Eine Revolution ist kein Flugzeug oder Schiff, die eines Kapitäns bedürfen: Warum sucht man den Schlüssel dort, wo man ihn nicht verloren hat?

 

Manche Iraner verhalten sich immer noch wie der Mann, der seinen Schlüssel unter einer Laterne suchte, bloß weil es dort hell war - obwohl er ihn woanders verloren hatte. Blind für alle anderen möglichen neuen Lösungsstrategien für die veränderten Situationen, halten sie weiterhin fest an Lösungen, die irgendwann einmal realitätsangemessen waren. Ihre Unbelehrbarkeit macht sie blind für eine der jüngst zu katastrophalen Ergebnissen führenden Lösungsstrategien, die zur Entstehung der „Islamischen Republik“ führte. Bei diesem Festhalten an dem „Mehrdesselben-Rezept“ (Paul Wazlawik, Anleitung zum Unglücklichsein, S. 27) handelt es sich um eine Anpassungsfähigkeit der Menschen angesichts der sich verändernden Umstände. Sie sind fixiert auf ein einst erfolgreiches Verhaltensmuster, das sich inzwischen als kontraproduktiv erwiesen hat.

 

Dieser nachhinkende soziale Habitus, der die Menschen blind macht für die möglichst erfolgversprechenden Alternativen, manifestiert sich unter den Iranern gegenwärtig im Glauben an die Notwendigkeit eines (charismatischen) Führers, der den Weg zum Erfolg garantiert. Allerdings erschwert die Tatsache, dass die jüngeren Generationen den „Erlöser“ im Spiegel suchen, die allgemeine Vermittelbarkeit dieser Lösungsstrategie erheblich. Allerdings geben die Autoritätsgläubigen ihre Lösungsstrategie nicht so leicht auf. Sie suchen nach anderen Überzeugungsversuchen, durch neue Etikettierung ihres Pakets.

 

Da inzwischen der Begriff „Führer“ durch Khomeini und Khamenei diskreditiert worden ist und die antiautoritären dezentral organisierten revolutionären Bewegungen eine zentralisierte Führungsposition faktisch ablehnen, wird der Bedarf nach einem „Raahbar“ genannten „Anführer“ hervorgehoben. Mit einem zusätzlichen „a“ zum „Rahbar“ (Führer), reservieren sie den gleich bedeutenden Begriff „Rahbar“ für die „lokalen Führer“ und titulieren die überregional fehlenden Persönlichkeiten als „Raahbar“ („Anführer“). Er soll möglicherweise auf einen „Strategen“ mit landesweitem Überblick und Weitsicht hinweisen, der den lokalen Führern strategische Anweisungen zukommen lässt und die Gegenmacht repräsentiert. Mit diesem „Hokuspokus“ wollen sie, mit dem Schein der Realitätsangemessenheit, ihrem Wunsch nach einer fehlenden „Integrationsfigur“ Nachdruck verleihen. Schließlich brauche doch jede Bewegung einen „Führer“.

 

Unfähig zu begreifen, dass „das Mehrdesselben-Rezept“ zur gegenwärtigen Problemlage geführt hat, aus der sie herauswollen, versuchen sie sich und andere von ihrer ewig gültigen Lösung mit verschiedenen Metaphern zu überzeugen. Dazu gehört der Vergleich der Revolution mit einem Flugzeug oder einem Schiff. Demnach ist eine Revolution ohne einen Führer genauso zielführend wie ein Flugzeug und Schiff ohne einen Kapitän. Sie vergessen allerdings, dass auch sogar Flugzeuge oder Schiffe inzwischen mit dem Autopilot zielführend ausgestattet sind. Sie wären jedoch ohne ein Navigationsgerät nicht zielführend steuerbar.

 

Für die menschliche Navigation der Verhaltenssteuerung dient in der Tat ihr Orientierungswissen. Dieses besteht aus ihren Glaubensaxiomen und Werthaltungen, die mehr oder weniger bewusst ihr Verhalten steuern. Diese funktionieren als ihr „implizites Wissen“ genauso wie ein Navigationsgerät, womit ein Autopilot eingestellt werden kann. Deswegen ist die Realitätsangemessenheit dieses Orientierungswissens der sozialen Träger der Revolution entscheidend für ihren Erfolg nicht ein Blindenführer.

