(04. August 2013) - Große Erwartungen an die Präsidentschaft Rohanis in Iran sind illusionär. Die Hindernisse des Systems schränken Handlungsspielräume entscheidend ein. Ein Plädoyer.
In diesem Beitrag möchte ich die Notwendigkeit gewaltloser humanitärer Intervention in Iran angesichts institutionalisierter Verletzung der Menschenrechte begründen und zwar in Anbetracht der illusionären Erwartungen, die die Wahlversprechen des neuen iranischen Präsidenten Rohani erwecken. Denn es gibt unzählige Versprechen, deren systemimmanente Erfüllung beim besten Willen mit unüberwindbaren institutionalisierten Hindernissen konfrontiert wird. Ihre Erfüllung würde die Abschaffung der verfassungsmäßig verankerten Scharia als Bezugsrahmen jeglicher Entscheidungs- und Handlungsspielräume voraussetzen.
Die Statthalterschaft des Faghih (Rechtsgelehrten, D.G.) ist eine relative Angelegenheit, sie wird durch Ernennung übertragen, ein Akt, der vergleichbar ist mit der Ernennung eines Vormundes für Minderjährige. Vom Standpunkt der Aufgabe und der Stellung besteht kein Unterschied zwischen dem Vormund der Nation und einem Vormund für Minderjährige.
Ajatollah Khomeini: Der islamische Staat
Zu diesen unerfüllbaren Wahlversprechen gehören u. a. die versprochene Überwindung der Frauen- und konfessionellen Diskriminierungen, die zuweilen mit ethnischen Diskriminierungen einhergehen. Eine Institutionalisierung der Freiheit und Gleichheit im Sinne der zunehmenden Erweiterung der Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Menschen als Einzelne und unabhängig von ihren Gruppenzugehörigkeiten ist im Rahmen der "Islamischen Republik" ein unmögliches Unterfangen.
Dies hat nicht nur die bisherige Erfahrung der Menschen seit der Konstitution dieser "Republik" bewiesen. Das dieser Staatsform zugrunde liegende Menschenbild als ewig unmündige Menschen widerspricht der individuellen Freiheit, der Gleichheit und dem Ethos der Menschenrechte. Als ewig unmündige Menschen haben Menschen demnach keine Rechte, sondern nur religiöse Pflichten.
Dies drückt sich nicht nur in den verfassungsmäßigen Einschränkungen aller in der Verfassung verankerten bürgerlichen Rechte und Menschenrechte durch die Scharia aus, sondern auch in der Islamisierung der Menschenrechte, die, anstatt den Islam zu humanisieren, die Menschenrechte archaisiert, indem sie die vorislamischen archaischen Verhaltens- und Erlebensmuster der arabischen Stämme zu "Gottes Gesetz" erklärt und die Scharia als einzigen Bezugsrahmen aller Menschenrechte zugrunde legt (siehe Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam).
Die Einschränkung dieser Rechte durch die Scharia bedeutet vor allem die institutionalisierte Diskriminierung der Frauen und der nicht "gläubigen Muslime" in allen Lebensbereichen. Nur der "gläubige Muslim" gilt in der Verfassung der "Islamischen Republik" und in den "Islamischen Menschenrechten" als vollwertiger Mensch.
In der Alltagspraxis der "Islamischen Republik", gehören aber nur diejenigen Muslime in diesen exklusiven Kreis der Privilegierten, die als Zwölfer Schiiten ihre "praktische Loyalität gegenüber der bestehenden Ordnung bewiesen haben" ("eltezam-e amali be nezam"). Diese konfessionell narzisstisch eingeschränkte Reichweite der Identifizierung der sich gruppencharismatisch erfahrenen "gläubigen Muslime" mit Menschen prädestiniert die Destruktivität dieses Rechtssystems, wie sie sich in der unerträglichen diskriminierenden und gewalttätigen Alltagspraxis der Etablierten in der "Islamischen Republik" manifestiert.
Hinzu kommen die strafrechtlichen Folgen der praktischen Rechtsprechung im Namen der Scharia, wie sie sich vor allem in der martialischen strafrechtlichen Gesetzgebung und Praxis der "Islamischen Republik" in erschreckender Weise zeigt.
