Dawud Gholamasad

Die Lehren aus der Regierungskrise Frankreichs: Verfassungsimmanente Krisenpotenziale des Semipräsidialsystems

 

Frankreich hat bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli 2024 zwar mehrheitlich links gewählt, erhielt jedoch trotz massiver Proteste eine Mitte-Rechts-Regierung. Die Linke war zwar als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgegangen, konnte jedoch keine eigene Mehrheit aufbauen, um einen Premierminister zu stellen. Daher sieht die Linke in Michel Barnier einen Regierungschef „von Le Pens Gnaden“ und wirft Präsident Macron einen „Staatsstreich“ vor. Denn auch die anderen politischen Lager konnten keine eigene Mehrheit erreichen.

Angesichts dieser Pattsituation und der fehlenden Koalitionskultur in Frankreich ernannte Präsident Macron den konservativen Ex-EU-Kommissar Michel Barnier zum Premierminister. Nachdem der rechtspopulistische „Rassemblement National“ von Marine Le Pen auf ein Misstrauensvotum gegen den neuen Premier verzichtete, entstand eine Mitte-Rechts-Regierung. Diese hielt jedoch nicht einmal drei Monate. Frankreich steckt nun wieder in einer Regierungskrise, sodass Präsident Macron erneut einen neuen Premierminister suchen muss.

Internationale Medien machen vor allem Emmanuel Macron für den Sturz der Regierung verantwortlich. Diese Personifizierung der Krise, die als Fehleinschätzung Macrons gedeutet wird, übersieht jedoch die verfassungsimmanenten Krisenpotenziale des semipräsidentiellen Regierungssystems Frankreichs.

Ein ähnliches Krisenpotenzial war bereits im Verfassungsentwurf der „Islamischen Republik Iran“ angelegt, der in vielen Aspekten dem französischen System nachempfunden war. Dem Entwurf wurde jedoch nachträglich die „absolute Schriftgelehrtenherrschaft“ hinzugefügt. Der Konflikt zwischen dem damaligen Präsidenten Khamenei und Ministerpräsident Mussavi war ein Resultat dieser Krisenpotenziale, der durch die Entscheidung des „charismatischen Führers“ Khomeini zugunsten Mussavis beigelegt wurde.

Aus diesen Beispielen lassen sich Lehren für die zukünftige Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit des Iran nach dem Sturz der „Islamischen Republik“ ziehen.1 Diese Lehren betreffen insbesondere das semipräsidentielle Regierungssystem, das auch in Frankreich krisenanfällig ist:

Das semipräsidentielle System vereint Elemente des parlamentarischen und des präsidentiellen Regierungssystems. Die Regierung hängt sowohl vom Vertrauen des Staatspräsidenten ab als auch von der Mehrheit im Parlament. Daher kann man es auch als präsidial-parlamentarisches System bezeichnen.

1 Vergl. meine Diskussionsgrundlage der demokratischen Opposition: https://gholamasad.jimdofree.com/artikel/die-diskussionsgrundlage-einer-aktionseinheit-der-demokratischen-opposition/

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Es ist eine Mischung beider Systeme: Wie im Präsidialsystem wird der Staatspräsident vom Volk gewählt und kann die Regierung bilden ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Parlaments nehmen zu müssen. Dennoch muss er, wie in den USA, mit dem Parlament zusammenarbeiten, da dieses über die Gesetzgebung entscheidet. Im Gegensatz zum parlamentarischen System, wie etwa in Großbritannien oder Deutschland, hat der Präsident im semipräsidentiellen System nicht nur repräsentative Aufgaben. Er hat auch eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung. So wird der Premierminister in Frankreich vom Präsidenten ernannt, kann jedoch durch ein Misstrauensvotum der Nationalversammlung gestürzt werden. Die Regierung ist also vom Vertrauen beider Instanzen abhängig. Der Präsident hat dabei gegenüber der Regierung einen erheblichen Einfluss, da er an der Spitze der Exekutive steht.

Diese Kombination macht das semipräsidentielle System anfälliger für Krisen als die beiden anderen Systeme, da es nicht nur von der schriftlichen Verfassung abhängt, sondern auch von der Verfassungswirklichkeit und den politischen Gepflogenheiten. So schreibt die Verfassung in der Regel vor, dass der Präsident die Regierungsmitglieder ernennt, diese jedoch vom Parlament bestätigt werden müssen. Auch kann das Parlament die Regierung stürzen. In einem semipräsidentiellen System kann es daher in der Praxis durchaus zu einer parlamentarischen Regierungspraxis kommen, da der Präsident in der Regel niemanden ernennt, der das Vertrauen des Parlaments nicht besitzt. Probleme entstehen jedoch, wenn keine Fraktion im Parlament über eine ausreichende Mehrheit verfügt und keine Koalitionsbereitschaft besteht.

Die Verfassungswirklichkeit hängt stark davon ab, ob der Präsident und die Parlamentsmehrheit dem gleichen politischen Lager angehören oder ob eine Koalition ihn unterstützt. In solchen Fällen ist der Präsident der klare politische Führer, der den Regierungschef auswählt. Dabei muss er jedoch auch die Wünsche der im Parlament unterstützenden Parteien berücksichtigen.