 

Diese symbolisch vermittelte Führungsfunktion des mehr oder weniger bewussten Wissens besteht gegenwärtig in der gemeinsam geteilten Einsicht in die Notwendigkeit der Überwindung der „Islamischen Republik“ und die Ersetzung dieser despotischen Herrschaftsform durch eine parlamentarische Parteiendemokratie, die genauso gut republikanisch wie konstitutionell monarchisch sein dürfte. Allerdings sollte über die künftige Verfassung in einem Referendum in Freiheit entschieden werden. In dem künftigen Staat kommt demnach dem Staatsoberhaupt nur eine symbolische Repräsentationsfunktion zu: der Regierung würde die Koordinierungsfunktionen für die Herstellung und den Betrieb allgemeiner Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip in einer Parteiendemokratie obliegen. Die Grundlage dieser Regierungsmaßnahmen wird durch eine parlamentarische Mehrheit gesetzlich vorgegeben. Diese demokratische Regierungsform kann allerdings nur aus einer ähnlich demokratisch geführten Revolution hervorgehen. Es sind also dieselben demokratischen Strukturprinzipien einer revolutionären Bewegung, die zielführend für die Konstitution einer demokratischen Grundordnung sein können.

 

Man könnte daher die Führung einer demokratisch geprägten Revolution höchstens mit einem Dirigenten vergleichen, der auf der Grundlage der gemeinsam geteilten Noten die Takte vorgibt und die musikalischen Handlungen koordiniert. Er kann weder das Orchester ersetzen noch den einzelnen Musiker und seine notwendigen ausgeübten Aufgaben. Ein Dirigent muss zwar selbst ein geübter Musiker sein; er muss aber nicht unbedingt selbst komponieren können. Ihm sind dieselben Noten vorgegeben, die jedem Musiker im Orchester bekannt sein müssen. Außerdem werden heutzutage die Dirigenten demokratisch von den bereits existierenden Orchestern gewählt. Dabei sind sie alle geübte Musiker oder gar Virtuosen. Ein Orchester ist ein zusammengewachsenes Ensemble, das sich einen austauschbaren Dirigenten aussucht.

 

Deswegen wäre es sinnvoll die autoritär geprägte Vorstellung von der Führung einer Revolution der historisch veränderten Situation realitätsangemessen anzupassen, wenn der Erfolg nicht gefährdet werden sollte. Auch der Hinweis auf andere Revolutionen, die ohne einen Führer angeblich nicht erfolgreich gewesen wären, ist irreführend. Keine der auf einen charismatischen Führer angewiesenen Massenerhebungen war demokratisch erfolgreich. Sie haben immer wieder zur weiteren Reproduktion der Diktatur anderer Formen geführt.

 

Eine Emanzipationsbewegung, die zur Etablierung einer demokratischen Staatsform führen soll, muss auf einen charismatischen Führungsstil verzichten können. Sie muss ihre eigenedemokratischen Führungsorgane hervorbringen. Sie muss basisdemokratisch sein und entsprechend organisiert werden: aus der immer zunehmenden Koordinierung und Kooperation der real existierenden lokalen, regionalen und überregionalen Kampfeinheiten, die in den Stadteilen, Betrieben, Schulen, Universitäten sowie in der Bürokratie und dem Sicherheitsapparat – kurz in allen Institutionen - entstehen. Aber die Entstehung und Festigung dieser Basisorganisationen in ihrer Praxis sind die unabdingbaren Voraussetzungen ihrer Koordination und Kooperation auf verschiedenen Integrationsstufen. Selbst die islamisierte Revolution wäre ohne diese Kampfeinheiten in allen Institutionen in Gestalt der „Räte“ nicht möglich gewesen wie die Einnahme Trojas ohne das „Trojanische Pferd“. Demnach kann der Staat nur durch einen revolutionären Marsch durch alle Institutionen erobert werden. Ein „Sturm auf die Bastille“ oder die bolschewistische Machtübernahme durch die Matrosen als Vorbilder sind nur missliche Phantasievorstellungen, wenn man deren Folgen berücksichtigt. Dabei wird vor allem die Rolle der „Pariser Kommunen“ genauso übersehen wie die der „Arbeiter-„ und „Soldatenräte“ in der russischen Revolution, die nach der Revolution durch die „Diktatur des Proletariats“ bzw. der bolschewistischen Partei ersetzt wurden.Von der Sowjetunion, also der Vereinigung von verschiedenen Räten blieb nur noch der Name übrig wie die nachrevolutionäre „Schreckensherrschaft“ und der Bonapartismus in Frankreich.

 

Dies soll nicht besagen, dass die politischen Gefangenen nicht befreit werden sollen. Die meisten von ihnen sind die potentiellen Revolutions- und Staatsführer, die durch ihre gemeinsamen Erfahrungen im Gefängnis hervorragende Kooperationspartner in der demokratischen Zukunftsgestaltung des Landes abgeben würden.