Das "islamische Strafrecht" folgt einer Rechtsfigur, die seit 112 v. Chr. als Talion bekannt ist - nach der zwischen dem Schaden, der einem Opfer zugefügt wurde, und dem Schaden, der dem Täter zugefügt werden soll, ein Gleichgewicht angestrebt wird. Der nicht nur biblische Ausdruck "Auge um Auge" ist ein Spezialfall davon, in dem dieses Gleichgewicht nach einer Körperverletzung durch Zufügen eines gleichartigen Schadens hergestellt werden soll.
Davon ist die "Spiegelstrafe" zu unterscheiden, die neben der Gleichartigkeit des Schadens, den der Täter erleidet, auch eine Anknüpfung an Organe, mit denen die Tat begangen wurde, vornimmt, z. B. das Abhauen der Diebeshand. Die Talion ist ein Unterfall der "Vergeltung", die auch solche Schädigungen eines Täters umfasst, die über die Talion hinausgehen, und ist zur Zeit der Privatstrafe, bei der die Bestrafung des Täters dem Opfer zugesprochen wurde, vom Schadensersatz kaum zu unterscheiden.
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Allerdings ist dieser Schadensersatzanspruch in der "islamischen Republik" diskriminierend und gilt nicht für alle Menschen gleichermaßen. Er gilt nur für "die gläubigen männlichen Muslime", nicht aber für muslimische Frauen und Kinder sowie Nichtmuslime. Diese Diskriminierung manifestiert sich z.B. in der Verhängung der "Todesstrafe wegen vorsätzlichem Mordes" in der "Islamischen Republik".
In dem gegenwärtig geltenden Strafrecht sind Menschen und ihr Leben nicht gleichwertig. Ihr Wert variiert je nach ihrem Geschlecht, sowie deren religiöser, konfessioneller, politischer Einstellungen und Verwandtschaftsbeziehungen. Abgesehen von der Straffreiheit der Mörder der Menschen, die als potentielle Gefahr für die bestehende Ordnung kein Lebensrecht haben und deswegen Opfer des Staatsterrors im In- und Ausland werden, verdient nicht jeder normale Mörder die Todesstrafe gleichermaßen. Weil nach dem geltenden Strafrecht nicht jeder Mensch gleiches Recht auf Leben hat.
So darf ein muslimischer Mörder eines Menschen, der nicht Muslim ist, nicht zum Tode verurteilt werden. So darf ein Mann muslimischen Glaubens seine muslimische Frau ermorden, ohne deswegen hingerichtet zu werden. Hingerichtet werden kann er nur, wenn die Familienangehörigen des Opfers die Hälfte des "Blutwertes" eines muslimischen Mannes dem Mörder oder seiner Familienangehörige nicht als Kompensation bezahlt.1
Nach dem § 220 des geltenden Strafrechtes dürfen sogar die Väter und Großväter der Kinder, die sie vorsätzlich getötet haben, nicht zum Tode verurteilt werden, weil sie nach dem Gesetz ihre Eigentümer sind. Sie werden höchstens zur Zahlung ihres "Blutwertes" verurteilt. Nach § 630 des Strafrechtes darf ein Ehemann, der seine Frau mit ihrem Liebhaber in flagranti ertappt, sie und ihren Liebhaber straffrei ermorden.
Selbst ein Ehemann, der seine Ehefrau unter dem Verdacht des Ehebruches vorsätzlich ermordet, darf nicht zum Tode verurteilt werden. Er steht unter dem Schutz des Gesetzes. Nach § 226 und dem Zusatz zum § 295 des "islamischen Strafrechtes", darf ein "gläubiger Muslim" "zum Schutz der islamischen Werte" straffrei jeden ermorden, der seiner Meinung nach gelästert hat. Er hat laut Gesetz seine "religiöse Pflicht" erfüllt. Nach den zuletzt genannten Paragrafen gibt es "Menschen, die kein Lebensrecht genießen", sie sind "Mahdur’aldam", die straffrei ermordet werden können.
