22.05.2019 - mehriran.de - Prof. Dawud Gholamasad setzt hier seine Gedanken zur gegenwärtigen internationalen Iran-Politik fort und weist auf die völkerrechtlichen
Verpflichtungen der „Islamischen Republik“, an die jeder Staat gebunden ist, der sich in Konfliktfällen auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ als völkerrechtlich garantiertes Grundrecht
beruft.
In diesem Beitrag möchte ich auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der „Islamischen Republik“ hinweisen, an die jeder Staat gebunden ist, der sich in Konfliktfällen auf das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ als völkerrechtlich garantiertes Grundrecht beruft. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nicht nur die völkerrechtlichen Schranken der „nationalen Souveränität“ im 21. Jahrhundert geflissentlich vergessen dürfen. Auch die internationale Verpflichtung zur Sanktionierung dieser Schranken darf in dem „kritischen Dialog“ nicht ignoriert werden: die wirkungsmächtige Mahnung die völkerrechtlich verbrieften bürgerlichen und politische Rechte im Iran einzuhalten, darf daher keinem pragmatisch legitimiertem und Eigeninteressen verfolgendem diplomatischen Kalkül zum Opfer fallen.
1. Zwei unverantwortliche Umgangsformen mit der „Islamischen Republik“ Iran.
Es gibt gegenwärtig zwei diametral entgegengesetzte gefährliche zwischenstaatliche Beziehungen mit der „Islamischen Republik“ Iran, mit dem Ziel „Stabilität“ im Nahen und Mittleren Osten herzustellen und zu erhalten. Beide teilen eine Vernachlässigung der Menschenrechte im Iran.
Die eine ist eine durch die Hegemonialmacht USA getragene Außenpolitik unter der Führung Donald Trumps, der nicht nur die „white supremacy“ in USA anstrebt, sondern auch die weltweite unangefochtene US-Hegemonie als einziger Supermacht im Nachgang des Zerfalls der bipolaren Hautspannungsachse internationaler Beziehungen im Zusammenhang mit dem Niedergang der „Sowjetunion“. Dies obwohl die vorherrschende Multipolarität internationaler Beziehungen sogar die Steuerungschance des machtstärksten Staates der Welt eher verringert hat. Trotzdem glaubt Trump durch Teilen, herrschen zu können, weswegen er auch u.a. auf den Zerfall Europas setzt. Diese egomanisch geprägte Außenpolitik, die das Völkerrecht nur selektiv und interessengeleitet befolgt, ist aber genauso gefährlich wie die regionale Aggression der „Islamischen Republik“, die sie durch gewaltsame Interventionsdrohungen zu bändigen versucht. Gemeinsam ist beiden Staaten jedoch, dass sie von einem „Naturzustand“ zwischenstaatlicher Beziehungen ausgehen und sich nur auf die eigene Machtstärke stützen. Für sie ist anscheinend die Gewalt als Regulationsprinzip zwischenstaatlicher Beziehungen noch nicht völkerrechtlich überwunden. Sie glauben immer noch an einen „Krieg aller gegen alle“ mit dem Vorteil des Machtstärkeren.
Auf der anderen Seit dominiert eine verantwortungslose außenpolitische Toleranz gegenüber allen möglichen innen- und außenpolitischen Schandtaten der „Islamischen Republik“, die seit 40 Jahren als „kritischer Dialog“ praktiziert wird. Glaubt man, dass man sich mit dieser „schrecklichen Toleranz“ gegenüber den unübersehbaren Rechtverletzungen wieder auf eine kollektive Ignoranz und Amnesiebeziehen kann, um das Versagen der Eigenverantwortung zu rationalisieren? Oder glaubt man, dass es ausreicht, bei offiziellen Gesprächen bloß die „Menschenrechte“ zu erwähnen, um der eigenen Verantwortung gerecht geworden zu sein? Meint man immer noch, dass diese Alibifunktion des„kritischen Dialogs“ auch tatsächlich eine auf Völkerrecht basierte und von Menschenrechten geleitete aktive Außenpolitik gegenüber der „Islamischen Republik“ ersetzen kann? Rechtfertigt etwas das Ergebnis dieserStrategie? Was hat man bis jetzt dadurch in Bezug auf mögliche Zähmung der aggressiv geprägten Innen- und Außenpolitik der „Islamischen Republik“ erreicht? Mit dieser „schrecklichen Duldung“ hat man sich bloß mitverantwortlich gemacht für die eklatanten Verletzungen aller völkerrechtlich garantierten (Menschen-)Rechte durch die „Islamische Republik“ seit 40 Jahren. Es ist ein erbärmliches Zeugnis für einen außenpolitischen Opportunismus eines Krämergeistes, der nur sein „eigenes Interesse am Hindukusch verteidigt“, wie einst einer der Bundespräsidenten aus dem Nähkästchen plauderte.
Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen bleibt anscheinend nur eine einzige Alternative zu diesen beiden Ansätzen unproduktiver Außenpolitik gegenüber der „Islamischen Republik“. Diese bis jetzt sträflich vernachlässigte Alternative besteht allein in einer wirkungsmächtigen Unterstützung der Demokratisierung Irans durch die internationale Sanktionierung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der „Islamischen Republik“. Denn nur durch die Unterbindung der Gewaltherrschaft und Herstellung der rechtstaatlichen Rahmenbedingungen gewaltloser Austragung der innpolitischen Auseinandersetzungen zur Durchsetzung der „Demokratie“ als Organisationsform der iranischen Staatsgesellschaft ist die Bedingung einer Möglichkeit friedlicher Koexistenz im Nahen und Mittleren Osten gegeben, die „international“ anscheinend als regionale „Stabilität“ angestrebt wird. Dies bedeutet aber keineswegs eine Aufforderung zur direkten Intervention in „innenpolitische Angelegenheiten“ der „Islamischen Republik“ durch andere Staaten. Auch eine scheinbar völkerrechtlich legitimierbare Zurückhaltung wäre genauso wenig zielführend, solange die „Islamische Republik“ das Völkerrecht permanent verletzt. Die durch die „Islamische Republik“ beanspruchte völkerrechtlich garantierte „nationale Souveränität“ setzt aber genauso die Erfüllung der völkerrechtlich garantierten Pflichten des „Souveräns“ voraus. Diese Pflichterfüllung sollte völkerrechtlich sichergestellt werden, sowohl innen- als auch außenpolitisch! Denn nicht nur die Nachbarvölker haben Anspruch auf völkerrechtlich garantierte Rechte, sondern auch die unter der "islamisch" geprägten Schreckensherrschaft leidenden Iraner. Dazu gibt es längst völkerrechtliche Grundlage dieses Rechtsschutzes.
2. Zu völkerrechtlichen Schranken der „nationalen Souveränität“ im 21. Jahrhundert
Das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ besagt, dass ein Volk das Recht hat, frei über seinen politischen Status, seine Staats- und Regierungsform und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Dies schließt also seine Freiheit von Fremdherrschaft ein. Dieses Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es einem Volk bzw. einer Nation einen eigenen nationalen Staat zu bilden oder sich in freier Willensentscheidung einem anderen Staat anzuschließen.[1]
Dieses Recht ist zwar als ein Kampfbegriff zurückzuführen auf die antikolonialen Befreiungskämpfe, dem im „kalten Krieg“ der bipolaren Weltordnung besondere Bedeutung zukam. Es wird aber heute allgemein als gewohnheitsrechtlich geltende Norm des Völkerrechtes anerkannt. Sein Rechtscharakter wird außerdem anerkannt durch Artikel 1 Ziffer 2 der UN-Charta, durch den „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“(IPBPR) sowie den „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“(IPWSKR), beide vom 19. Dezember 1966, völkervertragsrechtlich. Damit gilt es universell.
Die universelle Geltung dieses Rechtes impliziert aber entsprechende rechtsverbindliche Verpflichtungen der sich darauf beziehenden Regierungen, die ebenso universell geltende „bürgerliche und politische Rechte“zu respektieren haben. Sonst würden die Grundprinzipien der Rechtsetzung verletzt werden: die Reziprozität der Rechte und Pflichten als „Gerechtigkeitsprinzipien“ sowie die Unverletzbarkeit der Bürgerrechte als zivilisatorischer Errungenschaftder Menschheit. Denn nicht nur Menschen als Gruppenhaben Rechte,sondern auch Einzelne, deren Respektierung erst die Gruppenrechte wie „Nationale Souveränität“ rechtfertigt. Eine juristische Verschiebung der Balance der Menschenrechte zugunsten ihrer Gruppenrechte liefert daher nur die Legitimationsgrundlage des Totalitarismus, wie wir sie in der bisherigen Geschichte in verschiedenen Formen kennen. Dieser Missbrauch des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ist nur dann möglich, wenn man vergisst, wer das eigentliche Rechtssubjekt ist: nur Menschen haben Rechte, die Kollektive mit einander bilden.Sie allein sind befugt, diese Rechte aus „Einsicht in die Notwendigkeit“ selbstbestimmt einzuschränken und eine „Zwangsbefugnis“ erteilen, die sich in der Regel als eine Herrschaftsform verselbständigt. Erst durch diese Selbstdelegation der Zwänge, die sie als Fremdzwänge beherrscht, entstehtein demokratisch legitimes „Zwangsbefugnis“ mit dem völkerrechtlich garantierten Souveränitätsanspruch. Nur in diesem Sinne ist die Freiheit „die Einsicht in die Notwendigkeit“, weil sie die Einsicht in die Notwendigkeit des Rechtsstaates bzw. der freiwilligen Aufgabe gewisser Freiheiten bedeutet.