 

Die gegenwärtige dezentrale Organisationsform der antiautoritären revolutionären Bewegungen im Iran folgt der Erfahrung der Islamisierung der Revolution unter der charismatischen Führung Khomeinis. Die „Islamisierung“ der Revolution erfolgte nicht nur durch die Übergabe der erbeuteten Waffen an die Moscheen, wozu Khomeini aufforderte. Dieser symbolischen Übergabe der Macht an die klerikalen Führer der Revolution folgte die systematische Vereinnahmung der entstandenen Organisationsansätze und Betriebsräte, die den revolutionären Sieg ermöglicht hatten. Auf ihre „Islamisierung“ durch die Ersetzung und Eliminierung ihrer säkularen Führer folgte eine systematische Verfolgung aller Andersdenkenden und die Eliminierung aller nicht instrumentalisierbaren zivilgesellschaftlichen Ansätze.

 

Die gegenwärtige Revolution ist entstanden aus der sozial „verbrannten Erde“, die die Islamisten durch die blutige Zerstörung aller Basisorganisationen sowie durch die Eliminierung tausender politischer Gefangene und aller potentiellen Führungspersönlichkeiten zurückgelassen haben. Ihre dezentrale Organisationsform ist, angesichts der unbarmherzigen Verfolgungsjagt des Regimes, die einzige Überlebenschance der revolutionären Ansätze.

 

Ihre dezentrale Organisationsform war in der Lage, drei Monatelang die Beständigkeit der massenhaften Protestdemonstrationen und Streiks aufrechtzuerhalten und sie regional und sozial auszuweiten. Diese Beständigkeit und erweiterte regionale und soziale Reichweite der vielfältigen Protestaktionen führte zwar zur Entstehung der revolutionären Bewegungen zum Sturz der klerikalen Herrschaft und ihrer Ersetzung durch eine demokratische Grundordnung. Sie leiden aber unter fehlenden angemessenen Koordinationsmöglichkeiten, die sich in zuweilen unkoordinierten Aufrufen zu Aktionen bemerkbar machen. Deswegen besteht eine erhebliche Gefährdung der unkoordinierten Aufrufe in den gezielt kontraproduktiven Aufrufen zu Aktionen durch das Regime – solange die Aktionen nicht angemessen koordiniert werden können. Diese Gefahr machte die Einsicht in die Notwendigkeit der nächsten Entwicklungsstufe der revolutionären Organisierung der Emanzipationsbewegungen unabdingbar. Nur durch eine zunehmend geregelte Koordinierung der geplanten Aktionen ist die nächste Organisationsstufe erreichbar, ohne die die Erfolgschancen gefährdet wären. Dieser Stufe muss die Bildung einer Gegenmacht folgen, sollte der zunehmende Zerfall oder der Sturz des Regimes unbeschadet aufgefangen und ein Machtvakuum verhindert werden können.

 

Es ist zwar sogar möglich, durch die dezentrale Organisationsform der revolutionären Bewegungen das Regime zu stürzen. Um sie aber demokratisch ersetzten zu können, bedarf die Emanzipationsbewegung einer landesweit zunehmenden Kooperation und Koordination der lokalen und sozialen Bewegungen. Aus den Organisationsformen dieser Kooperationen und Koordinatoren entsteht die fehlende zentrale Führungsorganisation der revolutionären Bewegung, die als eine Gegenmacht eine Chance zur Demokratisierung der Herrschaftsform in Iran hätte.

 

Die Stadtteilbewegungen müssen sich daher zu regionalen und überregionalen Organisationen nach dem Subsidiaritätsprinzip genauso entwickeln, wie die betrieblichen Koordinationsräte der Streiks sich in ihre landesweiten Koordinationsorgane transformieren müssen. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollen die revolutionären Aufgaben soweit wie möglich von den unteren Ebenen bzw. kleineren Einheiten wahrgenommen werden. Demnach übernehmen die oberen Integrationsebenen nur hilfsweise Aufgaben, zu deren Lösung die unteren Ebenen nicht in der Lage sind. Dieses Organisationsprinzip setzt aber die Bildung der betrieblichen sowie branchenspezifischen und gewerblichen Koordinationsräte landesweit genauso voraus, wie die Koordinationsformen der Stadtteilbewegungen zu regionalen und überregionalen Einheiten.