Dazu gehören nach der bisherigen Praxis u.a. die Bahais, die missionierenden Christen und die konvertierten Muslime, sowie die für die bestehende Ordnung potentiell als gefährlich eingeschätzten Menschen wie die ermordeten 10.787 namentlich bekannten politischen Gefangenen2, die 1988 in den iranischen Gefängnissen ihre verhängten Strafen absaßen. Dazu gehören auch die 1988-1989 "seriell ermordeten Intellektuellen" im Iran sowie die seit der Etablierung der "Islamischen Republik" im Ausland ermordeten Oppositionellen.
Nach dem geltenden "islamischen Strafrecht" gibt es sogar Hinrichtungen, die mit Folter begleitet werden, so müssen nach §§ 83 und 99 die zum Ehebruch verurteilten Männer und Frauen gesteinigt werden. Nach § 101 dieses Gesetzes sind die "gläubigen Muslime" sogar verpflichtet, an dieser barbarischen Hinrichtung teilzunehmen.
Trotz dieser barbarischen Rechtspraxis, die am 21. Dezember 2010 durch die UNO-Vollversammlung verurteilt wurde, betonte Djavad Laridjani - der "Sekretär des Menschenrechtsstabes des Justizministeriums - in der letzten Menschenrechtskommissionssitzung der UNO3 am 18.11.2010, seinen konfessionellen, gruppencharismatischen Narzissmus durch die Hervorhebung der "Islamischen Menschenrechte" und die Rechtsprechung in der "islamischen Republik" als eigene Werte der Muslime, worauf sie stolz seien.4
Diese Fixierung des Establishment der "Islamischen Republik" an die als ewig und unveränderbar definierte archaische soziale Praxis der vorislamischen Araber als Scharia, die jedes positive Recht so auch "die Islamischen Menschenrechte" einschränkt, manifestiert zudem die nekrophile Orientierung ihrer Urheber, neben ihrer narzisstischen Orientierung.
Diese narzisstische Selbstwertbeziehung der "Kairoer Erklärung der Islamischen Menschenrechte", wie sie gleich in der Präambel hervorgehoben wird, unterstreicht ihren Ursprung im Islam als der "wahren Religion" und der Lebensart der islamischen Gemeinschaft (Umma) die als beste aller menschlichen Gesellschaften beschrieben wird5
Im Gegensatz zu demokratischen Verfassungen steht hier nicht das "Individuum" im Vordergrund, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen (Umma) als Kollektiv. Damit neigt hier die Balance zwischen Individuum und Gesellschaft zugunsten der letzteren im Sinne einer kollektiv geprägten Identität der Menschen als Manifestation der Triade ihres Verfallssyndroms: der symbiotischen Fixierung an eine Gemeinschaft der gläubigen Muslime, ihrer konfessionellen narzisstischen Orientierung, die die islamische Umma als beste aller menschlichen Gesellschaften beschreibt und nekrophil der Scharia als Bezugsrahmen aller Entscheidungs- und Handlungsspielräume absolute Priorität einräumt
Sie ist destruktiv, weil sie unter dem Schutz der islamischen Scharia, die Praktiken, beispielsweise der Körperstrafen, legitimiert, welche die Integrität und Würde des menschlichen Wesens angreifen. Bei fast jedem Verweis auf die verfassungsmäßig garantierten bürgerlichen Rechte und Freiheiten sowie die Menschenrechte machen die Verfassung der "Islamischen Republik" und "die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam" die Einschränkung, dass diese Rechte im Einklang mit der Scharia ausgeübt werden müssten.
Artikel 22 dieser Erklärung z. B. beschränkt die Redefreiheit auf diejenigen Meinungsäußerungen, die dem islamischen Recht nicht widersprechen.6 Auch das Recht zur Ausübung öffentlicher Ämter könne nur in Übereinstimmung mit der Scharia wahrgenommen werden, weswegen die nicht-schiitischen Muslime sowie Nichtmuslime und Frauen in der "Islamischen Republik" systematisch diskriminiert werden.
Angesichts dieser institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen halte ich gewaltlose humanitäre Interventionen für eine unabdingbare Notwendigkeit, sollten die deklarierten Menschenrechte nicht nur auf dem Papier stehen. Doch bevor die möglichen Formen der gewaltlosen humanitären Intervention diskutiert werden, müssen die zivilgesellschaftlichen Entwicklungsprozesse identifiziert werden, die dadurch unterstützt werden sollen, die sich aus dieser institutionalisierten Verletzung der Menschenrechte ergeben. Die Einsicht in die Sozio- und Psychogenese der systemimmanenten Menschenrechtsverletzungen macht die Notwendigkeit der gewaltlosen humanitären Intervention nachvollziehbarer.