Eine Vernachlässigung dieses sozialen Tatbestands würde das uneingeschränkte „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ wie bekannt zum Instrument barbarischer Unterdrückung der Menschen als Einzelne verkommen lassen: das Recht auf Unversehrtheit der Person, das Recht auf freie Meinungsäußerung gehören unantastbar dazu. Der oder die Einzelne hat solche Rechte gegenüber allen, die sie zu beschränken suchen, und insbesondere gegenüber Machthabern. Die völkerrechtlich garantierten Bürgerrechte weisen – ihrem Sinn nach - daher immer die Mächtigen in ihre Schranken, die sich dabei immer auf ihre „Souveränität“ beziehen. In diesem engeren Sinn kann man unter „Selbstbestimmungsrecht der Völker“daher nur das Recht von Menschenverstehen, an der Regierung ihrer eigenen Angelegenheiten mitzuwirken, also eine Art Recht auf partizipatorische Demokratie. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Menschen als das Recht auf Selbstregierung der Menschen ergibt sich aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit in der Rechtssetzung, dem „Gerechtigkeitsprinzip“. Sonst kann man dieses Recht gar nicht in der Praxis angemessen definieren angesichts der bestehenden ethnischen und konfessionellen Vielfalt und des gegenwärtig vorherrschenden Menschenbildesin der „Islamischen Republik“. Was bedeutet das „nationale Selbstbestimmungsrecht“ der Menschen, die in der „Islamischen Republik“ als unmündig gelten, d.h. rechtlich und praktisch als bloße „Untertanen“ der klerikalen Herrschaft behandelt werden – geschweige denn Frauen, Andersdenkender und Andersgläubige oder marginalisierte ethnische Gruppen, die ihre eigene Autonomie anstreben? Solche rhetorischen Fragen sollen deutlich machen, dass in der „Islamischen Republik“ erfahrungsgemäß das Selbstbestimmungsrecht weder juristisch noch praktisch als Recht einzelner Bürger begriffen wird; vielmehr als das Recht des Theokraten, wie es verfassungsmäßig festgelegt ist. Damit wurde das Selbstbestimmungsrecht nicht zum ersten Mal zur Verlockung für Usurpatoren, die sich nicht nur auf Gott, sondern auch auf das „Gemeinwohl“ beziehen.
Seine neuerliche völkerrechtlich präzisierte Bedeutung lässt es allerdings als einen Kampfbegriff der unterdrückten Menschen international verteidigen - im Kampf machtschwächerer Einzelner gegen Mächtige, die es zuweilen im Kampf um die Etablierung und Erhaltung ihrer eigenen Macht instrumentalisiert haben. Um diese Instrumentalisierung des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes zur Machtergreifung und Machterhaltung der Usurpatoren in einen kampfbegriff der Unterdrückten zu verwandeln, ist der Bezug auf die „Schutzverantwortung“ unabdingbar. Damit wird auf die Reziprozität der Rechte und Pflichten der Menschen in unterschiedlichen sozialen und politischen Positionen aufmerksam gemacht. Denn sonst würden weiterhin die als Kollektiv begriffenen Rechte weiterhin der Unterwerfung von Menschen dienen, nicht aber ihrer Befreiung von Bevormundung. Zu dieser Umorientierung müssen allerdings die Gerechtigkeitsprinzipien aktiv gelebt werden.
3.Zu Gerechtigkeitsprinzipien der normativen Modernisierung
Damit Rechte der Völker, ethnischen und konfessionellen Gruppen nicht als ihre kollektive Rechte der Unterwerfung anderer Menschen dienen, sondern ihrer Befreiung, müssen sie als individuelle bürgerliche Rechte der Angehörige dieser Kollektive begriffen werden. Konsequenterweise gibt es kein „Kollektivrecht“ dieser Völker, oder Menschen ethnischer und konfessioneller Herkunft, die Gruppen mit einander bilden; sondern ein Recht der Menschen verschiedener Abstammung, gleichwertige und gleichberechtigte Bürger ihres Gemeinwesens zu sein, also Gleiche unter Gleichen; das Recht nicht benachteiligt zu werden, ja auch ihre eigene Sprache und Kultur zu pflegen. Diese sind daher Bürgerrechte, Rechte der Einzelnengegen jede Vormacht. Damit soll zugleich verhindert werden, dass nationale, ethnische oder konfessionelle Selbstbestimmungsrechte als Alibi für Homogenisierungbzw. „Gleichschaltung“ dienen; die Erfahrung der „Islamischen Republik“ hat ja reichlich vorgeführt, wie Islamisierung als Homogenisierungsversuch der Gesellschaft die Diskriminierung, Marginalisierung, Unterdrückung und zuweilen Eliminierung und Vertreibung von „Minderheiten“ zur Folge hat. Von daher liegt der Kern zivilisierter moderner Gesellschaften in ihrer Fähigkeit, Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters, unterschiedlicher Herkunft und Kultur gleiche Rechte zu garantieren. Darin liegt auch eine der unverzichtbaren Prämissen der föderativen Struktur einer multiethnischen Staatsgesellschaft, die die „Islamische Republik“ ersetzen soll.
