Iran ist gegenwärtig durch zwei katastrophale Tendenzen geplagt, den Totalitarismus und den Autoritarismus. Der „“Khomeinismus“ und „Pahlavismus“ sind ihre Artikulationsformen. Ihre sozialen Träger sind führungsbedürftige Menschen. Sie sind autoritär geprägte Persönlichkeiten. Mit ihrem „autoritären Charakter“ repräsentieren sie eine Prädisposition im Sinne eines demokratiefeindlichen Denk- und Verhaltensmusters. Diese Mentalität funktioniert formlos und kann unterschiedliche ideologische Formen annehmen. Sie manifestiert sich im extremen Gehorsam gegenüber Autoritäten, Vorurteilen, Konformismus, Destruktivität, Rassismus und Ethnozentrismus u.a.
Kein Wunder, dass manche enttäuschte Khomeinisten nun zum Träger des „Pahlavismus“ werden, und sich auf die autoritäre Herrschaft Reza-Schahs als Vorbild künftiger Herrschaftsform berufen und seinen Enkelsohn als den „Retter in der Not“ propagieren. Dieser „als Schah Geborene“ („Schahzadeh“) wird als ein unschätzbares „Politisches Kapital“ hochgehandelt, weil er als einzige Integrationsfigur der massenhaften Protestbewegungen gegen die „Islamische Republik“unersetzbar wäre. Wer ihn kritisiere , gefährde daher die nationale Einheit und die Befreiung des Landes von der islamistischen Okkupation. Die verbalen Attacken dieser intoleranten National-Royalisten gegen ihre Opponenten sind schon in ihrer gegenwärtigen Machtlosigkeit beängstigend.
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Dieser erneute Ruf nach einem neuen „Retter in der Not“ in Gestalt des „Prinzen“ als „politisches Kapital“ ist nicht nur ein Armutszeugnis autoritätsfixierter Menschen, die auf einen Führer fixiert sind. Er ist auch ein Nachhinkeffekt der Kooperationsbereitschaft der oppositionellen Gruppen.
Die postrevolutionäre blutige „Säuberung“ jeglicher Opposition und die Unterdrückung der Entwicklung der Grundqualifikationen für demokratisch gelungenes Rollenhandeln der Staatsbürger hinterließ eine Opposition, die durch erhebliche Kooperationsunfähigkeit gekennzeichnet ist. Diese manifestiert sich vor allem in ihrer geringen Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, der Fähigkeit, sich in andere Menschen als Einzelne und Gruppen hineinzuversetzen und die Welt aus deren Blickwinkel zu betrachten. Dies führt zu einem Teufelskreis der gegenseitigen Missverständnisse und rückbezüglich gefühlten Bedrohungen der Selbstwertbeziehungen, die zur Verschiebung der Balance zwischen ihre Konflikts- und Kooperationsbereitschaft zu Gunsten der ersteren führt. Dieser Teufelskreis der zuweilen feindseligen Konkurrenzhaltung reproduziert ihre relativ geringe Fähigkeit zur Empathie und Verträglichkeit.
In einer Gesellschaft, in der die Kompromisslosigkeit (Ussulgerai) Tugend und Verträglichkeit (sazegari) und Kompromissbereitschaft (Sazeshkari) Schande ist, verhalten sich nicht nur die etablierten Islamisten egozentrisch, misstrauisch und antagonistisch gegenüber den Absichten anderer Menschen als Einzelne und Gruppen. Dank ihrer niedrigen Verträglichkeitswerte, scheinen auch die oppositionellen Gruppen sich eher feindselig wettbewerbsorientiert als kooperativ zu verhalten. Dank dieser mangelnden Kooperationsbereitschaft verfügen sie über keinen angemessenen Organisationsgrad, der notwendig wäre für die effektive Führung der sich zunehmend in Massenprotesten manifestierenden Opposition der Bevölkerung. Daher scheint die Führungslosigkeit der zunehmend in kürzeren Abständen stattfindenden massenhaften Protestbewegungen auf ein Nachhinken des sozialen Habitus der Führung beanspruchenden Organisationsansätze hinzuweisen.
Der sich daraus ergebende und immer lauter werdende verzweifelte Ruf nach einem charismatischen „Retter in der Not“ erinnert an ähnlich massenhafte Charakterzüge der sozialen Erhebung, die zur „Islamischen Revolution“ unter der Führung Khomeinis führte. Auch damals gab es keine demokratischen Organisationen, die zur Führung der Massenerhebungen in der Lage gewesen wären. Diesmal soll der „Prinz“ diese Rolle übernehmen. Dafür wurden die alle persisch sprachigen Sender im Ausland wie BBC, VOA, Manoto“, „Iran International“ sowie weitverbreitete Netzwerke in den „Social Media“ mobilisiert.