 

Diese Anstrengungen müssen durch die Bildung der Betriebsräte in allen staatlichen Organen sowie der Räte der „Bürger in Uniform“ ergänzt werden, weil eine realistisch mögliche gewaltvermeidende Eroberung des Staatsapparates ohne entsprechende Kooperationsbereitschaft der im Staats- und Sicherheitsapparat tätigen Menschen unmöglichwäre. Dabei ist davon auszugehen, dass der prozentuale Anteil der landesweiten Unzufriedenheit mit dem Regime genauso in allen Staats- und Sicherheitsorganen anzutreffen ist. Dies ist durch die Umfragen bei den früheren Wahlbeteiligungen zu den Präsidentschaftswahlen dokumentiert worden. Selbst bei den letzten „Wahlen“, die zur Präsidentschaft Raissi führten, beteiligten sich offiziell nur 20% der Wahlberechtigten. Dabei waren die Staatsbediensteten sogar in verschiedenen Formen zur Wahlbeteiligung gedrängt worden. Diese achtzigprozentige Unzufriedenheit ist sogar durch die zunehmende Zahl der unter dem Existenzminimum lebenden Menschen belegbar. Über 70 % der Menschen leben offiziell unter dem Existenzminimum, während 20 % unter dem absoluten Existenzminimum leben müssen –Tendenz steigend. Inzwischen sehen 85% der Befragten keinen anderen Weg aus der bestehenden Krisensituation außer der revolutionären Ersetzung des Regimes. Diese sind in internen Mitteilungen des Regimes kommunizierte Daten.

 

Von daher ist die Vorstellung einer Eroberung des Staatsapparates von außen durch den Sturm auf seine Zentralorgane nicht nur unzeitgemäß; sie ist auch praktisch verlustarm unrealistisch, weil auch die Regierenden aus der Geschichte genauso gelernt und entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben. Es sei denn man beabsichtigt, die Macht durch einen Staatsstreich zu eroberten.

 

Darüberhinaus wäre die Vorstellung der Zerstörung des Staatsapparates destruktiv, weil sie den Staat mit dem Herrschaftsapparat gleichsetzt. Der über Jahrhunderte aufgebaute Staatsapparat war sogar eine der Bedingungen der Möglichkeit des Erhalts Irans als Territorialstaat gegen alle fremden Invasoren gewesen, die ihre Herrschaft ohne die iranische Bürokratie nicht hätten aufrecht erhalten können. Diese territorialstaatliche Organisation wurde nach der „konstitutionellen Revolution“ reformbedürftig modernisiert und übermäßig zentralisiert.

 

Die Demokratisierung dieses - nach dem Subsidiaritätsprinzip der Dezentralisierung bedürftigen - Staatsapparates erreicht man allerdings durch den revolutionären Marsch durch alle Institutionen. Diese demokratische Umgestaltung beginnt mit der Gründung der Betriebsräte und Soldatenräte u.a. in dem revolutionären Prozess der Eroberung der Macht. Allerdings dürfen die paritätisch besetzten Betriebsräte nach der Revolution nicht abgebaut sondern müssen gesetzlich verankert stabilisiert werden.

 

Die erfolgreiche Revolution wäre allerdings ohne eine revolutionäre Gegenmacht undenkbar, die aus der Kooperation der bestehenden Basisorganisationen der Revolution und koalitionsbereiten oppositionellen Kräften im In- und Ausland entstehen kann. Dazu wäre die Vermittlungs- und Integrationsfunktion vertrauenswürdiger Kräfte nötig, die anscheinend gegenwärtig fehlen. Dies ist auf die sozial „verbrannte Erde“ zurückzuführen, die das Regime nach 43 Jahren zurückgelassen hat. Dabei sind nur Reste der oppositionellen Organisationen im Iran übriggeblieben, die aufgrund der Repressalien anscheinend keine revolutionären Führungsfunktionen übernehmen können. Die einzigen funktionsfähigen Organisationen, die dazu fähig wären, sind u.a. die als „Separatisten“ stigmatisierten kurdischen Parteien. Sie sind sowohl in Inland tief verwurzelt als auch im Ausland wirkungsmächtig organisiert. Sie hätten das Potential zur Übernahme der Vermittlungs- und Integrationsfunktionen bei der Bildung der Gegenmacht. Diese Lösungsmöglichkeit wird allerdings in zweierlei Hinsicht erschwert, die mit entsprechendem Problembewusstsein überwindbar wäre:

 

Die regionale Disparität der Entwicklung im Iran seit der „konstitutionellen Revolution“ hat nicht nur zur erheblichen Diskriminierung der Staatsbürger in benachteiligten Regionen des Landes geführt. Die nachrevolutionäre Verschärfung dieser Diskriminierungen führte auch zu unterschiedlichen organisatorischen Voraussetzungen revolutionärer Ersetzung des Regimes. Die ethnisch dominierten Verwaltungseinheiten Kurdistan und Belutschistan sind exemplarische Beispiele für diese Ungleichzeitigkeit der Entwicklung der organisatorischen Voraussetzungen der revolutionären Transformation Irans. Dieser regional unterschiedliche Organisationsgrad macht sich bemerkbar in dem Ausmaß der Protest- und Streikaktionen vor allem in Kurdistan und Belutschistan; Regionen, die zugleich konfessionell diskriminiert worden sind.