Die zivilgesellschaftlichen Entwicklungsprozesse im Iran manifestieren sich gegenwärtig in einer vielschichtigen sozialen Bewegung, die Produkt der sieben Hauptspannungsachsen der Gesellschaft sind. Sie ergeben sich aus:
Die vielschichtigen sozialen Bewegungen, die sich aus diesen Konflikten ergeben, sind ein Nachholeffekt des sozialen Habitus der zunehmend rechtbewussten und mündigen Bürger, die ihre Bürger- und Menschenrechte erkämpfen.
Erst durch realistische Lösungsstrategien für diese Hauptkonflikte im Rahmen der Menschenrechte hat die zivilgesellschaftliche Entwicklung eine Zukunftschance - diese Entwicklung darf keineswegs deterministisch begriffen werden.
Eine gewaltlose humanitäre Intervention richtet sich auf die Unterstützung der gewaltlosen Austragung dieser sozialen und politischen Konflikte, ohne ihre Zielrichtungen bestimmen zu wollen. Die Respektierung der Autonomie dieser sozialen und politischen Bewegungen ist die unabdingbare Voraussetzung jeder humanitären Intervention. Die Unterstützung der gewaltlosen Austragung der Konflikte zwischen Regierenden und der Regierten und gruppenspezifischer Konflikte in der "Islamischen Republik" kommt im Sinne der institutionellen Demokratisierung Irans große Bedeutung zu.
Denn die "islamische Republik" ist Folge der "Islamisierung" einer Revolution, die als Funktion einer wachstumsorientierten Modernisierung einer funktionellen Demokratisierung der Gesellschaft Vorschub leistete, aber zugleich die institutionelle Demokratisierung der Gesellschaft und des sozialen Habitus der involvierten Menschen unterband. Die Islamisierung der Revolution ist daher ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus der sie tragenden Menschen. Sie manifestierte sich in ihrem autoritären Charakter, der die charismatische Führungsfunktion Khomeinis hervorbrachte.
Bei dieser "Islamisierung" der sich entwickelnden Staatsgesellschaft dominierte vor allem die Durchsetzung des dogmatischen Gehaltes einer Zwölfer schiitischen Lesart des Islams, die gegenwärtig durch Extremkonservativen "Usulgerajan" ("Prinzipienorientierte") repräsentiert wird, während mit der Unterdrückung der liberalen Islamisten der ethische Gehalt der Religion zunehmend in Vergessenheit geriet.
Diese Vernachlässigung des ethischen Gehaltes des Islam ergab sich aus der von Khomeini geforderten Systemerhaltung um jeden Preis, die zu einer Glorifizierung einer besonderen Lesart der versteinerten Dogmen führte. Denn für Khomeini hatte die Systemerhaltung im Sinne der machiavellistische Sicherung der "Schriftgelehrten Herrschaft" absolute Priorität ("odjeb-e vadjebat"), wofür sogar die Primärgebote des Islams zeitweise suspendiert werden dürften.
Was Khomeini aber unter "Islamische Republik" verstand, hatte er bereits in den sechziger Jahren in seinem Exil in Irak in seinem Buch über den "Islamischen Staat" (Velajat-e Faghih), die "Schriftgelehrten Herrschaft"7 dargestellt. Damit hat er die Notwendigkeit der Durchsetzung eines sozialen Glaubenssystems begründet, in dem die Theokratie der Dreh- und Angelpunkt ist.
Wie in jedem sozialen Glaubenssystem steht im Zentrum des Khomeinismus die Frage, in welcher Weise Menschen ihr eigenes gesellschaftliches Leben miteinander ordnen sollen. Für ihn ist die normative Struktur der Gesellschaft durch die Scharia vorgegeben, denn Koran und Überlieferungen liefern das ewig gültige normative Regelwerk für die Gesellschaft der Menschen von ihrem Geburt bis zu ihrem Tod. Sie seien nicht nur gültig für kurze Zeit der Herrschaft Muhammads und der ihm folgenden 12 Imame gewesen, sondern ewig.