Die Erfahrung der „Islamischen Republik“ hat zwar gezeigt, wie das „nationale Selbstbestimmungsrecht“ ein Instrument der De-Zivilisierung der Gesellschaft werden kann, zu einem Zeugnis der Unfähigkeit zur Freiheit in Vielfalt. Deswegen darf es aber nicht aus dem Begriffsvorrat der internationalen Politik verschwinden. Dem müssen allerdings emanzipative Grenzen durch neue realitätsangemessenere Deutungen gesetzt werden, wie dies mit der „Schutzverantwortung“ z.T. geschehen ist. Damit kommen die individuell einklagbare Gerechtigkeitsprinzipien zur Geltung, deren Sanktionierung die demokratische Opposition international fordern kann. Dies setzt aber die unumgänglich Überwindung der gegenwärtig dominierenden kollektivrechtlichen Glaubensaxiome und Werthaltungen voraus. Dazu ist aber eine Verschiebung der Ich- und Wir-Identität der interdependenten Menschen zugunsten ihrer Ich-Identität in den zunehmend sozial differenzierenden Gesellschaften notwendig – ohne einer „homo-clausus-Selbsterfahrung“ anheimzufallen.Diese Notwendigkeit ist nur nachvollziehbar, wenn man Individualisierung als zunehmende Bereitschaft zur Selbstverantwortung nicht mit egozentrischem Individualismuseines Menschen verwechselt, der sich in seinem „Inneren“ von der „Außenwelt“ abgeschlossen und total unabhängig von anderen Menschen erfährt. Denn Menschen sind von Natur aus auf einander angewiesen und voneinander abhängig, weswegen sie Kooperationsgemeinschaften mit einander bilden. Dies trotz individueller Zielkonflikte, deren Austragung rechtlich reguliert werden müsste. Doch die emotionale Entbindung der Einzelnen von der Nabelschnur der traditionellen Gemeinschaften, mit der sie sich einst verschmolzen fühlten, ist eine unabdingbare Voraussetzung dieser autonomen Selbsterfahrung der Menschen als sozialer Einzelmensch im Modernisierungsprozesse. Es ist gerade diese Transformation der Selbsterfahrung der Menschen als mehr oder weniger autonomen Individuen, die eine rechtsmoralische Legitimierung der gesellschaftlich notwendigen Einschränkungen ihrer Freiheit erfordert. Diese freiwillige Selbstverpflichtung interdependenter Menschen zur Einschränkung ihrer Entscheidungs- und Handlungsspielräume bedarf allerdings einer gegenseitigen Zustimmung, um rechtsmoralisch gerechtfertigt zu sein. Diese gegenseitige Zustimmung zur Einschränkung, ohne die kein Gemeinwesen existiert, erstreckt sich allerdings auf eine regelförmige Verpflichtung. Der Staatsbildungsprozess macht keine Ausnahme, sei es diktatorisch oder demokratisch legitimiert.
3.1. „Gemeinwohl“ oder „Gerechtigkeit“: Legitimationskriterien der Staatsgewalt als „Souverän“
Dies wird einsichtig, wenn man begreift, dass ein Staat als ein Gemeinwesen durch die Monopolisierung der „Gewaltandrohung“ entsteht, die einhergeht mit der Suspendierung und Kasernierung der Gewalt als Regulationsprinzip im Alltagsleben. Diese Zwangsbefugnis muss aber wie in jedem Gemeinwesen rechtsmoralisch legitimiert werden. Dabei geht es um den Maßstab, wonach die Zwangsbefugnis als legitim gelten kann. Die normativ bescheidene Antwort darauf ist eine pragmatische Rechtfertigung, die historisch durchgängig ist. Diese pragmatische Rechtfertigung beruft sich auf „klugheitsgebotene Zwecke“, etwa auf die innere und äußere Sicherheit oder Wohlergehen der Gesellschaft. Die Zwangsbefugnis erscheint dann als legitim, wenn sie also dem Gemeinwohl dient, weswegen auch der Staat als eine „Überlebenseinheit“ erfahren wird. Es gibt zwar verschiedene sozialpragmatische Legitimationen der Zwangsbefugnis in einem Gemeinwesen. Die wirkungsmächtigste Ethik des Gemeinwohls ist aber der ideologieverdächtige Utilitarismus, dessen Leitbegriff „maximales Kollektiv-Wohl“ ist. Denn durch die Verklärung der partikularen Interessen als Allgemeininteressen, erweist er sich in der Regel als eine ideologische Rechtfertigung der Ausbeutung der Menschen durch Menschen, als welche ihn auch schon Marx in der „Deutschen Ideologie“[2] scharf ablehnte. Als ein anscheinend demokratischer Ansatz, zeichnet sich der Utilitarismus außerdem aus durch das Defizit an Gerechtigkeit im doppelten Sinne: an rechts- und staatsnormierender als auch an der grundlegenderen, rechts- und staatslegitimierenden Gerechtigkeit.