Im Extremfall kann der Präsident gezwungen sein, eine „Cohabitation“ – das schwierige Zusammenleben der beiden politischen Lager – zu akzeptieren, wenn er politisch realistisch ist. Ein solcher Fall trat erstmals 1986 ein, als der sozialistische Präsident François Mitterrand aufgrund einer Mehrheit der Liberalen und Konservativen im Parlament den Konservativen Jacques Chirac zum Premierminister ernannte. In der Außenpolitik konnte der Präsident jedoch weiterhin eigene Akzente setzen. Eine „Cohabitation“ gab es noch in den Jahren 1993-1995 und 1997-2002.

Gerade anhand der aktuellen Krise in Frankreich wird jedoch die systemimmanente Krisenanfälligkeit des semipräsidentiellen Systems deutlich. Es ermöglicht keine beständige und klar unterscheidbare Regierungspraxis zwischen parlamentarischem und präsidentiellem System. Vielmehr wechseln sich Phasen einer präsidentiellen Regierungspraxis – bei politischer Übereinstimmung zwischen Präsidenten und Parlamentsmehrheit – und Phasen einer parlamentarischen Regierungspraxis während der Cohabitation ab. Die zunehmende Polarisierung in Frankreich und die zunehmende Lagermentalität erschweren ein „Zusammenleben“ der politischen Lager zunehmend.

Hannover, 11.12.2024

Nationalismus, Islamismus und Patriotismus der Iraner in ihrem langen Kampf seit der „konstitutionellen Revolution“

 

„Loghmann wurde gefragt, von wem
er die Anstandsregeln gelernt hätte.
Von Unanständigen, sagte er“
(Saadi)

 

Es gibt seit der „konstitutionellen Revolution“ (1906) zwei sich gegenüberstehende Tendenzen in der iranischen Gesellschaft, die einer rechtsstaatlichen Entwicklung und damit der Nationalstaatsbildung im Wege gestanden haben. Als Träger einer technokratischen Modernisierung und einem Traditionalismus haben beide Tendenzen jeweils auf ihre eigene Weise die normative Modernisierung Irans verhindert. Der technokratische „Modernismus“ und der Traditionalismus haben als „Nationalismus“ und „Islamismus“ den Konstitutionalismus und damit den Verfassungspatriotismus praktisch ein Jahrhundert lang unterdrückt. Mit der Förderung einer Obrigkeitsmentalität haben sie praktisch die Entwicklung des iranischen Nationalstaates als einer Rechtsgemeinschaft der Bürger bzw. Staatsbürgernation unterdrückt. Was bis heute übriggeblieben ist, ist ein Territorialstaat, der als Hoheitsgebiet gekrönter oder Turban tragender Despoten dient und durch seine Untertanen gegen Angriffe verteidigt werden soll. So wird immer wieder die Verteidigung von Partikularinteressen repräsentiert durch Despoten als ein Allgemeininteresse der Iraner als Staatsbürger legitimiert. Genau darin liegt auch der ideologische Charakter der gegenwärtigen Aufforderung zur Verteidigung der „territorialen Integrität“ Irans gegen die selbst geschaffenen Feinde der „Islamischen Republik“ als eine Art Revierverhalten der Untertanen. Damit wird ein solches Territorialverhalten der Iraner als grundlegender Mechanismus eines Sozialverhaltens der Menschen verstärkt mobilisiert: ein Verhalten, das sie mit der sub-humanen Integrationsebene teilen. Als Menschen verteidigen sie dann nicht ihre nationalstaatliche Souveränität als Staatsbürger bzw. ihre Staatsbürgerschaft, die ihre besonderen Rechte als Schutz- und Abwehrrechte auch gegen den Staat begründet. Mit einer solchen Verteidigung „territorialer Integrität“ werden sie eher auf ihre animalischen Anteile zurückgeworfen.

 

Territorialverhalten gehört zu den grundlegenden Mechanismen des Sozialverhaltens, das Mensch und sub-humane Lebewesen teilen.

 

Denn Territorialverhalten oder Revierverhalten ist ein grundlegender Mechanismus des Sozialverhaltens, den Menschen mit Lebewesen einer sub-humanen Integrationsebene teilen. Das Territorialverhalten eines Tieres oder einer Gruppe von Tieren dient auch dazu, das eigene Revier gegen andere Tiere gleicher Art zu verteidigen und gegen deren Territorien abzugrenzen. Auf diese Weise werden Nahrungskonkurrenten und Sexualkonkurrenten auf Distanz gehalten. Vom eigenen Revier zu unterscheiden ist das größere Streifgebiet, in dem sich die Tiere nur zeitweise aufhalten und das sie nicht verteidigen. Die Streifgebiete mehrerer Tiere können sich somit überlappen, nicht aber deren Territorien. Man kann das Territorium daher auch als jenen Teil des Streifgebiets begreifen, der gegen Artgenossen verteidigt wird.