Somit werden die normativen Strukturen einer archaischen Gesellschaft der arabischen Stämme vor 14 Jahrhunderten zu ewigen göttlichen Gesetzen erklärt, deren situationsgerechte Interpretation nur dem "Schriftgelehrten" zusteht. Ohne die ethischen Grundlagen dieses überlieferten archaischen Regelwerks als Regulationsprinzip sozialer Beziehungen und Konflikte führt ihre formelle Exekution zu jener Vergewaltigung der sich modernisierenden Beziehungen, die die aufgezählten Hauptspannungsachsen hervorbringen und zunehmend verschärfen.
Diese normative Regression wird mit der immer noch dauernden Verborgenheit des 12. Imam, Mahdi rationalisiert: Da der 12. Imam entrückt sei, sind die "Schriftgelehrten" zur Durchsetzung dieser normativen Strukturen verpflichtet, um Chaos zu verhindern; denn es kann ja sein, dass der entrückte Mahdi noch einige Jahrtausende verborgen bleibe. Ausgangspunkt seiner Begründung der Notwendigkeit der "Schriftgelehrten Herrschaft" ist aber ein menschenverachtendes Menschenbild als ewig Unmündigen, die einen Vormund brauchen.8
Als Unmündige haben Menschen daher keine Rechte, sondern nur Gehorsamspflichten gegenüber Gottes Stellvertreter auf Erden, dem Rechtsgelehrten. Als "Gottes Untertanen" werden die Menschen in der "Islamischen Republik" zu "Untertanen der Stellvertreter Gottes", also der Geistlichkeit, degradiert.
Die soziale Basis dieser nekrophilen Herrschaftsform besteht aus jenen sozialen Gruppen, die durch die "Modernisierung" der Staatsgesellschaft sozial abgestiegen waren, vor allem:
Ihre gemeinsame Identifikation miteinander über ihren charismatischen Führer, Khomeini, konstituierte die Massenbasis des Khomeinismus in Gestalt der sozialen Bewegung der "islamischen Gemeinschaft", mit ihrer inzestuösen Symbiose mit Khomeini als Quelle ihrer narzisstischen Befriedigung. Diese Identifikation mit dem Aggressor untermauert eine "Radfahrermentalität" und führt zu einer pathologischen Form von Intoleranz, die als "kulturschützendes Verhalten" gefordert wird und in einem Hegemonialrausch das nachrevolutionäre Alltagsleben geprägt hat.
Diese Form der Identifikation manifestiert sich in der alltäglichen Betreuung ihrer Unterwerfung gegenüber dem mächtigen "Führer" und gleichzeitigem Zertreten der Machtschwächeren als Kompensation des Zugeständnisses der eigenen Wertlosigkeit.
Die Akzeptanz dieses Bildes eines unmündigen Menschen impliziert das Eingeständnis des Fehlens eines relativ autonomen Gewissens, das die moralischen Funktionen der Persönlichkeit umfassen würde. Für die Verhaltenssteuerung dieser scheinbar mehr oder weniger urteils- und entscheidungsunfähigen Menschen kann demnach weniger ihr Gewissen ausschlaggebend sein als vielmehr ihre Orientierung an einem "lebenden Vorbild", das allein über göttliche Orientierungs- und Kontrollmittel verfügen kann.
Nur die Nachahmung dieses Vormundes macht eine gottgefällige Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Beherrschung der alltäglichen Kontrollsituationen erst möglich. Die Garantie des moralischen Verhaltens ist also gebunden an ein externes Orientierungswissen, über das nur bestimmte auserwählte Menschen verfügen können. Bei diesem Mangel eines individuellen Rechts- und Moralsubjektes gilt der "Führer" als gesellschaftliche Zentralinstanz, an der sich die Menschen zu orientieren haben.