[3] Dem fehlt die Gegenseitigkeit der Übertragung von Rechten und Pflichten im Sinne eines sozialen Tauschverhältnisses. Dieser Äquivalenztausch bezieht sich auf die Gegenseitigkeit der rechts- bzw. regelförmigen Verpflichtungen, die in der Regel verfassungsmäßig verankert wird. Das Recht ist das Tauschmittel, dessen Verletzung dem Gewaltbefugten die Legitimation entzieht. Deswegen konnte das Schah-Regime nicht einmal seine Herrschaft mit seiner „weißen Revolution“ bzw. der „Revolution von Schah und Volk“ legitimieren. Denn mit der Suspendierung der Verfassung verlor der regierende Schah seine Legitimation als Monarch. Deswegen erwies sich Mossadegh als ein wahrer Verfassungspatriot, der unermüdlich den Schah aufforderte, seine verfassungsmäßig festgeschriebenen Kompetenzen nicht zu überschreiten und als Monarch nicht zu regieren. Denn mit der Verletzung der Verfassung hat der Schah die gegenseitig rechtsförmigen Verpflichtungen und damit die Regelform sozialer Beziehungenverletzt. Damit konnte er zwar die „kollektive Vorteile“ seiner Bemühungen rechtfertigen, opferte aber den verfassungsmäßig garantierten „distributiv-kollektiven Vorteil“ eines Rechtsstaates. Denn der Utilitarismus erlaubt zwar kollektiven Vorteil, opfert aber Einzelne dem Gemeinwohl. Die Legitimationskrise des Schah-Regimes ist u.a. darauf zurückzuführen. Die „Islamische Republik“ als eine institutionelle Ent-Demokratisierung ist daher ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus ihrer sozialen Träger, denen der versprochene „kollektive Vorteil“ jedes individuelle Opfer wert schien. Ihnen schien außerdem der „Anti-Imperialismus“ mehr Wert als Rechtsförmigkeit sozialer Beziehungen. Man unterwarf sich lieber einem Führer als einer Rechtsherrschaft. Dieser Untertanengeist hat nicht nur die „Islamische Republik“ entstehen lassen. Sie sorgt auch für deren Erhaltung als eine Art heilige patriotische Pflicht, deren Verletzung als Verrat verurteilt wird.
Dabei legitimiert sich der „Islamische Staat“ nicht einmal utilitaristisch mit der Ethik des Gemeinwohls. Für den Islamisten ist der „Islamische Staat“ bloß die Herrschaft Gottes auf Erden durch dessen Stellvertreter, den Theokraten als „Vormundschaft für die Nichtzurechnungsfähigen“. Dieser legitimatorische Paternalismus der Theokratie, der Menschen „zu Glück und Vollkommenheit“verhelfen soll[4], widerspricht als Inbegriff autoritärer Herrschaft nicht nur der liberalen Demokratie, die einen politischen Individualismus voraussetzt. Der Islamismus bekämpft mit „Demokratie als westlich“ ausdrücklich den politischen Individualismus jener Menschen, für die Zwangsbefugnis nur dort legitim ist, wo sie jedem Individuum einen Anspruch auf unveräußerliche Rechte, einräumt, einschließlich positiver Freiheitsrechte und demokratischer Mitwirkungsrechte. Denn die islamistische klerikale Herrschaft, die sich als Herrschaft Gottes auf Erden begreift, kennt keine Rechte sondern nur göttlich sanktionierte Pflichten der Gläubigen. Für deren Durchsetzung ist der „Islamische Staat“ nicht nur im Iran absolut notwendig sondern universal. Daher kennt der Islamismus keine nationalstaatlich bestimmten normativen und legitimierenden Grenzen. Denn Gottes Macht kenn ja keine Grenzen!! Für den Islamisten gilt daher nur die Zufriedenheit Gottes als legitimatorische Grundlage jeder Handlung der Obrigkeit, welche die Gemeinschaft der Muslime weltweit expandieren muss. Für diese göttlich legitimiert erfahrene Obrigkeit ist der Iran bloß ein „islamisches Hoheitsgebiet“ („darol Eslam“) gegenüber dem eroberungsgebotenen „Feindes Gebiet“ („darol harb“). In diesem „Vaterland der Gläubigen“ („Ommol-ghora“) gilt nur das Gemeinwohl der hypostasierten Gemeinschaft der Muslime (Umma), die keine Landesgrenze kennt. Dieses kollektive Gemeinwohl der Muslime wird auch nur durch den absoluten klerikalen Herrscher allein und im Namen Gottes definiert - wenn überhaupt. Da die „Islamische Republik“ sich als „Vaterland der Muslime“ (Ummol-ghora) begreift, kommt folglich dessen Sicherung als „Sicherung des Systems“ die absolute Notwendigkeit zu (hefz-e Nezam Odjeb-e wadjebat ast). Bei diesem „Systemerhaltenden klugheitsgebotenen Zweck“ („Mslehat-e Nezam“) dürfen sogar, nach Chomeini, die primären Gebote des Islams zeitweise suspendiert werden. Von daher hat nicht einmal die sonst als Markenzeichen des Islams propagierte Gerechtigkeit einen Platz in der „Islamischen Republik“, wenn es um die „Systemsicherung“ geht. Dies hat erneut der neue „oberste