 

Es ist daher keineswegs sarkastisch gemeint, wenn man Territorialverhalten als Charakterisierung bestimmter defensive Verhaltensmuster beim Menschen benutzt. Denn auch bei der Verteidigung der „territorialen Integrität“ handelt es sich um ein Territorialverhalten, das vorwiegend Männer gleichwie vorwiegend männliche Tiere charakterisiert, die ihre Reviere verteidigen. So gibt es auch unter Tieren gewisse geschlechtsspezifische „Arbeitsteilung“, die mit einer bestimmten Rangordnung einhergeht. Als Leittier einer Herde oder eines Rudels, sind Alphatiere in der Regel die kräftigsten, erfahrensten und aktivsten Tiere der Gruppe. Häufig sind sie auch die ältesten und die einzigen Männchen ihrer Gruppe, die Nachwuchs zeugen. Es gibt daher nicht nur Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfe um die Rangordnung unter den Gruppenangehörigen. Auch fehlgeprägte Tiere richten ihren Revierkampf manchmal gegen Pflegepersonen. Offenbar sehen sie in ihnen nach Erreichen der Geschlechtsreife Gegner. Kommt einem dies nicht irgendwie bekannt vor?

 

Menschen unterscheiden sich von Tieren durch ihre fünfte Dimension der Welt, in der sie leben

 

Was Menschen jedoch von einer sub-humanen Ebene unterscheidet ist ihre Handlungsfähigkeit als Subjekte, die Urheber ihrer eigenen Handlungen sind. Ihre Handlungen verlaufen daher weniger reflexartig, vor allem aber nicht instinktartig, vielmehr intentional. Dies setzt eine Denk- und gruppenspezifische Sprachfähigkeit, also eine symbolisch vermittelte Welt voraus. Dies hat auch Folgen für das Territorialverhalten der ihre Handlungsspielräume zu erweitern trachtenden Menschen. Denn was man als „territoriale Integrität“ verteidigt, ist die Freiheit der Menschen. Freiheit ist allerdings nichts anderes als Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Menschen, die sie sowohl intern als auch extern zu verteidigen und zu erweitern streben. Dieser figurationsspezifische Charakter des humanen Territorialverhaltens ergibt sich aus besonderen menschlichen Existenzbedingungen, die über raum-zeitliche Dimension der miteinander Konfigurationen bildenden Tiere hinausgehen. Die menschliche Welt unterscheidet sich durch ihre fünfte, symbolische Dimension, da Menschen nicht instinktiv gesteuerte Lebewesen sind. Sie müssen lernen, sich zu verhalten, zu erleben und zu kommunizieren. Ohne soziale Vererbung der symbolischen Repräsentanten der Realität, die „Kategorien apriori“ (Kant), wären Menschen daher lebensunfähig. Sie wären außerstande, sich in der Welt zu orientieren, miteinander zu kommunizieren geschweigen denn sich selbst und die außermenschliche Natur zu kontrollieren. Ihre gruppenspezifische Sprache ist daher der wichtigste symbolische Repräsentant ihrer Realität. Deswegen ist die gruppenspezifische Sprache eben die Welt wie Menschen sie erleben. Sie ist ihr Orientierungs-, Kontroll- und Kommunikationsmittel. Gruppenspezifisch, weil auch Tiere über artspezifisch fixierte Sprachen verfügen.

 

Ohne symbolische Repräsentanten ihrer Welt, als Verhalten steuernde Erkennungszeichen bzw. Sinnbilder, könnten sich Menschen in der Welt nicht zu Recht finden. Es fehlte ihnen Bedeutungsträger für Objekte oder Vorgänge, die eine Vorstellung auch von etwas vermittelten, das nicht gegenwärtig zu sein braucht. Da Orientierung die handlungs- und bedeutungsbezogene menschliche Sicht der Welt bedeutet, fragen Menschen in der Regel auch nicht, was etwas an sich bedeutet, vielmehr was etwas für sie bedeutet. Dabei geht es nicht um „Features“, Oberflächen und Strukturen, Gegenstände und Menschen etc. an sich, sondern um Verhältnisse als Angebote für menschliches Handeln. Somit manifestieren die Wahrnehmungsobjekte bestimmte erworbene existentiell notwendige Verhaltens- und Erlebensbereitschaften, selbst wenn sie den Menschen scheinbar nur äußerlich gegenüber treten. Sie mögen ihnen zwar äußerlich erscheinen; als bestimmte gelernte Verhaltens- und Erlebensmuster sind sie verinnerlichte Objekte der Welt, wie sie sie erleben und solange sie erleben.

 

Die Objekte der Welt, für die Menschen keinen Begriff haben, existieren für sie folglich nicht. Von daher repräsentieren symbolisch vermittelte Objekte in der Realität zugleich ein sozial vermitteltes Verhaltens- und Erlebensmuster. Deswegen kann auch Marx sagen, Eigentum ist ein Verhalten. Denn Menschen erwerben mit der Sprache bestimmte Denk-, Verhaltens- und Erlebensbereitschaften, ihren sozialen Habitus. Sie sind sozial vererbt, weil Menschen immer in eine ihnen vorausgehende Welt geboren werden, in der sie sozialisiert werden. Ihre sozialvererbten symbolischen Repräsentanten der Realität sind daher Kumulationen der Erfahrungen der vorausgehenden Generationen der Menschen, die ihre Gemeinwesen als Überlebenseinheiten entwickeln mussten. Sie unterscheiden sich durch das unterschiedliche soziale Gepräge der sie bildenden Menschen. Gemeinsam ist ihnen in der Regel allerdings die mehr oder weniger wirksame Abbau der persönlichen Gewaltanwendung als Regulationsprinzip zwischenmenschlicher Beziehungen innerhalb ihres Gemeinwesens. Mit der Einführung von gewissen Regeln als Sitten und Gebräuche verzichten Menschen auf gewisse Freiheiten zugunsten des internen Friedens des Gemeinwesens. Die übertragene Zwangsbefugnis zur Aufrechterhaltung des internen Friedens und zur Verteidigung des Gemeinwesens nach außen verselbständigte sich in der Regel als Herrschaftsverhältnisse der „Oberhäupter“ der Gemeinschaften. Die Obrigkeitsmentalität repräsentiert diese verinnerlichten Herrschaftsverhältnisse.