In solch einer Gesellschaft ist die Schriftgelehrtenherrschaft die Herrschaft eines göttlich bestimmten Vormundes, der Hüter von Ordnung und Gesetz des Islam ist. Diese Herrschaft wäre als solche ewig9, weil die Menschen immer unvollkommen sind und der Vollkommenheit bedürfen.10. Sie ist insofern eine "ewig" äußerlich notwendige Durchsetzungsform der Gesetze in Gestalt des Normbewusstseins, weil sich diese Moral mehr als ethisches Wissen der Rechtsgelehrten als "Vorbilder" etabliert denn als Gewissensmoral der Gläubigen:
"Da die islamische Regierung die Regierung des Gesetzes ist, müssen Kenner der Gesetze und vor allem die Theologen die Führung des Staates übernehmen"
Khomeini
In diesem Sinne "verkörpern die Rechtsgelehrten das Gesetz" und "das Volk und die Muslime sind im Rahmen der religiösen Vorschriften frei, d.h., wenn sie sich an die Vorschriften des Islams halten, darf sie niemand belästigen" (Khomeini,11).
Hiermit wird die Gleichheit und individuelle Freiheit im Sinne eines individuellen Entscheidungs- und Handlungsspielraums ausdrücklich durch die als göttlich definierten Gesetze eingeschränkt. Die Akzeptanz dieser Einschränkung setzt aber eine Verschiebung der Balance zwischen Rechts- und Pflichtbewusstsein eines Gläubigen zugunsten des Pflichtbewusstseins eines autoritären Menschen voraus, der im Extremfall keinen individuellen Rechtsanspruch kennt. Er kennt nur seine religiös sanktionierten Pflichten, deren Verletzung er als Sünde fürchtet. Es ist dieser spezifische Aspekt des sozialen Habitus der Mehrheit der islamisch geprägten Menschen, die eine Re-Islamisierung der Gesellschaft im Sinne einer institutionellen Ent-Demokratisierung ermöglichen kann und ermöglicht hat.
Sie ist ein "Nachhinkeffekt" des sozialen Habitus der die Revolution tragenden Menschen, bei denen der Wandel der Persönlichkeitsstruktur dem funktionellen Strukturwandel der Gesellschaft und damit einhergehenden funktionellen Demokratisierung - im Sinne der Verschiebung der Machtbalance zugunsten der Machtschwächeren - hinterher hinkt. Damit erweist sich die "Islamische Republik" als ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus jener Iraner, die sich entweder noch nicht gefunden oder wieder verloren haben und sich mehr oder weniger als unmündige Untertanen ihrem Führer unterwerfen und in Ihrem Hegemonialrausch eine sektiererische Intoleranz kultivieren.
Unmittelbar nach der Revolution, vor allem nach dem Iran-Irak-Krieg setzte aber ein allmählicher Wandel im Verhalten und Erleben einer zunehmenden Zahl der Menschen ein, der als praktische Kritik der Islamisierung der Revolution und der nachrevolutionären Staatsgesellschaft zu verstehen ist. Diese Kritik ist zurückzuführen auf die allgemeine Erfahrung einer Islamisierung, deren Sinn und Bedeutung für die Mehrheit der Bevölkerung in ihrer sukzessiven Enteignung und Abwertung bzw. Erniedrigung bestand.12. Sie wurd zugleich begleitet durch praktische alltägliche Versuche der Wiederaneignung der inzwischen durch eine immer kleiner werdende Kerngruppe der Herrschaft monopolisierten Macht- und Statusquellen.
Die blutig niedergeschlagene "Grüne Bewegung", eine der Höhepunkte dieser zivilgesellschaftlichen Entwicklungsprozesse, ist daher der Nachholeffekt des sozialen Habitus der zunehmend rechtbewussten und mündigen Bürger, die ihre Bürger- und Menschenrechte erkämpfen. Die Transformation der gemeinsamen gesellschaftlichen Ausprägung ihres individuellen Verhaltens, ihrer Sprache und Denkweise, ihrer Gefühlslage und vor allem ihrer Gewissens- und Idealbildung - kurz: des Grundschemas ihrer Persönlichkeitsstruktur holte die relativ rascher vorauseilende soziale Differenzierung nach.
Daher ist die "Grüne Bewegung" zugleich eine erneute Manifestation der chronischen institutionellen Krise der "Islamischen Republik". Diese institutionelle Krise ist Funktion des Antagonismus zwischen der republikanischen Komponente der Verfassung und der in ihr verbrieften "absoluten Herrschaft der Schriftgelehrten". Dieser Antagonismus ist nur aufhebbar entweder durch die Suspendierung ihrer republikanischen Komponente, so wie es die etablierten Kerngruppen der Macht seit Jahrzehnten versuchen, oder durch die Aufhebung der Herrschaft der Schriftgelehrten.