Richter“, Raissi, bei seiner Amtseinführung demonstrativ hervorgehoben als er seine eigene Aufgabe definierte. Mit dem Gerechtigkeitsprinzip wird aber auch die völkerrechtlich verbindlich garantierten grundlegenden Menschenrechte suspendiert, die als Menschenrechte der 1. Generation bezeichnet werden: das Recht auf Leben, das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie das Recht auf die Teilnahme an allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen. Außerdem wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Scharia in Frage gestellt. Verletzt werden außerdem Regelungen zum Minderheitenschutz, die Diskriminierung ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten generell verbieten und festlegen, dass ihnen das Recht auf ihre eigene Kultur, auf Bekenntnis und Ausübung ihrer Religion und auf ihre eigene Sprache nicht aberkannt werden darf. Denn mit der Scharia als Bezugsrahmen der Rechtsansprüche der Menschen, können völkerrechtlich abgestimmte Menschenrechte praktisch außer Kraft gesetzt werden. Mit diesem Regelfetischismus verletzt aber die „Islamische Republik“ systematisch eklatant das Gebot von Rechtsschutz und Gerechtigkeit als Voraussetzung der beanspruchten „Souveränität“.
3.2. Zu Rechtsschutz und Gerechtigkeit als Voraussetzung der „Souveränität“
Nicht einmal die regelmäßige Verurteilung der Menschenrechte durch die UNO-Generalversammlung hat daran etwas geändert. Der Menschenrechtsausschuss der UNO kann zwar Individualbeschwerden einzelner Bürger von Staaten, die das Zusatzprotokoll unterzeichnet haben, annehmen und verhandeln. Unterbinden kann sie die Menschenrechts-verletzungen nicht. Seit Jahrzehnten wurden sogar diverse Menschenrechtsbeauftragte bestellt, die vergeblich die institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen, trotz Kooperationsweigerung der „Islamischen Republik“, dokumentierten. Vergeblich waren diese dokumentierten Menschenrechtsverletzungen, weil keine ernsthafte Sanktionierung dieser Rechte durch die sich demokratisch definierender Staatengemeinschaft folgte. Diese an ihre rechtsmoralische Verpflichtung zu erinnern, ist daher die Aufgabe der demokratischen Opposition, die mit Hilfe der demokratischen Weltöffentlichkeit die Respektierung der „politischen Gerechtigkeit“ durchzusetzen beabsichtigt. Denn die entsprechenden Gerechtigkeitsprinzipien, die die Grundordnung einer Staatsgesellschaft betreffen, legitimieren auch das Gewaltmonopol jedes Staates, d.h. dessen „Zwangsbefugnis“. Dazu gehört das Recht auf „nationale Souveränität“ garantierende „Schutzverantwortung“ des Staates, zu deren Einhaltung die „Islamische Republik“ gezwungen werden muss.
Die „Schutzverantwortung“[5] ist ein neues Konzept der internationalen Politik und des Völkerrechts zum Schutze der Menschen vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Brüchen des humanitären Völkerrechts. Sie wurde maßgeblich von der „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ (ICISS) in den Jahren 2000/2001 entwickelt und international verbreitet und nach der Zustimmung der Generalversammlung der UNO (2005) sogar in der Resolution 1674 des Sicherheitsrats erstmals in einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument erwähnt. Der UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon veröffentlichte 2009 einen Bericht zur Umsetzung der Schutzverantwortung, die auf drei Säulen basiert und insbesondere die Bedeutung einer rechtzeitigen Erkennung und Einleitung von präventiven Maßnahmen bei derartigen Verbrechen hervorhebt[6].
Die „Schutzverantwortung“ trifft zunächst den Einzelstaat und beschreibt seine Pflicht, das Wohlergehen der ihm kraft seiner Personal- oder Gebietshoheit unterstellten Bürger zu gewährleisten. Bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung wird er von der internationalen Staatengemeinschaft unterstützt, der eine subsidiäre bzw. unterstützende Schutzverantwortung zukommt. Ist jedoch die politische Führung des jeweiligen Staates nicht fähig oder willens wie im Falle Iran, die Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, darf die internationale Staatengemeinschaft, vornehmlich die Vereinten Nationen, zum Schutz der bedrohten Menschen eingreifen. Dazu stehen ihr nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen zivile und militärische Mittel zur Verfügung, über deren Einsatz der Sicherheitsrat entscheidet.