 

Territorialstaaten sind Formen der Verstaatlichung der Angriffs- und Verteidigungseinheiten der Menschen als Untertanen

 

Aus den externen Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfen der zumeist tribalen Einheiten als ursprünglicher Angriffs- und Verteidigungseinheiten der Menschen entstehen Territorialstaaten als Überlebenseinheiten. Sie sind in der Regel gekennzeichnet durch zentripetale und zentrifugale Kräfte, die in ihren permanenten Kämpfen entweder zu weiterer Zentralisierung oder in Extremfällen zum Zerfall der Herrschaftsverhältnisse führen. Die Geschichte der Entstehung und des Untergangs der großen Reiche ist die Geschichte dieser Kämpfe. Irans über 2500-jährige Geschichte ist keine Ausnahme. Als ein erinnertes Wandlungskontinuum wurde das Land immer wieder durch fremde Völker erobert, die entsprechende Dynastien gründeten – bis zur konstitutionellen Revolution. Die ethnische und konfessionelle Vielfalt Irans ist auf diese Entwicklungsgeschichte zurückzuführen. Dies zu leugnen, teilen die „Nationalisten“ mit den „Islamisten“, weil sie durch die Zentralisierung ihrer Verwaltung als Herrschaftsapparat jegliche ethnischen Autonomiebestrebungen als Gefährdung der „territorialen Integrität“ Irans bekämpfen. Dabei gefährden sie die „territoriale Integrität“ Irans eher durch Unterdrückung einer territorialen Demokratisierung Irans als föderative Struktur der Verwaltung auf Basis des Subsidiaritätsprinzips.

 

Stattdessen legitimieren sie die Verteidigung ihrer zentralisierten Machtbefugnisse als eine Verteidigung „territorialer Integrität“ des iranischen Nationalstaates gegen „Separatisten“. Diese ideologische Verklärung der Verteidigung privilegierter Positionen der jeweiligen Kerngruppe der Macht eines zentralisierten Staates als Verteidigung der „territorialen Integrität“ Irans ist nur möglich, wenn man wie üblich Territorialstaat mit Nationalstaat verwechselt. Dabei handelt es sich nicht nur um semantische Unterschiede, sondern um Unterschiede der spezifischen Figurationen der sie bildenden Menschen.

 

Territorialstaaten sind spezifische Formen der Verstaatlichung in Bezug auf Herstellung und Betrieb allgemeiner Reproduktionsbedingungen der Menschen als Angriffs und Verteidigungseinheit

 

Heutzutage werden menschliche Gesellschaften in der Regel deswegen als Staaten begriffen, weil sie jenseits der früheren Formen der menschlichen Vergemeinschaftung, wie Stämme, die dominante Form ihrer Angriffs- und Verteidigungseinheit geworden sind. Sie sind Verstaatlichungsformen der Gesellschaften der Menschen als ihrer Überlebenseinheiten. Als solche sind sie Objekte ihrer emotionalen Hingabe, die sich im selbstwertbetonenden „Nationalismus“ oder Patriotismus manifestieren kann. Auf Grund ihrer territorialerweiterten Dimension als verstaatlichte Gemeinwesen verlieren diese Überlebenseinheiten allerdings die Unmittelbarkeit der emotionalen Bindung der Menschen miteinander, jenseits ihrer funktionalen bzw. arbeitsteiligen Interdependenzen. Daher funktionieren charismatische Führer in der Regel als personifizierte symbolische Vermittlung ihrer Einheit. Über diese als Staatsoberhäupter identifizieren sie sich miteinander als deren Untertanen. An solche Traditionen knüpfen manche oppositionellen Gruppen gegenwärtig an, die sich - durch ihre „Zeittunnel“ hindurch - nostalgisch auf Kyros oder Reza Schah beziehen und als Symbole der nationalen Größe und „nationale Souveränität“ gegen Islamismus demonstrativ hervorheben.

 

Solche obsoleten Überlebenseinheiten haben als Territorialstaaten, mit den persischen, römischen, und islamischen Reichen u.a., Jahrtausende bzw. Jahrhunderte lang bestanden, solange sie effektiv organisierbar waren. Das Alexander-Syndrom steht für den unersättlichen Expansionsdrang mancher Führer, die eine effektive Organisierbarkeit ihrer eroberten Territorien missachten. Wer die iranische Geschichte kennt, weiß warum es aus Organisationsgründen den „König der Könige“ gab und wie diese sich immer wieder über Jahrhunderte hinweg abgelöst haben; und zwar in permanenten Konkurrenz- und Ausscheidungskämpfen der tribalen Stämme mit ihren Kriegertraditionen.