Nur durch die Aufhebung dieser Quadratur des Kreises ist die chronische institutionelle bzw. Staatskrise lösbar. In diesem Zusammenhang kann man angesichts der bestehenden institutionellen und realen Machtbalance die Bedeutung der 11. Präsidentschaftswahlen im Iran einschätzen. Zuvor aber möchte ich die Funktion der Wahlen für die involvierten Menschen und Gruppen sowie deren Folgen kurz diskutieren.
Zur Funktion der Wahlen für das Regime
Zur Funktion der Wahlen für die Wahlbeteiligung der "Reformisten"
Zur Funktion der Wahlen für die Wähler
Praktische Konsequenzen der Wahlergebnisse
Um die gewaltlose Austragung der sich aus den Hauptspannungsachsen ergebenden Konflikte zu erleichtern, bedarf es der nachhaltigen internationalen Unterstützung der sie tragenden Bewegungen im Iran in Form humanitärer Interventionen. Sie dürfen keine außenpolitisch instrumentalisierende "Unterstützung", d.h. nicht egoistisch an eigenes nationalstaatliches Interesse der Intervenierenden gebunden, sein, sondern müssen altruistisch motiviert sein.
Als humanitäre Interventionen dürfen sie keine außenpolitischen Ersatzhandlungen sein, die in der Regel nationalstaatliche Interessen verfolgen, sondern komplementär im wahren Interesse der nationalstaatlich organisierten und global zunehmend interdependenten Menschheit. Zu diesen humanitären Interventionen gehören, die massive Unterstützung der gewaltlosen Austragung der:
Es gibt inzwischen eine unüberhörbare internationale, vernehmbare Stimme, die einen "Verzicht auf Regimewechsel" als einen angemessenen Lohn für iranischen Verzicht auf atomare Ausrüstung Irans propagiert. Dabei suggeriert sie die Annahme, dass die geforderten humanitären Interventionen eine Aufforderung zum extern gesteuerten Regimewechsel im Iran bedeuten. Die praktische Konsequenz dieser Forderung ist eine ethisch unakzeptable Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen Irans.
Die Gefahr der Akzeptanz dieser moralisch und politisch verwerflichen internationalen Politik gegenüber Iran wird angesichts der Präsidentschaft Rohanis noch größer, angesichts seiner zweijährigen Erfahrungen als erster Verhandlungsführer Irans über die friedliche Nutzung der Nuklearenergie. Dabei ist davon auszugehen, dass er in Anbetracht der inzwischen angewachsenen einheimischen nuklearwissenschaftlichen Kapazität Irans und der damit einhergehenden technischen Fähigkeit zur Produktion der Atombombe sowie des erreichten Niveaus der Anreicherung von Uranium, international befriedigende vertrauensbildende Maßnahmen zustimmt, um die - inzwischen das Regime existentiell bedrohende - internationalen Sanktionen aufzuheben.
Diesen Kuhhandel abzuwehren, sollte das Hauptanliegen aller internationalen Bemühungen zur aktiven Verteidigung der Menschenrechte in Iran sein, ohne eine friedliche Regelung dieses Konfliktes zu torpedieren. Zumal nur 40% der verhängten Sanktionen wegen mangelnden Transparenz des Nuklearprograms Irans verhängt worden sind.
Eine Diskussion über die gegenwärtig angemessenen Formen der gewaltlosen humanitären Interventionen zum Schutz der Menschenrechte im Iran sollte, als Alternative zu dieser schrecklichen Form der Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen, für die Unterstützung einer nachhaltigen friedlichen Koexistenz durch eine zivilgesellschaftlich gestützte demokratische Regierung im Iran sorgen.
Die gewaltlose humanitäre Intervention in Form aktiver Unterstützung zivilgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse reduziert prophylaktisch die Gefahr blutiger Austragung sozialer Konflikte und erhöht die Chance der gewaltlosen Überwindung bestehender institutioneller Blockaden sozialer Mobilität und die Aussicht auf friedliche institutionelle Demokratisierung der iranischen Staatsgesellschaft.