Die theoretische Grundlage der „Schutzverantwortung“ ist die Definition von Souveränität als Verantwortung ("sovereignty as responsibility"), wonach ein Staat Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung übernehmen muss, um als souverän zu gelten. Die „Schutzverantwortung“ hilft damit, universelle Moralvorstellungen zum Schutz der Menschen als Einzelne und Gruppen international zu verwirklichen. Als zu verhindernde Menschenrechtsverletzungen werden Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen identifiziert. Von daher sollte das kanadische Beispiel der parlamentarischen Verurteilung der Massenhinrichtungen iranischer Gefangenen in Jahre 1988 als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auch in Europa und den USA Schule machen.
Nach der vorliegenden Fassung gliedert sich die „Schutzverantwortung“ in drei Teilverantwortlichkeiten:Die Pflicht zur Prävention, die Pflicht zur Reaktion und die Pflicht zum Wiederaufbau, wovon vor allem die Pflicht zur Prävention hier für mich zur Debatte steht.
Die Pflicht zur Prävention zielt auf die Vermeidung von Situationen, in denen es zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt, insbesondere durch den Aufbau einer guten Verwaltung (good governance) und die Bekämpfung tiefverwurzelter Ursachen für Konflikte(root causes), die im Iran durch die institutionalisierte Verletzung der Menschenrechte vor allem in Form institutionalisierter ethnischer und konfessioneller Diskriminierungen unausweichlich sind. Auch eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist insoweit denkbar, die im Falle Iran einer Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO bedarf, weil Iran das Abkommen zur Errichtung des „Internationalen Strafgerichtshof“ zwar unterschrieben aber nicht ratifiziert hat.
Auch die Pflicht zur Reaktion verpflichtet zu einer Beseitigung bzw. Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen. Mittel hierzu sind friedliche Zwangsmaßnahmender Staatengemeinschaft wie Waffenembargos und das Einfrieren von Bankkonten. Als ultima ratio kommen auch militärische Interventionen in Betracht, wenngleich diese nur in zwei eng umrissenen Situationen gerechtfertigt sein sollen: im Falle eines Massensterbens und im Falle einer ethnischen Säuberung. Die Befugnis, eine solche militärische Intervention zu autorisieren, geht gemäß der „Schutzverantwortung“ jedoch nicht auf einzelne Staaten über, sondern verbleibt beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die gegenwärtig paralysiert ist.
Von der „humanitären Intervention“ unterscheidet sich die „Schutzverantwortung“ in dreifacher Weise:
1. Der dem Konzept der humanitären Intervention immanente Rechtfertigungszwang bedingt eine starke Zurückhaltung der Staaten, in innerstaatliche Konflikte aktiv einzugreifen. Diese Zurückhaltung zeigte sich insbesondere während des Völkermords in Ruanda – mit verheerenden Folgen. Allerdings werden zurzeit die Verantwortlichen vor dem „Internationalen Strafgerichtshof“ in Genf zur Rechenschaft gezogen. Die Schutzverantwortung verlagert den völkerrechtlichen Rechtfertigungsdruck für ein Handeln der Staaten bei Menschenrechtsverletzungen, indem sie entsprechende Pflichten formuliert.
2. Die Souveränität eines Staates und das daraus hervorgehende absolute Interventionsverbot, wie es Art. 2 Ziff. 7 der Charta der Vereinten Nationen gewährleistet, werden durch die Schutzverantwortung neu definiert. Als Folge eines Verstoßes gegen seine Schutzverantwortung verwirkt ein Einzelstaat sein Recht auf Nichteinmischung in seine internen Angelegenheiten.
3. Die „humanitäre Intervention“ betrifft allein die Rechtfertigung militärischer Maßnahmen und damit nur einen Teilaspekt der „Schutzverantwortung“. Mit ihren Präventions-, Reaktions- und Wiederaufbauelementen verfolgt letztere einen weit umfassenderen Ansatz.[7]
Mit dieser völkerrechtlichen Grundlage präventiv-gewaltloser humanitärer Intervention ist völkerrechtlich die Möglichkeit gegeben im Falle institutionalisierter Menschenrechtsverletzungen, jenseits der Einzelfallbeispiele der Menschenrechtsverletzungen wie bei „Amnesty International“, Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte als einen unverzichtbaren Aspekt der institutionellen Demokratisierung Irans zu initiieren.
Mit der „Schutzverantwortung“ formulierte Pflicht zur aktiven Verteidigung der Menschenrechte, können die demokratischen Staaten nicht mehr wie bis jetzt bei Lippenbekenntnisse zu Menschenrechte belassen. Sie daran zu erinnern ist die Hauptaufgabe der Menschenrechtaktivisten.