 

Sie alle waren Verstaatlichungsformen der Angriffs- und Verteidigungseinheiten der mehr oder weniger nomadischen Stämme. Sie konnten im Iran nur sesshaft werden, wenn vor allem mit den Bewässerungsanlagen die allgemeinen Reproduktionsbedingungen ihrer Existenz als bäuerlicher Produzenten hergestellt und betrieben werden konnte. Der iranische Territorialstaat war daher vor allem die Form der Herstellung und des Betriebs dieser allgemeinen Reproduktionsbedingungen der bäuerlichen Existenzen neben der Landesverteidigung. Dadurch legitimierte sich die Herrschaft der sich verselbständigten Funktionsträger in der Verwaltung und den Heeren der jeweiligen Staatsoberhäupter, deren Krieger sie sich bis zur Safaviden Herrschaft von den Stämmen rekrutieren mussten. So konnte Iran effektiv als Hoheitsgebiet des „Königs der Könige“ und dessen Satrapen - bis zur konstitutionellen Revolution 1906 - verwaltet werden.

 

Nationalstaaten als spezifische Formen der Herstellung und des Betriebs allgemeiner Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft der Menschen als Bürgerschaft

 

Die Nationalstaaten sind aber Organisationsformen der Gesellschaften, die auf der Souveränität der Nationen als Staatsbürger beruhen. Im Begriff Nationalstaat fällt daher das Staatsgebilde mit dem Begriff der Nation als Bürgerschaft zusammen, die sich als emotional besetzte Selbsterfahrung der Menschen als ein Kollektiv konstituieren muss. Denn Menschen haben nicht nur ihre Ich-Identität, sondern auch eine Wir-Identität, die im Falle von normativ modernen Staaten in der Regel eher zugunsten ihrer Ich-Identität neigen. Die normativ modernen Nationalstaaten entstehen daher als Überwindung der traditionell vorherrschenden Gemeinschaften der Menschen als Objekte ihrer gemeinsamen affektiven Bindung in den Modernisierungsprozessen der Gesellschaft. Die funktionale Entbindung der Menschen von der Nabelschnur ihrer traditionellen Gemeinschaften, wie nomadischen Stämmen und dörflichen Gemeinschaften ist die materielle Voraussetzung der dazu notwenigen Individualisierung der Selbsterfahrung der Menschen als selbstverantwortliches Individuum mit Rechten und Pflichten. Dies bedeutet daher keineswegs sprachliche, kulturelle oder ethnische Homogenisierung der Staatsbürger, wie manche autoritär geprägte Technokraten der „Moderne“ sich das vorstellen. Die Einheit der Vielfalt ist nicht nur rechtsstaatliches Gebot, sie hat sich auch erfahrungsgemäß als produktivste und humanste Form der Nationsbildungsprozesse erwiesen. In diesem Sinne ist die gescheiterte konstitutionelle Revolution (1906) die Fehlgeburtsstunde des multiethnischen Nationalstaates Iran.

 

Die technokratische Modernisierung als Legitimationsgrundlage der „aufgeklärten Diktatur“ im Iran

 

Die Ansätze zur Nationalstaatsbildung sind auch im Iran eine Funktion von Modernisierungsversuchen der Gesellschaft im 20. Jahrhundert, jedoch als Folge semikolonialer Integration des Landes im Weltmarkt. Zunächst unter der britischen und - nach dem zweiten Weltkrieg - unter der Hegemonialmacht der USA im Nahen und Mittleren Osten. Sie vollzog sich daher als eine betont technokratische Modernisierung, die mit zunehmender Funktionsteilung einherging. Diese soziale Differenzierung der Gesellschaft wurde begleitet mit der Entstehung neuer Funktionen, Funktionsreduzierung und Funktionsverlust mancher Berufe – später vor allem der Geistlichkeit und traditioneller Handel- und Gewerbetreiber. Sie wurde daher nicht nur als sozialer Auf- und Abstiegsprozess erfahren, sondern auch als Zersetzungsprozess der nomadischen Stämme und tausender dörflichen Gemeinschaften, sowie als schmerzhafte Entwurzelung von Millionen von Menschen. Die Begleit- und Folgeerscheinung dieser Transformationsprozesse der traditionellen Gesellschaft ist freilich die funktionelle Demokratisierung - im Sinne der Verschiebung der Machtbalance zugunsten der Machtschwächeren - und funktionelle Umwandlung der Untertanen in Bürger, die sich in zunehmender Verstädterung manifestierte. Funktionell deswegen, weil die involvierten Menschen sich dessen noch nicht bewusst sind und sich dennoch entsprechend verhalten müssen. Ihr Denken, Fühlen und Verhalten hinkt daher ihren funktional veränderten sozialen Positionen hinterher. Diese Ungleichzeitigkeit der Entwicklung führte nicht nur zur gescheiterten „Konstitutionellen Revolution", sondern auch zur „Islamischen Revolution“, die durch die technokratische Modernisierung unter der Herrschaft von Reza Schah und seinem Sohn Mohammad-Reza Schah durchgeführt wurde. Diese Modernisierung wurde im Ausland ständig als das Werk der „aufgeklärten Diktatoren“ gefeiert. Sie repräsentierten aber die Unterdrückung der normativen Modernisierung der Staatsgesellschaft als notwendiger Voraussetzung der Nationalstaatsbildung im Iran. So blieb die notwendige Verbürgerlichung der Untertanen aus, ohne die kein Nationalstaat“ eine Rechtsgemeinschaft von Bürgern werden kann.

