind.
Zur Grundlage der Aktionseinheit der iranischen Demokraten zur Herstellung einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören folgende Staatsstrukturprinzipien und Grundmerkmale, die zugleich die Grundlage der künftigen „verfassungsgebenden Versammlung“ bilden sollten:
Das Demokratieprinzip, das die Volkssouveränität in Gestalt der parlamentarischen Demokratie durch freie, geheime und gleiche Wahlen sicherstellt. Allerdings sollte durch eine „Konkordanz-Demokratie“ im Unterschied zur „Konkurrenz-Demokratie“ die Konsensfähigkeit der Parteien und ihre Kooperationsbereitschaft in unterschiedlichen Koalitionsoptionen gefördert werden. Damit soll nicht nur die Gestaltungschance der kleineren Parteien gewahrt bleiben, sondern zugleich extreme poltische Schwankungen entsprechend der relativen Stärke einer der Parteien verhindert werden.
Daraus ergibt sich die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, das den Ministerpräsidenten wählt. Alle seine Kabinettsmitglieder sind ebenfalls der parlamentarischen Mehrheit gegenüber verantwortlich, in deren Sinn sie nur handeln dürfen. Das gilt auch für das Verteidigungsministerium und alle Sicherheitsorgane.
Die horizontale und vertikale Gewaltenteilung soll garantieren, dass die Staatsgewalt nicht bei einer Person oder Personengruppe angesiedelt ist:
Die horizontale Gewaltenteilung soll sicherstellen, dass die Legislative, Exekutive und Judikative sich gegenseitig eingrenzen und kontrollieren können damit kein Machtmissbrauch möglich ist. Die von Parlamenten gewählte Regierung bildet die Exekutive, die parlamentarische Gesetzgebung bildet die Legislative und die unabhängige Rechtssprechung bildet die Judikative.
Das Land verfügt über ein „Parlamentsarmee“. Alle Sicherheitsorgane stehen unter einer permanenten parlamentarischen.
Die Vertikale Gewaltenteilung (das „Föderalismusprinzip“ nach dem Subsidiaritätsprinzip) regelt eine Dezentralisierung der Zuständigkeiten zwischen der Zentralregierung und den Regionalregierungen („Ostane“) auf der Grundlage von Subsidiaritäts-, Solidaritäts- und Kooperationsprinzipien im Sinne einer vertikalen Demokratisierung. Die Zentral- und Regionalregierungen üben im Rahmen der Verfassung ihre jeweiligen Zuständigkeiten mit gewisser finanzieller Selbstbestimmung aus. Dabei wird durch gesetzlich geregelte solidarische Strukturausgleichmaßnahmen eine regionale Disparität der Entwicklung verhindert bzw. überwunden.
Jeder „Ostan“ verfügt über eigene semiautonome Vollzugs- und Entscheidungskompetenzen, die auf der Grundlage der jeweiligen Landesverfassungen bestimmt werden. Sie müssen verfassungskonform sein. Gesetze sollen dort erlassen werden, wo sie angewendet werden. Sie müssen mit der Verfassung Irans übereinstimmen.
Demzufolge verfügen die Ostane über ihre eigene Parlamente und Landesgerichtshöfe, die durch die Regionalverfassungen abgesichert sind. Die Ostane bilden als Selbstverwaltungseinheiten keine autonomen Regionen, weil ihre Rechte und Zuständigkeiten gesamtstaatlich delegiert und verfassungsmäßig verankert sind.
Die Provinzen stellen auch keine ethnisch-autonomen Regionen im Sinne einer regionalen Ethnokratie dar, da ihnen im Rahmen der Landesverfassung Rechte und Pflichten zu Vertretung und Schutz der Rechte und Bedürfnisse der in diesen Gebieten lebenden iranischen Staatsbürger übertragen wurde. Sie repräsentieren nicht nur die regional mehrheitlich dominierende ethnische Gruppe.
Die „Ostane“ sind außerdem in Kommunen als Verwaltungseinheiten gegliedert, die gewisse Dienstleistungen anbieten. Dies ist nur nachvollziehbar, wenn man den Staat als Organisationsform der Herstellung und Betrieb allgemeiner Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft begreift, die als Staatsleistungen durch Staatsstrukturprinzipien abgesichert werden. Die sich aus subsidiär, solidarisch und kooperativ ergebenden Organisationsspannungen und Kompetenzstreitigkeiten werden institutionell geregelt werden.