Denn wer eine „humanitäre Intervention“ als einen bewaffneten Eingriff in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zum Schutz von Menschen in einer humanitären Notlage ablehnt, hat keine andere Alternative als diese Notlagen präventiv vorzubeugen. Und zwar gewaltlos. Die institutionalisierten Menschenrechtverletzungen und die institutionell vorprogrammierte blutige Eskalation jedes politischen Konfliktes um institutionelle Demokratisierung, wie wir nicht nur in Syrien erleben, sondern auch bei der blutigen Unterdrückung der „Grünen Bewegung“ im Iran gesehen haben, machen die präventiv-gewaltlosen Interventionen unabdingbar.
Jede präventiv-gewaltlose humanitäre Intervention muss daher auf eine Institutionalisierung der Rahmenbedingungen gewaltloser Austragung der Konflikte hin zielen, bevor sie aus schierer Verzweiflung in blutige Bürgerkriege ausufern wie in Syrien. Denn diese Konflikte sind Manifestationen der nie endenden Macht- und Statuskämpfe und als solche die Struktureigentümlichkeit jeder menschlichen Beziehung, die mit zunehmender funktionellen Demokratisierung der Gesellschaften sich vervielfältigen und verschärfen.
Es geht dabei um eine nie enden wollende Auseinandersetzung um die Verschiebung der Machtbalance und der Selbstwertbeziehungen der interdependenten Menschen als Einzelne und Gruppen zu eigenen Gunsten. Es geht also um die Steigerung der eigenen Machtchancen und des Selbstwertgefühls auf Kosten der Anderen. Es geht immer dabei um die Erweiterung der eigenen Chancen, das Verhalten der anderen Menschen als Einzelne und Gruppen zu steuern. Und da zuweilen mehr Macht gleich gesetzt wird mit mehr Selbstwert, entsteht eine eigene „Logik der Emotionen“, die zu einem Teufelskreis der Eskalation der Konflikte beiträgt. Um die Eigendynamik dieser Eskalation hin zur gewaltsamen Austragung zu unterbinden, ist eine präventive gewaltlose humanitärere Intervention unabdingbar. Sie soll zur Förderung gewaltloser Konfliktaustragung dadurch beitragen, indem sie ihre institutionellen Rahmenbedingungen durch Sanktionierung folgender Forderungen erleichtert:
Diese Forderungen sind allerdings ohne entsprechende internationale Sanktionen kaum durchsetzbar. Jedoch gibt es inzwischen eine unüberhörbare international vernehmbare Stimme, die einen „Verzicht auf Regimewechsel“ als einen angemessenen Lohn für iranischen Verzicht auf atomare Ausrüstung Irans propagiert. Dabei suggeriert sie die Annahme, dass die geforderten humanitären Interventionen eine Aufforderung zum extern gesteuerten Regimewechsel im Iran bedeutet, was die überwiegende Mehrheit der Iraner aus eigenen historischen Erfahrungen strikt ablehnen. Die praktische Konsequenz dieser Forderung ist eine ethisch unakzeptable Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen Irans.
Diesen Kuhhandel abzuwehren, sollte das Hauptanliegen aller internationalen Bemühungen zur aktiven Verteidigung der Menschenrechte in Iran sein, ohne eine friedliche Regelung dieses Konfliktes zu torpedieren.
Eine Diskussion über die gegenwärtig angemessenen Formen der gewaltlosen humanitären Interventionen zum Schutz der Menschenrechte im Iran sollte - als Alternative zu dieser schrecklichen Form der Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen - für die Unterstützung einer nachhaltigen friedlichen Koexistenz durch eine zivilgesellschaftlich gestützte Demokratisierung Irans sorgen. Die gewaltlose humanitäre Intervention in Form aktiver Unterstützung zivilgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse reduziert prophylaktisch die Gefahr blutiger Austragung sozialer Konflikte und erhöht die Chance der gewaltlosen Überwindung bestehender institutioneller Blockaden sozialer Mobilität und die Aussicht auf friedliche institutionelle Demokratisierung der iranischen Staatsgesellschaft. Damit bekommt auch die Möglichkeit der friedlichen Koexistenz im Nahen und Mittleren Osten eine reale Chance.
Hannover, den 21.05.2019
[1]Vergl. Joachim Bentzien, Die völkerrechtlichen Schranken der nationalen Souveränität im 21. Jahrhundert, Peter Lang, Frankfurt am Main 2007.
[2]Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 394ff.
[3]Vergl. Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999, S. 42 ff.
[4]Vergl. Ajatollah Chomeini, Der Islamische Staat, Berlin 1983, S. 37
[5]Vergl. Wikipedia, Artikel „Schutzverantwortung“
[6]Zusammenfassung des UN-Berichts zur Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft. genocide-alert.de. 5. April 2009.