 

Dementsprechend scheiterte auch die „konstitutionelle Revolution“, die durch konstitutionelle Einschränkung der „Zwangsbefugnisse“ im Staat zur Abschaffung der „orientalischen Despotie“ führen sollte. Damit sollte Iran als ein Hoheitsgebiet des „orientalischen Despoten“ in eine „Volkssouveränität“ der iranischen Staatsbürger transformiert werden. Mit dieser normativen Modernisierung sollte also eine Staatsbürgernation konstituiert werden. Diese wurde allerdings durch die einstigen Islamisten zunächst verfassungsmäßig erheblich eingeschränkt. Wegen der noch unüberwindbaren Macht der schitischen Geistlichkeit, die keinen Souverän außer Gott anerkennt, musste die Verfassung gewissermaßen die Vorgaben der Scharia als Rahmenbedingung respektieren; diese Einschränkung sollte durch eine parlamentarische Kommission der Geistlichkeit bei jeder Gesetzgebung kontrolliert werden. Dieser faule Kompromiss konnte auch überhaupt nur deswegen entstehen, weil die ultrakonservative Geistlichkeit, die nur eine konfessionelle aber keine konstitutionelle Einschränkung des Gemeinwesens anstrebte, ihren moderaten konstitutionellen Konkurrenten unterlag. Damit konnte die praktische konfessionelle Einschränkung zwar gemildert werden. Aber selbst diese durch die Scharia eingehegte Volkssouveränität wurde nach kurzer Zeit praktisch suspendiert. Denn als Nachhinkeffekt des sozialen Habitus der Träger der „konstitutionellen Revolution“ wurde der energische „Kriegsminister“ der Zeit, Reza Khan als Schah gekrönt, nach dem der letzte Schah der Kadjaren-Dynastie durch einen britisch gesteuerten Militärputsch gestürzt wurde. Er setzte bis zu seiner Absetzung durch die Alliierten des Zweiten Weltkrieges die Verfassung und damit die Volkssouveränität praktisch Außerkraft. Damit unterdrückte er die Nationalstaatsbildung im Namen der „Modernisierung“ und Sicherung der „territorialen Integrität“ Irans durch blutige Unterwerfung der Regionalisierungstendenzen mancher ethnischer Oberhäupter. Trotzdem ist er als „Reza-Schah der Große“ in die Geschichte eingegangen, dessen Diktatur immer noch von Nationalisten legitimiert wird, die seine technokratische Modernisierungsmaßnahmen bewundern.

 

Sein Sohn, Mohammad Reza, wurde durch die Alliierten als sein Nachfolger eingesetzt, der auch nach einer kurzen demokratischen Phase, seine verfassungsmäßig vorgeschrieben Kompetenzen als Monarchen praktisch überschritt. Seine unanfechtbare Diktatur wurde allerdings, nach dem CIA-Putsch von 1953, durch praktische Suspendierung der Verfassung bis zur „Islamischen Revolution“ gewaltsam perpetuiert. Seine „aufgeklärte Diktatur“ wurde auch im In- und Ausland durch „seine“ technokratische Modernisierung gerechtfertigt. Denn mit der vorherrschenden Fortschrittsgläubigkeit glaubte man, dass mit einer wachstumsorientierten Entwicklung Voraussetzungen für eine Demokratisierung geschaffen werden.

 

Dabei hat man die Komplementarität und Reversibilität sozialer Prozesse vollkommen Außeracht gelassen. Dieser Entwicklungsdeterminismus wurde nicht nur von den dominanten sozialwissenschaftlichen Modernisierungstheorien propagiert, die keine Ahnung von den unbeabsichtigten Folgen dieser über die Köpfe der Menschen technokratisch durchgeführte Modernisierung hatten. Auch Teile der säkularen Mittelschicht, samt den Technokraten und Bürokraten, feierten erfüllt vom nationalen Stolz die kaiserliche Modernisierung, die sie an „die Grenze der Zivilisation“ führen sollte. Sie übergingen sogar die iranischen „Nationalfront“, weil sie - ohne jegliche proaktive Strategie - die als „weiße Revolution“ proklamierten Modernisierungsmaßnahmen zwar bejahten, die Diktatur des Schahs aber ablehnten. So fanden diese Modernisierungsmaßnahmen mehr oder weniger aktive allgemeine Unterstützung, obwohl der Schah keine verfassungsgemäßen Regierungskompetenzen hatte, die ihm die Ankündigung und Durchführung solcher Maßnahmen erlauben würden. Auch die verbotene Tudeh-Partei fand, nach der Annährung des Schah-Regimes an die Sowjetunion, Zustimmung für diese technokratische Modernisierung; der schlossen sich auch Teile der Maoisten in den siebziger Jahren an, nachdem die chinesische Regierung dem Schah-Regime die „nationale Souveränität“ attestierte. Nur die Islamisten, mit Chomeini an der Spitze, bekämpften die Modernisierung von Anfang an als unislamisch, später mit Al-e Ahmad als „Verwestlichung“, die als massenhafte Erfahrung des Bruchs in der Kontinuität der Lebenszusammenhänge der Iraner als eine Anomie erfahren wurde. Dieser Zustand mangelhafter sozialer Integrationserfahrung, der besonders durch ungewohnte Normabweichung und Nichtbeachtung bislang gültiger Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, mobilisierte die Massenbasis der revolutionären Erhebung, die unter die hegemoniale Führung der Islamisten geriet. Dazu haben nicht minder die nicht-islamistischen oppositionellen Strömungen beigetragen, die das Schah-Regime bloß als nicht national unabhängig bekämpften. Von daher dominierte „die nationale Unabhängigkeit“ die Glaubensaxiome und Werthaltungen der iranischen Opposition GEGEN das Schah-Regime. Darin bestand ihre Einheit, jenseits ihrer Differenzen.

