Die Lehren der Präsidentschaft von Donald Trump für die iranischen Demokraten: Die Gefahr eines Präsidialsystems für die Demokratie

 

Eine der gegenwärtig gängigen Appelle mancher oppositioneller Gruppen in Iran besteht in der verzweifelten Betonung der notwendigen Bildung einer Einheitsfront aller gegen die Hierokratie. Demnach würde die Entscheidung über das künftige Regierungssystem einem Referendum überlassen. Folglich sollte die Mehrheit der Iraner nach der Abschaffung der „Islamischen Republik“ darüber entscheiden, ob eine „Monarchie“ oder „Republik“ eingeführt werden soll - als ob diese die einzigen Alternativen wären und die Mehrheit immer sachlich Recht hätte und nicht schon einmal sich mit Chomeinismus und Hierokratie für die eigene Unterjochung entschieden hätte.

 

Abgesehen von den politischen Hintergedanken mancher oppositioneller Akteure, verwechseln sie dabei die Demokratie nicht nur mit der „Tyrannei der Mehrheit“ - worauf bereits Alexis de Tocqueville 1835 in seinem Buch „Über die Demokratie in Amerika“ eindringlich aufmerksam machte. Sie proklamieren mit der „Republik“ zugleich eine Alternative zu bereits traumatisch erfahrenen „Monarchie“ im Iran. Dabei schwebt ihnen eine Präsidialdemokratie wie in den USA oder ein Semi-Präsidialsystem wie in Frankreich vor. Angesichts dieser prominenten Vorbilder, gibt es nur wenige Stimmen, die gegen diese Form von „Republiken“ mit ihrer enormen Konzentration der Machtchancen des Staatsoberhauptes als einer Alternative sprechen und auf ihre unübersehbaren potentiellen Gefahrenquellen für die künftige Demokratie Irans hinweisen. Denn die Attraktivität solcher Republiken ist bestechend, wenn man von der Entstehungsgeschichte dieser Republiken in USA und Frankreich abgesehen auch die despotisch geprägte Geschichte Irans vernachlässigt. Die von vielen Oppositionsgruppen vorgenommene Vorentscheidung für solche zentralisierte Regierungsformen ist erstaunlich, wo doch ihre potentiellen Gefahren in totalitär geprägten Ländern wie Iran noch mehr potenziert sind, wie man in anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens alltäglich beobachten kann. Deswegen wäre es eminent wichtig auf die Lehren aus dem Präsidialsystem der USA als lebendiger Erfahrungsquelle für die Gestaltung des zukünftigen Regierungssystems des Irans hinzuweisen. Denn Regierungssysteme müssen sich in krisenhaften Situationen wie gegenwärtig bewähren.

 

Zu Gefahrenquellen eines Präsidialsystems für den künftigen Iran

 

Ein Präsidialsystem, auch Präsidialregime nach US-amerikanischem Vorbild, ist ein Regierungssystem, bei dem ein Präsident die Funktionen des Staatsoberhauptes, des Regierungschefs und regelmäßig auch des militärischen Befehlshabers innehat. Ein solches System ist zwar durch eine ausgeprägte Gewaltenteilung und -trennung sowie eine entsprechende eingebaute "Check-and-Balance" gekennzeichnet. Anders als beim parlamentarischen Regierungssystem wird aber deshalb auf die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der vom Volk gewählten gesetzgebenden Körperschaft verzichtet. Somit entsteht, neben der großen Konzentration der Machtchancen, eine der charakteristischen Gefahrenquellen, nämlich die weitgehende Unabhängigkeit der Regierung, insbesondere des Regierungschefs, von der gesetzgebenden Körperschaft: Er kann deswegen auch nicht, im Unterschied zu einer parlamentarischen Demokratie, durch das politische Misstrauensvotum einer Volksvertretung seines Amtes enthoben werden, sondern nur möglicherweise aufgrund rechtlicher Verfehlungen nach einem Amtsenthebungsverfahren („Impeachment“). Die Erfahrung der gescheiterten Amtsenthebungsverfahren Donald Trumps, wie auch mancher seiner Vorgänger, zeigt exemplarisch wie schwierig dies sogar in einem Land wie den USA ist.