Die Rechtsstaatlichkeit bindet nicht nur die Gesetzgebung und exekutive Organe an die Verfassung. Sie garantiert mit der Verrechtlichung des privaten und öffentlichen Lebens die Grund- und Menschenrechte aller Bürgerinnen und Bürger. Der Staat darf also nur aufgrund vorhandener demokratisch verfasster Rechte agieren. Außerdem müssen alle Gesetze und Ausführungsbestimmungen, die durch die Regierung erlassen werden durch unabhängige Gerichte in ihrer Verfassungsmäßigkeit überprüfbar sein. Die Regierung unterliegt geltendem Recht. Sie steht demnach in der Rangfolge hinter dem Recht. Mit anderen Worten: Jede politische Entscheidung ist nur in einem rechtlich vorgegebenen Rahmen möglich. Die politischen Entscheidungen sind dadurch an Rechtsnormen gebunden. Damit sind die Legislative und Exekutive an die Grundrechte gebunden. Der Rechtsstaat schützt die Bürger vor staatlicher Willkür und spricht ihnen die Grundrechte zu, die sie einklagen können:
Durch dieses „formale Rechtsprinzip“ soll verhindert werden, dass die Vertreter des Volkes sich über den Willen des Volkes hinwegsetzen können.
Parallel dazu wird vom „materiellen Rechtsprinzip“ Gebrauch gemacht: Der Staat hält sich einerseits an seine Gesetze und ermöglicht andererseits das Gleichheitsprinzip. Er garantiert dadurch die Grund- und Menschenrechte.
Das Sozialstaatsprinzip als Zielbestimmung zur Schaffung und Sicherung sozialer Gerechtigkeit. Sozialstaatlichkeit legt rechtlich verbindliche Regelungen fest, die den Staat verpflichtet, soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit zu garantieren. Dazu gehören u.a.:
Die Bekämpfung der Armut in Form einer Grundversorgung, die bedarfsorientierte und bedürftigkeitsgeprüfte Sozialleistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes darstellt,
der Angleichung der Bildungschancen,
die aktive Beteiligung der Bürger in der Entwicklung der Gesellschaft.
Die Finanzierung der sozialen Gerechtigkeit trägt die Sozialgemeinschaft, die sich aus allen Staatsbürgern zusammensetzt. Im Bedarfsfall stehen die Staatsbürger jenseits der steuerlich finanzierten Grundversorgung füreinander ein und zahlen dafür monatlich in Sozialversicherung ein. Daraus ergibt sich auch die soziale Verpflichtung des Privateigentums: „Eigentum verpflichtet“.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip setzt der staatlichen Handlungen Schranken. Dieses Prinzip verhindert Willkürhandlungen der Vollzugsorgane des Staates. Nur Gerichte dürfen über die Verhältnismäßigkeit ihrer Handlungen bestimmen, selbst wenn sie als „zum Wohle der Allgemeinheit“ legitimiert werden. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip darf auch zum Wohle der Allgemeinheit nicht verletzt werden. Es darf keine Einschränkung der Grundrechte vornehmen. Ohne dieses Prinzip sind Willkürhandlungen keine Grenze gesetzt.
Pluralismus garantiert die Vielfalt des Volkes. Damit soll jeder Mensch jeden anderen so wie sie oder er als Individuum geschaffen ist, respektieren und achten. Dann hat niemand das Recht seine politische oder religiöse Auffassung Dritten aufzuzwingen. Pluralismus fördert auch freien Wettbewerb von Interessen und Meinungen des Volkes. Dabei wird jede Meinung, die die demokratische Grundordnung nicht gefährdet toleriert, unabhängig davon wie viele Menschen diese teilen. Somit ist der Minderheitenschutz ein elementarer Bestandteil des Pluralismus.
Dieses Prinzip wird durch Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit ein interessengeleiteter Dialog zwischen Bürgern gefördert.
Der Pluralismus garantiert außerdem Religions- und Gewissensfreiheit und ermöglicht die Bildung von Interessenverbänden, deren Sicherheit gesetzlich garantiert ist.
Das Republikprinzip ist eng verknüpft mit der repräsentativen Demokratie. Es stellt eine zeitlich gebundene Wahl des Staatsoberhauptes und seine verfassungsmäßig begrenzte Zuständigkeit sicher. Das Staatsoberhaupt darf in einer autoritär geprägten Gesellschaft wie Iran über keine exekutiven Kompetenzen verfügen. Um jegliche Gefahr der Rückkehr der Diktatur zu verhindern, darf das Staatsoberhaupt in Iran künftig nur staatsrepräsentative Aufgaben wahrnehmen. Diese repräsentativen Funktionenkönnen können auch durch einen konstitutionell legitimierten Monarchen wahrgenommen werden, wenn die gewählten Volksvertreter in der verfassungsgebenden Versammlung sich mehrheitlich für eine „konstitutionelle Monarchie“ nach europäischen Vorbildern als eine der Alternativen entscheiden und dem Referendum überlassen sollten.
Das Widerstandsrecht ist ein unverzichtbarer Bestandteil einer wehrhaften Demokratie, das jedem Bürger das verbriefte Recht zur aktiven Abwehr der Gefährdung der Demokratie verfassungsmäßig garantiert.
Hannover, 12.12.2021