 

In der Tat wurden die technokratischen Modernisierungsprozesse, die mit der Landreform eingeleitet wurden, von den USA dem Schah-Regime zunächst aufgenötigt. Sie hatten aus ihren eigenen Erfahrungen in Südostasien gelernt, dass man nur durch die Landreform den Wind aus den Segeln der linken oppositionellen Bewegungen nehmen kann. Dem Projekt musste der Schah aber schließlich widerwillig zustimmen, wenn er nicht übergangen werden wollte. Denn sie hatten mit dem Ministerpräsidenten Amini vergeblich versucht zunächst die Kooperationsbereitschaft der „Nationalfront“ dafür zu gewinnen. Mit ihrer Ablehnung, die schließlich zu ihrer praktischen politischen Bedeutungslosigkeit führte, übernahm der Schah selbst die Durchführung der Maßnahmen unter dem Titel „weiße Revolution“ oder „die Revolution von Schah und Volk“. Die enorme Zunahme der Erdöleinnahmen in den 70er Jahren beflügelte sogar seinen Hegemonialrausch, so dass er die beiden existierenden systemimmanenten Parteien auflöste und durch die einzige „Partei der Auferstehung“ (Rastakhiz) ersetzte. Wer nicht Parteimitglied werden wollte, sollte sogar auswandern. Mit diesem Einparteiensystem und den zuvor eingeführten systemtreuen Gewerkschaften und sonstigen Organisationen als „Transmissionsriemen“ des Regimes nach dem Model des Totalitarismus des „Ostblocks“, zentralisierte und personalisierte der Schah zwar seine Herrschaft weiter, verlor aber die aktive Unterstützung von Teilen der Technokraten und Bürokraten, die sich später der islamisierten Revolution anschlossen.

 

Die Entstehung der „Islamischen Republik“ als Ausgansbasis der Expansion der „Gottes Herrschaft“ auf Erden

 

Entscheidend ist aber, dass die überwiegenden Teile der die Revolution tragenden Menschen sich nicht aus Verfassungspatriotismus gegen das Schah-Regime erhoben, sondern eher aus diffusen „anti-imperialistischen“ Motiven. Allen voran die „Nationalfront“ und die islamisch geprägten „Liberalen“ unter Bazargans Führung, die traumatisiert durch den CIA-Putsch (1953), Chomeini praktisch Blankoschecks aushändigten und sich vollständig seiner Führung unterwarfen. Dieses Trauma trieb sie alle GEGEN das Schah-Regime, sie vergaßen aber dabei ihre von Mossadegh geerbte Tradition eines demokratischen Verfassungspatriotismus. Verblendet durch ihren eigenen Hass gegen das Schah-Regime und die Furcht vor erneuter US-Intervention zur Perpetuierung seiner krisenhaften Herrschaft, unterwarfen sie sich einem Islamisten, dessen schriftlich dargelegte Vorstellung über den „Islamischen Staat“ längst bekannt hätte sein müssen. Von ihrem Hass und ihrer Furcht getrieben, haben sie undifferenziert wie viele andere, den Islamismus Chomeinis irreführend mit „dem Islam“ gleichgesetzt. Dies obwohl der Islam die Muslime nur verpflichtet, für ihre Religionsfreiheit zu kämpfen, während der Islamismus die Religionsfreiheit bekämpft. Denn für den Islamisten sind alle andere außer ihm Ungläubige, die entweder seiner Lesart des Islams folgen oder bekämpft werden müssen. Zentral ist für den Islamisten vor allem die Durchsetzung der „Souveränität Gottes“ und seiner Gesetze, der Scharia, in jedem Lebensbereich und in der ganzen Welt. Deswegen erkennt der Islamist auch keine nationalstaatliche Souveränität oder keine „territoriale Integrität“ der Staaten an, die seiner Herrschaft im Namen Gottes unterworfen werden müssen.