 

Während in parlamentarischen Demokratien nur das Parlament direkt vom Volk gewählt wird und die Regierung aus ihm hervorgeht, gibt es in präsidentiellen Demokratien zwei Volkswahlen, die Parlamentswahl und die Präsidentenwahl. Weil der Präsident, um ins Amt zu kommen und in ihm zu bleiben, nicht über eine Parlamentsmehrheit verfügen muss, kann es dazu kommen, dass er wie im Falle Donald Trumps mit der Unterstützung einer der Parteien gegen die Parlamentsmehrheit regieren kann. In den USA spricht man in diesem Fall von „geteilter Regierung“ („divided government“). Deswegen sprechen Politikwissenschaftler von einem „Versagen des Präsidentialismus“, weil eine solche gegenläufige Mehrheit zu einer politisch instabilen Situation führe, die letztlich auch die Gefahr eines Zusammenbruches der Demokratie birgt. Tendenzen in diese Richtung lassen sich beispielhaft gegenwärtig in lateinamerikanischer Staaten wie Brasilien oder Chile beobachten.

 

Vom präsidentiellen Regierungssystem lässt sich das semipräsidentielle Regierungssystem wie z. B. in Frankreich abgrenzen. Im Unterschied zum Präsidentialismus gibt es im Semipräsidentialismus neben dem (Staats-)Präsidenten noch einen Regierungschef, der durch das Parlament abberufen werden kann.

 

Abgesehen von den Beispielen präsidentieller Regierungssysteme wie in den USA und des Semipräsidentialismus in Frankreich gibt es de facto fast in allen autoritär regierenden Staaten Präsidialsysteme, die die Gefahr solcher Alternative für den Iran noch deutlicher hervorheben. De jure handelt es sich in solchen Ländern zwar (semipräsidentielles) Regierungssystem, allerdings ist dies in der Regierungspraxis und damit in der Verfassungswirklichkeit dieser Länder bedeutungslos. Zumal hier in der Regel eine Herrschaft durch manipulierbares Recht statt einer Herrschaft des Rechts etablieren wird. Im Fall des Iran erscheint die Institutionalisierung eines demokratischen Rechtsstaates in Gestalt einer parlamentarischen Republik mit zeitlich begrenzten Amtszeiten größere Chancen zu haben; zumal in solch einem despotisch geprägten Land wie dem Iran die Manipulierbarkeit der „Mehrheit“ eher möglich ist für einen als „Erfahren“ hochstilisierten „Führer“. Denn eine vom Populismus getragene Regierungsform ist keine Demokratie, selbst wenn sie von der Mehrheit getragen ist.

 

Deswegen darf angesichts der bisherigen Erfahrungen mit verschiedenen Formen der von Massen getragenen Herrschaft eins nicht vergessen werden: Eine der unverzichtbaren Kennzeichen der Demokratie besteht nicht in der Herrschaft der Mehrheit, sondern in dem garantierten Minderheitenschutz. In diesem Sinne heißt es auch, dass Freiheit immer die Freiheit der Andersdenkenden ist., Angesichts der traumatischen Diskriminierungserfahrungen in der „Islamischen Republik“ muss ein künftiges Regierungssystem Irans auf diesem unverzichtbaren Grundprinzip basieren.

 

Außerdem offenbart sich - im Hinblick auf die Erfahrungen seit der konstitutionellen Revolution im Iran - das parlamentarische Regierungssystem mit zeitlich begrenzter Amtszeit aller Funktionsträger auf allen Ebenen als eine Regierungsform mit geringerem Übel. Denn in diesem Regierungssystem wird die Regierung zu ihrer Wahl und in ihrer Amtsausübung auf die direkte oder indirekte Unterstützung durch das Parlament angewiesen. Hierbei sind die beiden Institutionen personell miteinander verzahnt und das Parlament besitzt ausgeprägte Kompetenzen, in erster Linie hinsichtlich der Wahl und Absetzung der Regierung. Bedeutend ist auch, dass der Vorsitzende der Regierung (also der Regierungschef wie beispielsweise der Kanzler oder ein Ministerpräsident) vom Parlament gewählt wird und erweiterte Rechte gegenüber den Ministern besitzt.

 

Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass alle Streitkräfte eine Verteidigungs- und Parlamentsarmee bilden. Als Parlamentsarmee stehen sie unter parlamentarischen Kontrolle und deren Einsatz muss explizit durch das Parlament genehmigt werden. Dieser gegenüber steht eine Präsidialarmee, über deren Einsatz – wie etwa bei den Streitkräften Frankreichs und USA – das jeweilige Staatsoberhaupt entscheidet. Hinzu kommt, dass alle Sicherheitsorgane unter permanenter parlamentarischen Kontrolle stehen. Damit wird dem zentralisierten Machtmissbrauch ein institutioneller Riegel vorgeschoben.

 

Berücksichtigt man die Effektivität von paritätischen Kontrollinstanzen in allen Institutionen, wäre einer institutionellen Demokratisierung der Herrschaft in Iran mittels einer parlamentarischen Demokratie weit besser gedient als durch ein Präsidialsystem.

 

Hannover, 20.10.2020