 

Allerdings kann ihr organisatorischer Vorsprung nicht aus zwei Gründen ausgeschöpft werden. Erstens würde ein Vorpreschen dieser organisatorisch besser ausgestatten Regionen als eine tiefsitzende „Sezessionsgefahr“ wahrgenommen werden, die dem Regime die Legitimationsgrundlage einer militärischen Intervention erleichtern würde. Außerdem wurde diese Stigmatisierung so tief von den Kurden und Balutschen verinnerlicht, so dass sie sich als „Außenseiter“ nicht zutrauen, die Initiative einer gesamtgesellschaftlichen Integration der Iraner unter ihrer Führung in einer nationalen Einheitsfront zu wagen. Dies ist ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus der Iraner als Staatsbürger, die Herrschaft stabilisierend gefördert wurde. Diese „Teile und Herrsche-Strategie“ wurde allerdings inzwischen landesweit durchschaut und praktisch konterkariert. Der Versuch einer faktischen Erweiterung der Reichweite der Identifizierung der Menschen als Staatsbürger miteinander jenseits ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit manifestiert sich in den landesweit vorherrschenden gegenseitigen Solidaritätsbekundungen. Diese gemeinsame Identifikation der Staatsbürger als IRANER miteinander ist aber anscheinend noch nicht soweit entwickelt, um die Entstehung einer Einheitsfront unter der hegemonialen Führung der bisherigen „Außenseiter“ zu ermöglichen. Dies obwohl die Erfahrung der Führungsrolle der Tebrizer Aufständischen unter Satar-Khan und Bager-Khan in der Verteidigung der „konstitutionellen Revolution“ unvergesslich geblieben ist. Diese nachhinkende Bereitschaft zur Akzeptierung der hegemonialen Integrationsfunktion der „Außenseiter“ wie z.B. der kurdischen Parteien erschwert die Entstehung einer Gegenmacht, obwohl sie organisatorisch am weitesten entwickelt sind. Sie sind nicht nur im Iran sondern auch im Ausland am besten organisiert. Sie wären am besten dafür prädestiniert, weil alle sonst übrig gebliebenen Organisationsreste der Opposition im Iran über keine strukturellen Voraussetzungen der revolutionären Organisierung der Machtübernahme verfügen. Und die im Ausland entstandenen Organisationen der Opposition haben außerdem nicht die gleichen Chancen zur effektiven Gestaltung der notwendigen revolutionären Aktionen im Iran. Sie alle könnten allerdings mit ihrem gegenwärtigen Organisationsgrad vor allem in der Übergangsphase eine erhebliche gestalterische Rolle spielen.

 

Zudem hätten die Auslandsiraner vielfältige Aufgaben, die sie zum Teil recht erfolgreich wahrnehmen. Als „Denkfabriken“ können sie nicht nur Konzepte und Strategien aus politischen, sozialen, militärischen und wirtschaftlichen Bereichen bewerten, erforschen und den Iranern zur Verfügung stellen.Sie könnten ihre Politische Bildung der Aktivisten im Iran über Internet verstärken, was gegenwärtig hervorragend geschieht. Ihre unverzichtbare zentrale Rolle besteht allerdings in der Mobilisierung internationaler Unterstützung für die revolutionären Bewegungen im Iran - als ihr authentischer Botschafter. Zudem könnten sie von den lokalen Führern im Iran zu entsprechenden politischen Vertretern und internationalen Verhandlungsführern beauftragt werden, die eventuell in einer entsprechenden Organisation zusammengefasst werden könnten.

 

Eine Kombination der organisatorischen Potentiale der Opposition insgesamt würde einen unvorstellbaren Synergieeffekt freisetzen, wenn es zur Einsicht in die Notwendigkeit dieser Kooperationder Iraner im In- und Ausland und ihrer altruistischen Bereitschaft dazu käme. Dies würde allerdings die Überwindung von emotional tief verankerten Furchtbildern voraussetzen.

 

 

Hannover, den 17.12.2022