 

Selbst der als „aufgezwungen“ deklarierte „Iran-Irak-Krieg“, der zunächst von Chomeini als „Gottes Segen“ gefeiert wurde, sollte „über Kerbela zu Jerusalem“ führen, obwohl Saddams Armee längst aus dem Land getrieben und Saddam verhandlungsbereit war. Damit sollte der Krieg nicht nur zur Stabilisierung der klerikalen Herrschaft beitragen, sondern auch das „Mutterland der Gläubigen („Ommol Ghora“) expandieren. Selbst die Eroberung Jerusalems hat für die Islamisten eine symbolische Bedeutung. Es geht ihnen gar nicht um die Herstellung nationaler Souveränität der Palästinenser. Deswegen wird die verhandlungsbereite PLO, der einer „Zweitstaaten-Lösung“ bereits zugestimmt hat, als Verräter verunglimpft. Die allseitige Unterstützung militanter islamistischer Palästinensergruppen, zielt auf die Zerstörung Israels als einer der Identität stiftenden Staatsziele der „Islamischen Republik“. Deswegen zählt Israel neben USA zu den deklarierten Hauptfeinden der „Islamischen Republik“. Mit der „Zerstörung Israels“ soll u.a. die erlittene Schmach zur Zeit der „Kreuzzüge“ vergolten werden, während der Sieg über die Hegemonialmacht USA die Weltherrschaft der Islamisten im Namen Gottes besiegeln soll. Damit fordern sie die ganze Welt heraus und erklären sie pflichtgemäß als Feinde, erklären sich zugleich als Opfer der abzuwehrenden feindlichen Aggressoren. Es ist daher kein persönlicher „Tick“ Khameneis, der in seinen Reden immer wieder die Feinde der „Islamischen Republik“ heraufbeschwört. Diese „fixe Idee“ ist der Kern der Glaubensaxiome und Werthaltungen der Islamisten, die eine Weltherrschaft anstreben. Sie ist ein permanenter Aufruf zum chiliastischen Atavismus, d.h. zur Aufbruchsbereitschaft, um paradiesische Glückzustände auf Erden herzustellen. Die als „Selbstverteidigung“ deklarierte atomare Aufrüstung samt den ballistischen Raketen sollen sie auf diesem Weg unangreifbar machen. Deswegen rechtfertigen sie ihre Arsenale auch „Verteidigungswaffen“, wozu sie völkerrechtlich berechtigt seien. Dass diese Expansionspolitik die Nachbarländer und die Weltgemeinschaft beunruhigt, die zu Gegenmaßnahmen wie Sanktionen getrieben werden, wird dann als „Kriegserklärung der Feinde“ deklariert. Die Verteidigung dieser Bedrohung der „territorialen Integrität“ des Landes zur Herstellung „nationaler Souveränität“ Irans wird dann als heilige Pflicht erklärt, wofür sogar die unzähligen Schüler mobilisiert werden sollen. Kein Wunder, dass die Bürgerinnen und Bürger Irans in ihren letzten massenhaften Protestdemonstrationen immer wieder eine weitverbreitete Parole skandierten: „Unserer Feind ist heimisch; es ist gelogen, dass es die USA sind“. Dieses Selbstbewusstsein der Menschen in Iran manifestierte sich unübersehbar massiv in der blutig nieder geschlagenen „grünen Bewegung“ der sich im Präsidentschaftswahl 2009 betrogen fühlenden Menschen, die einfach fragten: „wo bleibt meine abgegebene Stimme“? Das war die Geburtsstunde des staatsbürgerlichen Selbstbewusstseins der ihre Rechte fordernden Menschen.

 

Seitdem verteidigen die Iraner als selbstbewusste Staatsbürger ihre „Nationale Souveränität“ und „territoriale Integrität“ in einem emanzipativen Kampf gegen den Islamismus als ihrem gemeinsamen Feind. Sie behaupten so ihre eigene Handlungsfähigkeit als wesentlich menschliches Merkmal. Dazu wollen sie sich von den islamistischen Usurpatoren befreien, die sie erneut für die Verteidigung „territorialen Integrität“ der Islamisten als Kanonenfutter instrumentalisieren wollen. Ihre eigene Souveränität als Menschen werden sie daher nur erkämpfen durch die Abschaffung der widerrechtlichen Machtergreifung der Islamisten, die sie mit der Scharia als ewig geltenden „Gottes Gesetze“ auf tierische Handlungsunfähigkeit herabwürdigen. Für die Herstellung ihrer nationalstaatlichen Souveränität werden sie daher ihre Rechtsstaatlichkeit als Rechtsgenossen herstellen müssen. Darin sehen sie nun ihre emanzipatorische Aufgabe. So erkämpfen sie ihre nationale Souveränität in einem Kampf für ihre eigene Freiheit im Sinne ihrer Handlungsfähigkeit als menschliche Wesen gegen inneren und äußeren Feinde zugleich. Nur in diesem Sinne kann ihre Parole gedeutet werden, die sie in ihren Massenprotesten zuletzt skandierten: „Unserer Feind ist heimisch; es ist gelogen, dass es die USA sind“.

 

Sollte die Weltgemeinschaft sich immer noch ihrer demokratischen Integrität bewusst sein und die Werte verteidigen, auf die sie stolz ist, müssten sie den Iranern in diesem schicksalhaften Kampf für ihre Menschenrechte beistehen; anstatt wie üblich irgendwelche potentiellen Interessenvertreter im künftigem Iran zur Macht verhelfen zu wollen. Denn ihr längerfristiges Interesse liegt auch in einem stabilen Rechtsstaat eines zur friedlichen Koexistenz fähigen Iran. Darin haben sie mit den demokratischen Iranern eine Interessengemeinschaft, die es zu verteidigen lohnt.

 

 

Hannover, 17.06.2019