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Dabei wird nicht nur die Notwendigkeit dieser Führungsrolle des „Prinzen“ angesichts der fehlenden organisierten Führung der Massenbewegungen im Iran mit allen Mitteln gerechtfertigt. Man versucht auch, die Gefahr der Reproduktion des Autoritarismus mit dem Hinweis auf den demokratischen Charakter des „Prinzen“ herunterzuspielen, der nicht unbedingt auf einer Monarchie bestehe. Er habe ja auch öfters auf die Überlegungen seines Großvaters hingewiesen, eine „Republik“ nach dem Vorbild Atatürkszu favorisieren. Deswegen überlasse er auch die Entscheidung über die künftige Herrschaftsform einem Referendum. Und dies, obwohl seine Anhänger nicht einmal jetzt in der Lage sind, einen weitsichtigen Hinweis auf eine mögliche Reproduktion der Diktatur auf diesem harmlos erscheinenden Wege zu dulden. Dabei werden die Gemüter durch die Bagatellisierung der Intoleranz der Royalisten als Einzelfälle oder als „Agent Provocateur“ zu beruhigen versucht, wenn man auf die verbalen Attacken und unverhüllten Bedrohungen der Opponenten hinweist. Trotz der Hinweise auf die Intoleranz gegenüber dem weitsichtigen Hinweis auf mögliche Reproduktion der Diktatur wird man aufgefordert, man solle den „Prinzen“ ja nicht mit denen verwechseln, die als seine intoleranten Anhänger die Opponenten verbal attackieren und bedrohen.
Sie vergessen dabei, dass nicht nur der demokratische „Wille zur Macht“ der „Retter der Stunde“ zu fürchten ist, der zur Reproduktion der autoritären Herrschaftsformen führen kann; sondern auch die projizierten Erwartungen der sie folgenden verzweifelten Massenindividuen, die ihnen die Charisma verleihen.
Diese projizierten charismatischen Eigenschaften funktionieren genauso wie bei einem „Talisman“, dem Zauberkräfte und Glück bringende Eigenschaften zugeschrieben werden. Genauso funktioniert auch der religiöse Fetischismus oder der Fetischcharakter der sexuell erregenden Objekte, die sich verselbstständigen und Verhalten steuernd wirken.
Um sich nicht zu wundern, warum die Geschichte sich zuweilen so tragikomisch wiederholen kann, nachdem die Machtübernahme der so harmlosen „Führer“ vollzogen ist, wäre die Einsicht in die Funktionsweise des Fetischismus nicht minder hilfreich. Denn ähnlich wie ein unbelebter Gegenstand, der „Fetisch“, als Stimulus der sexuellen Erregung und Befriedigung dient, wirkt ein harmloser „Führer“, mit dem sich die Massenindividuen identifizieren. Er ist als Objekt affektiver Bindung Identität stiftend für seine Massenbasis, über ihn identifizieren sie sich miteinander. Er muss aber deren projizierten Erwartungen gerecht werden, wenn er ihr „Führer“ bleiben will. So verselbstständigt sich seine charismatische Herrschaft, die mit der Zeit eine Veralltäglichung erfährt. Ähnlich wirkt die Verehrung bestimmter Gegenstände im Glauben an ihre übernatürlichen Eigenschaften. Man erwartet von ihnen die Erfüllung ihrer Wünsche und Hoffnungen. Die Wahlfahrtsorte der Schiiten leben von diesem projizierten Charisma der verstorbenen Imame, an die man sich für die Erfüllung der eigenen Wünsche und Hoffnungen wendet. Man kann aber auch charismatische Führer mit Göttern auf Erden vergleichen, wie verschieden auch die Gottesbilder sein mögen. So wie Götter, die, obwohl ein Geschöpf menschlicher Phantasie, ihren menschlichen Schöpfer beherrschen, verselbstständigt sich der charismatische Führer als Herrscher ihnen gegenüber, solange er nicht als Führer versagt.
Die Erinnerung an die Entstehung der „Islamischen Republik“ unter der Führung Khomeinis könnte eventuell exemplarisch sehr lehrreich sein, wenn man nicht unbelehrbar ist. Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich Reza Pahlavi keineswegs mit Khomeini vergleichen möchte, sondern die an ihn gerichteten Rollenerwartungen als charismatischen Führer. Als Beispiel für diese Erwartung erinnere ich an eine Fragestunde desTV Senders „Iran International“, in der die Journalistin nach demkünftigen „Wirtschaftsprogramm“ des „Prinzen“ fragte, obwohl immer wieder auf Großbritannien als Vorbild einer künftigen konstitutionellen Monarchie hingewiesen wird.Dabei vergisst sogar die Journalistin, dass niemand die„Queen“ nach ihrer Wirtschaftspolitik fragt. Man erwartet von ihr nur, die Politik der gewählten Regierung im Parlament zu verkünden.
Auch die scheinbar spontane Glorifizierung von Rezaschah bei Demonstrationen - als Vorbild der künftigen Regentschaft - ist nicht minder furchterregend für Demokraten. Zumal die auf Pahlavis autoritäre Modernisierungsleistungen stolzen Royalisten diese als ihre massenhafte Bestätigung und als Legitimationsgrundlage für ihre Fortsetzung durch den „Prinzen“ hervorheben.
Deswegen bezeichnen sie alle Opponenten des Schah-Regimes als „schwarze und rote Reaktion“, die sich sogar für die Entstehung der Revolution entschuldigen müssen. Sie begreifen noch immer nicht, dass die „islamisierte Revolution“ die unbeabsichtigte Folge der von ihnen gepriesenen „weißen Revolution“ ist.
Nur die Vernachlässigung der Sozio- und Psychogenese der „Islamischen Revolution“ und der Stellenwert der enttäuschten Rollenerwartungen der von der wachstumsorientierten Entwicklung enttäuschten Massenindividuen kann die Geschichte als Geschichte der charismatischen Führer erscheinen lassen. Deswegen wiederholt sich die Geschichte tragikomisch.
Hannover, 10.06.2022